Rezensionen - Einstellungsjahr 2020

Verfasser: Uwe Bekemann (sofern nicht jeweils ein anderer Verfasser genannt ist)

The Modernized Grünfeld-Defense

Yaroslav Zherebukh
The Modernized Grünfeld-Defense
297 Seiten, kartoniert
ISBN: 9789492510792
29,39 Euro



The Modernized Grünfeld-Defense


„The Modernized Grünfeld-Defense“ ist eine 2020er Neuerscheinung im Rahmen der Serie „The Modernized“ des belgischen Verlagshauses Thinkers Publishing. Sein Autor ist Yaroslav Zherebukh, ein junger und aus der Ukraine stammender Großmeister, der heute in den USA lebt. Die aktuelle Elo-Liste der FIDE weist für ihn eine Wertungszahl von 2620 (Standard) aus.
Zherebukh wendet die Grünfeld-Indische Verteidigung (oder einfach Grünfeld-Verteidigung) auch selbst an und hat sie für seinen eigenen Turniereinsatz intensiv analysiert. Im Vorwort lässt er den Leser wissen, dass das Gros seiner Analysen aus der Zeit von Januar 2016 bis Januar 2020 stammt, und dass er alles noch einmal aktualisiert hat, bevor das Buch in Druck gegangen ist.

Um einem Irrtum vorzubeugen: „The Modernized Grünfeld-Defense“ ist ein Repertoirebuch, das sich dem System generell und nicht nur der modernen Abtauschvariante widmet. Ich selbst hatte mich durch den Titel der Buchserie ins Bockshorn jagen lassen und die Arbeit an diesem Werk unter einer Fehlannahme begonnen.

Das Buch ist in 5 Teile mit insgesamt 15 Kapiteln gegliedert. Der Stoff verteilt sich darauf wie folgt:
Teil 1 (4 Kapitel): Abtauschvariante (4.cxd5)
Teil 2 (3 Kapitel): Weiß spielt 4.Sf3
Teil 3 (4 Kapitel): Möglichkeiten für Weiß im 4. Zug
Teil 4 (2 Kapitel): Möglichkeiten für Weiß im 3. Zug
Teil 5 (3 Kapitel): Anti-Grünfeld.
In den Kapiteln 1 und 2 behandelt Zherebukh die klassische und die moderne Form der Abtauschvariante. Hervorheben möchte ich noch die Kapitel 7, in dem es um 5.h4 geht, und Kapitel 13 zu 3.f3. Diese befassen sich mit sehr populären Ideen und unterstreichen die Aktualität des Werkes.

Ein mit „The Modernized Grünfeld-Defense“ verbundener Vorteil für den Leser liegt in den zahlreichen und intensiven großmeisterlichen Analysen, mit denen das Buch bestückt ist. Ein mit „The Modernized Grünfeld-Defense“ verbundener Nachteil für den Leser liegt in den zahlreichen und intensiven großmeisterlichen Analysen, mit denen das Buch bestückt ist.
Diese kleine sprachliche Spielerei verlangt nach einer Beantwortung der Frage, für welchen Spieler dieses Werk eine Empfehlung ist und wem womöglich eher zu einem anderen Lehr- oder Repertoirebuch zur Grünfeld-Verteidigung zu raten ist. Also: Zherebukh spart nicht mit Erläuterungen, orientiert sich dabei aber nicht am Niveau des unerfahrenen Spielers, sondern setzt einiges an Spielvermögen voraus. Wenn er die Wahl hat, sich für eine eher solide oder eine aggressive, kämpferische Fortsetzung auszusprechen, tendiert er zumeist zur zweitgenannten. Wenn er dynamische Gegenwerte sieht, zögert er nicht mit der Investition eines Bauern.
Diese Zusammenstellung zeigt, dass „The Modernized Grünfeld-Defense“ ein Buch für den fortgeschrittenen Spieler und nicht für den Anfänger ist. Der unerfahrene Spieler würde aus meiner Sicht zu wenig auf ihn zugeschnittene Anleitung finden und wäre von den zahlreichen Analysen ohne Zweifel von Beginn an überfordert. Das Gegenteil aber gilt für den schon etwas spielstärkeren Leser. Ab einer Spielstärke jenseits des einfachen Klubniveaus und dann nach oben unbegrenzt kann der Leser aus meiner Sicht sehr von diesem Werk profitieren. Er kann es zur Aufnahme der Grünfeld-Verteidigung in sein Repertoire oder auch zu dessen Qualifizierung einsetzen, wenn er sich des Systems bereits bedient. Die Analysen des Autors füllen Lücken, die sich bei der Auswertung der Partiendatenbanken ergeben, denn sehr viele Ideen sind bisher noch nicht in der Praxis ausprobiert worden. Zherebukh hat Neuerungen in einer hohen Zahl gefunden.

Zusätzlich zum eigentlichen Gegenstand des Buches gibt Zherebukh Tipps, wie man Eröffnungen lernen und trainieren und dabei Software (ChessBase) einsetzen und Websites nutzen kann. Auch wenn dies eher für einen noch unerfahrenen Spieler hilfreich sein dürfte, lässt mich dies an meiner Einschätzung, dass „The Modernized Grünfeld-Defense“ vor allem ein Buch für den stärkeren Spieler ist, nicht zweifeln.

Auch der Fernschachspieler kann von diesem Material in besonderer Weise profitieren, eben weil es für viel davon in Theorie und Praxis keine anderen Quellen dafür gibt.
Den Fernschachspieler erwähnt Zherebukh übrigens an einer Stelle in einer Weise, dass ich schmunzeln musste. Auf Seite 40 gibt er dem Leser einen Tipp. Wenn dieser im Fernschach gebräuchliche Eröffnungen nutzt, kann er sich viel Analysearbeit ersparen, da die Fernschachspieler bereits alles mit Engines überprüft haben. Dies weiß natürlich ebenso der Fernschachspieler selbst; hierin liegt eine Erklärung auch dafür, dass in etlichen Eröffnungen bestimmte Varianten im Fernschach immer wieder gespielt werden, während man sie auf der herkömmlichen Turnierbühne nicht oder kaum antrifft.
Fragmente aus Fernpartien sind in das Buch eingeflossen, allerdings in einer eher geringen Anzahl.

Der 5. Teil im Buch dient der Absicherung des Repertoires. Hier erhält der Leser in gleicher Weise qualifiziertes Material an die Hand, mit dessen Anwendung er auf Ausweichmanöver von Weiß reagieren kann.

Zherebukh hat das Repertoire für Schwarz zusammengestellt, behandelt den Stoff also aus dessen Sicht. Das Buch kann auch aus der Warte von Weiß genutzt werden, nur sind dann nicht alle wichtigen Zugmöglichkeiten für Schwarz behandelt. Hier also ist man in der Behandlung davon abhängig, dass Zherebukh eine Alternative für Schwarz berücksichtigt und nicht aus Gründen der Zusammenstellung des Repertoires aussortiert hat.
Soweit ich das feststellen kann, versucht er Einschätzungen möglichst neutral vorzunehmen und nicht etwa ungerechtfertigt positiv für Schwarz. Ein schönes Beispiel hierfür findet sich auf Seite 97, wo er mit einer Neuerung für Weiß einen früheren schwarzen Standardzug aushebelt.

Eine Besonderheit präsentiert „The Modernized Grünfeld-Defense“ auf den Seiten 295 bis 297. Diese enthalten wertende Zusammenfassungen bzw. Schlussfolgerungen für alle Kapitel. In kurzer Form hält Zherebukh fest und ruft in Erinnerung, was in den 16 Kapiteln behandelt worden ist, teilweise um zusätzliche Informationen ergänzt.

Ein zentrales Variantenverzeichnis ist (leider) nicht enthalten. In einer rudimentären Form kann aber das Inhaltsverzeichnis als solches genutzt werden, in Verbindung mit Einzelverzeichnissen in den Kapiteln. Es gibt keine vorbestimmte Reihenfolge, in der die einzelnen Kapitel tunlichst bearbeitet werden sollten. Der Leser kann zugleich bestimmen, ob er ein Kapitel überhaupt beackern möchte.

Die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers sind niedrig.

Fazit: „The Modernized Grünfeld-Defense“ ist ein gelungenes und viele neue Ideen und Analysen anbietendes Repertoirebuch für Schwarz. Auf seiner Basis kann der Spieler die Grünfeld-Verteidigung neu in sein Repertoire aufnehmen oder dieses ausweiten und aktualisieren.
Das Werk setzt hinsichtlich der Erörterungen ein gewisses eigenes Spielverständnis voraus und richtet sich damit in erster Linie an den schon etwas erfahreneren Spieler. Diesem wie auch dem Fernschachspieler möchte ich „The Modernized Grünfeld-Defense“ zum Kauf empfehlen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Sicilian Structures Part 1, Najdorf & Scheveningen

Herman Grooten
Sicilian Structures Part 1, Najdorf & Scheveningen
397 Seiten, kartoniert
ISBN: 9789492510631
19,58 Euro



Sicilian Structures Part 1, Najdorf & Scheveningen


„Sicilian Structures Part 1, Najdorf & Scheveningen“ ist das dritte Werk des niederländischen IM und sowohl sehr erfahrenen als auch anerkannten Autors Herman Grooten in der Buchreihe „Understanding before Moving“ des belgischen Verlags Thinkers Publishing. Der Autor hat ein Händchen dafür, wie man Bücher zur Schachtheorie schreiben kann, die dem Leser den Zugang zur behandelten Materie garantieren und dabei seine Motivation aufrecht erhalten, genau darauf hinzuarbeiten. Nicht von ungefähr kommt eine Auszeichnung für ein früheres Werk von ihm als „Buch des Jahres“ des renommierten Portals Chesscafe.com.

Der Masterplan des Autors wird schon sehr gut aus dem Inhaltsverzeichnis des Werkes erkennbar, das ich deshalb – auf das Wesentliche beschränkt und sinngemäß (relativ frei) ins Deutsche übertragen – voranstelle.
Kapitel 2: Grundlegendes zur Sizilianischen Verteidigung
Abschnitt 2.1: Einführung
Abschnitt 2.2: Typische taktische Wendungen
Abschnitt 2.3: Typische strategische Manöver und Konzepte
Abschnitt 2.4: Ursprung der Najdorf-Variante
Abschnitt 2.5: Grundlegende Aspekte zur Scheveninger Variante
Kapitel 3: Musterpartien zur Najdorf-Variante
Abschnitt 3.1: Allgemeine Informationen zur Najdorf-Variante
Abschnitt 3.2: Variantenübersicht zur Najdorf-Variante
Kapitel 4: Musterpartien zur Scheveninger Variante
Abschnitt 4.1: Allgemeine Informationen zur Scheveninger Variante
Abschnitt 4.2: Variantenübersicht zur Scheveninger Variante
Kapitel 5: Übungen
Kapitel 6: Lösungen.

Zunächst einmal stellt sich die Frage, warum Grooten das Buch thematisch wie beschrieben zugeschnitten hat. Dies erklärt er sehr überzeugend auf den ersten Buchseiten. Sinngemäß übersetzt schreibt er: „Jede Variante der Sizilianischen Verteidigung hat ganz spezifische Eigenschaften und verdient eine separate Behandlung. Bei der Aufteilung der Systeme in Bücher aber habe ich versucht, diejenigen zusammenzufassen, die einander am ähnlichsten sind. (…) Im vorliegenden Buch finden Sie aufgrund deren Ähnlichkeit die Najdorf-Variante und die Scheveninger Variante vor, die sogar einige Überschneidungen aufweisen.“

Sein Konzept für die Buchreihe „Understanding before Moving“ ist auf das Ziel ausgerichtet, dem Leser das Verständnis für typische Manöver und jeweils wesentliche strategische und taktische Elemente zu vermitteln. Sehr schön bringt der niederländische Titel der Serie, „Begrijp wat je doet“ – versteh was du tust, diese Intention zum Ausdruck. Hierfür bedient er sich Meisterpartien aus der Praxis, die häufig jüngeren Datums, teilweise auch etwas älter sind. Grooten hat sie nach inhaltlicher Eignung und nicht unbedingt nach dem Jahr ausgewählt, in dem sie gespielt worden sind. In der Kommentierung dominieren Erläuterungen, Erklärungen, Beschreibungen und nicht Varianten. Der Leser soll auch dann, wenn er am Brett auf eine ihn überraschende Fortsetzung trifft, auf der Basis seines Grundverständnisses für die beiden Eröffnungssysteme sich zu helfen wissen.
Auf Seite 15 leitet Grooten aus der Orientierung an der Eröffnungsbehandlungen meisterlicher Spieler verschiedene Fragen ab, die den Leser beim Studium wie auch als Spieler am Brett „in der Spur“ halten sollen, ihn den Blick für das Ganze bewahren lassen wollen. Neben Fragen, die eher zum Grundrepertoire jedes Spielers zählen, sprechen zwei davon m.E. spezifisch den schon mit mehr Erfahrung ausgestatteten Akteur an. Diese sind:
- Können wir hier einen Plan aus einer ganz anderen Eröffnung ableiten?
- Wie lässt sich der gegnerische Plan durchkreuzen?

Die Kernkapitel 3 und 4 leitet Grooten mit ein paar allgemeinen Informationen zum jeweils behandelten System und einer Variantenübersicht ein, die um Diagramme zu den Basisstellungen ergänzt sind. Fotos dazu sorgen für Bilder im Kopf, die Assoziationen auslösen und das Erinnerungsvermögen stützen. Beispiele hierfür im Bereich der Najdorf-Variante: Die Fischer-Variante prägt sich mit ihrem Namen dem Leser durch die Abbildung des Ex-Weltmeisters und Namenspaten des Systems Bobby Fischer ein, der Englische Angriff wird vertreten von einem Bild des Wahrzeichens Big Ben.
An wenigen Stellen hat man es mit den Illustrationen für meinen Geschmack zu gut gemeint. So werden Spielerfotos auch mehrfach verwendet, was ich als etwas irritierend empfinde. Ein zusätzlicher grafischer Variantenbaum auf Seite 71 wäre verzichtbar gewesen, denn er ist unlesbar.

Der Aufbau des Buches und die damit verbundene gemeinsame Betrachtung der Najdorf-Variante und der Scheveninger Variante führen dazu, dass der Leser grundlegende Informationen zur Sizilianischen Verteidigung und zu gemeinsamen Aspekten der beiden Systeme von den jeweils spezifischen Ausführungen getrennt bearbeitet. Das Werk überspannend erfährt er sehr gut herausgearbeitet die Grundaufbauen, zentrale Konzepte, Standardmanöver, statische und dynamische Vor- und Nachteile von Positionen etc. Es ist darauf ausgelegt, dass es von Grund auf, grundsätzlich auch vollständig und im Wesentlichen chronologisch studiert wird.

Das durchgängig im Werk eingesetzte Symbol der Glühbirne kennzeichnet im Bereich der allgemeinen theoretischen Darstellung den jeweiligen Betrachtungsgegenstand, z.B. „…d6-d5“ und im Kopf der Beispielpartien die Spielerseite, für die Grooten die Partie aufgearbeitet hat, also für Weiß oder Schwarz. Damit ist nun auch ein konzeptionelles Merkmal des Buches angesprochen, das ich für sehr gut gewählt ansehe. Indem der Autor die Spielführung in den Lehrbeispielen jeweils auf eine Seite konzentriert darstellt und somit daran ausrichtet, ob man mit oder gegen die beiden Verteidigungssysteme spielt, unterstützt er das Verstehen des Lesers sehr.
Zur Visualisierung von Erläuterungen eingesetzte Diagramme sind um Pfeile ergänzt, um dynamische Vorgänge anzuzeigen. Zusätzlich werden markante Felder durch dicke Umrahmungen hervorgehoben.

Für wen ist „Sicilian Structures Part 1, Najdorf & Scheveningen“ in meinen Augen eine Empfehlung? Hierzu zählen:
1. Grundsätzlich ist dieses Werk für jeden geeignet, der mindestens die Grundlagen des Schachspiels beherrscht, also eine Partie logisch zu führen weiß.
2. Erfahrenere Spieler, die ihr Studium der im Buch besprochenen Systeme bisher eher auf das Einprägen von Varianten konzentriert haben und nun an ihrem Grundverständnis feilen möchten. Wer also beispielsweise in der eigenen Partie in ein Verständnisloch fällt, sobald das Erinnerungsvermögen an Varianten ausgereizt ist, kann sich mit diesem Buch qualifizieren.
3. Der Fernschachspieler, der sich sehr auf Engine und Datenbank stützt, ohne nach eigener Einschätzung die Vorschläge des Computers strategisch und konzeptionell hinreichend einordnen zu können. Ein Effekt des Studiums wird für ihn darin liegen, dass er die Engine versierter zur Berechnung einsetzen kann.

Seine Stärken kann „Sicilian Structures Part 1, Najdorf & Scheveningen“ besonders dann ausspielen, wenn es neben Spezialwerken zur Eröffnungstheorie und von einer gut sortierten Partiendatenbank begleitet eingesetzt wird. Ersetzen kann es diese nicht.

Ganz nebenbei erhält der Leser eine Anleitung zum Studium unter Nutzung Datenbank (ChessBase).

Dass „Sicilian Structures Part 1, Najdorf & Scheveningen“ auch Übungsaufgaben und die Lösungen darauf enthält, ist bereits dem obenstehenden Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis zu entnehmen. Diese nehme ich allerdings eher als eine Ergänzung wahr, denn für mehr hätte dieser Bereich weiter ausgebaut werden müssen.

Die Buchsprache ist Englisch. Von einigen Wörtern abgesehen, deren Bedeutung auch mit ordentlichen Fremdsprachkenntnissen auf Schulniveau nachzuschauen sein dürften, stellt sie keine besonderen Anforderungen.

Fazit: „Sicilian Structures Part 1, Najdorf & Scheveningen“ ist ein sehr gelungenes „Verständnisbuch“ zur Najdorf-Variante und zur Scheveninger Variante der Sizilianischen Verteidigung. So kann ich den Kauf des Werkes besten Gewissens empfehlen, wobei ich die im Text genannten Adressatenkreise hervorheben möchte.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Playing the Petroff

Swapnil Dhopade
Playing the Petroff
326 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-78483-105-9
19,58 Euro



Playing the Petroff


„Playing the Petroff“, 2020 erschienen bei Quality Chess, ist ein aus der Sicht von Schwarz geschriebenes Repertoirebuch zur Russischen Verteidigung. Eigentlich wollte sein Autor, der junge indische Großmeister Swapnil Dhopade, zu Caro-Kann für Quality Chess schreiben, wie er im Vorwort erzählt. Ein solches Werk passte aber nicht zu den sonstigen Planungen des Verlags, so dass ihm die Möglichkeit aufgezeigt wurde, eben zur Russischen Verteidigung zu schreiben. Nach seinen Worten war er zunächst im Zweifel, ob er ein geeigneter Autor für ein Buch über diese Eröffnung sein könne, da er sie nie in seinen praktischen Partien eingesetzt hatte. Er hat dann aber das verlagsseitige Vertrauen, dass er als Forscher sicherlich ein erstklassiges Repertoire würde ausarbeiten können, angenommen und sich ans Werk gemacht.

Ich persönlich schätze solche offenen und ehrlichen Worte sehr. Immerhin gibt Dhopade damit von sich aus etwas vom großmeisterlichen Nimbus eines Experten aus der Hand. Allerdings scheint er aufgrund seiner Arbeit auf den Geschmack gekommen zu sein, denn er hat die Petroff Defence, wie das System im englischen Sprachraum heißt, für seinen eigenen Turniereinsatz adoptiert, und dies mit Erfolg. Damit fließt dann einiges von dem, was im gefühlten Vertrauen des Lesers gerade verloren gegangen sein kann, sofort wieder zurück.

Ohne allzu viel vorwegnehmen zu wollen, kann ich sagen, dass „Playing the Petroff“ eine Arbeit von gewohnt hohem Standard von Quality Chess ist.
Den Untertitel des Werkes, „A Bulletproof Repertoire“, möchte ich mit „ein hieb- und stichfestes Repertoire“ übersetzen. Dhopade gibt in seinem Vorwort preis, was darunter zu verstehen ist. Danach hat er sich auf Linien konzentriert, die weniger scharf sind, auch wenn er solche in einem vergleichsweise geringen Umfang mit eingebracht hat. Seine Analysen hat er in der Tiefe begrenzt und darauf ausgelegt, dass der Leser in gut zu spielende Stellungen kommt, ohne auf auswendig gelernte lange Varianten zurückgreifen zu müssen. Das Material hat er mit starken Engines überprüft, wie er angibt, ohne diese aber spezifisch zu nennen.
Aufgefallen ist mir, dass er in einem bemerkenswerten Umfang auf Fernpartien zurückgegriffen hat, die zumeist jüngeren Datums sind und somit regelmäßig unter Engine-Einsatz gespielt sein werden. Auch dies spricht für die Solidität der Berechnungen.
Dhopade erklärt, dass die strategische Ausrichtung seines Repertoires nicht etwa zu Lasten der aktiven Chancen von Schwarz geht. Er sieht für ihn zahlreiche Gelegenheiten zu Konterchancen, die ihn die Initiative erringen lassen oder andere Vorteile einbringen.
Er macht darauf aufmerksam, dass er bei aller rechnergestützten Sauberkeit der Analysen immer darauf geachtet hat, dass Schwarz aus dem Blickwinkel der praktischen Partie nicht in unbequeme Stellungen kommt. So hat er wohl etliche Male Varianten verworfen, in denen der Computer zu einem für Schwarz ordentlichen Rechenergebnis gekommen ist, er aber aus der menschlichen Warte skeptisch war.

Das Werk ist in 16 Kapitel gegliedert, von denen vier im letzten Abschnitt „Avoiding the Petroff“ der Absicherung des Repertoires für den Fall dienen, dass Weiß der Russischen Verteidigung seines Gegners aus dem Weg geht.
Das Deckblatt jedes Kapitels enthält neben der Initialzugfolge und das damit erreichte Ausgangsdiagramm ein Verzeichnis der in ihm behandelten Varianten, das mit dem ausführlichen Gesamtverzeichnis am Ende des Buches korrespondiert. Dem Leser wird damit ein bequemes Navigieren über alle Inhalte des Werkes hinweg ermöglicht.
In einer Zusammenfassung am Ende des Kapitels hält Dhopade die wichtigsten Erkenntnisse daraus bzw. seine Wertungen in konzentrierter Form fest.

Dhopade kommt es erkennbar sehr darauf an, dass sein Leser den angebotenen Stoff verstehen kann. Er erklärt ausführlich, wobei er nach meiner Einschätzung beim Leistungshorizont des Klubspielers ansetzt. Das Wissen um einfachere Aspekte wird entsprechend beim Leser vorausgesetzt.
Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein Leser nur gestützt auf eine Engine die Empfehlungen des Autors nachvollziehen kann. Einerseits erklärt die Engine ihre Ergebnisse nicht, andererseits hat Dhopade im Zweifel seinem eigenen Beurteilungsvermögen vertraut, wenn ihn selbst der von der Engine errechnete Weg nicht überzeugen konnte, so dass der Leser mit voneinander abweichenden Bewertungsergebnissen zu tun hat.

„Playing the Petroff“ ist klassisch nach der Baumstruktur aufgebaut. Illustrationspartien sind nicht enthalten, sie fehlen meines Erachtens aber auch nicht. Der Klubspieler, zumindest wenn er ambitioniert ist und sich deshalb ein Buch wie dieses kauft, wird ohnehin über eine gepflegte Partiendatenbank verfügen.

Nach meiner Einschätzung stellt „Playing the Petroff“ ein solides und zugleich ausreichend dynamisches Repertoire für Schwarz bereit, das zugleich gegen die wichtigsten Abweichungsversuche von Weiß abgesichert ist.
Und dass dieses Repertoire fernschachtauglich ist, lässt sich schon daraus ersehen, dass einiges aus dem Fernschach ins Buch eingeflossen ist.
„On top“ schlägt das Werk eine ganze Reihe von Neuerungen vor, sowohl in den Haupt- als auch in den Nebenvarianten. Am häufigsten kommen sie im Bereich der Züge 11 bis 15 vor, also in einer Partiephase, in der die „Standardzüge“ für das Gros der Klubspieler abgespult sein dürften und Neuerungen aus seiner Warte besonders effektvoll sein können.

Die Buchsprache ist Englisch. Der Leser mit soliden Fremdsprachkenntnissen wird bequem mit dem Buch arbeiten können. Ich selbst musste die eine oder andere Wortbedeutung nachschlagen, um zur exakten Übersetzung zu kommen. Regelmäßig war dann aber schon aus dem Kontext klar, in welche Richtung die Vokabel gehen würde.

Fazit: „Playing the Petroff“ ist ein sehr gelungenes Repertoirebuch für Schwarz. Im Rahmen der vom Autor für Schwarz gegebenen Empfehlungen ist es auch für den Spieler mit Weiß von Nutzen. Das Repertoire ist solide und eröffnet zudem oft gute dynamische Gegenchancen. Vom Klubspieler aufwärts kann ich den Kauf besten Gewissens empfehlen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Unconventional Approaches of Modern Chess, Volume 2

Alexander Ipatov
Unconventional Approaches of Modern Chess, Volume 2
345 Seiten, kartoniert
ISBN: 9789492510785
27,43 Euro



Unconventional Approaches of Modern Chess, Volume 2


Mit seiner Arbeit „Unconventional Approaches of Modern Chess, Volume 2“, sinngemäß in etwa mit „Ungewöhnliche Ansätze im Modernen Schach, Ausgabe 2“ ins Deutsche zu übersetzen, verfolgt GM Alexander Ipatov das Ziel, dem Spieler mit Weiß in geschlossenen Eröffnungen von üblichen Wegen abweichende Eröffnungsideen zu vermitteln. Diese sollen ihm aussichtsreiche bzw. gut spielbare Stellungen vermitteln, die den Gegner aus seinem vorbereiteten Repertoire ziehen, so dass der Leser zudem einen Wissensvorsprung gegenüber seinem Gegenüber ausspielen kann.
Der herausgebende Verlag ist Thinkers Publishing.

Mit seinem Ansatz zielt Ipatov auf die Wettkampfsituation des Spielers unmittelbar am Brett und nicht auch auf den Fernschachspieler ab. So versucht er eine ausgewogene Kompromisslösung zu finden, die eine gesunde Stellung und rein praktische Chancen unter einen Hut bringt. Dabei macht er deutlich, dass er nicht immer den objektiv besten Zug sucht, sondern jenen, der zugleich gut ist und seinem Gegner Probleme stellt, die dieser unter dem Druck seiner Bedenkzeit am Brett lösen muss, weil er nicht auf eine häusliche Vorbereitung zurückgreifen kann. Gelegentlich streut er ein, welche Erfolgswerte die statistische Auswertung seiner Datenbank für verschiedene Zugalternativen anzeigt bzw. welchen Platz in der Rangliste sein Vorschlag einnimmt. Mit diesem Service macht er es seinem Leser vorstellbar, wie viel Überraschungspotenzial ein Vorschlag verspricht, ohne dass dieser eine eigene Auswertung fahren muss.
Zwischen Engines gespielte Partien hat er zumindest bis zum Zeitpunkt eines Reinfalls in einem eigenen Duell außer Betracht gelassen, wie er bei dessen Beschreibung eröffnet. Dazu unten mehr.

Ipatov hat sein Werk in die drei Abschnitte „Sidelines in Mainstream Openings“, „Systems“ und „Ambitions and Surprises“ gegliedert. Der erste ist der an Seiten stärkste Teil; in diesem stellt der Autor seine Ideen für das Abgelehnte Damengambit, Slawisch, Katalanisch, die Englische Eröffnung, Grünfeld und Anti-Grünfeld vor. Im zweiten Teil behandelt er zwei Aufbausysteme, die universeller und damit gegen verschiedene gegnerische Aufstellungen eingesetzt werden können. Der dritte Teil, der mich im Ansatz etwas an die Buchreihe „Secrets of Opening Surprises (SOS)“ erinnert, gibt einen Überblick über einzelne Ideen bzw. Linien, gibt also Material für einen eher punktuellen Einsatz.

Ipatovs Leitgedanke für sein Buch wird sehr schön zu Beginn des 2. Kapitels im 1. Teil erkennbar, in dem es um die Slawische Verteidigung geht. Nach den Anfangszügen 1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 konzentriert er sich auf die Fortsetzung 4.g3 und begründet dies, sinngemäß übersetzt, wie folgt: „So früh wie möglich weicht Weiß von den Hauptlinien ab, insbesondere bevor eine Stellung erreicht wird, in der der Gegner vermutlich bereits jeden maßgeblichen Zug analysiert hat und plant, einen selbst zu überraschen.“ Das daraus entstehende System stellt Ipatov dann sehr ausführlich vor. Er beschreibt die Pläne, wobei er immer wieder auch die Situation des Spielers am Brett einbezieht bzw. die Bewertungen des Computers berücksichtigt. Selbst wenn dieser einen alternativen Zug gegenüber seinem „Kandidaten“ als besser ausweist, hält er an diesem fest, soweit er den Gegner vor größere praktische Probleme stellen kann.
Vom Fernschachspieler kann dieser Ansatz nicht 100%ig übernommen werden, da sein Gegner das Überraschungsmoment mit genügend Bedenkzeit und Rechnerunterstützung relativieren kann.

Beispiele aus der Turnierpraxis, ergänzt um die Analysen des Autors, bilden die Grundlage der Darstellung. Soweit es Ipatov möglich war, hat er seine eigenen Erfahrungen am Brett mit eingebracht. Hierbei überzeugt er dann auch damit, dass er eigene Fehler in seiner Partiebehandlung erkennt und daraus Lehren zieht, in die er den Leser einbezieht. Ein sehr schönes Beispiel hierfür findet sich auf Seite 72. Nach einer Niederlage erhielt er von seinem Gegner praktische Hinweise, die ihm nach Computerbewertung klare Gewinnchancen versprachen. In einem weiteren Beispiel auf den Seiten 85 und 86 wird deutlich, wie Ipatov dabei auch seine häusliche Vorbereitung einbindet; zugleich gibt er einen Denkanstoß für die Nutzung von Partien, die von Computern ausgespielt worden sind. Er hatte die heimische Analyse in einer Stellung mit dem Ergebnis abgebrochen, dass Weiß besser steht und eine weitere Evaluation nicht nötig sei. Dabei bezog er auch den Aspekt ein, dass seine Datenbank mit herkömmlichen Partien keine „fremden“ Beispiele aufwies. Dass es sehr viele Engine-Partien gab, die ein eindeutiges Ergebnis vermittelten, erfuhr er erst durch den Hinweis seines Gegners. Hätte er diese einbezogen, so hätte ihm die Erkenntnis aus vielen Partien in seiner kritischen Stellung zur Verfügung gestanden. Wenn ich mal annehmen darf, dass Engines bei der oftmaligen Berechnung einer Stellung tendenziell dem objektiv besten Zug in einer Stellung nahekommen werden, zeigt des Autors Erlebnis auch die Grenzen seines Ansatzes auf, unterhalb der besten Möglichkeiten spielbare Stellungen anzupeilen. Wenn der Gegner die besten Erwiderungen kennt oder am Brett findet, wird es schwer zumindest einen Vorteil herauszuspielen.

In einem geringen Maße nutzt Ipatov auch Erkenntnisse aus Fernschachpartien. Zu einer Partie unter Beteiligung eines starken deutschen Spielers stellt er die offene Frage, warum dieser in einer Stellung nicht seinen Bauern durchgezogen hat. In einem Duell auf der Turnierbühne hätte der Gegner situationsbedingt damit sicher schwierige Probleme lösen müssen, im Fernschach aber wäre auch das Risiko deutlich höher gewesen.

Insgesamt betrachtet bietet „Unconventional Approaches of Modern Chess, Volume 2“ eine ganze Reihe interessanter Eröffnungsideen abseits des „Main Streams“. Besonders profitieren können wird davon der Spieler im Nahschach; der Fernschachspieler wird selektiver vorgehen müssen, um die angebotenen Wege auf ihre Tauglichkeit in seiner Praxis zu prüfen.

Die Buchsprache ist Englisch, der Fremdsprachler mit Kenntnissen auf Schulniveau muss nicht mit besonderen Herausforderungen rechnen.

Fazit: „Unconventional Approaches of Modern Chess, Volume 2“ ist ein ideenreiches Werk, das Weiß in geschlossenen Eröffnungen den Gegner überraschende Möglichkeiten zur Verfügung stellen will, die diesen in der aktuellen Partie vor am Brett zu lösende Probleme stellen sollen. So spricht es in erster Linie den Spieler an, der seinem Gegner Auge in Auge gegenüber sitzt. Der Fernschachspieler kann von diesen profitieren, soweit sie weniger auf die Überraschung und mehr auf die analytische Qualität setzen.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Best I Saw in Chess

Stuart Rachels
The Best I Saw in Chess
416 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-881-1
29,39 Euro



The Best I Saw in Chess


„The Best I Saw in Chess“, die 2020 bei New In Chess (NIC) erschienenen Memoiren von Stuart Rachels, veranlassen zunächst zur Klärung der Frage, wer genau dieser Autor ist. Ich muss gestehen, dass mir sein Name kein Begriff (mehr) war; als Teilnehmer an hochrangigen Turnieren war er mir in den Jahren nicht aufgefallen.

Rachels hat damit gerechnet, dass er für viele Leser ein Unbekannter sein wird. In seiner humorvollen Art, die sich durch das ganze Buch zieht, stellt er sich im Vorwort vor. Dabei nutzt er seine Worte zugleich auch für den Zweck, ein Band zu seinem Leser zu knüpfen. So schreibt er sinngemäß ins Deutsche übersetzt: „Ein Vorteil des Studiums meiner Partien liegt darin, dass Sie diese noch nie zuvor gesehen haben. Das ist gut. Weniger gut ist, dass Sie mich vielleicht nicht kennen. Lassen Sie mich Ihnen also von mir erzählen, um die Freundschaft zwischen uns zu knüpfen und zugleich einen Rahmen für das zu schaffen, was dann zum Schach alles so kommt.“

Nach seinen Angaben hat er von 1979 bis 1993 insgesamt 1011 Wertungspartien gespielt. Mit 20 Jahren hat er seine höchste Wertung erreicht (>2600 nat. Wertungszahl in den USA), sich aber bereits mit 23 Jahren vom Wettkampfschach zurückgezogen, um sich auf sein Studium zu konzentrieren. Seine damalige und noch heute gültige Elozahl beträgt 2485; er trägt den IM-Titel.
Für eine Sensation sorgte Rachels bei der US-Meisterschaft 1989. Er war als wertungsschwächster Spieler angetreten und teilte sich am Ende mit Seirawan und Dzindzichashvili den 1. Platz.
Zu seinen größten internationalen Erfolgen zählen der zweimalige 5. Rang bei den Weltmeisterschaften U16 1984 und 1985.
Erwähnenswert ist noch, dass Rachels in den USA als bis dahin jüngster Spieler den Titel eines Nationalen Meisters errang.
Rachels ist Professor („Associate Professor“) an der University of Alabama, sein Fachgebiet ist die Moralphilosophie. Sein Vater war ebenfalls ein berühmter Philosoph. Von dessen Büchern hat er Neuauflagen herausgegeben. Dass er als Autor ein Profi ist, wird auch in „The Best I Saw in Chess“ durchgehend deutlich. Als Spieler hat er immer als Amateur am Wettkampfschach teilgenommen.

Wenn ich dieses Werk oben als Memoiren bezeichnet habe, so heißt dies nicht, dass es den Leser ausschließlich mit vielen Seiten Prosa erwartet. Wie es sich für einen Schachspieler geziemt, hat Rachels seine Erinnerungen in und zwischen seine Partien gepackt. 124 davon hat er ausgewählt und kommentiert, zumeist in vollständiger Länge, teilweise aber auch ab einer bestimmten erreichten Stellung. Dabei versucht er seinen Leser nicht nur zu unterhalten, sondern ihm auch ein Praxisbuch zur Strategie und zum Wettkampfschach an die Hand zu geben. Zahlreiche Hinweise zur Spielführung, Merkregeln, Prinzipien, Verhaltenstipps etc. sind fortlaufend in die Kommentierung eingearbeitet. Im Anhang werden sie, um weitere Beispiele ergänzt, dem Leser auch in einer Zusammenstellung angeboten.
Rachels Humor wird auch deutlich, als er die Rolle des Computers bei der Analyse seiner Partien beschreibt: „Alle Analysen in diesem Buch stammen von mir, außer an den Millionen von Stellen, an denen sie einer Engine zugeschrieben werden.“ Beim Computereinsatz hat er Unterstützung erfahren, verwendet worden sind ausweislich der späteren Angaben im Text mehrere Engines, darunter Houdini und Stockfish.
Mit dem Autor am Brett gesessen habe Größen wie Anand, Gelfand, Iwantschuk, Kasparow, Miles und Spasski.

Besonders fesselnd sind die zahlreichen Passagen, in denen Rachels seine Erinnerungen an Spieler beschreibt, deren Namen man als interessierter Schachanhänger selbst kennt. Regelmäßig hat man beim Lesen das Gefühl, einen Blick hinter die Kulissen gewährt zu bekommen, manchmal sogar mehr. Dann war es eher so, als sei man zu einem Blick durch das Schlüsselloch eingeladen worden.
Rachels schreibt sehr offen und verschont weder sich noch andere, indem er eine Szene oder einen Vorgang durch das Weglassen aller negativen Elemente schönt. Ich habe die Schilderungen durchgängig als sehr ehrlich empfunden. So muss es sich beispielsweise ein bekannter Spieler gefallen lassen, dass er in das Licht eines beim Schach Betrügenden und eines Schnorrers gerückt wird. Schmunzeln musste ich – und dies nicht das einzige Mal bei der Arbeit mit diesem Werk – als ich Rachels selbstironische Beschreibung eines Kontakts mit Miguel Najdorf las. Najdorf hatte bei einem Turnier quasi als Autorität einen 1a-Stammplatz direkt am Geschehen. Dies war Rachels als jugendlichem Spieler als dessen Anrecht nicht einsichtig. Also nahm er diesen Platz ein, bevor Najdorf erschien, und zwar fest entschlossen, ihn zu behaupten. Was sollte Najdorf schon machen, wenn er ihm das Anrecht auf den Stuhl beharrlich streitig machen würde! Najdorf kam, sah seinen Platz von einem Jugendlichen besetzt, bedeutete diesem mit einer gebietenden Geste zu verschwinden und nahm weiter Kurs auf den Stuhl. Rachels Selbstbewussten und Entschlossenheit waren dahin und er räumte den Platz. Die Szene erinnert stark an die auf dem Sofa liegende Katze, die mit einem „Husch-Husch“ davon verscheucht wird.

Es gibt sehr viel zu lesen in diesem höchst unterhaltsamen Werk. Im Satzbau dominieren kurze und wenig verschachtelte Konstruktionen, der verwendete Wortschatz ist anspruchsvoller als zumeist in Schachbüchern. Es ist deshalb von Vorteil, wenn der Leser über geübte Englischkenntnisse verfügt.

Fazit: „The Best I Saw in Chess“ sind humorvoll und offen zu Papier gebrachte Erinnerungen eines Spielers, dem möglichweise eine große Schachkarriere bevorgestanden hätte, der sich aber für einen anderen Weg im Leben entschieden hat. Dem Schachspiel ist er verbunden geblieben, was er auch mit diesem Buch unter Beweis stellt.
Das rundum gelungene Werk ist zugleich eine Art Kurs zur Strategie sowie zum Wettkampfschach.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

On the Origin of Good Moves

Willy Hendriks
On the Origin of Good Moves
429 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-879-8
29,36 Euro



On the Origin of Good Moves


„On the Origin of Good Moves“, auf Deutsch „Über den Ursprung von guten Zügen“ ist der clever gewählte Titel eines Buches aus der Feder des niederländischen Internationalen Meisters, Trainers und Buchautors Willy Hendriks, 2020 erschienen bei New In Chess (NIC). Die Cleverness liegt in dessen Doppeldeutigkeit, die sich dem Leser aber erst erschließt, wenn er sich mit dem Werk zu befassen beginnt. Es geht um die guten Züge allgemein, die das Positionsspiel im modernen Schach kennzeichnen, wie auch jene des individuellen Spielers von seinen Anfängen bis zur Reife.

Es gibt die Auffassung, dass die Entwicklung des einzelnen Spielers vom Anfänger bis zum Könner jener ähnelt, die das Schachspiel selbst vom Mittelalter bis heute genommen hat. Von Greco über Steinitz bis in unsere Tage hat sich das Positionsspiel verändert, wachsende Erkenntnisse haben zu einer Fülle an Theorie zum Positionsspiel und so zu einer Qualifizierung des Wissens geführt. Wer sich dieses Wissen verschafft, es verinnerlicht und in der Praxis anzuwenden weiß, wird sich seinen persönlichen Erfolg damit sichern.

In 36 Kapiteln und auf insgesamt 429 Buchseiten geht Hendriks die Epochen durch. Er orientiert sich an den Spielern, die einen Zeitabschnitt oder eine Entwicklungsstufe geprägt haben, und erörtert anhand deren überlieferter Partien die damalige Auffassung vom Positionsspiel, eingebettet auch in den Zeitgeist im Schach. Vergleiche zur heutigen Auffassung zum Positionsspiel sind eines der von ihm eingesetzten Mittel, um dem Leser einen Lerneffekt zu ermöglichen.
Daneben nutzt er auch die Möglichkeiten eines dialektischen Vorgehens, indem er Auffassungen verschiedener Persönlichkeiten, die zur Entwicklung des Positionsspiels beigetragen haben, in eine Beziehung setzt. Indem er beispielsweise sich unterscheidende Positionen in der Auffassung von Steinitz und jener von Tarrasch darstellt und bewertet, um daraus eine Schlussfolgerung zu ziehen, lässt er den Leser lernen. Dieser übernimmt nicht schlicht eine Art Erkenntnis zum Positionsspiel, sondern kann diese nachvollziehen, er profitiert auch von der Begründung.

Hendriks beginnt ein Kapitel zumeist mit an den Leser gerichteten Aufgabenstellungen. In unterschiedlicher Anzahl – der Durchschnitt dürfte in etwa bei 5 liegen – zeigen Diagramme regelmäßig nur die Ausgangsstellung und die am Zug befindliche Partei an. Der Leser muss sich dann wie in einer eigenen Partie ohne weitere Hilfestellung durch den Autor mit der Situation befassen, die wesentlichen Aspekte erkennen und daraus seine Schlüsse ziehen. In manchen Fällen gibt Hendriks eine konkrete Aufgabenstellung vor. Einen oder mehrere separate Lösungsteile gibt es nicht. Alle Aufgaben zeigen Stellungen, die im Verlauf des Kapitels auf das Brett kommen. Wenn dies jeweils der Fall ist, weißt Hendriks darauf hin, so dass der Leser die nachfolgende Betrachtung mit seinen eigenen Erwägungen vergleichen kann.

In der Kommentierung dominiert der Text, Varianten setzt Hendriks nur sparsam (um nicht spartanisch zu sagen) ein. Für das, was er mit seinem Buch erreichen will, braucht er keine Varianten.
Bei allen Erläuterungen, die dem Leser ein Anheben seiner Spielstärke ermöglichen sollen, erlaubt sich Hendriks auch, ihn schlicht zu unterhalten. Plaudereien besonders über Spieler und historische Verhältnisse lassen das Werk nie langweilig werden.
Hinter „On the Origin of Good Moves“ steckt sehr gut erkennbar eine enorme Fleißarbeit. Davon zeugen auch 162 Fußnoten, die auf den letzten Seiten vor einem Namensverzeichnis und der langen Aufstellung der verwendeten Quellen aufgelistet werden. Hendriks ist nicht einfach ein Chronist von Anschauungen anderer, sondern bringt auch abweichende, für mich neue Sichtweisen ein. Auch hierin liegt für mich ein Mehrwert dieses interessanten neuen Werkes.
Unregelmäßig eingestreute Fotos von Spielern, Gruppen von Spielern, Spielszenen und Porträtzeichnungen von Spielern stammen „aus dem Arsenal“, zeigen also nichts Neues.

Eine Besonderheit des Buches liegt in seinem einspaltigen Aufbau. Dies führt dazu, dass eingebundene Diagramme, von denen es reichlich gibt, mehr Platz für sich als bei einer zweispaltigen Darstellung in Anspruch nehmen, indem sie freien Raum links und rechts von sich verursachen.

„On the Origin of Good Moves“ enthält sehr viel Lesestoff. Dies sollte man als Fremdsprachler bedenken, wenn man über den Kauf des Buches nachdenkt. Die Anforderungen an die Sprachkenntnisse sind nicht etwa überdurchschnittlich hoch, nur „die Menge macht’s“. Wer sich mit Englischkenntnissen auf Schulniveau an das Werk herantraut, wird einige Vokabeln nachschauen müssen, sonst aber bequem mit ihm arbeiten können.

Ob man der Theorie, dass die Evolution des einzelnen Spielers jener des Schachspiels selbst gleicht, folgt oder nicht, ist für den praktischen Gebrauchswert von „On the Origin of Good Moves“ völlig ohne Gewicht.

Fazit: „On the Origin of Good Moves“ ist eine besondere Neuerscheinung des laufenden Jahres, die sich der Entwicklung des Positionsspiels im Schach widmet. Dabei soll der Leser über ein tieferes Verständnis auch zu einer Verbesserung seiner Spielstärke kommen, was m.E. bis in den Bereich des Klubspielers erreichbar sein dürfte.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Grandmaster Mindset

Alojzije Jankovic
The Grandmaster Mindset
198 Seiten, kartoniert
ISBN: 9789492510778
22,52 Euro



The Grandmaster Mindset


„Indem Sie die Kapitel meines Buches durchgehen, werden Sie mit meiner Art des großmeisterlichen Denkens vertraut.“ So beschreibt Alojzije Jankovic den Mehrwert, den der Leser beim Kauf seines Buches „The Grandmaster Mindset“ erwarten darf. Den roten Faden in seinem Denken beschreibt er wie folgt: „Grundsätzlich versuche ich das Problem oder das Ziel einer Stellung zu erkennen; dabei beginne ich sie auf die Faktoren zu scannen, die zu einer Lösung führen können.“ Diese Kernaussagen, hier in einer sinngemäßen deutschen Übersetzung aufgenommen, denn das Werk ist in englischer Sprache geschrieben, lassen sich schon im Vorwort finden und werden im Rückentext wieder aufgegriffen.
„The Grandmaster Mindset“ ist 2020 bei Thinkers Publishing erschienen, Jankovic ist Großmeister aus Kroatien, Trainer und Autor. Jüngst hatte ich bereits „The Richter-Rauzer Reborn – The Kozul Variation“ rezensiert, für das er sich neben Zdenko Kozul als Co-Autor verantwortlich zeigt.

Das Buch enthält 12 Kapitel. Die folgende Aufstellung zeigt, mit welchen Gegenständen der Schachtaktik sie sich befassen:
Kapitel 1 - Fesselung
Kapitel 2 - Kandidatenzüge
Kapitel 3 - Nützliche Endspiele
Kapitel 4 - Geometrie der Springer
Kapitel 5 - Grundreihenmatt
Kapitel 6 - Den König aus seiner Deckung zerren
Kapitel 7 - Unerwartete Züge
Kapitel 8 - Die Kraft der Türme
Kapitel 9 - Plötzlicher Angriff auf den König
Kapitel 10 - Englisch: Burying*
Kapitel 11 - Unterumwandlung zum Springer
Kapitel 12 - Verschiedene taktische Motive
- Ersticktes Matt
- Patt
- Zwickmühle / Zwickmühle zum Matt
- Die Dame fangen
- Blockade.

* Der Begriff besteht für „Begraben“. Jankovic zeigt verschiedene Manöver, in denen der Angreifer (unter Opfer) gegnerische Verteidiger blockiert, ablenkt oder auf Felder bringt, auf denen sie die Flucht des Königs behindern. Der König, der auf diese Weise seinen Schutz verliert, wird dann mattgesetzt.

Warum die Fesselung vor dem übergeordneten Thema Kandidatenzüge behandelt wird und warum „Nützliche Endspiele“ anstelle einer abgesetzten Behandlung in die Taktikmotive eingereiht werden, ergibt sich aus dem Werk nicht. Auf die fachliche Behandlung der Themen haben diese Fragen zur inneren Ordnung des Buches keinen Einfluss.

Jankovic stellt die Taktikmotive anhand von Beispielen, die teilweise theoretischer Natur oder Studien sind, zumeist aber aus der Meisterpraxis stammen, sehr ausführlich dar. Dabei ähnelt das Buch anderen Arbeiten zum Thema, was mich überrascht, auch wenn mir die Art der Umsetzung gut gefällt. Weil Jankovic nach seinen Worten den Leser mit seiner Art des großmeisterlichen Denkens vertraut machen will, habe ich statt einer gewohnten Art der Erörterung eine auf sich spezifizierte Darstellung erwartet, die eben seine ganz persönliche Denkweise präsentiert. Diese erwartete, ganz persönliche „Methode Jankovic“ in Sachen Schachtaktik und besonders in der Variantenberechnung erkenne ich nicht.
Auch war ich davon ausgegangen, dass es seine eigenen Partien sind, an denen er seine Denkmethodik darstellt. Dies ist aber nur ausnahmsweise der Fall.

„The Grandmaster Mindset“ richtet sich in erster Linie an den fortgeschrittenen Spieler und nicht an den Anfänger. In Teilen, beispielsweise Kapitel 10, kann es auch dem schon starken Spieler dienen, insbesondere als Mittel zum Training. So erklärt Jankovic zumeist nicht, was unter einem bestimmten Motiv zu verstehen ist, sondern setzt dieses Wissen voraus. An ausgewählten Beispielen nimmt er die Stellungsanalyse sehr ausführlich vor, um dann die für eine Lösung denkbaren Taktikmotive zu prüfen. Zumeist aber wird der Leser nur auf wesentliche Punkte der Stellung aufmerksam gemacht, woran sich die detaillierte Erörterung anschließt. Wäre der Autor in allen Fällen wie beschrieben sehr ausführlich vorgegangen, so wäre der Umfang von 198 Seiten geradezu gesprengt worden. Dem fortgeschrittenen Spieler reichen die ausgewählten ausführlichen Beispiele, da sie die Methodik hinreichend erkennbar machen, zumal diese Form der Analyse für ihn kein Neuland ist.

Vor Jahren einmal ist mir der folgende Spruch von Konfuzius begegnet: „Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können.“ Er hat mir sofort gefallen, so ist er fest in meinem Gedächtnis verankert. Und schon früh während der Vorbereitung dieser Rezension ist er mir wieder eingefallen.
Jankovic erklärt sehr gut und nachvollziehbar; er leitet den Leser qualifiziert an. Mit ein paar an ihn gerichteten Übungsaufgaben je Kapitel hätte er ihm dabei helfen können, sein Wissen anzuwenden, dabei zu überprüfen und zu erweitern. Dies hätte aus meiner persönlichen Sicht aus diesem guten Buch ein noch besseres gemacht.
Anzumerken bleibt, dass es tatsächlich eine Aufgabe gibt, die sich dem Leser stellt. Sie ist im Kapitel 2 auf Seite 43 zu finden und dient vor allem der Illustration.

Dieses („Übungs-“) Beispiel zeigt so wie sehr viele andere im Buch auf, wie facettenreich das Schachspiel ist, welche überraschenden Motive und Wendungen es möglich macht und wie unterhaltsam es ist. „The Grandmaster Mindset“ ist in Gänze sehr angenehm zu lesen; es macht Spaß, sich mit den Beispielen zu befassen.
Englischkenntnisse auf einem „normalen“ Schulniveau reichen allemal aus, um als Fremdsprachler bequem mit „The Grandmaster Mindset“ arbeiten zu können.

Fazit: „The Grandmaster Mindset“ ist ein Praxisbuch zur Taktik im Schach, das sich vor allem an den fortgeschrittenen Spieler wendet. Es demonstriert an vielen Beispielen die herkömmliche Analyse von Stellungen, so wie der Autor Alojzije Jankovic diese praktiziert, und die Auswahl von jeweils geeigneten taktischen Motiven. In Form dieser Beispiele hält das Werk zudem eine Fülle an Trainingsmaterial bereit, das in Teilen auch starke Spieler nutzen können. Schachlehrer, Trainer etc. können das Material für ihre Arbeit nutzen.
Übungsaufgaben enthält das Werk nicht, was in diesem Fall ein kleiner Wermutstropfen ist.

„The Grandmaster Mindset“ ist ein gelungenes Buch zu einem vertretbaren Preis, das ich gerne zum Kauf empfehle.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Caro-Kann Revisited

Francesco Rambaldi
The Caro-Kann Revisited
394 Seiten, kartoniert
ISBN: 9789492510761
29,39 Euro



The Caro-Kann Revisited


Mit „The Caro-Kann Revisited“ (Untertitel: „A Complete Repertoire for Black“) folgt der heute in den USA lebende junge italienische Großmeister Francesco Rambaldi der Intention, dem Leser ein vollständiges, vor allem aber auch innovatives Schwarz-Repertoire auf der Basis von Caro-Kann anzubieten. Der Begriff „Revisited“ im Titel steht allgemein für eine Erörterung, die zu einer Verbesserung oder Veränderung des jeweiligen Gegenstandes führen soll.
Der Titel passt zu dem, was den Leser inhaltlich erwartet. Rambaldi bietet zahlreiche Neuerungen in den Haupt- und Nebenvarianten an. Zudem setzt er sich kritisch mit Empfehlungen anderer Autoren auseinander. Ein frühes Beispiel hierfür ist bereits auf Seite 28 zu finden. Einer Empfehlung Dreevs in seinem Buch „Attacking the Caro-Kann“, also einem für Weiß im Spiel gegen die gegnerische Caro-Kann-Verteidigung geschriebenes Werk, setzt er eine Neuerung entgegen, die er mit kurzen Analysevarianten und einem abschließenden Statement unterfüttert.
Das Verzeichnis der von Rambaldi genutzten Quellen konzentriert sich neben anderen auf die wichtigsten aktuellen Quellen, zu denen neben der schon genannten Arbeit von Dreev (Chess Stars 2015) nicht zuletzt auch „Bologan’s Caro-Kann“ (New In Chess 2018) und „The Caro-Kann“ von Schandorff (Quality Chess 2010) zählen.

Das Werk ist in 6 Abschnitte untergliedert, die insgesamt 17 Kapitel enthalten. Der Stoff verteilt sich wie folgt:
Abschnitt 1: Vorstoßvariante (ECO B 12)mit 8 Kapiteln,
Abschnitt 2: Offene Variante, 4…Sf6 (ECO B 15) mit 2 Kapiteln,
Abschnitt 3: Zwei-Springer-Angriff (ECO B 11) mit 2 Kapiteln,
Abschnitt 4: Panow-Angriff (ECO B 14) mit 3 Kapiteln,
Abschnitt 5: Abtauschvariante (ECO B 13) 1 Kapitel,
Abschnitt 6: Verschiedenes (inklusive „Fantasie-Variante“ mit 3.f3), 2 Kapitel.

„The Caro-Kann Revisited“ ist entsprechend der klassischen Baumstruktur aus Haupt- und Nebenvarianten aufgebaut und enthält keine vollständigen (Illustrations-)Partien. Die einzelnen Abschnitte sind gleichartig aufgebaut. Dem Deckblatt zum Abschnitt folgt jenes zum ersten Kapitel. Dieses gibt die Ausgangszugfolge an und zeigt deren Abschlussstellung auf einem Diagramm. Die Folgeseite enthält ein recht schmal gehaltenes Verzeichnis des jeweils ersten Kapitels. Weitere Kapitel eines Abschnitts werden in gleicher Weise eingeführt.
Es wäre schön gewesen, wenn „The Caro-Kann Revisited“ ein Variantenverzeichnis für das komplette Buch, das mit jenen in den Kapiteln vernetzt wäre, enthalten würde. Das Inhaltsverzeichnis, das zu einzelnen Kapiteln Zugfolgen angibt, leistet keine vergleichbare Hilfestellung.

Die Theorie wird in einer sehr übersichtlichen Form dargestellt. Hervorzuheben sind dabei
- zahlreiche Diagramme, die sich in ihrer Größe danach unterscheiden, ob sie eine Stellung aus der Haupt- oder einer Nebenvariante visualisieren,
- durch Fettdruck und Absatz von den Nebenvarianten abgesetzte Hauptvarianten,
- eine klare Trennung der Nebenvarianten in solche erster und zweiter Ordnung, indem jene zweiter Ordnung in einem Grauton gedruckt worden sind,
- Kopfzeilen mit grauem Hintergrund und dem Initialzug beim Wechsel zu einer neuen Variante im Kapitel.

Rambaldi erläutert und erklärt sehr intensiv und durchgehend, was aber nicht heißt, dass alle Zugfolgen/Varianten entsprechend für den Leser von ihm aufbereitet worden sind. Die Zahl nicht weiter kommentierter Analysezugfolgen ist durchaus groß, „Seeschlangen“ aber muss er nicht befürchten.
Dies ist einer von mehreren Hinweisen im Buch, die mich den Klubspieler wie auch den durchaus auch erfahrenen Turnierspieler als ersten vom Werk angesprochenen Adressaten sehen lassen. Dieser Spielerkreis sollte zumeist ohne weitere Erläuterungen auskommen und die wesentlichen Aspekte einer Fortsetzung erkennen sowie sich ein Urteil über denkbare Abweichungen bilden können. Wenn Rambaldi am Ende einer Variante eine Einschätzung zum Stand der Chancen beider Seiten abgibt, so begründet er sein Urteil dann zumeist.
Ein weiterer Hinweis darauf, dass der Autor nicht bereits den unerfahrenen Spieler ansprechen will, liegt darin, dass er für seine Erläuterungen eine bereits gewisse Leistungsstärke des Lesers voraussetzt und einfache Aspekte, die den Anfänger vor Fragen stellen können, außen vor lässt.
Ein Beispiel hierfür, gefunden auf Seite 27 zu 5.a3 im Anschluss an 1.e4 c6 2.d4 d5 3.e5 c5 4.dxc5 e6 und in einer sinngemäßen Übersetzung: „Mit diesem Zug verschafft sich Weiß die Option, b4 zu spielen, um den schwarzen Läufer von c5 zu vertreiben. Wenn Schwarz seine Entwicklung mit ...Se7 fortsetzt, zwingt ihn dies dazu, seinen Läufer nach b6 zurückzuziehen. Obwohl viele Spieler diesen Weg bereits gewählt haben - entweder indem sie 5...Sc6 6.b4 Lb6 oder 5...Se7 6.b4 Lb6 gespielt haben - empfehle ich ihn nicht, da Weiß in solchen Stellungen einen Vorteil behält. Stattdessen kann Schwarz einen anderen Plan verfolgen: Er spielt ...Sd7 und ...f6 mit der Absicht, das Zentrum zu öffnen.“

Letztlich ist auch der eingangs beschriebene Ansatz des Werkes, den Leser mit neuen Ideen und verbesserten Varianten statt mit einem Standardrepertoire auszustatten, ein Hinweis auf den in erster Linie angesprochenen Käuferkreis.

Vor diesem Hintergrund interessant ist eine Passage, die ich erst auf Seite 345 gefunden habe. Dort schreibt Rambaldi, sinngemäß übersetzt: „Die moderne Theorie lehrt uns eines: die umfangreiche Arbeit, die erforderlich ist, um die Hauptlinien zu spielen, schreckt viele Spieler ab. Diese suchen dann Zuflucht in ungewöhnlichen Varianten, in denen es leichter ist Stellungen zu finden, die ohne das Auswendiglernen Hunderter Züge spielbar sind.“ Als Beispiel verweist Rambaldi auf Weltmeister Magnus Carlsen, der zu diesem Zweck das Londoner System adoptiert hat.

Der erfahrene Spieler, der sein bereits vorhandenes Caro-Kann-Repertoire aktualisieren oder verbessern will, findet viel Material im Werk. Der erfahrene Spieler, der das System neu als Verteidigung aufnehmen möchte, erhält von Rambaldi Vorschläge hierzu, die
- weniger Erinnerungsvermögen zur Theorie als andere Wege voraussetzen,
- Überraschungspotenzial für den Gegner beherbergen,
- den Stellungsausgleich in Aussicht stellen und
- auch Schwarz Gewinnchancen versprechen.
In etwa so umschreibt der Autor seine Absicht im Vorwort, entsprechend handelt er in der Folge und sieht sich dabei, wie das vorstehende Zitat auf Seite 345 zeigt, als Unterstützer des Spielers, der wie Magnus Carlsen spielbare Stellungen in ungewöhnlichen Varianten sucht.

An mehreren Stellen, die ich entsprechend überprüft habe, scheint mir Rambaldi die Chancen für Schwarz ein wenig zu optimistisch eingeschätzt zu haben. Meine Stichproben habe ich auf folgende Arten von Beispielen konzentriert:
- Eine Variante endete mit der Stellungseinschätzung „unklar“.
- Eine konkrete und nicht nur kurze Analysezugfolge endete mit der Stellungseinschätzung „=“ oder mit einer vergleichbaren entsprechenden Umschreibung wie „jedes Ergebnis ist möglich“, ohne dass mögliche Abweichungen von Weiß angegeben worden sind.
- In der abschließenden Kommentierung einer Zugfolge wurde auf ein bestimmtes Stellungsmerkmal aufmerksam gemacht, das für Schwarz günstig war, ohne dass eine Einschätzung zur Chancenverteilung insgesamt abgegeben wurde.
Unter Einsatz von Stockfish bin ich in mehreren der überprüften Beispiele zu einem etwas abweichenden Ergebnis zu Lasten von Schwarz oder zu einem kleinen Chancennachteil trotz eines bestimmten für ihn günstigen Stellungsmerkmals gekommen. An dem bisweilen festzustellenden allgemeinen Engine-Bonus von 0,2 bis 0,3 Punkten zugunsten von Weiß hat dies nicht gelegen. Krasse Unterschiede in der Bewertung habe ich jedoch nicht festgestellt. Letztendlich wird die Turnierpraxis feststellen müssen, welche Neuerungen (dauerhaft) Potenzial haben.

Eine Besonderheit möchte ich nicht unerwähnt lassen. Es ist ungewöhnlich für ein Repertoirebuch, wenn es für die Partei, aus deren Warte es geschrieben worden ist, mehrere Zugalternativen nebeneinander anbietet. Genau das aber macht „The Caro-Kann Revisited“ gelegentlich. Ein gutes Beispiel findet sich auf den Seiten 55 ff. Hier eröffnet sich Schwarz eine Auswahl von 5 Fortsetzungen, von denen gleich 2 Alternativen als Neuerungen ausgewiesen sind. Hier ergibt sich viel Potenzial für Schwarz, um die Partie in spielbare Stellungen ohne Theoriehintergrund zu lenken.

Die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers sind moderat und dürften dem allgemeinen Schulniveau entsprechen.

Fazit: „The Caro-Kann Revisited“ ist ein gelungenes Repertoirebuch zu Caro-Kann, das Schwarz dabei unterstützen soll, möglichst viel Theorie zu umgehen und in gut spielbare Stellungen mit eigenem Gewinnpotenzial zu kommen. Es enthält viele Neuerungen; der Autor geht bei deren Vorstellung regelmäßig darauf ein, wie das Spiel bei deren Einsatz strategisch angelegt werden sollte, so dass sie mehr als nur isolierte Ideen sind. Am meisten profitieren dürfte von dem Werk der schon erfahrene Klub- oder Turnierspieler, der sich neu ausstatten oder sein bisheriges Repertoire ergänzen und aktualisieren möchte.
Ich kann eine klare Kaufempfehlung aussprechen, die sich auch an den Fernschachspieler richtet.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

In the Zone

Cyrus Lakdawala
In the Zone
397 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-877-4
27,43 Euro



In the Zone


Als ich die 2020er Neuerscheinung „In the Zone“ von Cyrus Lakdawala zur Vorbereitung dieser Rezension erstmals in die Hand genommen habe, bin ich davon ausgegangen, dass es sich um eine Art Strategiebuch handeln werde. „In the Zone“ habe ich dabei so interpretiert, dass es wohl um bestimmte Sektoren des Schachbrettes gehen werde, auf die sich zu untersuchende Abläufe konzentrieren. Doch weit gefehlt – der Titel nimmt Bezug auf eine mir bis dahin unbekannte Redewendung im englischen Sprachraum. Zur Übersetzung musste ich mir vom Cambridge Dictionary helfen lassen. Sinngemäß übersetzt ist man danach „in the zone“, wenn man glücklich oder aufgeregt ist, weil man etwas sehr geschickt macht und es einem leicht fällt. Man hat also gerade einen „guten Lauf“, um eine vergleichbare deutsche Redewendung zu bemühen.

Cyrus Lakdawala ist ein sehr fleißiger Autor, der einen besonderen Schreibstil pflegt. Seine bildreiche und blumige Sprache ist etwas Besonderes auf dem Gebiet der Schachbücher. Sie ist unterhaltsam, für den Fremdsprachler allerdings oft nicht ganz so einfach zu verstehen. Der so gut wie immer sehr breite Wortschatz und die häufigen Metaphern verlangen ihm einiges ab. Dies gilt auch für „In the Zone“, hier nun schon mit dem Buchtitel einsetzend. Erschienen ist das Werk übrigens bei New In Chess (NIC).

Nun wissen wir bereits, was „In the Zone“ nicht ist, nämlich „eine Art Strategiebuch“, aber noch nicht, um was es sich denn nun tatsächlich handelt. Es ist eine Mischung aus Partiensammlung, Würdigung großer Schachmeister, vor allem Weltmeister, mit Informationen über ihren Stil und herausragende Erfolge sowie „eine Art Lehr- und Praxisbuch zur Strategie und zur Taktik im Schach“.

Lakdawala hat 119 Partien und Partiefragmente herausgesucht, in denen die Meister, von Morphy bis Carlsen, eine Dominanz in der Partie entwickelt haben, über die sie das weitere Geschehen und damit ihre Gegner vollständig beherrschen konnten. Im jeweiligen Duell hatten sie „in ihren Lauf gefunden“.

Die Praxisbeispiele folgen in ihrer Kommentierung entsprechend zwei Schwerpunkten. Diese sind einerseits die Demonstration der jeweiligen herausragenden Leistung und andererseits die Untersuchung und Darlegung der Gründe, die diese ermöglichten. Durchgehend eingebaut hat Lakdawala an den Leser gerichtete Übungen, allgemeine Lehrsätze bzw. Merkregeln, Augenblicke der Besinnung und Bestandsaufnahme zur aktuellen Partiesituation („moment of contemplation“) sowie Aufzählungen zu den wichtigsten strategischen und taktischen Aspekten einer Stellung. Die Übungen, auf die sogleich im Anschluss die Lösung im Rahmen der allgemeinen weiteren Erörterung gegeben wird, widmen sich unter anderem der Kombinationsfähigkeit, der strategischen Planung, der allgemeinen Fähigkeit zur Variantenberechnung und dem Treffen einer kritischen Entscheidung. Um sie unbeeinflusst vom nachfolgenden Text und damit jeweils der Lösung bearbeiten zu können, bietet es sich an, beim Durchgehen der Partien ein Blatt Papier einzusetzen, um damit die nächsten Zeilen abzudecken.

Zu keinem schlüssigen Ergebnis komme ich auf die Frage, für wen dieses Buch nun besonders oder auch weniger geeignet ist. Die Lehrsätze und Merksätze sprechen oft das Anfängerniveau an, während viele Übungen den Klubspieler herausfordern können. Die Informationen über die „porträtierten“ Schachmeister sind teilweise so speziell, dass sie den Freizeit- und Gelegenheitsspieler meines Erachtens weniger interessieren werden. Wer bequem mit dem Werk arbeiten können möchte, sollte über mehr als nur einfache Fremdsprachkenntnisse verfügen.

Fazit: „In the Zone“ lässt sich schwer einem ganz speziellen Adressatenkreis als Empfehlung zuordnen. So kann eine allgemeine Kaufempfehlung für denjenigen ausgesprochen werden, der seine Interessen und seinen Informationsbedarf in den detaillierten Ausführungen dieser Rezension abgedeckt sieht.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Richter-Rauzer Reborn - The Kozul Variation

Zdenko Kozul & Alozije Jankovic
The Richter-Rauzer Reborn - The Kozul Variation
394 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-94-9251-062-4
28,41 Euro



The Richter-Rauzer Reborn - The Kozul Variation


"The Richter-Rauzer Reborn - The Kozul Variation" verstehen die Autoren Zdenko Kozul und Alozije Jankovic, beide Großmeister aus Kroatien, als Update ihres 2014 erschienenen Buches "Richter Rauzer Reborn". Entsprechend wird es vom Verlag Thinkers Publishing als „2. überarbeitete Auflage“ geführt. Es lassen sich aber erhebliche Unterschiede zum Ursprungswerk feststellen, die es mich zumindest in Teilen als gerechtfertigt erscheinen lassen, von einer neuen Arbeit zu sprechen.

Der Richter-Rauser-Angriff, wie das System auf Deutsch korrekt bezeichnet wird, entsteht in der Sizilianischen Verteidigung über die Züge 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3. d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 Sc6 6.Lg5. Die als Kozul-Variante bekannte Spielweise führt über 6...e6 7.Dd2 a6 8.0-0-0 Ld7 9.f4 b5.
Wie die Autoren auf Seite 57 schreiben, lag die Grundidee für ihr Buch darin, den Klubspieler zum Richter-Rauser-Angriff zu bewegen, insbesondere wenn dieser gerade ein Repertoire gegen 1.e4 aufbaut. Indem sie Neuerungen zur Theorie und Turnierpartien untersuchen, um dann bestimmte Ideen, Vorschläge und Empfehlungen hervorzuheben und zu erklären, wollen sie das System weiter popularisieren.

Die Orientierung an der Praxis des Turnierspielers wird auch darin erkennbar, dass sie nach eigenen Worten oft Einschätzungen abgeben oder Empfehlungen aussprechen, die nicht dem Urteil der von ihnen verwendeten Engines entsprechen. Sie berufen sich auf ihre Jahre lange Erfahrung und die Turnierpraxis, die sie entsprechend höher bewerten als die vom Computer gelieferten Ergebnisse.

"The Richter-Rauzer Reborn - The Kozul Variation" ist kein herkömmliches Eröffnungsbuch, das den Leser mit einem vollständig abgerundeten Repertoire ausstattet. Die Autoren setzen Schwerpunkte, denen sie sich intensiv widmen. Sie bieten damit Teillösungen an, die sich in ein Komplettrepertoire einbinden bzw. einbetten lassen.

Die 10 Kapitel des Buches lassen sich inhaltlich wie folgt skizzieren:
Kap. 1: 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3. d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 Sc6 6.Lg5 e6 7.Dd2 a6 8.0-0-0 Ld7 9.f3 (Sxc6)
Kap. 2: 9...h6 als Alternative zum 9...b5 und weiße Abweichungen im 10. Zug.
Kap. 3: 10.Sxc6 Lxc6
Kap. 4: 11.Lxf6 gxf6, Seitenlinien im 11. Zug
Kap. 5: 11.Kb1 Db6 12.Sce2
Kap. 6: 12.Sf5
Kap. 7: 12.Sf3
Kap. 8: 12.Sxc6 Lxc6 13.f5
Kap. 9: 13.De1 Ta7 14.f5 Dc5 ohne 15.Ld3
Kap. 10: 15.Ld3.
Wer sich die „1. Ausgabe“ gekauft hat, wird schon anhand eines Vergleichs mit dem damaligen Inhaltsverzeichnis einen erheblichen Umfang der Änderungen bzw. Aktualisierungen erkennen. Dabei wird auch auffallen, dass die Autoren keine Übungen mehr anbieten, über die der Leser seinen Lernerfolg überprüfen bzw. an seinem Verständnis feilen kann.

In der Behandlung der Möglichkeit, dass Weiß mit 9.f3 abweicht, widmen sich die Autoren intensiv dem Versuch Magnus Carlsens in seiner Partie gegen Vishi Anand bei den Grenke Chess Classics 2018, mit 9…Sxd4 erfolgreich zu erwidern. Dies ist ein besonderes Beispiel für die Passagen im Buch, die sich an dem von den Autoren als Grundidee bezeichneten Aufgreifen von Neuerungen orientieren. Auf rund neun Seiten setzen sie sich mit den aus Carlsens Entscheidung ergebenden Konsequenzen auseinander, indem sie die Partie bis zum Remisschluss aufbereiten. Analysen, Partiefragmente sowie reichlich Einschätzungen und Erläuterungen ergänzen sich dabei zu einer runden Darstellung. Passagen wie diese erinnern mich etwas an die Reviews in den New In Chess-Jahrbüchern.

Wenn die Autoren ihr neues Werk als Update bezeichnen, so heißt dies nicht, dass wie im Fall der Partie Anand-Carlsen viel Material aus Partien eingearbeitet worden ist, die nach dem Erscheinen der 1. Auflage gespielt worden sind. Die Suche nach solch jungen Beispielen aus der Praxis führt im Ergebnis nur zu einer recht niedrigen Zahl. Das Update definiert sich eher darin, dass Alternativen neu aufgenommen worden sind, für deren Erörterung dann auch Partien beigezogen worden sind, die bereits 2014 vorlagen.
Kozul und Jankovic stützen sich bemerkenswert auch auf Fernpartien, mehrere übrigens zwischen 2014 und 2019 gespielt.

Zur Variante 9.f4 b5 10.Lxf6 gxf6 11.Kb1 Db6 12.Sf5 (Kapitel 6) und nun 12…exf5 13.Sd5 hat mich exemplarisch interessiert, wie populär sie ist und was Schwarz erreichen kann. Sie ist mir deshalb ins Auge gestochen, weil die Autoren sich nun für 13…Da7 aussprechen und dieses Zurückweichen der Dame als typisch bezeichnen. Es fällt sofort auf, dass der schwarze König noch in der Mitte feststeckt und diese Situation nicht so ohne weiteres beseitigt werden kann. Die Alternative 13…Dc5 ist nach den Autoren für beide Seiten zu gefährlich, 13…Db7 erwies sich in der Praxis als für Weiß unkompliziert zu behandeln, auf 13…Dd8, das bei einer niedrigen Datenbasis die beste Performance abgibt, gehen sie intensiver in einem spezifischen Abschnitt ein.
Die Partiendatenbank gibt zu dieser Variante wenig her; zu 13…Da7, von den Autoren mit „!?“ kommentiert, habe ich nichts Verwertbares gefunden. Die intensive Analyse mit einem für das Fernschachspiel optimierten Stockfish-Derivat bestätigt, dass Schwarz zu guten Gegenchancen kommt. Wenn man den Ansatz der Autoren, insbesondere den Turnierspieler im Duell Auge in Auge zu unterstützen, hinzuzieht, ist das Angebot der Alternativen 13…Da7 (als experimenteller Versuch) und 13…Dd8 als gut bestätigter Versuch gelungen. Schwarz verfügt über gesunde Chancen mit einer gehörigen Portion an Überraschungspotenzial.

Ein Variantenverzeichnis für das vollständige Buch gibt es nicht. Allerdings werden die einzelnen Kapitel mit Variantenübersichten eingeleitet, die so zusammen mit dem Inhaltsverzeichnis einen ähnlichen Effekt erzielen.

Das vorliegende Werk ist sehr übersichtlich gestaltet. Die Varianten eines Kapitels sind durchnummeriert. Die Nummer wird durch einen Trennstrich gegenüber dem Text abgehoben, darunter werden die Initialzüge abgebildet. Im Vergleich zur 1. Auflage sehe ich das nunmehr umgesetzte Gliederungssystem als verständlicher an. Es gibt zahlreiche Diagramme, die sich nach Haupt- und Nebenvarianten in der Größe unterscheiden. Das Druckbild ist sehr sauber. Der Verlag hat feines mattes Papier verwendet. Der Umschlagkarton ist erfreulich dick und damit fest, so dass sich das Buch als strapazierfähig erweisen wird.

Fremdsprachkenntnisse auf Schulniveau reichen für ein recht unkompliziertes Verstehen aus.

Fazit: "The Richter-Rauzer Reborn - The Kozul Variation" ist der gelungene Versuch, Schwarz mit einem qualifizierten (Basis-)Repertoire auszustatten, das ihm gute Gegenchancen verspricht. Das Werk enthält viel Material, das noch nicht von Theorie und Praxis breitgetreten worden ist.
Die Autoren wollen insbesondere den Turnierspieler mit ihrer Arbeit erreichen. Nicht nur diesem aber kann die Anschaffung empfohlen werden. Ideen hält das Werk auch für den Fernschachspieler bereit.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Playing the Grünfeld

Alexey Kovalchuk
Playing the Grünfeld
504 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-78483-095-3
24,48 Euro



Playing the Grünfeld


Es gibt Eröffnungsbücher, die schnell zu überzeugen wissen, wenn sie zur Vorbereitung einer Rezension in die Hand genommen werden. Zu diesen zählt „Playing the Grünfeld“, 2020 erschienen bei Quality Chess. Sein Autor ist Alexey Kovalchuk aus Russland, der sich mit einem Rating von 2379 im Standard-Schach (höchster Wert: 2445 in 2017) im Bereich der Leistungsstärke eines Internationalen Meisters bewegt, auch wenn er noch keinen Titel erlangt hat.
Kovalchuk verfolgt das Ziel, Schwarz ein Repertoire zur Verfügung zu stellen, das in sich stimmig ist und ein kämpferisches Spiel auf mehr als ein Remis unterstützt. Varianten, die früh in eine kaum mehr zu überwindende Remisstellung führen, versucht er zu vermeiden.

In einer kurzen Einleitung vermittelt das Werk zunächst einige Basisinformationen zur Eröffnung und einen Überblick über die Inhalte der 16 sich anschließenden einzelnen Kapitel. Diese sind klassisch in der Form einer Baumstruktur organisiert. Insgesamt 10 Beispielpartien sind über die Kapitel hinweg verteilt; sie spielen eine eher untergeordnete Rolle.
In seinen Darstellungen legt Kovalchuk erkennbar einen gesteigerten Wert darauf, dass der Leser die strategischen Leitgedanken der Spielweisen und die in der Grünfeld-Indischen Verteidigung wesentlichen Strukturen aufnimmt und verinnerlichen kann. Bei einem Werk wie diesem, das immens viel an detailliertem Material anbietet, halte ich dies für sehr wichtig. Unter anderem hierdurch bekommt „Playing the Grünfeld“ eine Ordnung, die von vornherein das Gefühl des Lesers verhindert, sich mit einem Variantenbrei konfrontiert zu sehen.

Der folgende Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis, sinngemäß ins Deutsche übertragen, veranschaulicht die Gliederung des Stoffes.

Abweichungen im 3. Zug
Kap. 1: 3.f3
Kap. 2: Fianchetto-System

Seitenlinien
Kap. 3: Seltene Alternativen im 4. und 5. Zug
Kap. 4: Systeme mit e2-e3
Kap. 5: Systeme mit Lg5
Kap. 6: Systeme mit Lf4
Kap. 7: Varianten ohne Da4+
Kap. 8: Russisches System
Kap. 9: 8.e5 & 8.Le2

4.cxd5 Sxd5
Kap. 10: Seltene Linien
Kap. 11: 5.Ld2

5.e4 Sxc3 6.bxc3 Lg7
Kap. 12: Abtausch-Variante
Kap. 13: Systeme mit Le3
Kap. 14: 7.Sf3
Kap. 15: 7.Lc4
Kap. 16: 11.dxc5.

Kovalchuk geht bemerkenswert gründlich vor. Alternativen zu seinen Hauptempfehlungen (Analysen, Fragmente aus Partien) legt er breit an. Dabei gefällt mir, dass er seine Betrachtungen in eine ganz überwiegend angemessene Tiefe führt. Die meisten der von mir genauer unter die Lupe genommenen Varianten endeten an einer Stelle, die ziemlich genau den Abschluss der beiderseitigen Entwicklung markierte oder an der die ersten Problemstellungen auftraten, die eindeutig dem Mittelspiel zuzuordnen sind. Der Anteil der Nebenvarianten, die eine Länge von ca. 25 Zügen überschreiten, ist vergleichsweise niedrig. In Abspielen, deren Ausgangsstellung selbst erst etwas später in der Partie erreicht wird, kommen sie erklärlicherweise etwas häufiger vor, was dann aber erforderlich oder mindestens gerechtfertigt ist.
Der Leser muss nicht befürchten, sich mit an Seeschlangen erinnernde Zugfolgen befassen zu müssen. An „Playing the Grünfeld“ gefällt mir dabei auch, dass Kovalchuk diese Varianten überwiegend kommentiert und nicht etwa nackt abbildet. So erfährt man durchgehend, warum er etwas empfiehlt oder auch nicht, worin er Stärken und Schwächen von Varianten und Zügen sieht oder womit sich seine Stellungseinschätzung begründet.

Mit der angesprochenen Gründlichkeit untrennbar verbunden ist ein enormer Umfang der im Buch untergebrachten Eröffnungstheorie. Damit stellt sich dann auch die Frage, wer von „Playing the Grünfeld“ profitieren kann. Als erstrangige Adressaten sehe ich die folgenden Gruppen von Interessanten an:
1. Starke und erfahrene Spieler bis in höchste Leistungsbereiche hinein.
2. Fernschachspieler.
3. Ambitionierte Autodidakten, die sich selbst als ehrgeizig genug einschätzen, sich die Grünfeld-Indische Verteidigung mit einem hohen zeitlichen Aufwand intensiv zu erarbeiten.
4. Schachlehrer, Trainer, Autoren etc.
5. Spieler, die Grünfeld-Indisch bereits im Repertoire haben und dieses ausbauen und aktualisieren möchten.

Kovalchuk bietet in einer großen Zahl Neuerungen an. Diese erweitern das Update-Potenzial des Werkes und geben dem erfahrenen Anwender die Möglichkeit, sich ggf. mit der einen oder anderen Überraschung zu verstärken.

„Playing the Grünfeld“ ist ein weiteres Beispiel für die ausgezeichneten Eröffnungsbücher von Quality Chess. Dieses Urteil stützt sich auf die bisherigen Ausführungen und darauf, dass …
- am Ende des Buches ein detailliertes Variantenverzeichnis zur Verfügung steht, das ein bequemes Navigieren über die Buchinhalte hinweg erlaubt,
- jedes Kapitel mit einem eigenen Variantenverzeichnis eingeleitet wird, das mit dem Gesamtverzeichnis korrespondiert,
- die Kapitel mit einer wertenden Zusammenfassung abgeschlossen werden,
- eine sehr übersichtliche textliche Darstellung erreicht worden ist sowie zahlreiche Diagramme zur Verfügung stehen, die sich nach Haupt- und Nebenvarianten in der Größe unterscheiden,
- der Leser ein sehr sauberes Druckbild auf feinem Papier erhält.

Kovalchuk hat auf die wichtigsten Buchquellen und elektronischen Ressourcen zurückgegriffen und diese erkennbar verarbeitet. Soweit er Fragmente aus Partien verwendet, sind diese überwiegend in jüngerer und jüngster Vergangenheit gespielt worden. Etliche Beispiele stammen aus dem Bereich des Fernschachs.

Wer schon mit englischsprachigen Theoriebüchern zurechtgekommen ist, wird auch mit „Playing the Grünfeld“ keine Probleme haben. Das Werk kommt mit dem üblichen in Schachbüchern verwendeten Wortschatz aus.

Fazit: „Playing the Grünfeld“ ist eine klare Kaufempfehlung für u.a. den starken Spieler, für den ambitionierten und genügend ehrgeizigen Spieler „auf dem Weg nach oben“ sowie den Fernschachspieler. Das Werk bietet ein Top Level-Repertoire an und bereitet dieses ausgezeichnet auf. Mit einem Kaufpreis von 24,48 ist es nicht billig, aber jeden Cent wert.

Für 32,33 Euro ist „Playing the Grünfeld“ auch in einer gebundenen Fassung mit einem festen Einband erhältlich.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Club Player’s Modern Guide to Gambits

Nikolai Kalinitschenko
The Club Player’s Modern Guide to Gambits
255 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-941270-76-9
24,48 Euro



The Club Player’s Modern Guide to Gambits


In seinem 2019 bei Russell Enterprises erschienen Werk „The Club Player’s Modern Guide to Gambits“ befasst sich der russische Großmeister im Fernschach und sehr erfahrene Buchautor Nikolai Kalinitschenko mit zahlreichen Gambits. Zu diesen zählen sehr bekannte Systeme wie etwa das Königsgambit, das in mehreren Teilabschnitten behandelt wird, die sich einzelnen Spielweisen wie etwa dem Steinitz-Gambit, dem Kieseritzky-Gambit oder dem Polerio-Muzio-Gambit widmen, um nur drei Hochkaräter zu nennen. Daneben gibt es Opfervarianten, die weniger im Licht der Öffentlichkeit stehen, so wie beispielsweise das Cochrane-Gambit gegen die Russische Verteidigung oder das Isländische Gambit, auch als Palme-Gambit bekannt, im Skandinavier.

Sortiert hat Kalinitschenko seine Arbeit danach, ob die jeweilige Eröffnung, in der es zur Opfervariante kommt, zu den Offenen, Halboffenen oder Geschlossenen Spielen gehört, sowie danach, ob sie mit Weiß oder mit Schwarz angewandt werden können.
Ein weiterer Abschnitt befasst sich mit insoweit universellen Manövern, dass sie als Bauernopfer auf b2 oder auf c4 in verschiedenen (Sub-)Systemen zum Repertoire zählen können, beispielsweile in der Caro-Kann-Verteidigung (Bauer b2) oder Slawisch (Bauer c4).

Es dürfte klar sein, dass so unterschiedliche Eröffnungen nicht umfassend auf rund 250 Seiten, über die das vorliegende Werk verfügt, untersucht und vorgestellt werden können. Darum geht es dem Autor auch nicht. Er will vielmehr die Systeme anhand ihrer Hauptideen und aktueller Wege vorstellen, so dass dem Leser eine Entscheidung erleichtert wird, sie ggf. in sein Repertoire aufzunehmen. Den Anfänger und den Klubspieler sieht er aber hinreichend gerüstet, auf der Basis seiner Arbeit behandelte Systeme einzusetzen. Diese Einschätzung teile ich nicht, zumindest nicht für alle Spielweisen. Für vertiefte Einblicke verweist Kalinitschenko zurecht auf Spezialliteratur.
Wer Gambits aus dem Buch bereits in sein Repertoire aufgenommen hat, bekommt mit „The Club Player’s Modern Guide to Gambits“ ein konzentriertes Update in die Hand.

Nach einer kurzen theoretischen und zumeist um ein paar Informationen zum Gambit, zur Namensgebung, zu Protagonisten u.ä. erweiterten Einführung stellt Kalinitschenko die jeweilige Spielweise anhand von analysierten kommentierten Partien vor. Diese stammen nicht nur, aber überwiegend aus dem aktuellen Turniergeschehen. Auch die im Rahmen der Erörterungen verwendeten Partiefragmente sind zumeist in jüngerer Zeit ausgetragenen Duellen entnommen. Hier aber greift er auch gerne mal auf ältere bis historische Beispiele zurück.
Wer in der Erwartung, dass Kalinitschenko als Fernschach-GM intensiv auf Fernschachpartien zurückgegriffen hat, das Buch in die Hand nimmt, wird überrascht sein, denn es dominieren ganz eindeutig die Beispiele von der herkömmlichen Turnierbühne. Dies ist auch durchaus erklärlich, denn im Spitzenfernschach unserer Zeit kommen (echte) Gambits, also solche, in denen ein Spieler mindestens einen Bauern im reinen Opferstil investiert, nur noch in geringem Maße vor. Der Überraschungseffekt und ein Vorteil in der Theoriekenntnis kommen im Fernschach kaum mehr zum Tragen und das rechnergestützte Spielen hilft nicht zuletzt demjenigen, der gegen das Gambit des Gegners kämpft.

Hinsichtlich der Aktualität und dem vom Autor vermittelten roten Faden in seinem „Gambit-Führer“ habe ich mir mehrere Gambits, zu denen ich eine eigene Bindung habe, genauer angeschaut.

Königsgambit:
Das Königsgambit nimmt rund 36 Seiten im Buch ein. Diese teilen sich auf sechs spezifisch zu behandelnde einzelne Gambits auf. Insgesamt vermittelt „The Club Player’s Modern Guide to Gambits“ dem Leser einen guten Überblick über das, was sich unter dem Dach des Königsgambits verbirgt. Wer gegen ein Gambit zu spielen hat, kann die angebotenen Informationen handfester verwenden als der Gambitspieler selbst, der sich mit einer breiten Palette der gegnerischen Möglichkeiten arrangieren muss. Für die in Freundschaft gespielte Feierabendpartie kann das vorliegende Werk auf jeden Fall ausreichen. Gleiches gilt für die Klubpartie, wenn man aus der Reihe dieser Gambitspiele einfach mal etwas ausprobieren möchte und sich Mühe bei der Auswahl des Gegners gibt, den man zu überraschen versucht.

Cochrane-Gambit:
Kalinitschenko konzentriert sich nach 5.d4 auf die Erwiderung 5…c5, also auf die heutige Hauptvariante. Mit nur einer entsprechend begonnenen Partie kann er aber nur wenige Einblicke gewähren. Im Rahmen von „Illustrativ Games“ geht er nicht minder intensiv auf 5…Le7 und 5…g6 ein. Hier hätte ich mir mehr Stoff zu 5…c5 gewünscht, wobei die (schwächeren) Alternativen hätten in die Kommentierung eingepflegt werden können.

Isländisches Gambit:
Hier wird Schwarz konzentriert gegen 3.c4 und 3.Lb5+ informiert. Gegen 3.d4 bekommt er einen Übergang zur Normalvariante angeboten, wenn er nicht mit 3…Lg4 (Portugiesische Variante) reagieren will.
Auf 3.Lb5+ bevorzugt Kalinitschenko 3…Sbd7, womit Schwarz auf Schärfe spielt. Für den weniger kampfeslustigen Leser zeigt er 3…Ld7 als Möglichkeit auf.
Insgesamt erhält der Leser einen guten Überblick; auf der Basis einer gut sortierten Partiendatenbank sollte er sich weiter rüsten können, um gut in die eigene Partie zu kommen, sofern er nicht weitere Literatur beiziehen möchte. Das Buch zeigt zudem gewisse Räume für flexible Reaktionen auf.

Slavisches Gambit:
Kalinitschenko konzentriert sich auf 4…dxe4 und nach 5.Sxe4 auf 5…Lb4+. Mit 5…c5 wird Weiß aber auch auf Kramniks Versuch Berlin 2018 hingewiesen, Caruana zu überraschen. Die auf die frühe Eröffnungsphase verdichteten Informationen sind ausreichend geeignet, um dem Leser einen Einblick in die grundlegenden Aspekte des Gambits zu geben. „The Club Player’s Modern Guide to Gambits“ erfüllt somit seinen erstrangigen Zweck.

Auf Seite 73 ist mir ein Fehler im Druckbild aufgefallen, der mich veranlasst hat, bei der weiteren Arbeit mit dem Werk auf Wiederholungen zu achten. Dieser stellte sich dabei als ein Ausrutscher dar.

Die Buchsprache ist Englisch. Mit Fremdsprachkenntnissen auf Schulniveau wird der Leser keine Probleme im Verständnis haben.

Ein Partien- und ganz besonders ein Variantenverzeichnis hätten dieses gelungene Werk noch etwas verbessern können.

Fazit: „The Club Player’s Modern Guide to Gambits“ ist der vom Autor beabsichtigte Führer durch ausgewählte Gambitspiele, wenn man den Schwerpunkt darauf legt, dem Leser eine Orientierung zu ermöglichen. Die damit erreichbare Übersicht über die wichtigsten Linien der ausgewählten Spielweisen versetzt ihn in die Lage, sich über eine Aufnahme ins eigene Repertoire zu entscheiden und sich mit einem roten Faden (weiter) zu präparieren. Dem Leser, der die eine oder andere der dargestellten Eröffnungen bereits einsetzt, vermittelt es die Chance auf eine Aktualisierung und auf neuen Ideen.
Für eine tiefere Einarbeitung in ein System sollte der Leser über die Anschaffung von Spezialliteratur nachdenken, wenn er nicht unter Nutzung des besprochenen Werkes mittels seiner Partiendatenbank zu einem Ausbau des Theoriestocks kommen kann oder will.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Together with Mamedyarov

Alexey Kuzmin
Together with Mamedyarov
352 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-94-9251-071-6
30,37 Euro



Together with Mamedyarov


Mit „Together with Mamedyarov“, 2020er Neuerscheinung bei Thinkers Publishing, hat GM Alexey Kuzmin ein bemerkenswertes Buch mit Schachaufgaben vorgelegt. Wie bei seinem früheren Werk „Together with Morozevich“ verbindet er seine Arbeit mit der Idee, den Leser mit einer herausragenden Spielerpersönlichkeit bekannt zu machen, diesmal eben mit Shakhriyar Mamedyarov aus Aserbaidschan. Mamedyarov ist für sein dynamisches, kreatives und kraftvolles Spiel bekannt. Schon dies verspricht einen hohen Unterhaltungswert der Befassung mit den Aufgabenstellungen, denn diese entstammen allesamt aus Mamedyarovs Praxis. Kuzmin ist ein erfahrener Trainer, von 1987 bis 1991 war er Sekundant von Anatoly Karpov in seinen Duellen mit Garri Kasparow.

Das Werk ist in zwei Teile mit den Überschriften „beginning to think like a grandmaster“ und „passing the grandmaster test“ gegliedert. Diese Kategorisierung zeigt schon recht gut an, welche Spielerkreise Kuzmin erreichen möchte. Von der Denkweise eines Großmeisters lässt sich erst profitieren, wenn man selbst einen gewissen Fortschritt in der eigenen Spielstärke erreicht hat. Ab dem Klubspieler aufwärts dürfte dies möglich sein. Der Rückentext lässt wissen, dass jeder Spieler vom Werk eingeladen wird, was ich aber hinsichtlich des Einstiegsniveaus als zu undifferenziert ansehe. Der Anfänger und wenig erfahrene Spieler würde sich meines Erachtens von Beginn an überfordert fühlen. Im Vorwort gibt Kuzmin die adressierte Elo-Stärke der Spieler allerdings optimistisch mit 1400 bis 2100 an.

Teil 1 bietet zum Aufwärmen 6 Aufgaben an, in denen jeweils der kürzeste Weg zum Sieg gefunden werden soll. 4 von diesen „Nüssen“ konnte ich quasi sofort knacken, für 2 aber habe ich etwas gebraucht. Ich befürchte, dass der wenig erfahrene Spieler schon hier als Nussknacker den Blick in die Lösung braucht und von Beginn an Frust aufbauen wird.

Im Anschluss an die „Aufwärmphase“ stellt Kuzmin dem Leser im 1. Teil des Buches insgesamt 80 weitere und als „Test“ bezeichnete Aufgaben (Elo-Level 1400-1900). Dieser erfährt zunächst, aus welcher Partie Mamedyarovs die über ein Diagramm eingeführte Brettstellung stammt, wer sein Gegner war und wie die Farbverteilung aussah sowie welche Seite sich am Zug befindet. Die konkret zu erfüllende Aufgabenstellung wird jeweils spezifisch beschrieben. Es gilt also nicht etwa immer einen bestimmten zum Sieg führenden Zug zu finden. Schon zu den ersten drei Teststellungen hat der Leser die Stellung zum Stand der Aussichten einzuschätzen, um dann eine Fortsetzung vorzuschlagen oder sich kritisch mit einer offerierten Fortsetzung auseinanderzusetzen. Gleich zu Beginn also ist er zur Stellungsanalyse und zum Treffen einer Entscheidung zum weiteren Vorgehen aufgefordert.
Das Spektrum der zu leistenden Aufgaben ist breit. Neben den beschriebenen Beispielen gehören auch das Verwirklichen eines Vorteiles, das Finden einer erfolgreichen Verteidigung, das Erarbeiten konkreter Varianten und mehr dazu.
So ganz neutral ist die Aufgabenstellung allerdings regelmäßig nicht. Weil Kuzmin dem von ihm hoch geschätzten Shakhriyar Mamedyarov eine Art „Laudatio auf dem Brett“ widmet, muss man nur schauen, welche Farbe dieser in der jeweiligen Quellpartie hatte. Dies ist dann der Hinweis darauf, welche Seite besser stand, einen Stellungsvorteil realisieren konnte oder die Partie mittels einer gelungenen Verteidigung hielt.

Die Lösungen zu den Aufgaben schließen sich diesen unmittelbar an. Sie sind durchgehend sehr ausführlich und machen einen ganz besonderen Wert des Werkes aus. „Together with Mamedyarov“ lässt den Leser zunächst tief in eine Aufgabenstellung eintauchen, um ihn dann mittels der Lösung seine Arbeit überprüfen zu lassen. Dabei zeigt Kuzmin nicht etwa nur auf, wie die erwartete Lösung aussieht, sondern er macht diese quasi zur Anleitung für ein erfolgreiches Schach. Er erläutert und begründet vorbildlich; Varianten reduzieren sich auf ein Maß, das für das Erkennen der Folgerichtigkeit seiner Ausführungen notwendig ist. Anders als bei vielen anderen Büchern mit Schachaufgaben besteht die Lösung hier nicht in erster Linie aus Varianten, sondern aus Text.

Der Ehrgeiz des Lesers wird unterstützt durch ein Punktesystem, das es ihm erlauben soll, seine erzielten Ergebnisse einer Spielstärke zuzuordnen. Kuzmin vermeidet aber jede reißerische Aussage, die des Lesers Leistung im optimalen Fall bis ins Großmeisterniveau hebt, wie man es schon in anderen Büchern gesehen hat. Er bestätigt ihm aber, dass er bereits ein sehr erfahrener Spieler ist.
Wie viele Punkte für eine gute Idee, eine komplett richtige Lösung etc. der Leser für sich eintragen darf, erfährt er jeweils in die Lösung integriert.

Für den zweiten Teil des Werkes, dessen 90 Aufgaben Kuzmin dem Schwierigkeitsgrad eines Spieles mit einer Elo-Zahl von 1700 bis 2100 zuordnet, gilt hinsichtlich der Organisation und der Gestaltung das zum ersten Teil Gesagte.

Kuzmin gibt an, dass die Aufgaben dem Training der …
- taktischen Vorstellungskraft,
- der Variantenberechnung,
- dem Treffen strategischer Entscheidungen und
- der persönlichen Fähigkeit zur Stellungseinschätzung …
dienen sollen. Das Spektrum der formulierten Aufgabenstellungen spiegelt diesen Ansatz ausgezeichnet wider.

Die Buchsprache ist Englisch. Die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers sind moderat.

Fazit: „Together with Mamedyarov“ ist ein sehr gelungenes Buch mit Schachaufgaben, das den Leser unterhält, ihn seine Fähigkeiten trainieren und steigern lässt und zugleich Shakhriyar Mamedyarov die Ehre erweist. Auch Lehrern und Trainern ist dieses Werk sehr zu empfehlen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Unglaubliche Schachpartien

Martin Rieger
Unglaubliche Schachpartien
2. Auflage 2020
172 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3959201179
19,80 Euro



Unglaubliche Schachpartien


Der 50-jährige Vereinsspieler des SK Schwandorf, Martin Rieger, möchte die Schachwelt mit seinem Buch der unglaublichen Schachpartien erfreuen. Er macht nicht erwartete Streifzüge durch die Schachgeschichte. Sein Weg beginnt bei McDonnell – De La Bourdonnais und endet bei Michael Adams gegen Garri Kasparow und dem amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen aus Norwegen.

Diese 60 besonderen Partien haben es in sich. Es sind ausnahmslos großartige Wettkampfpartien bekannter herausragender Meister früherer und heutiger Zeiten. Auch Spielerinen werden vorgestellt, etwa in einer Partie von Zsuzsa Polgar gegen Maja Tschiburdanidse. Trotz eines Sieges von Judith Polgar, der absolut weltbesten Frau, gegen IGM Aleksandr Schirow werden die Schach spielenden Frauen nicht damit zufrieden sein.
Die deutschen Meister Wolfgang Uhlmann und Robert Hübner werden gewürdigt. Aber den einzigen deutschen Weltmeister, Emanuel Lasker, sucht man vergeblich! Ganz zu schweigen von dem „Praeceptor Gemaniae“, Dr. Siegbert Tarrasch. Auch viele andere deutsche Meister hätten es verdient gehabt, in einer solchen Partiensammlung gewürdigt zu werden. Gut, jeder Autor kann für seine Auswahl andere Akzente setzen. Rieger versucht es auf seine Weise. Ich kann allerdings nicht nachvollziehen, warum er seine blumigen Überschriften in englischer Sprache vornehmen muss. Einmal verfällt er gar ins Französische (Lapin à la Gueuze“).

„Hunting with the Polar Bear“ hätte er auch auf Deutsch wiedergeben können. Origineller sind dann schon die Titel „When the Pawns Go Marching In“ oder „Desperate Housewives“. Aber Zsuzsa Polgar und Maja Tschiburdanidse werden davon nicht begeistert sein! Auch „Girls just want to have Fun“ als Titel über die feine Gewinnpartie der weltbesten Spielerin Judit Polgar gegen Alexej Schirow wird die Großmeisterin wenig erfreuen können. Nun gut, Martin Rieger pflegt seinen eigenen Stil. Der ist durchaus originell, wird aber nicht alle Leser wirklich begeistern. Wie dem auch sei, er legt ein beachtenswertes Schachbuch vor, das seine Leserschaft zufrieden stellen wird.

Manches kann ich aber nicht unbedingt nachvollziehen. So spricht er in einer Partie Petrosjan gegen Minasjan kurz über die „Berliner Mauer“ in der Spanischen Partie. Er erwähnt aber ihre erfolgreiche Anwendung von Kramnik gegen Kasparow im Weltmeisterkampf 2000 nur am Rande. Immerhin darf Garri Kasparow noch in der letzten Partie (gegen Mickey Adams) als stolzer Sieger erscheinen. Obwohl es sich bereits um die 2. Auflage handelt, findet sich in dem Buch nur eine einzige Partie des Weltmeisters Magnus Carlsen (gegen Sipke Ernst).

Eine Reihe sauberer Diagramme unterstützt den Leser, der nicht immer Figuren auf dem Brett aufbauen möchte. Aber auf Seite 76 bei der Partie Tylkowsky gegen Antoni Wojciechowski heißt es so schön „Sehen Sie selbst:“ Aber es folgt nur die Notation (Diagramm), wobei man sich gerade dieses Diagramm gewünscht hätte.

FAZIT: Wenn man bedenkt, dass die meisten Bücher kleine Fehler haben, kann man dem Autor durchaus verzeihen, dass er keine Ausnahme macht. Hingegen ist seine schachlich-fachliche Behandlung des Stoffes über jeden Zweifel erhaben. Seine vorgenommene Auswahl „unglaublicher Partien“ kann der tolerante Leser akzeptieren, obgleich sie in eigenwilliger Weise vorgenommen wurde. Trotzdem handelt es sich um ein schönes Schachbuch, das gewiss seinen Platz in vielen Schachbibliotheken finden wird.

Diese Rezension wurde von Gerd Schowalter verfasst

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Schachversand Ullrich / Joachim Beyer Verlag (www.schachversand-ullrich.de) zur Verfügung gestellt.

Mental Toughness in Chess

Werner Schweitzer
Mental Toughness in Chess
141 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-858-3
19,58 Euro



Mental Toughness in Chess

Mit seinem Ratgeber „Mental Toughness in Chess“, sinngemäß übersetzt „Mentale Stärke im Schach“, wendet sich Werner Schweitzer aus Österreich an ausnahmslos alle Spieler. Er gibt ihnen in hoher Anzahl Ratschläge und Tipps, wie sie ihre Mentalität in ihren Wettbewerbspartien verbessern können.
Der Autor verfügt über den Abschluss als akademischer Mentalcoach, erworben an der Universität Salzburg, und über reichlich praktische Erfahrung. Unter anderem resultiert diese aus Tätigkeiten als Trainer und persönlicher Berater von Sportlern aus verschiedenen Sportarten, ein Schwerpunkt ist dabei das Schachspiel.
Seine Vita, im Internet zu finden bei TAB (The Alternative Board Deutschland, Österreich und Schweiz), weist aus, dass er zunächst an der HTL Wien X für Elektrotechnik maturierte (in Österreich verbreitete Bezeichnung für das Ablegen einer schulischen Reifeprüfung) und dann in Wien und in Deutschland Betriebswirtschaft studiert hat. Seine berufliche Entwicklung folgt einer gefühlten Berufung, wie man seiner Biografie in „Mental Toughness in Chess“ entnehmen kann.

Werner Schweitzer ist selbst ein guter Spieler; seine aktuelle Elo-Zahl beläuft sich auf 2098. Er hat vorausgesehen, dass mancher fragen mag, warum seine Spielstärke nicht deutlich höher ist, wenn er doch selbst mentale Stärke zeigt. Seine Antwort ist klar und eindeutig: Mentale Stärke ist wichtig, aber nicht alles im Schach. So wie nicht jeder mental starke Bergsteiger auch gleich den Mount Everest bezwingen kann, ist auch dem mental starken Schachspieler nur das zu erreichen möglich, was Talent und Arbeit ihm erlauben. Er soll aber nicht „unter Wert“ erfolgreich sein, weil er mental schwach ist.

Das Buch enthält neben Grundlagen, Methoden und Tipps, die allgemein mit mentaler Stärke in Verbindung stehen, auch solche, die sich unmittelbar auf das Schachspiel beziehen. Soweit es um allgemeine Aspekte geht, bringt Schweitzer diese in einen fachlichen Zusammenhang mit dem Schachspiel. Ein Beispiel für einen allgemeinen Grundsatz ist „positives Denken“.

„Mental Toughness in Chess“ ist in vier Teile mit den folgenden Überschriften, sinngemäß ins Deutsche übersetzt, gegliedert:
Teil 1: Mentale Stärke ist trainierbar/erlernbar,
Teil 2: Partievorbereitung,
Teil 3: Erfolgreich spielen,
Teil 4: Weitere praktische Tipps.
In insgesamt kurzen 41 Kapiteln stellt Schweitzer den Gegenstand der Betrachtung und dessen jeweilige Bedeutung für erfolgreich geführte Partien vor, bevor er Ratschläge und Tipps gibt, wie die Fähigkeit erlernt oder in der Praxis erfolgreich umgesetzt werden kann. Er zeigt beispielsweise auf, wie man aus seinen Fehlern lernen kann, wie man destruktive Gedanken während der Partie quasi mit positiven überschreiben kann oder auch die Bedeutung der eigenen Atemkontrolle bis hin zu konkreten Ratschlägen für den Umgang mit einer gegnerischen Zeitnot und für ein gutes eigenes Zeitmanagement.
Manche Tipps wirken wie eine Art „Selbstüberlistung“, aber gerade auch deshalb überzeugend. „The 5-minute-start trick“ ist ein gutes Beispiel hierfür. Man soll mit sich selbst die Vereinbarung treffen, mindestens 5 Minuten ernsthaft zu trainieren. Nach diesen 5 Minuten soll man sich entscheiden, ob man weitermacht. Hört man auf, hat man zumindest 5 Minuten trainiert. Nach Schweitzer zeigt die Erfahrung jedoch, dass der Leser mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 5 Prozent tatsächlich aufhören wird.

„Mental Toughness in Chess“ ist kein Buch, das man einmal durchliest, um dann mit verbesserten Fähigkeiten Schach zu spielen. Das Werk ist eine Anleitung zum Selbststudium, ein (Trainings-)Kurs, ein Ratgeber für eine Verbesserung Schritt um Schritt. Die Inhalte der einzelnen Kapitel bedürfen einer persönlichen Umsetzung, die sich an der Person des Lesers und seinen Fähigkeiten orientiert. Er muss seine Stärken und Schwächen wissen; „Mental Toughness in Chess“ leitet ihn an, diese zu ermitteln, sofern er sie noch nicht kennt. Entsprechend individuell kann er mit der Unterstützung dieses Werkes an sich arbeiten.

Ich bin davon überzeugt, dass Schweitzers Ratschläge und Tipps jedem Spieler zu einer Steigerung seiner mentalen Stärke im Schach verhelfen werden, sofern er nicht bereits ein „Mental-Bolide“ ist. Ich selbst spiele schon seit vielen Jahren keine Turnierpartien außerhalb des Fernschachs mehr. Aber Reinfälle der Vergangenheit, die auch mit einer mentalen Schwäche in Verbindung gestanden haben und die ich in „Mental Toughness in Chess“ gespiegelt sehe, habe ich noch reichlich in Erinnerung. Ein einzügiges Einstellen meiner Dame in einem wichtigen Mannschaftseinsatz und der Verlust einer „gewonnenen“ Partie durch Zeitüberschreitung, nachdem mein Gegner mit einem Taschentuch sein künstliches Auge geputzt hatte und meine Konzentration völlig dahin war, sind mir beim Studium des Werkes wieder in Erinnerung getreten.
„Mental Toughness in Chess“ ist ein sehr gutes Grundlagenwerk auch für den Schachlehrer und Trainer.

Das Werk besteht komplett aus englischsprachigem Text und Zeichnungen zu einzelnen Kapiteln. Die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers sind dennoch mit einem ordentlichen Schulenglisch bequem zu meistern.

Fazit: „Mental Toughness in Chess“ ist das etwas andere Lehr- und Trainingsbuch für den Spieler, der seine Erfolgsstatistik verbessern möchte, indem er mental stärker wird. Eine klare Kaufempfehlung für mich!

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Keep It Simple: 1.d4

Christof Sielecki
Keep It Simple: 1.d4
425 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-867-5
22,52 Euro



Keep It Simple: 1.d4


Mit „Keep It Simple: 1.d4“ hat der deutsche Internationale Meister und Autor Christof Sielecki ein Repertoire für Weiß auf der Basis des Eröffnungszuges 1.d4 zusammengestellt. Erreichen möchte er vom einfachen Klubspieler bis zum sehr spielstarken Schachfreund alle, die ein in sich stimmiges Repertoire suchen, ohne immens viel Zeit und Geld in Spezialliteratur zu investieren. Das Motto, das Repertoire einfach zu halten („keep it simple“) versteht er darin, dass alle vorgeschlagenen Wege leicht zu erlernen sind, der Spieler auch ohne Erinnerung an bestimmte Züge seinen Weg in der Partie finden kann und die Alternativen möglichst unbequem für den Gegner sein sollen.

Zum Eingangszug 1.e4 hat Sielecki bereits ein ähnlich motiviertes Repertoire veröffentlicht. „Keep It Simple: 1.d4“ unterscheidet sich von seinem Pendant allerdings erheblich. Hierauf gehe ich in der Folge an verschiedenen Stellen etwas detaillierter ein.

Erschienen ist das neue Werk bei New In Chess (NIC).

Der zentrale Aufbau, also quasi der Kitt zwischen den einzelnen Systemen, ist die weiße Aufstellung mit Sf3, g3, Lg2 und 0-0. Zumeist schließt sich c2-c4 an. Wenn Sielecki hierauf verzichtet, dann begründet er dies nachvollziehbar, so etwa im Spiel gegen die Königsindische Verteidigung.

Methodisch arbeitet Sielecki mit Szenarien. Der Leser erhält einen Stellungstypus, die sich für ihn ergebenden insbesondere strategischen und auch taktischen Erwägungen und auf diese gestützt die Pläne für den Spielaufbau werden daraus abgeleitet. Das Verständnis für die Situation soll ihn befähigen, systemgerechte Züge zu finden, selbst wenn er eine eingeprägte Variante vergessen haben sollte. Indem der Grundaufbau unabhängig von der Eröffnungswahl des Gegners angestrebt wird (nach 1…d5, 1…Sf6 und auch anders), ergeben sich ähnliche Probleme und Lösungen in den verschiedenen Systemen, so dass der Weißspieler entsprechend profitieren kann. Dies gilt für die Arbeit an seiner Theorie wie auch für den Aufbau von Erfahrung.

Sehr gut gefällt mir, dass Sielecki genau hierauf auch konkret eingeht. Bisweilen zeigt er auf, dass eine leichte Umstellung von Figuren o.ä. zum Aufbau in einer anderen Eröffnung führt.

Ein Nachteil des Repertoires mag darin liegen, dass man als Weißspieler berechenbarer wird. Ob dies für einen selbst ein Manko sein kann, muss jeder Leser für sich entscheiden.

Sielecki erklärt sehr intensiv. Damit unterstreicht er den sich selbst gesetzten Anspruch, dem Leser das Verständnis für die Systeme zu vermitteln, um ihn zu gut begründeten Entscheidungen in seinen Partien zu befähigen. Bisweilen zeigt er die Möglichkeit auf, mit eigenen Analysen vertieft weiter einzusteigen. Dies gilt auch für von Weiß eingeleitete Varianten, sofern er sie nicht empfiehlt beziehungsweise nicht weiter behandelt.

Mit dem Übergang ins Mittelspiel beendet Sielecki seine Darstellungen regelmäßig. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Leser gut in seine Partie gekommen. Indem er sich mit den weiteren Konsequenzen selbst befasst, z.B. unter Rückgriff auf Partien seiner Datenbank, kann er das Verständnis verstärken und bis ins Endspiel hinein sich ergebende typische Strukturen erkennen.

Vollständige Partien enthält „Keep It Simple: 1.d4“ nicht, der Leser erhält somit „Theorie pur“. Allerdings greift Sielecki zumeist auf Beispiele aus der Praxis zurück, so dass Theorie und Praxis gewissermaßen verschmelzen.

Anders als nach 1.e4 ist der Fächer der schwarzen Systeme nach 1.d4 sehr breit, worauf Sielecki ausdrücklich hinweist. Während nach beispielsweise 1.e4 c5 die Richtung der Partie bereits relativ klar ist, kann nach beispielsweise 1.d4 Sf6 noch überhaupt nicht abgesehen werden, welche Eröffnung schließlich die Kopfdaten der Partie ausweisen werden. Entsprechend braucht er den Raum für die Theorie.

„Keep It Simple: 1.d4“ ist in vier Teile mit insgesamt 35 Kapiteln gegliedert. Die Überschriften der Teile zeigen bereits die Grobstruktur der Szenarien an. Diese sind:

Teil 1: Black’s classical/symmetrical set-ups: 1.d4 d5 2.Sf3
Teil 2: Black’s …g7-g6 based set-ups: 1.d4 Sf6 2.Sf3 g6 3.g3
Teil 3: Black’s flexible set-ups: 1.d4 Sf6 2.Sf3 e6 3-g3
Teil 4: Black’s sharp and offbeat defences. Hier sind Benoni-Abspiele, Holländisch, Altindisch und seltene Spielweisen zu finden.

Die Kapitel werden mit Informationen zu den wesentlichen Aspekten des besprochenen Systems eingeleitet. Strategische und taktische Erwägungen sowie abgeleitete Pläne werden dem Leser bereits hier angeboten. Eine wertende Zusammenfassung bildet den Abschluss eines Kapitels.

Es ist einiges an englischsprachigem Text im Werk zu verarbeiten. Dennoch sind die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers moderat. Dies liegt am Wortschatz, der auf selten verwendete Ausdrücke verzichtet, wie auch am übersichtlichen Satzbau.

Fazit: „Keep It Simple: 1.d4“ ist ein sehr gelungenes Repertoirebuch. Wer mit 1.d4 eröffnen möchte, auf der Basis gleichartiger Szenarien in seinen Partien und eines eigenen Verständnisses planvoll spielen möchte und zugleich seinen Aufwand an Zeit und Geld begrenzen möchte, ist mit diesem Werk bestens ausgerüstet.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Royal Chess Couple in Action

Hans Böhm & Yochanan Afek
The Royal Chess Couple in Action
384 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-94-9251-057-0
30,91 Euro



The Royal Chess Couple in Action


„The Royal Chess Couple in Action“ ist die englischsprachige Übersetzung des 2014 in Niederländisch erschienenen Buches „Wij presenteren de koning en de koningin“. Die Autoren sind Hans Böhm und Yochanan Afek, der herausgebende Verlag ist Thinkers Publishing aus Belgien.

Wenn man beide Buchtitel miteinander verschmilzt und ins Deutsche übersetzt, lässt sich erkennen, was die Verfasser zum Kern ihrer Arbeit erkoren haben. Sie präsentieren König und Dame im Praxiseinsatz.

In einem ersten Teil richten sie den Scheinwerfer auf den König. Es gibt 240 Beispiele für den König in Aktion, verteilt auf 60 verschiedene Themen bzw. Motive. Wer schnell mitgerechnet hat, kommt im Durchschnitt auf vier Beispiele je Motiv. Das Werk ist strikt durchorganisiert; es sind exakt vier Beispiele, die Böhm und Afek jedem Motiv widmen. Zu diesen zählen Standardmäßiges wie „Opposition“, „Patt in Bauernendspielen“ und „offene Angriffslinien“, aber auch Geheimnisvolles wie „Bypass“, „es lebe der kleine Unterschied“ und „lächelnde Könige“, worunter sich auch mit Fantasie nicht wirklich etwas Konkretes vorstellen lässt.

Jedes Beispiel wird mit einer Angabe zur Quelle (Bezeichnung einer Partie nach Spielern, Veranstaltung und Jahr, Verfasser einer Problemstudie, Veröffentlichung und Jahr u.ä.) und einem Diagramm zur Startaufstellung eingeführt. Mit zumeist einem oder zwei Sätzen wird der Leser im Anschluss auf die vorgestellte Aktion fokussiert, sofern das Beispiel nicht sofort mit der Zugfolge startet. Die Hauptzüge und die Nebenvarianten/Analysen ergänzen sich zu dem herkömmlichen Bild einer kommentierten Partie.

Im zweiten Teil befassen sich die Autoren mit der Dame im Praxiseinsatz. Die vorstehenden Ausführungen zum König sind 1 zu 1 auf die Dame übertragbar.

Das Buch ist überaus unterhaltsam. Dies geht in erster Linie auf die Ideen, überraschenden Wendungen und die Kniffe in den behandelten Beispielen zurück, hängt aber auch mit den kurzen und erfrischenden Texten zusammen, die Böhm und Afek jeweils einstreuen. Ein einfaches und stichprobenartiges Beispiel dazu: Auf Seite 205 findet sich unter der Nummer 234 zum König die folgende Einleitung, sinngemäß übersetzt: „Weiß nimmt seinen letzten Zug zurück und setzt in einem Zug matt – Hey, das ist einfach. Ich nehme 1.0-0 zurück und (…). Dies ist nicht die Lösung, denn der König kann nur via (…) nach (…) gekommen sein. (…) Deshalb ist die Rochade illegal. (…).“ Nun darf der Leser weiterknobeln.

Dieses Beispiel zeigt zugleich, dass nicht stereotyp Ressourcen für Partiemanöver dargestellt werden, sondern das logische Denken im Schach auch auf andere Weise gefordert wird.

„The Royal Chess Couple in Action“ darf nicht mit einem Buch verwechselt werden, das Schachaufgaben stellt und im Anschluss daran die Musterlösungen präsentiert. Die dargestellten Beispiele sind, wenn man es so will, zugleich Aufgabe und Lösung, allerdings ohne dass dies als Prinzip verfolgt wird. Die Autoren „präsentieren“ den König und die Dame im Praxiseinsatz, sie lehren nicht. Dennoch sind die meisten Beispiele auch ein Studienmaterial. Wer sie intensiv durchdenkt, hat die Chance zu einer Verbesserung seiner Spielstärke. Wer Schach lehrt oder als Trainer arbeitet, bekommt mit diesem Buch eine Fülle an gehaltvollem Material in die Hand.

Die meisten Beispiele sind von einem halbwegs erfahrenen Spieler ohne ein Brett zu verstehen. So eignet sich das Buch auch für Situationen zwischendurch, z.B. im Garten, im Zug oder in der Mittagspause.

Wenn ich eingangs angemerkt habe, dass die Buchbeispiele u.a. herkömmliche Themen beinhalten, so heißt dies nicht, dass die Autoren mit ihnen alten Wein in neuen Schläuchen anbieten. Vielmehr bergen auch diese viel Überraschungspotenzial. So enthält das Werk zum Motiv „Festungsbau“ das schönste Beispiel, das ich je gesehen habe. Es zeigt zudem den Tellerrand auf, den ich selbst bisher nicht überwunden habe. In diesem Beispiel – zu finden ist es auf Seite 172 (Beispiel 193) – ist Weiß die schwächere Partei und würde im Kampf Springer mit zwei Bauern gegen Turm mit zwei Bauern normalerweise verlieren. Es gelingt ihm aber eine Art offensive Festung zu bauen, die Schwarz nicht brechen kann. Das Besondere daran ist, dass nicht die schwarzen Kräfte das Brett dominieren und Weiß sich verbarrikadiert, sondern die Festung darauf basiert, dass Weiß dem Gegner keine Möglichkeit zum Verlassen seines engen Brettareals lässt. Ein faszinierendes Manöver!

Die ersten rund 14 Seiten widmen die Autoren einer Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Schachspiels. Der Leser erfährt etwas über Vorläufer bis hin zur Entwicklung der Figuren, wie wir sie heute kennen. Dabei beschränken sie sich übrigens nicht auf die Dame, die erst vor ein paar Hundert Jahren von einer schwachen zur wirkungsvollsten Figur „befördert“ wurde, und den König, sondern weiten den Blick des Lesers. Zwei Abbildungen, eines davon ein Foto, ergänzen den Text. Auch ein sich sonst eher wenig für Schachgeschichte interessierender Leser dürfte Gefallen an den auf das Wesentliche konzentrierten Informationen in diesem Teil finden.

Noch ein paar Worte zu den Autoren: Hans Böhm und Yochanan Afek sind beide Internationale Meister. Ebenso sind beide erfahrene und anerkannte Autoren. Dies wird in „The Royal Chess Couple in Action“ durchgehend deutlich.

Auch „technisch“ weiß das Werk zu überzeugen. Ein sauberer Druck auf Hochglanzpapier, ein ausreichend stabiler Karton als Einband sind ein solider Rahmen.

Die Anforderungen an die Englischkenntnisse des Lesers sind nicht allzu hoch. Vom einleitenden geschichtlichen Abriss abgesehen sind die Texte überwiegend kurz und einfach gehalten. Schulenglisch reicht allemal aus.

Fazit: „The Royal Chess Couple in Action“ ist ein unterhaltsames Werk für überall, das dem Leser zudem „learning by doing“ ermöglicht. Es ist eine klare Kaufempfehlung und auch als Geschenk geeignet.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Daniel King- Sultan Khan

Daniel King
Sultan Khan- The Indian Servant Who Became Chess Champion of the British Empire
384 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-874-3
29,39 Euro



Sultan Khan- The Indian Servant Who Became Chess Champion of the British Empire

Ich hatte meine Rezension über die Neuerscheinung „Sultan Khan“ mit dem Untertitel „The Indian Servant Who Became Chess Champion of the British Empire“ von GM Daniel King, New in Chess (NIC) 2020, so gut wie fertig, als ich die Zeitschrift KARL, Ausgabe 2/2020, erhielt. Darin fand ich eine Besprechung des Werkes von Stefan Löffler, die mich veranlasste, meine Arbeit konzeptionell anders auszurichten und inhaltlich etwas zu ändern.

Beim besprochenen Buch handelt es sich um eine Biografie über Sultan Khan, der vor rund 90 Jahren zu den besten Spielern der Welt zählte, aufgrund eines außergewöhnlichen Werdegangs seiner Karriere Bewunderung auslöste und einige Rätsel aufgab und wegen seiner besonderen Persönlichkeit bis heute Faszination auslöst. „Sultan“ ist übrigens Bestandteil des Namens und nicht etwa der Herrschertitel.

Daniel King hat eine immense Fleißarbeit geleistet und sich offenkundig bemüht, sehr viele Informationen zu Sultan Khan zusammenzutragen. So erfährt der Leser auch zahlreiche Details aus dessen Leben und im Zusammenhang mit seinen Partien und den Turnieren, an denen er insbesondere in Europa teilgenommen hat. Entsprechend ist das neue Werk eine klare Bereicherung der Schachliteratur und ein wichtiger Beitrag gegen das Vergessen Sultan Khans, einer besonderen Persönlichkeit im Schach.

So kann ich bestätigen, dass Daniel King eine insgesamt beeindruckende Recherchearbeit geleistet hat, ohne allerdings einen Kontakt zu den Nachkommen Khans herzustellen. Ich habe im Buch keine Anhaltspunkte zum hierfür ursächlichen Grund gefunden, ob er also beispielsweise erfolglos Nachfahren gesucht oder einen solchen Kontakt von vornherein nicht erwogen hat. In der Konsequenz sind inzwischen Zweifel an der Richtigkeit einiger Angaben im Werk geäußert worden.


Nach Angaben einer Enkelin Khans, die sich kürzlich öffentlich zu Wort gemeldet und zu der KARL Kontakt aufgenommen hat, sind zum Teil auch wesentliche Angaben in „Sultan Khan“ nicht korrekt, obwohl sie dem Stand aktueller Quellen entsprechen. Hierzu sollen u.a. zählen: ein falsches Geburtsjahr, fehlerhafte Angabe zu den wirtschaftlichen Verhältnissen, Bildungsstand und Todesursache sowie Staatsbürgerschaft bzw. ethnische Zugehörigkeit. Zudem soll Khan im Gegensatz zum verbreiteten Wissen kein Diener gewesen sein. Dieser Fehler soll darauf zurückgehen, dass Reuben Fine seinerzeit eine Situation falsch interpretiert hat.
Im Ergebnis zeigt sich hier ein Dilemma, das sich auch auf das besprochene Werk ausgewirkt haben kann. Wenn genutzte Quellen fehlerhafte Angaben enthalten können und sich diese Möglichkeit im Nachhinein durch neu hinzutretende Quellen zeigt, kann dies zu Zweifeln an einem Buch wie „Sultan Khan“ führen. Diese Entwicklung hat Stefan Löffler in KARL aufgegriffen.

Vielleicht bringt eine angekündigte „offizielle“ Biografie über Sultan Khan mehr gesicherte Erkenntnisse. Als Konsequenz habe ich mit Ausnahme der folgenden alle Ausführungen zu biografischen Aussagen, die Daniel King im Buch jenseits von Partien und Partieverläufen getroffen hat, aus dieser Rezension gestrichen.
Es ist schon sehr wichtig auch vor dem Hintergrund einer Betrachtung der Leistungen von Sultan Khan am Brett, ob er ein Diener war oder nicht. An der zutreffenden Antwort auf diese Frage macht sich auch eine Nuance in der Würdigung dessen Leistung am Schachbrett fest. Hierzu schreibt Daniel King, sinngemäß aus dem Englischen übersetzt, auf Seite 350 etwa wie folgt:

„Das Schachspiel war vielleicht der einzige Teil seines Lebens, in dem Khan sich vollständig entfalten konnte. Am Schachbrett hatte er die Freiheit, seine eigenen Entscheidungen zu treffen, seinen eigenen Weg zu wählen und sein Schicksal selbst zu schmieden. Doch diese Freiheit wurde durch die Erwartungen seines Meisters (…) belastet. Wenn Khan am Schachbrett erfolglos war, zog dies dessen Enttäuschung nach sich; hatte er aber Erfolg, so stieg dessen Erwartungshaltung und der Druck auf Khan (…) wurde größer. (…) In diesem Fall spielte Sultan Khan nicht nur für sich selbst, sondern für die Person, der er seine gesamte Karriere verdankte: (…) Stellen Sie sich vor, Sie spielen eine entscheidende Partie unter den Augen Ihres Herrn und des Gefolges, die jeden Schritt beobachten.“

Wenn Sultan Khan tatsächlich kein Diener war, so ist die gegenteilige Auffassung ein verbreiteter Irrtum. An diesem hält Daniel King fest und zieht seine Schlüsse daraus auf Khans Leistungen am Brett.
Dies sieht Stefan Löffler in seinem Artikel in KARL wohl anders, wenn er in der Überschrift schreibt: „Sultan Khan war kein Diener. (…) Weitere Irrtümer rückt die Biografie von Daniel King allerdings nicht zurecht.“

Der Leser findet mehr als 120 kommentierte Partien und Partiefragmente im Buch, von denen etliche bisher unveröffentlicht bzw. bis dahin unbekannt waren. Neben der Würdigung der Leistung Khans steht bei den Anmerkungen die Unterhaltung im Vordergrund. Wer gerne interessante und griffig kommentierte Partien nachspielt, kommt hier voll auf seine Kosten. Diese entscheiden sich oft im fortgeschrittenen Duell, nach einer von Khan schlecht gespielten Eröffnung. In einigen Fällen stand er mit Eintritt ins Mittelspiel mehr oder weniger auf Verlust. Er hatte die Regeln des Schachspiels, wie wir es kennen, erst kurz vor seiner Reise nach Europa erlernt. Bis dahin hatte er nur die in seiner Heimat verbreitete Form des Spiels gekannt, die wohl deutlich behäbiger ablief, etwa weil man beispielsweise die Rochade nicht kannte und es auch keinen Doppelschritt des Bauern gab. Wenn man bedenkt, dass Khan seine Partien ohne „echte“ Eröffnungskenntnisse spielen musste, verdienen seine Erfolge noch mehr Anerkennung und Respekt. Zu diesen zählte insbesondere auch sein Titel „Champion of the British Empire“.

In seinem Vorwort macht der ehemalige Weltmeister Viswanathan Anand auf Parallelen und auch Unterschiede zu seiner eigenen Karriere aufmerksam. Ich habe selten ein dermaßen empathisches Vorwort gelesen.

Ab dem Mittelspiel spielte Khan ideenreich, intuitiv und nach unserer Auffassung modern. Sein Stil ist von einem klaren Siegeswillen geprägt. King hat die Besonderheiten seines Spiels aus meiner Sicht sehr gut herausgearbeitet. Wenn er aus einer schlechteren Position heraus doch noch einen Erfolg verbuchen konnte, war dies nicht generell das Ergebnis kapitaler Fehler auf der Seite seiner Gegner, sondern einer kontinuierlichen Verbesserung seiner Lage.

Der Leser erhält zahlreiche Informationen zu Spielern der damaligen Zeit, die Sultan Khans Weg gekreuzt haben, insbesondere auch jenen von der britischen Insel. Für mich war einiges neu dabei, zumal auch Spieler darunter sind, deren Namen man zwar kennt, über die bei uns aber noch nicht allzu viel zu lesen war.
King geht auf Turniere ein, auf die Schachszene, auf gesellschaftliche Verhältnisse und manches mehr. Er hat Pressemeldungen aufgenommen und zitiert bekannte Schachgrößen der damaligen Zeit. Da man immer wieder auf Neues stößt, wird das Blättern und Lesen im Werk nie langweilig. Einige historische Fotos haben Eingang gefunden, die einen Blick in die Vergangenheit unterstützen.

Ein Foto, das mir allerdings schon vor meiner Arbeit mit dem Buch bekannt war, fasziniert mich ganz besonders. Es zeigt Sultan Khan mit einem Turban am Brett, sein Gegner ist Savielly Tartakower. Dieses Foto ist ein Sinnbild für mich, wie schön das Schachspiel Menschen und Kulturen zusammenführt.

Daniel King hat „Sultan Khan“ in seiner Muttersprache verfasst. Es gilt reichlich Text zu lesen und zu verstehen. Deshalb ist es schon von Vorteil, wenn der Leser über ordentliche Fremdsprachkenntnisse verfügt.

Fazit: „Sultan Khan - The Indian Servant Who Became Chess Champion of the British Empire“ ist ein Buch, das eine echte Lücke in der Schachliteratur füllt. Es ist das Ergebnis einer erkennbar intensiven Recherchearbeit, die viele neue Details erbrachte und zusammenführte, aber mehrere möglicherweise falsche Aussagen nicht vermeiden ließ. Diese Fehler wären bei einem Zutreffen der Behauptungen Mängel in einem ansonsten gelungenen und begrüßenswerten Buch, bei dem das Licht den denkbaren Schatten deutlich überwiegt. Ich kann den Kauf des Buches empfehlen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Kandidatenzüge- Die Methode eines Großmeisters

Christian Bauer
Kandidatenzüge- Die Methode eines Großmeisters
421 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-94-9251-067-9
29,39 Euro



Kandidatenzüge- Die Methode eines Großmeisters

„Kandidatenzüge“ mit dem Untertitel „Die Methode eines Großmeisters“ ist die deutsche Übersetzung“ der 2018er Neuerscheinung „Candidates Moves“ des französischen Großmeisters Christian Bauer. Wie das englischsprachige Original hat auch das neue Werk der Verlag Thinkers Publishing aus Belgien herausgegeben.

Über „Candidates Moves“ habe ich in 2018 eine Rezension geschrieben. Diese lege ich der Besprechung des neuen Werks zugrunde, wobei ich auf Unterschiede aufmerksam mache.

Während das Original 405 Seiten umfasste, ist die deutsche Ausgabe 421 Seiten stark. Dies scheint eine Aufstockung des Inhalts anzudeuten, die aber nicht erfolgt ist.

Zunächst ein paar Worte zur Übersetzung: Diese ist nicht durchgängig gut gelungen. Insgesamt ist das sprachliche Erscheinungsbild bisweilen etwas irritierend. Das Werk ist mit Rechtschreibfehlern durchsetzt (insbesondere zur Zeichensetzung und zur Groß- und Kleinschreibung); inhaltlich vermittelt es bisweilen den Eindruck, als sei es ohne Berücksichtigung der jeweiligen sprachlichen Gepflogenheiten und somit eher „mechanisch“ übersetzt worden.
Aufgefallen ist mir die Problematik bereits anhand des Rückentextes. Nach meiner daraufhin erfolgten Recherche ist die Übersetzerin deutschsprachig und Schachspielerin. So finde ich keine Erklärung für meine Feststellung.

Ich bin froh über jedes Schachbuch, das in Deutsch erscheint, im Original und übersetzt. So möchte ich diese Ausführungen auch nur als Hinweis aufgenommen sehen, fehlen darf er aber nicht. Ich persönlich würde deswegen nicht von einem Kauf Abstand nehmen. Demjenigen, der über ordentliche Fremdsprachkenntnisse verfügt und sich den Umgang mit dem Original zutraut, empfehle ich jedoch eher dieses.

Zum Abschluss zwei Zitate von Stellen, die ich zur Veranschaulichung aufnehme und nicht etwa als extreme Beispiele gesucht habe.

Zitat 1 (wort- und satzzeichengetreu), Seite 165:
„Nicht der geilste Zug, da die lange Diagonale momentan gestoppft ist.
Andere Läuferzüge machten ebenfalls Sinn, sowie der ziemlich abstrakte 13.Lh3; Und 13.Lf4, wonach Schwarz über den zweischneidigen Zug 13…g5!? verfügen würde. Dieser Vorstoß wirft den gegnerischen Läufer aus seinem idealen Post weg, schafft aber auch ein Ziel in dem schwarzen Lager.“

Zitat 2, Seite 193:
„Ein Dauerthema beim Schach ist die Dichotomie zwischen „forcierten Varianten“ und „Manöverpartien“. Während die erstgenannten eine gute Vorbereitung verlangen, liegt ein möglicher Nachteil des zweiten Ansatzes in der Tatsache, dass sie häufig dem Gegner eine größere Freiheit in seinem Spiel erlauben.“
Bei diesem Beispiel wird mir der beabsichtigte Sinn nicht klar.

Die folgenden Ausführungen sind Auszüge oder Anleihen aus meiner Rezension zum englischsprachigen Original.

Bauer ist ein bemerkenswertes Buch gelungen. Unter dem interessanten Ansatz, Partien separat und nebeneinander aus weißer und schwarzer Sicht intensiv zu betrachten, hat er 41 eigene Duelle ausgewählt, die er ausführlich bespricht. Wenn man so will, enthalten die mehr als 400 Buchseiten 82 kommentierte Partien, wobei sich paarweise aber nur die Anmerkungen unterscheiden, nicht aber die Spiele selbst.

Bauer hat „Kandidatenzüge“ in vier Abschnitte mit den folgenden Überschriften gegliedert:
1. Die Zutaten für Qualitätsopfer,
2. Wie man taktisches Chaos beherrscht,
3. König im Zentrum
4. Ruhigere Partien.

Der Buchtitel verleitet zu der Annahme, dass das Prinzip des Erkennens und Bewertens von Zügen, die als Fortsetzung in Betracht kommen (Kandidatenzüge) lehrbuchartig behandelt wird. Dies ist aber nicht der Fall. Bauer hat die Partien ganzheitlich kommentiert, was einerseits heißen soll, dass diese von der Eröffnung bis zum Endspiel durchkommentiert sind, und andererseits auch die thematische Behandlung einbezieht. Der Leser findet quasi alles in Sachen Strategie und besonders Taktik angesprochen, was in einer Partie nach Einschätzung des Autors von Bedeutung war. Dabei sondiert er als Schwerpunkt das Umfeld und Methoden, die sich mit Kandidatenzügen verbinden.

Die Kapitel 1 bis 3 sind vergleichbar aufgebaut. In einer Einführung geht Bauer besonders auch auf die einzelnen Partien ein, die in der Folge - zunächst mit Weiß, dann mit Schwarz - behandelt werden, und lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers so auf deren wesentliche Merkmale des Kampfes. Bisweilen finden auch hier schon kurz Methoden Erwähnung, die Bauer selbst zur Kandidatenauswahl einsetzt. Dies gilt beispielsweise für seinen Ansatz, die Merkmale einer Stellung herauszuarbeiten, die er zur Grenzziehung gerade noch so akzeptieren würde. Im Wesentlichen kommen die Methoden allerdings im Rahmen der Besprechung der Partien zum Zuge.
Das Kapitel 4 ist eine Sammlung von Duellen, für die es keine thematische Überschrift gab. Als Kriterien für seine Auswahl gibt Bauer die Komplexität des Mittelspiels mit beiderseitigen Möglichkeiten und das Spiel abseits der gut bekannten Pfade der Theorie an.

Eigentlich weiß jeder erfahrene Schachspieler, dass die Beurteilung einer Stellung im Ergebnis auch abhängig davon sein kann, ob man die weiße oder die schwarze Brille aufhat. Dennoch hat es mich überrascht, wie klar diese Unterschiede bisweilen auftreten und wie erhellend es bei einer Stellungseinschätzung wirken kann, wenn man sich genau dies dabei bewusst macht. Es ist eben beispielsweise ein immenser Unterschied, ob man einen Bauernvorstoß nach Kräften durchsetzen oder diesen eben genauso nach Kräften verhindern will.

Wer sich mit „Kandidatenzüge“ eingehend befasst, wird sein generelles Schachverständnis schärfen, vielleicht auch erweitern. Das Schachspiel erscheint in den einzelnen Partien „in einem Guss“, es wird nicht in einzelne strategische und taktische Elemente zerhackt. Wenn sich beispielsweise in einem Duell des ersten Abschnitts die Gelegenheit zu einem Qualitätsopfer zeigt, so kommt diese nicht über die Spieler wie ein plötzlicher Schauer Regen, sondern logisch und folgerichtig aus den Zusammenhängen zuvor heraus. Die Möglichkeit ist absehbar und beeinflussbar, sofern man die Zusammenhänge erkennt und entsprechend korrekt wertet.

Nicht vergessen möchte ich den Unterhaltungswert des Werkes. Wer gut kommentierte Partien mag, kommt mit „Kandidatenzüge“ voll auf seine Kosten. Im Wesentlichen bleibt Bauer in der Kommentierung bei den Aspekten des Spiels, er setzt also nicht etwa gezielt auf narrative Elemente, auch wenn diese nicht vollständig fehlen. Aber gerade auch der erhebliche Textanteil in den Erläuterungen sorgt dafür, dass man sich als Leser gut in die Gedankenwelt der beiden Spieler hineinversetzen kann.


Fazit: „Kandidatenzüge, Die Methode eines Großmeisters“ war schon in seiner englischsprachigen Originalfassung eine echte Bereicherung des Büchermarktes. Dies gilt nun auch für den deutschsprachigen Büchermarkt, auch wenn sprachlich bei diesem Werk nicht alles gelungen ist.
Sein besonderes Kennzeichen liegt darin, dass alle aufgenommenen Partien doppelt vorkommen, in unterschiedlichen Kommentierungen aus weißer und aus schwarzer Sicht. Vor allem fördern kann es das generelle Schachverständnis des Lesers. Ich kann diese Neuerscheinung zum Kauf empfehlen, insbesondere wenn der Kauf des Originalwerkes wegen unzureichender Englischkenntnisse nicht in Betracht kommt.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Sicilian Defense- The Chelyabinsk Variation: Its Past, Present and Future

Gennadi Timoshchenko
Sicilian Defense- The Chelyabinsk Variation: Its Past, Present and Future
440 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-941270-54-7
31,95 Euro



Sicilian Defense- The Chelyabinsk Variation: Its Past, Present and Future

Ich beginne meine Rezension über das bereits im Dezember 2018 veröffentlichte Werk „Sicilian Defense- The Chelyabinsk Variation: Its Past, Present and Future“ von Gennadi Timoshchenko mit einem abgewandelten Zitat: Spieglein, Spieglein an der Wand, welches Eröffnungsbuch hat die meisten Kapitel im Land? Diese Anleihe bei einem Märchen mag als Einleitung etwas eigenwillig erscheinen, doch irgendwie passt sie gut zu diesem Buch. Und dies hängt nicht nur damit zusammen, dass es mit der immensen Zahl von 200 Kapiteln aufwartet …

Auf 440 Seiten befasst sich Timoshchenko, slowakischer GM mit russischen Wurzeln, mit dem im Westen als Sweschnikow-Variante bezeichneten System, das über die Eingangszüge 1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 e5 entsteht. Es ist auch noch unter weiteren Bezeichnungen bekannt, so u.a. als Lasker-Pilnik-Variante oder als Lasker-Pelikan-Variante. In seinem Titel verwendet das Buch den russischen Namen.

Die Sweschnikow-Variante zählt heute zu den beliebtesten Spielweisen unter dem Dach der Sizilianischen Verteidigung. Dies gilt nicht zuletzt für das Fernschach. Schwarz macht aus positioneller Sicht Zugeständnisse, erlangt darüber aber zugleich aussichtsreiche Gegenchancen. Das Spiel zeigt bisweilen einen komplizierten Charakter, was erklären mag, dass manche Spielweisen im Fernschach beliebt sind, während sie im Duell Auge in Auge kaum oder nicht vorkommen. So findet man geeignete Wege, die ein Spielen auf Sieg mit einem (höher) dosierten Risiko unterstützen oder aber geeignet sind, ein weitgehend sicheres Remis anzusteuern.
Gewissermaßen seinen aktuellen Ritterschlag erhielt das System, als es 2018 im WM-Kampf zwischen Caruana und Carlsen zum Einsatz kam.

Offenkundig neidet Timoshchenko dem Namenspaten der Eröffnung, Jewgeni Sweschnikow, diese „Verewigung“. Zumindest beklagt er, dass sein eigener Name in der Bezeichnung des Systems fehlt. Für angebracht hält er eine Benennung als Sweschnikow-Timoshchenko-Variante oder in der umgekehrten Reihenfolge der Namen als Timoshchenko- Sweschnikow-Variante. Auch vor diesem Hintergrund des gewissen Neides passt das einleitende Schneewittchen-Zitat, das ich damit dann aber auch wieder in die Märchenkiste zurück verbannen möchte.

Die kritische Auseinandersetzung mit Empfehlungen anderer Autoren gehört zum Wesen eines Eröffnungsbuches. Timoshchenko aber fokussiert sich derart auf Sweschnikow und ein von diesem 1988 veröffentlichtes Buch über die Sweschnikow-Variante, dass ich es zunehmend als störend empfunden habe. Es ist schade, dass „Sicilian Defense- The Chelyabinsk Variation (…)“ teilweise wie eine Abrechnung mit einem Rivalen wirkt und dadurch Vorbehalte gegen sich selbst bei einem Leser wie mir erzeugt, weil es Zweifel an der Objektivität der Betrachtungen provoziert. Ohne das Gesamtergebnis vorwegnehmen zu wollen: Ich bin von diesem Werk sehr angetan, allerdings hätte der Autor ihm einen Gefallen getan, wenn er es menschlich neutraler verfasst hätte.

Dieses Buch ist kein typisches Eröffnungsbuch, was auch der Zusatz des Titels „Its Past, Present and Future“ anzeigt. Timoshchenko befasst sich mit der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft der in Augenschein genommenen Spielweise. Eine Portion Vergangenheitsbewältigung ist auch damit verbunden, denn er sieht sich von den damaligen sowjetischen Funktionären benachteiligt und macht dies für einige negative Erfahrungen verantwortlich.

So erhält der Leser ein „Eröffnungsbuch XXL“, das einerseits eine monografische Darstellung der Sweschnikow-Variante anbietet und andererseits viele Informationen – von den Sichtweisen des Autors geprägt – zu ihrer Entwicklung, zu Spielern, zum politischen System der früheren Sowjetunion und zur Arbeit von Schachfunktionären usw.

Timoshchenko, Jahrgang 1949, ist fachlich sicher einer der bestgeeigneten Autoren für die Sweschnikow-Variante. Er gehört zu deren Protagonisten und hat viel zu ihrer Entwicklung beigetragen. Entsprechend kann er auf eine jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen, die sich sowohl auf die Praxis als auch die theoretische Auseinandersetzung mit den „Tücken“ des Systems bezieht. Also auf den Punkt gebracht: Hier schreibt ein absoluter Insider!

Dass in diesem Werk Analyseergebnisse aus einem Erfahrungsschatz stammen, lässt sich auch als Indiz aus Timoshchenkos Angabe ableiten, dass die von ihm unterstützend genutzte Hard- und Software nicht mehr dem entspricht, was heute technisch an vorderster Front eingesetzt wird. So hat er die rechnerische Exaktheit mit Houdini 2 überprüft.

Ich halte es übrigens für unzulässig, hieraus die Unterstellung abzuleiten, das Buch sei inhaltlich veraltet. In der Hand eines Experten wie Timoshchenko und in Symbiose mit dessen herausragenden Fähigkeiten und Kenntnissen ist Houdini 2 sicherlich ein überaus leistungsstarkes Werkzeug. Natürlich stammen die Analyseergebnisse nicht zuletzt aus früheren Sitzungen; sonst wären sie wohl kaum „Erfahrung“. Und Timoshchenko würde sie wohl auch kaum über den Haufen werfen (müssen), wenn er beispielsweise Stockfish gegenrechnen lassen würde. Die menschliche Komponente, der Autor selbst, bleibt. Zudem wäre es weltfremd zu glauben, dass irgendein Autor über Jahre hinweg an einem solchen Monumentalwerk wie „Sicilian Defense- The Chelyabinsk Variation (…)“ arbeitet und dann zum Redaktionsschluss noch einmal alle Analysen mit einer inzwischen aktuell gewordenen Engine überprüft.

Ich habe die Aktualität dieses Werkes anhand der Partien der letzten Jahre im Fernschach und im Brettschach überprüft. Dabei konnte ich teilweise auf Erfahrungen aus meinen eigenen Partien im Fernschach sowie die dazu vorgenommenen Analysen zurückgreifen. Ein Zwischenfazit dazu: „Sicilian Defense- The Chelyabinsk Variation (…)“ ist eine Arbeit, die den aktuellen Stand zur Sweschnikow-Variante darstellt und die Theorie in vielen Zweigen weiterbringt (dazu weiter unten mehr).

Die exorbitant hohe Zahl an Kapiteln geht darauf zurück, dass so gut wie jeder beachtenswerte Zweig des Systems entsprechend abgesetzt behandelt wird. Dieses Vorgehen hat zwei Seiten. Die Erörterung dieses Zweigs bleibt auch dann übersichtlich, wenn sie sehr ins Detail geht und Analysen eine außergewöhnliche Tiefe erreichen. Allerdings ist das Auffinden einer gesuchten Variante etwas mühseliger, weil das Auge über viele Stationen hinwegfahren muss. Somit ist die Orientierung im Buch als solchem insgesamt etwas schwieriger.

Vorteilhaft ist die Zuordnung der Kapitel zu 12 Abschnitten im Werk. Diese sind:
1. Abweichungen von der Hauptvariante im 6. Zug
2. Weiße Möglichkeiten nach 6…d6 (ohne 7.Lg5)
3. 7.Lg5 ohne 7…a6 8.Sa3
4. 7.Lg5 a6 8.Sa3 ohne 8…b5 9.Lxf6 gxf6 10.Sa3 f5 oder 9.Sd5
5. 8…b5* 9.Lxf6 gxf6 10.Sd5 f5 ohne 11.Ld3
6. 9.Lxf6 gxf6 10.Sd5 f5 11.Ld3 ohne 11…Le6 12.0-0
7. 9.Lxf6 gxf6 10.Sd5 f5 11.Ld3 Le6 12.0-0
8. 9.Sd5 ohne 9…Le7 10.Lxf6
9. 9.Sd5 Le7 10.Lxf6 Lxf6 ohne 11.c3 0-0
10. 9.Sd5 Le7 10.Lxf6 Lxf6 11.c3 0-0 ohne 12.Sc2 Lg5
11. 9.Sd5 Le7 10.Lxf6 Lxf6 11.c3 0-0 12.Sc2 Lg5 ohne 13.a4 bxa4 14.Txa4 a5 15.Lc4 Tb8
12. 9.Sd5 Le7 10.Lxf6 Lxf6 11.c3 0-0 12.Sc2 Lg5 13.a4 bxa4 14.Txa4 a5 15.Lc4 Tb8.
(* Im Inhaltsverzeichnis sowie der Übersicht zum Abschnitt fehlt der Hinweis auf die Einleitung über 8…b5.)
Die Theorie wird in einem Mix aus Partiefragmenten, Analysen und Text dargestellt. Timoshchenko offeriert eine Flut von Neuerungen in den Haupt- und Nebenvarianten. Ich habe sie nicht nachgezählt, aber es sollen rund 2000 sein. Selbst der erfahrene Anwender der Sweschnikow-Variante wird auf unzählige Ideen stoßen, die neu für ihn sind und die er für den eigenen Einsatz prüfen kann. Dies gilt nicht zuletzt auch für den Fernschachspieler und für Varianten, die gerade in dieser Form des Spiels bereits zigmal ausgespielt worden sind.

Der monografische Ansatz des Autors zeigt sich auch darin, dass er nicht von ihm empfohlene Spielweisen ebenfalls tiefer analysiert. Anders als bei einem reinen Repertoirebuch kommt der Leser zu einem umfassenderen Einblick und zu Wahlmöglichkeiten für seine eigene Partie. Interessant ist dabei oft die Begründung für oder gegen eine Alternative, da sie zugleich auch den Blick für den Zug der ersten Wahl schärft.

Timoshchenkos Lohn für seinen enormem Arbeitsaufwand ist ein 440 Seiten starkes Buch, das ich als monumental bezeichnen möchte. Hinsichtlich der stofflichen Aufarbeitung lässt es sich als wissenschaftlich beschreiben. Wenn es ein Maß für eine vollständige und aktuelle Darstellung des behandelten Eröffnungssystems gibt, dann ist dies dieses Werk. Hätte der Autor seine Arbeit frei von der oben thematisierten offen ausgetragenen Rivalität gehalten, hätte es in meinen Augen das Potenzial zu einem „Lexikon der Sweschnikow-Variante“.

Ein Quellenverzeichnis ist nicht enthalten. Auch ein echtes Variantenverzeichnis fehlt, das aber von einem detaillierten Inhaltsverzeichnis – trotz der langen Reihe aus 200 Kapiteln und fehlenden Angaben zu Unterverzweigungen – einigermaßen ersetzt wird.

Die Buchsprache ist Englisch. Der mit einem ordentlichen Schulenglisch ausgestattete Leser wird aber bequem zurechtkommen.

Fazit: „Sicilian Defense- The Chelyabinsk Variation: Its Past, Present and Future“ ist hinsichtlich des Wertes der Eröffnungstheorie, die es zum bei uns als Sweschnikow-Variante bezeichneten System anbietet, außergewöhnlich gut. Dieses Werturteil begründet sich mit der Breite und Tiefe der Darstellung, mit der Aktualität, der Nachvollziehbarkeit der Erörterungen und nicht zuletzt mit dem Ideenreichtum, der sich in einer Fülle an vorgeschlagenen Neuerungen niederschlägt.

Wer sich ausgezeichnet für den Einsatz dieses Systems präparieren möchte, sei es für das Spiel am Brett oder im Fernschach, kommt meines Erachtens an diesem Buch nicht vorbei. Insofern kann ich eine klare Kaufempfehlung aussprechen.

Für die Vorbereitung des Spiels mit Weiß gegen das System bietet das Werk ebenfalls eine sehr gute Grundlage.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Complete Chess Swindler

David Smerdon
The Complete Chess Swindler
361 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-911-5
23,95 Euro



The Complete Chess Swindler


Das englische Wort „swindler“ bedeutet in einer wörtlichen Übersetzung soviel wie Betrüger, Schwindler und Gauner. Der Buchtitel „The Complete Chess Swindler“ bedarf allerdings einer Erläuterung, um nicht einen falschen Verdacht aufkommen zu lassen. Dieses interessante Werk des australischen Großmeisters David Smerdon, 2020er Neuerscheinung bei New In Chess (NIC), ist nicht etwa eine Anleitung, wie man im Schach am besten unter Missachtung der Regeln betrügen kann. Es behandelt vielmehr die regelkonformen Möglichkeiten, die Ressourcen in und während einer Partie zu nutzen, um ein besseres Ergebnis zu erreichen, als dieses nach Lage der Dinge auf dem Brett tatsächlich zu erwarten ist (oder tw. subjektiv zu erwarten scheint). Wenn ich versuchen soll, eine möglichst passgenaue Charakterisierung auszusprechen, möchte ich Smerdons Arbeit als eine Anleitung für den Spieler bezeichnen, wie er sich aus einer prekären Partiesituation schwindeln kann, wobei „schwindeln“ mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist.

Ein echter „Schwindel“ liegt nach Smerdons Definition aber nur dann vor, wenn die drei folgenden Merkmale vorliegen:
1. der Schwindler startet aus einer objektiv verlorenen Stellung heraus,
2. der Schwindler provoziert sein Opfer bewusst zu einem Fehlverhalten, in der Regel unter Ausnutzung eines psychologischen Motivs,
3. das Opfer gibt seinen Vorteil auf und lässt den Schwindler mit einem Remis oder sogar dem vollen Punkt entkommen.

Der zweite Punkt dieser Aufzählung ist der Kerngegenstand des Werkes. Während der Computer die Stellung weiterhin als verloren ausweist, will Smerdon die Chancen des Lesers zum Erreichen des dritten Aufzählungspunktes maximieren. Dies ist nach seiner Definition dann erreicht, wenn der Schwindel vollständig umgesetzt und die Stellung nicht länger objektiv verloren ist.

Nach diesen einführenden Worten dürfte bereits deutlich geworden sein, dass sich „The Complete Chess Swindler“ an den Turnierspieler richtet, der seinem Gegner Auge in Auge gegenübersitzt. Auch für das Live-Schach online kann das Buch teilweise herangezogen werden, während seine Ratschläge, Hinweise und Tipps im modernen Fernschach mit einem begleitenden Computereinsatz kein neues Potenzial eröffnen.

Das Buch ist in sechs Teile gegliedert, die in einer sinngemäßen Übersetzung wie folgt überschrieben sind:
Teil 1: Was ist ein Schwindel?
Teil 2: Die Psychologie des Schwindels
Teil 3: Die Werkzeuge des Schwindlers
Teil 4: Zentrale Fähigkeiten (Kernkompetenzen)
Teil 5: Schwindel in der Praxis (Anmerkung: Hier ist „Schwindel“ im Plural zu verstehen.)
Teil 6: Übungen (und die Lösungen darauf).

Im zweiten Teil mit insgesamt neun Kapiteln geht es um Dinge wie Ungeduld, Selbstüberschätzung und Überheblichkeit, Ängstlichkeit usw. Zu den in fünf Kapiteln behandelten Werkzeugen im Teil 3 gehören u.a. Trojanisches Pferd, Falle mit Köder und Berserker-Angriff. Der 4. Teil enthält sechs Kapitel zu u.a. den Themen Endspiele, Festungen, Patt und Dauerschach.

Der Autor arbeitet mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis (mit Ausnahme des Teils 5 überwiegend in fragmentarischer Form). Die meisten davon stammen aus der jüngsten oder der jüngeren Vergangenheit, manche sind aber auch schon vor etlichen Jahren gespielt worden. Ihr Alter ist relativ unbedeutend, wenn es um ihren Wert für das Thema geht.
Die Kommentierung ist textlich und nicht von Varianten geprägt. Smerdon untersucht die Stellungen natürlich herkömmlich auf ihre positionellen und taktischen Gegebenheiten, daneben aber auch auf psychologische Aspekte. Er analysiert die aufgetretenen entscheidenden Fehler auf ihre Ursache, in welchem Rahmen sie entstanden sind und welche Rolle der Gegner dabei gespielt hat. Quasi spielend und zudem sehr gut vom Autor unterhalten kommt der Leser zu einem Erkenntniszuwachs. Allein schon die konzentrierte Auseinandersetzung mit dem Buch sorgt für eine Sensibilisierung für das Thema. Der gute didaktische Aufbau des Werkes und die analytische systematische Darstellung der Arten und Aspekte des Schwindels unterstützen den Leser dabei, handfeste Erkenntnisse zu verinnerlichen.
Die angesprochene gute Unterhaltung erreicht Smerdon über seine narrative Herangehensweise. Es wird nie langweilig, seinen Ausführungen zu folgen. Er garniert sie mit Anekdoten zu Spielern, geschichtlichen Aspekten, mit einer grafischen Darstellung zum Verlauf der Stellungsbewertungen in der Partie, einen Blick in den Dialog zwischen den Beteiligten und mehr.
Eine gewichtige Rolle spielt auch die bisher seltene Verarbeitung des Buchthemas in einer so konzentrierten Form in der Schachliteratur, wenn es um die Klärung geht, warum das Interesse am Werk durchgehend hoch bleibt. Mir ist dies bei seiner Durcharbeitung zur Vorbereitung dieser Rezension genauso ergangen. Ich habe mich mehrfach längere Zeiten am Stück mit ihm beschäftigt, weil es schlicht auch Spaß bereitet.

Übrigens halte ich „The Complete Chess Swindler“ nicht nur für ein grundlegendes Buch zur Anleitung des Lesers, sich Erfolge legal zu erschwindeln, sondern auch im Gegenteil solche Schwindeleien seitens des Gegners nicht zuzulassen. So gut wie alle Gegenstände, die Smerdon betrachtet, haben eine zweite Seite, nämlich jene der Vermeidung. Wer dieses Werk verinnerlicht, dürfte auch seine Wachsamkeit in der Partie hochhalten, um sich den Erfolg nicht noch „abschwindeln“ zu lassen. Er wird die Fehler zukünftig besser zu vermeiden wissen, zu denen ihn ein Schwindler verleiten will.

„The Complete Chess Swindler“ ist auch eine gute Grundlage für den Lehrer und Trainer in Sachen Schach. Die abgebildeten Beispiele können als Übungsmaterial genutzt werden. Der schon angesprochene didaktisch gute Aufbau erleichtert den Einsatz.

Fremdsprachkenntnisse auf einem ordentlichen Schulniveau reichen aus, um bequem mit dem Buch arbeiten zu können. Ich selbst musste die eine oder andere Vokabel nachschauen, weil sie jenseits des allgemeinen bzw. des in Schachbüchern zu findenden Wortschatzes lag.

Fazit: „The Complete Chess Swindler“ ist ein sehr gelungenes Spezialwerk, das ich (eigentlich) jedem Schachfreund empfehlen kann. Es vermittelt die Chance auf eine Verbesserung seiner Erfolgsrate in den eigenen Partien und garantiert eine gute Portion Unterhaltung.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Man vs Machine

Karsten Müller & Jonathan Schaeffer
Man vs Machine
474 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-941270-96-7
28,50 Euro



Man vs Machine


Eine immense Fleißarbeit repräsentiert das Werk „Man vs Machine“ von Karsten Müller und Jonathan Schaeffer aus dem US-amerikanischen Verlagshaus Russell Enterprises. Die Autoren zeichnen die Geschichte und die Entwicklung des Kampfes zwischen Mensch und Maschine mit dem auf das Schachspiel gesetzten Schwerpunkt nach. In die Betrachtungen einbezogen werden aber auch andere Spiele, beispielsweise das Damespiel und Go. Der Untertitel des Buches, „Challenging Human Supremacy at Chess“, macht deutlich, welchen Charakters dieser Kampf war: von der Herausforderung der menschlichen Vorherrschaft im Schach durch die Maschine.
Die Autoren setzen mit ihren Betrachtungen bei dem historischen frühen Wunsch an, eine Schach spielende Maschine zu entwickeln, und lassen ihre Reise durch die Zeit in unseren Tagen enden. Diese sind nun geprägt von der Überwindung dieser menschlichen Vorherrschaft in beinahe umgekehrte Verhältnisse.

Müller und Schaeffer haben ihre Arbeit interessant in Anlehnung an die Phasen der Schachpartie aufgebaut. Damit verbunden ist eine Einteilung der Geschichte des menschlichen Versuchs, Schach spielende Maschinen zu entwickeln und diese dann so stark zu machen, dass sie dem Menschen überlegen werden, in Zeitabschnitte. So steht „Opening“ (Eröffnung) für die Zeitspanne von den Anfängen bis 1969, „Middlegame“ (Mittelspiel) für 1970 bis 1997 und „Endgame“ (Endspiel) für die Jahre von 1998 bis heute. Schon diese Zusammenstellung zeigt die atemberaubenden Fortschritte, die zugunsten der Maschinen gerade in der jüngsten Vergangenheit erreicht worden und somit von vielen unter uns begleitet worden sind. „Pre-Game“ (die Betrachtung der Verhältnisse vor dem Auftakt zum Kampf Mensch gegen Maschine) und „Post-Game“ (Nachbetrachtungen, Ergänzungsmaterial, Quellen, Partien und mehr) rahmen die Entwicklung „von der Eröffnung bis zum absolvierten Endspiel“ ein.

Früh im Werk machen die Autoren darauf aufmerksam, dass es des Fortschritts in etlichen Bereichen bedurfte, damit der Fortschritt im Computerschach überhaupt erreichbar wurde. So trägt das, was in den Jahren passiert ist, auch so etwas wie eine Evolution in sich. Ohne beispielsweise die technische Möglichkeit, Chips in mikroskopischen Dimensionen herzustellen, die Entwicklung von Programmiersprachen und immenser Speicherkapazitäten sowie den Weg der elektronischen Kommunikation wäre die Entscheidung im Kampf Mensch gegen Maschine so nicht möglich gewesen. Zum Übergang von der Vorstellung, eine Schach spielende Maschine mit mechanischen Mitteln zu erreichen, zum Traum, den Kampf über Künstliche Intelligenz zu entscheiden, wäre es kaum gleichartig gekommen.

Müller und Schäffer beschreiben die Entwicklung in einer Mischung aus Dokumentation und Erzählung. Zu Wort kommen dabei auch zahlreiche Akteure aus den unterschiedlichsten Bereichen: Spieler, Computerfachleute (teilweise beides in einer Person), Techniker, Autoren, Programmierer und mehr. Dabei bleibt das Buch durchgehend interessant, es wird nie langweilig. Es zeigt sogar eine Seite, die man dem Titel nach bei ihm kaum vermuten würde, nämlich eine gehörige Portion Humor. Beispielsweise wird Kasparow aus einem 1989 von ihm gegebenen Interview zitiert, indem er die Frage als lächerlich abgetan hat, ob ein Computer jemals Schachweltmeister werden könnte. So wie ein Computer keine Novelle schreiben oder Interviewfragen stellen könne, seien auch seine Fähigkeiten im Schach limitiert. Er jedenfalls werde nie von einem Computer besiegt werden. Die Geschichte gab im nicht Recht.
Weitblick hat beispielsweise Botwinnik in einem 1994 gegebenen Interview gezeigt, als er prognostizierte, dass niemand mehr Schachanalysen publizieren werde, ohne den Computer zu konsultieren, sobald dieser Analysen zu erstellen gelernt habe. Dies werde zu einer drastischen Veränderung der Schachliteratur führen.

Inhaltlich ist „Man vs Machine“ nicht nur ein Werk für den Schachfreund, der eine Affinität zum Computer zeigt, sondern für jeden. Die Schwerpunkte Schach und Computer werden auf Augenhöhe behandelt, quasi im geschichtlichen Gleichschritt.

Es gibt rund 180 Partien im Buch, ein paar davon fragmentarisch. Sie sind über die Kapitel verteilt, was auch damit zusammenhängt, dass es in zeitliche Epochen unterteilt ist. Überwiegend sind die Partien intensiv kommentiert, wobei natürlich das Hauptinteresse auf die Leistungsfähigkeit der Maschinen und damit die Qualität der von ihnen im Spiel getroffenen Entscheidungen gerichtet ist. Während die Kommentierung selbst durchgehend sehr gut gelungen ist, trifft dies für die Maschinen-Züge der nicht mehr ganz so nahen Vergangenheit natürlich nur bedingt zu. Gerade aber das Herausarbeiten der Entwicklung in der Qualität im Spiel der Maschinen ist ein Kern der Arbeit.

GM Karsten Müller gilt als einer der renommiertesten Endspielexperten auf der Welt; er hat zahlreiche Bücher geschrieben, die von der Öffentlichkeit gut aufgenommen worden sind. Jonathan Schaeffer ist Professor an der Universität von Alberta in Kanada. Er verfügt über eine Erfahrung von mehr als 35 Jahren in der Forschung zur Künstlichen Intelligenz.

Ein paar Worte zur Verständlichkeit des Buches: Hier möchte ich unterscheiden in die allgemeine Verständlichkeit und in die Anforderungen an den Fremdsprachler, das in Englisch geschriebene Werk aufzunehmen.
Wer die Befürchtung hat, „Man vs Machine“ könne auf über 450 Seiten viel „Fach-Chinesisch“ anbieten, kann diese sofort ablegen. Die Autoren schreiben für den Normalleser und stellen diesen Horizont in ihren Texten sicher.
Es ist allerdings viel Text zu verarbeiten. Entsprechend ergibt sich eine gewisse Herausforderung für den deutschsprachigen Leser. Der Wortschatz ist nicht üppig angelegt, aber durchaus um einiges breiter, als man dies von gewöhnlichen Schachbüchern her kennt. Wer nicht ganz so geübt ist, wird sich darauf einrichten müssen, einige Begriffe nachschauen zu müssen. Es lohnt sich aber!

Die ab Seite 374 aufgeführten verwendeten Quellen bestätigen die oben genannte Fleißarbeit der Autoren und auch den wissenschaftlichen Ansatz, den sie mit ihrer Arbeit verfolgt haben, auch indem sie Quellen zur Entwicklung des Computers und der Künstlichen Intelligenz mit Quellen zum Schachspiel und der Entwicklung Schach spielender Maschinen zusammengeführt haben.

Fazit: „Man vs Machine“ ist ein Buch anderer Art. Es verbindet die Bereiche Information und Unterhaltung. „Man vs Machine“ ist in meinen Augen eine klare Kaufempfehlung an den Leser, der neben natürlich Interesse am Thema sich zutraut, viel in englischer Sprache verfassten Text zu lesen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Playing the Najdorf

David Vigorito
Playing the Najdorf
544 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-907982-65-1
23,95 Euro



Playing the Najdorf


Die Auswahl an Eröffnungsbüchern zur Sizilianischen Verteidigung und speziell auch zur Najdorf-Variante, eingeleitet über 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6, ist groß. Mit „Playing the Najdorf“ (Untertitel: „ A Practical Repertoire“) von David Vigorito ist 2019 ein weiteres bemerkenswertes Werk hinzugekommen. Es ist bei Quality Chess erschienen, hat fast 550 Seiten und präsentiert sich als ein klassisches Repertoirebuch. Geschrieben ist es aus der Warte von Schwarz. Für den Spieler mit Weiß ist es im Rahmen der Zugalternativen anwendbar, die Vigorito als Repertoireempfehlungen für Schwarz ausspricht und behandelt.

Das Werk enthält 18 Kapitel, die sich auf sechs Abschnitte verteilen. Diese orientieren sich an den Möglichkeiten für Weiß im 6. Zug. Der Leser findet entsprechend die folgende Grundstruktur vor:

Teil 1: 6. Le2
Teil 2: 6. Le3
Teil 3: 6. Lg5
Teil 4: 6. Lc4
Teil 5: 6. h3
Teil 6: Seltene Abspiele im 6. Zug und Verschiedenes.

Gegen 6.Le2, 6.Le3 und 6.h3 empfiehlt Vigorito 6…e5. Damit setzt er sich von 6…e6 ab, das Lubomir Ftacnik in „Grandmaster Repertoire 6, The Sicilian Defence“ hinsichtlich 6.Le2 und 6.h3 als Hauptlinie behandelt. Nicht nur in diesem Punkt ergänzen sich „Playing the Najdorf“ und das genannte Werk recht gut. Der Spieler, der so eine Art Panoramaaufnahme von gepflegten Repertoiremöglichkeiten sucht, kann die beiden Bücher gut nebeneinander legen.
Auf 6.Lg5 legt sich Vigorito auf 6…e6 fest, womit er 6…Sbd7, das in der jüngeren Vergangenheit nicht zuletzt im Fernschach viel Bedeutung erlangt und gute Ergebnisse für Schwarz gezeigt hat, außen vor lässt. Nach 6.Lc4 konzentriert er sich auf 6…e6.
Nach 6.h3 erwähnt er neben 6…e6 die Möglichkeit 6…g6 als echte Alternative, ohne sie zu behandeln.

Die Hinwendung zu 6…e5 in drei weißen Hauptabspielen stellt eine strategische Kontinuität her, die dem Spieler in seiner eigenen Vorbereitung und in seiner Praxis sehr helfen kann. Dies betrifft einerseits die Vorbereitung, die sich auf diese Weise erheblich begrenzen lässt, aber auch die Spielführung während der praktischen Partie. Er kann – an die jeweilige Variante angepasst – typische Pläne und Manöver als Standard entwickeln und immer wieder darauf zurückgreifen. Unterstützt wird er dabei auch davon, dass der Bauernvorstoß bis e5 auch dann in Varianten zu Vigoritos bevorzugten Empfehlungen zählt, wenn ein Teil seines Repertoires auf anderen Initialzugfolgen basiert.

Der in der Zusammenstellung oben kurz bezeichnete Teil 6 des Werkes dient der inhaltlichen Vervollständigung. Der Leser findet hier Ausführungen zu seltenen Abspielen wie 6.g3 und 6.f4 und deutlich nicht vollwertigen weißen Erwiderungen sowie ein paar „anti-sizilianischen“ Versuchen von Weiß.

Die einzelnen Kapitel sind durchgehend gleichartig aufgebaut. Das Deckblatt gibt über ein detailliertes Variantenverzeichnis eine genaue Auskunft darüber, was stofflich in der Folge dargestellt wird und wie das Kapitel entsprechend organisiert ist. Es zeigt zudem mittels eines Diagramms die Ausgangsstellung an.
Vigorito stellt die Theorie in einer Kombination aus einem klassischen Variantenbaum und eingearbeiteten praktischen Partien dar, die er entsprechend thematisch verknüpft hat. Diese sind auch Träger der Informationen zur Eröffnungstheorie und damit mehr als reine Illustrationsbeispiele. Sie werden schon im vg. Variantenverzeichnis benannt. Überwiegend setzen sie erst ein, wenn die behandelte Variante eine bereits fortgeschrittene Zugfolge erreicht hat. Auch wenn sich der Schwerpunkt des Interesses bei diesen Partien auf deren eröffnungstheoretische Bedeutung richtet, werden sie vollständig abgebildet und sind bis zum Ende durchkommentiert. So ergibt sich ein ganzheitlicher Ansatz bei der Betrachtung einzelner Varianten und deren Folgen bis ins Endspiel hinein.
Einige Partien stammen aus der Fernschachpraxis.

Vigorito erklärt und erläutert viel und gut. So erfährt der Leser regelmäßig die strategischen Aspekte einer Spielweise, Gründe für seine Empfehlungen und Einschätzungen sowie Hinweise, warum er von Fortsetzungen die Finger lassen sollte. Er hat zahlreiche Varianten, insbesondere als Fragmente aus Partien, und Analysen integriert, die er aber ebenfalls regelmäßig um seine Anmerkungen ergänzt hat. So bilden unkommentierte längere Zugfolgen nur eine Ausnahme im Werk. Bisweilen geht er auf die Aussagen anderer Autoren ein, was eine intensive Auseinandersetzung mit der aktuellen Theoriemeinung dokumentiert.
Ebenfalls zahlreich vertreten sind die Diagramme im Buch. So hat man jeweils mit einem Blick den Einstieg in die folgenden Ausführungen parat. Soweit diese Diagramme Stellungen außerhalb der jeweiligen Hauptvariante betreffen, sind sie von einer geringeren Größe. Auch diese Unterscheidung ist sehr hilfreich bei der Orientierung im Stoff.

Die Kapitel werden mit einer wertenden Zusammenfassung („Conclusion“) abgeschlossen. Diese ist zumeist ausführlich gehalten und dient insbesondere dem Festhalten der maßgeblichen Weichenstellungen im Repertoire und der wichtigsten Gründe für eine Empfehlung. Wie nicht selten bei Repertoirebüchern kann es hilfreich für den Leser sein, genau diese Zusammenfassung gleich zu Beginn der Arbeit an einem Kapitel anzusteuern, um die Eckpunkte in der theoretischen Betrachtung zu erfahren und für die Folge im Hinterkopf zu behalten.

Der Untertitel des Werkes, „A Practical Repertoire“, ist hinsichtlich dessen, was Verlag und Autor mit ihm vermitteln wollen, schwer auszulegen. Der mögliche Eindruck beim Leser, dass er dieses Buch zur Hand nehmen kann und dann ein Repertoire für die Praxis quasi einsatzbereit hat, wäre abwegig. Die Fülle des Materials setzt einfach eine intensive Auseinandersetzung mit der dargestellten Theorie voraus. Natürlich wird man von keinem durchschnittlichen Klubspieler erwarten können, dass er mehr als 500 Theorieseiten zu einer einzigen Eröffnung verinnerlicht, aber um von Vigoritos Arbeit profitieren zu können, muss er das Verständnis für die dargestellten Wege entwickeln. Dies macht ein gewisses konzentriertes Studium notwendig.
Das Rückgrat des Repertoires sind nach dem Stand der Theorie praxiserprobte Wege. Insofern hat Vigorito ein praktisches Repertoire zusammengestellt. An etlichen Stellen bietet er Neuerungen an, die letztlich als eine Art Feintuning verstanden werden können.
Nach meiner Einschätzung ist „Playing the Najdorf“ so qualifiziert, dass es auch den Ansprüchen eines Spitzenspielers genügt. Er bekommt für seine Praxis ein aktuelles und mit neuen Ideen angereichertes Material an die Hand. Er wird – wie ebenfalls der Fernschachspieler in seiner laufenden Partie – auch schwierige Partieführungen meistern, die weniger starken Spielern in der Praxis Probleme bereiten dürften. Vigorito setzt sich mit dieser Problematik auseinander. Ein sehr schönes Beispiel findet sich hierfür auf Seite 157. Dort schreibt er sinngemäß ins Deutsche übersetzt: „Das Endspiel ist ausgeglichen und zwei Fernschachpartien sind von dieser Stellung ausgehend mit einem Remis geendet, aber in einer praktischen Partie gäbe es Chancen für beide Seiten.“
Erkennbar wird hier die Unterscheidung des Autors nach „theoretisch erreichbar“ und „praktisch unter realistischen Ansätzen erreichbar“, was dem Untertitel „A Practical Repertoire“ eine weitere Bedeutung gibt.
Mit diesen Ausführungen habe ich zugleich den Adressatenkreis beschrieben, den ich von „Playing the Najdorf“ in erster Linie angesprochen sehe. Dies sind die Spielerkategorien vom Klubspieler bis zum sehr starken Turnierspieler sowie die Fernschachspieler.

Das Quellenverzeichnis ist sehr umfangreich, insbesondere zum Schriftgut. Es enthält maßgebliche Bücher, die im Zeitraum 1993 bis 2019 auf den Markt gekommen sind. Den Hauptanteil nehmen jüngere Werke ein.
Leider gibt es keine Auskunft zu den verwendeten Partien-Datenbanken. Aus den verwendeten Partiefragmenten und den Anmerkungen im Text lassen sich dazu aber gewisse Rückschlüsse ziehen. So lässt sich mindestens feststellen, dass Vigorito sehr aktuelles Material aus Meisterschaften und Open-Turnieren wie auch solches aus dem Bereich des Fernschachs verwendet hat.

„Playing the Najdorf“ entspricht hinsichtlich der „technischen Qualität“ dem üblichen hohen Standard der Bücher von Quality Chess – sauberer Druck auf feinem Papier. Der Rezension lag die kartonierte Fassung des Buches zugrunde. Der verwendete Karton ist stabil. So lässt sich davon ausgehen, dass er auch dann noch ausreichend Haltung beweisen wird, wenn der Leser das Werk oftmalig zur Hand genommen hat, was bei dessen Umfang nicht außergewöhnlich wäre. Gegen einen, allerdings deutlichen, Aufschlag ist „Playing the Najdorf“ auch in einer gebundenen Fassung erhältlich.

David Vigorito ist US-amerikanischer Internationaler Meister mit einer aktuellen Elozahl von 2339. Er lebt in der Nähe von Boston, Massachusetts. Da er als Schachlehrer an Schulen tätig ist und auch private Stunden gibt, erklärt sich sein im Buch erkennbar werdendes didaktisches Geschick.
Obwohl „Playing the Najdorf“ in seiner Muttersprache verfasst ist, sollte der deutschsprachige mit Englischkenntnissen auf einem ordentlichen Schulniveau ohne besondere Schwierigkeiten mit dem Werk zurechtkommen.

Fazit: „Playing the Najdorf“ bietet Schwarz ein qualifiziertes Repertoire auf der Basis der Najdorf-Variante an, das dem Leser anspruchsvoll verständlich gemacht und so entsprechend gut vermittelt wird. Das Buch spricht insbesondere den Klubspieler bis zum starken Turnierspieler wie auch den Fernschachspieler an. Zahlreiche Vorschläge für Neuerungen machen das Werk für den erfahrenen Spieler zusätzlich interessant.
Das Buch rechtfertigt eine klare Kaufempfehlung.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Kaufman’s New Repertoire for Black and White

Larry Kaufmann
„Kaufman’s New Repertoire for Black and White“
457 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-862-0
29,95 Euro



„Kaufman’s New Repertoire for Black and White“


Mit „Kaufman’s New Repertoire for Black and White“ hat New In Chess (NIC) ein Nachfolgewerk für das 2012 erschienene Repertoirebuch mit dem sehr ähnlichen Titel „The Kaufman Repertoire for Black and White“ herausgegeben. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Neuauflage, sondern um eine neue Arbeit. Dies geht am deutlichsten daraus hervor, dass der Autor Larry Kaufman, US-amerikanischer Großmeister, renommierter Autor und Experte im Computerschach (u.a. Mitwirkung an Rybka und Komodo) seine Empfehlungen für Weiß komplett von 1.d4 auf 1.e4 umgestellt hat.
Seine Begründung für diesen Schritt kann ich nicht so ganz nachvollziehen. Er meint, dass Weiß zwar natürlich nicht ziehen und gewinnen kann, wenn er mit 1.e4 eröffnet, aber aus einer etwas besseren Stellung spielt, ohne innerhalb der ersten 30 bis 40 Züge ein offensichtliches Remis zuzulassen. Diese Schwelle ist für ihn markant, weil sie dafür steht, wie weit eine Eröffnung generell analysiert werden kann. Mit einer ähnlichen Begründung wenden sich andere Autoren und Spieler gerade 1.d4 zu.
Für das Urteil über das neue Werk ist diese Überlegung allerdings ohne Bedeutung.

„Kaufman’s New Repertoire for Black and White“ ist nicht der Versuch, ein Komplettrepertoire für alle maßgeblichen Möglichkeiten des Gegners, dem Spiel eine Richtung zu geben, anzubieten. Nach meiner Einschätzung hat Kaufman sich nicht zuletzt davon leiten lassen, was der Praktiker braucht, um mit einem begrenzten Aufwand ein möglichst breites Spektrum abzudecken. Dies sollte jedem Schachfreund auch klar sein, wenn er sich entscheidet, das Buch zu kaufen. Auf rund 450 Seiten komplett (also inklusive der „technischen“ Seiten, Verzeichnisse etc.) kann man kein Rundum-sorglos-Paket als Repertoire erwarten, und dies auch noch für beide Seiten.
Wer für selten gespielte Eröffnungen detaillierte Empfehlungen sucht, wird hier eher nicht fündig werden und sollte sich einem Spezialwerk zuwenden.
Einer von mehreren besonderen Werten dieses Buches liegt darin, dass es unter Berücksichtigung der Praxisrelevanz von Eröffnungen ein komplettes Repertoire für Schwarz und Weiß anbietet.

Das hinter dem Buch stehende Konzept lässt sich wie folgt beschreiben: Der Leser soll ein Repertoire erhalten, das er mit Weiß wie auch mit Schwarz anwenden kann. Es soll ihn für die wichtigsten Spielweisen rüsten und es ihm erlauben, viel Theorie zu umgehen. Nach Möglichkeit werden hierzu Spezialvarianten angeboten, die Überraschungspotenzial haben, den Gegner vor von ihm selbst zu lösende Probleme stellen und in den allgemeinen aktuellen Stand der Theorie eingebettet sind. Ebenfalls nach Möglichkeit soll der Leser zwischen verschiedenen Spielweisen wählen können, je nach Fähigkeit und Geschmack, beispielsweise zwischen einer eher positionellen und einer eher taktisch geprägten Lösung.

Das Inhaltsverzeichnis ist zu lang, als dass es in dieser Rezension vollständig abgebildet werden könnte. Der folgende Auszug, sinngemäß ins Deutsche übersetzt, ermöglicht aber einen bereits ordentlichen Überblick.
Teil I – Repertoire für Weiß
Kapitel 1: ungewöhnliche schwarze Erwiderungen
Kapitel 2 bis 6: Caro-Kann, Französisch (Tarrasch), Russisch, Philidor, schwarze Gambits, Italienisch und Spanisch (mit 6.d3)
Kapitel 7 und 8: Sizilianisch (mit 2.Sc3 und mit 2.Sf3)
Teil II –Repertoire für Schwarz
Kapitel 9: Seltene, ungewöhnliche weiße Züge
Kapitel 10: Englisch
Kapitel 11: Damenindisch gegen Réti
Kapitel 12 – Anti-Grünfeld und English (Symmetrievariante)
Kapitel 13: Damenbauernspiele
Kapitel 14 bis 16: Grünfeld-Komplex
Kapitel 17 bis 19: Mittelgambit, Ponziani, Läuferspiel und Wiener Partie
Kapitel 19: Gambits
Kapitel 20 und 21: Schottisch, Vierspringerspiel und Italienisch
Kapitel 22 – 26: (Spanisch, Breyer-Variante, Marshall-Angriff u.m.).

Kaufman bedient sich praktischer Partien als Träger seiner Ausführungen zur Theorie. Diese sind ganz überwiegend in der jüngsten Vergangenheit gespielt worden, in Meisterschaften wie auch in Open. Mehrere Partien aus dem Fernschach sind ebenfalls vertreten. Inhaltlich sind sie miteinander verwoben, so dass sie eine verbundene Darstellung sicherstellen. Kaufman hat sie in einem Mix aus Text und Varianten so kommentiert, dass sie sich auf die eröffnungstheoretischen Aspekte konzentrieren.
Ein Variantenverzeichnis am Ende des Buches ermöglicht einen Blick ins Repertoire nach einer Baumstruktur.

Eine herausragende Besonderheit von „Kaufman’s New Repertoire for Black and White“ hängt mit seiner Eigenschaft als Experte für das Computerschach zusammen. Früh im Werk geht er darauf ein, indem er seine Arbeitsmethode beschreibt. Er stellt heraus, dass er jede Stellung mit der jüngsten Version von Lc0 (und damit den neuesten neuronalen Netzwerk-Engines) und mit Komodo 13 überprüft hat. Weiterhin hat er gelegentlich u.a. Stockfish und Houdini beigezogen. Die Berechnungen der Engines haben damit eine extrem hohe Qualität. Die Rechenresultate werden durchgehend im Werk im Rahmen der Anmerkungen angegeben.

Kaufman gibt zahlreiche Neuerungen an, von denen viele offenkundig auch den Computerberechnungen zu verdanken sind.

Die Frage nach den besonders angesprochenen Adressaten des Werkes möchte ich in einer aufzählenden Weise beantworten und dabei jeweils auch angeben, womit sich meine Einschätzung begründet.
1. Jeder Klubspieler hinsichtlich der Zusammenstellung des Materials. Er profitiert damit von der getroffenen Eingrenzung des Materials und der damit verbundenen Begrenzung seines Aufwandes.
2. Jeder fortgeschrittene Klubspieler hinsichtlich der angebotenen Erläuterungen. Kaufman arbeitet viel mit Varianten, die häufig nicht (durch)kommentiert sind. Hier ist eine gehobene Spielstärke des Lesers erforderlich, um die eigene fundierte Stellungseinschätzung vorzunehmen und dabei nachzuvollziehen, warum die Engine zu einem bestimmten Rechenergebnis gekommen ist.
3. Der Fernschachspieler. Auf seiner Suche nach vom Rechner überprüften Eröffnungsvarianten wird er hinsichtlich der behandelten Linien weder qualifizierteres Material finden noch selbst produzieren können.

Im Rahmen der Kommentierung sind die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers moderat. Kaufman beschränkt sich überwiegend auf den für Schachbücher üblichen Wortschatz. Soweit er insbesondere eingangs des Werkes längere Texte eingearbeitet hat, haben diese teilweise einen komplizierteren Satzbau und bedienen sich auch eines weiteren Wortschatzes. Insgesamt aber dürfte der Leser mit einem ordentlichen Schulenglisch ohne große Probleme gut mit dem Buch arbeiten können.

Fazit: „Kaufman’s New Repertoire for Black and White“ ist ein Repertoirebuch für Weiß und für Schwarz, das eine kompakte Eröffnungsvorbereitung erlaubt. Es stattet den Leser mit Lösungen aus, die nach Praxisrelevanz der Eröffnungen nach Umfang, Breite und Tiefe variieren. Mittels überraschender Nebenwege erhält der Leser die Möglichkeit, viel Theorie auszublenden.
Die rechnerische Korrektheit der Varianten wird über ein methodisches Vorgehen erreicht, das im Rahmen der Eröffnungsliteratur bisher ohne Beispiel sein dürfte.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The 100 Endgames You Must Know Workbook

Jesus de la Villa
„The 100 Endgames You Must Know Workbook“
287 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-817-0
22,95 Euro



„The 100 Endgames You Must Know Workbook“


„The 100 Endgames You Must Know Workbook“ ist eine Ergänzung zum inzwischen mehrfach aufgelegten und damit sehr erfolgreichen Buch „100 Endgames You Must Know“ von Jesus de la Villa. Beide Werke sind bei New In Chess (NIC) erschienen.
Bei dem neuen Werk handelt es sich um ein Workbook im klassischen Sinne. Es enthält 300 Aufgaben, die in Anlehnung an das Grundwerk den Leser veranlassen, dessen Stoff Schritt für Schritt noch einmal durchzugehen, um das Erlernte zu vertiefen und auch zu überprüfen. Entsprechend ist es gleichartig wie „100 Endgames You Must Know“ aufgebaut. Vorausschicken möchte ich aber, dass der Besitz dieses ursprünglichen Buches nicht zwingend erforderlich ist, um mit dem Workbook zurechtzukommen. Dieses kann auch wie ein ganz normales Buch mit Schachaufgaben genutzt werden.

Der folgende Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis, sinngemäß ins Deutsche übersetzt, zeigt auf, zu welchen Endspielarten der Autor Beispiele behandelt und wie er diese im Buch organisiert hat.

Kapitel 1 - Elementare Endspiele (einfache Endspiele)
Kapitel 2 - Springer vs. Bauer
Kapitel 3 - Dame vs. Bauer
Kapitel 4 - Turm vs. Bauer
Kapitel 5 - Turm vs. zwei Bauern
Kapitel 6 - Gleichfarbige Läufer: Läufer + Bauer vs. Läufer
Kapitel 7 - Läufer vs. Springer: ein Bauer auf dem Brett
Kapitel 8 - Ungleichfarbige Läufer: Läufer + zwei Bauern vs. Läufer
Kapitel 9 - Turm + Bauer vs. Turm
Kapitel 10 - Turm + zwei Bauern vs. Turm
Kapitel 11 - Bauernendspiele
Kapitel 12 - Andere Materialverhältnisse
Kapitel 13 - Appendix
Kapitel 14 - Lösungen.
„Appendix“ ist hier nicht wirklich nur ein Anhang, sondern etwas qualifiziertes Neues. Jesus de la Villa geht in diesem Kapitel etwas ausführlicher auf Festungen ein, verbunden mit 20 an den Leser gerichteten Aufgaben.
Das Kapitel 14 enthält die Lösungen für alle Aufgaben, ist hierfür also die zentrale Adresse. Zu jeder Aufgabe in den vorangehenden Kapiteln ist auch vermerkt, auf welcher Seite der Leser die Lösung darauf findet. Er muss also nicht lange blätternd suchen, bevor er die richtige Stelle erreicht.

Die Aufgaben sind über das Werk hinweg fortlaufend durchnummeriert. Die Ausgangsstellung wird über ein Diagramm definiert, neben dem zusätzlich symbolisch angezeigt wird, welche Seite am Zug ist. Über spezifisch gestellte Fragen wird dem Leser aufgetragen, was genau von ihm erwartet wird. Diese können von einer recht einfachen Natur sein, beispielsweise ob eine Stellung gewonnen ist oder nicht bzw. wie es sich um ein Remis verhält. Genauso aber kommt es vor, dass er eine Stellungseinschätzung oder eine Variantenberechnung vornehmen soll. Etliche Male hat er sich zwischen verschiedenen Lösungsmöglichkeiten zu entscheiden. Die Aufgabenstellungen sind sehr vielseitig, das Buch wird nicht langweilig.

Es lässt sich nicht sagen, für welche Leistungsbereiche der Spieler „The 100 Endgames You Must Know Workbook“ besonders geeignet ist. Das Spektrum aber ist breit. Jesus de la Villa, der übrigens selbst nicht nur Großmeister, sondern auch ein erfahrener Trainer ist, hat den Stoff jeweils in den Kapiteln in der Weise zu ordnen versucht, dass er mit leichteren Aufgaben angefangen und sie dann im Schwierigkeitsgrad gesteigert hat. Die letzten Aufgaben eines Kapitels sind somit die schwersten. Ich habe an Beispielen versucht, diese Umsetzung zu überprüfen. Im Ergebnis kann ich bestätigen, dass sie dem Autor gelungen ist. Einführende Beispiele sind teilweise in Sekunden bzw. spätestens beim zweiten Blick für einen durchschnittlichen Klubspieler zu lösen. Abschließende Beispiele in Kapiteln sind aber „echte Klopper“, an denen ich mir mit dem Tiefgang, den ich für die Vorbereitung dieser Rezension aufbringen konnte, die Zähne ausgebissen habe. Mit mehr zeitlichem Aufwand, mehr Ehrgeiz und mehr Konzentration hätte ich mein Ergebnis vielleicht noch etwas verbessern können.
Vermutlich ist einiges Material aus der Trainertätigkeit des Autos ins Buch eingeflossen, so dass seine Schulungseignung erprobt ist.
In allen Fällen habe ich ohne Brett und nur mit Blick auf das Diagramm im Buch gelöst. Wenn die Aufgabe der eigenen Kragenweite entspricht, geht dies also.

Jesus de la Villa gibt übrigens einen interessanten Tipp, wie der Leser nach seiner individuellen Stärke am besten mit dem Buch arbeiten kann. Er unterteilt die Leser auf der Basis deren jeweiliger Selbsteinschätzung in zwei Gruppen, wenig erfahren bis mäßig spielstark einerseits und darüber hinaus andererseits. Der weniger starke Leser soll in einem Kapitel von vorne nach hinten arbeiten, vielleicht auch nur bis zur jeweiligen Hälfte der Aufgaben, um dann zunächst mit einem anderen Kapitel fortzusetzen. Den übrigen Beispielen kann er sich später widmen, wenn er an Spielstärke gewonnen hat. Der spielstarke Leser soll den umgekehrten Weg im Kapitel nehmen, von hinten nach vorne. Sobald ihm die Aufgaben zu leicht werden, sie ihn nicht mehr herausfordern, soll er aufhören.

Interessant sind Zusatzinformationen in den Kapiteln, die dem Leser anzeigen, wie fehlergeneigt eine bestimmte Endspielart in der Praxis ist. Hierzu hat Jesus de la Villa seine Erkenntnisse aus Auswertungen der Partien-Datenbank gewonnen. Der Leser bekommt damit einen nützlichen Hinweis zur Praxisrelevanz seines Studiums und einen Ansporn für seinen Ehrgeiz.

Die Lösungen sind ein ausführlicher Mix aus Text und Varianten. Da alle Beispiele aus praktischen Partien stammen, die nicht selten auch zwischen sehr bekannten guten Spielern ausgetragen worden sind, erfährt man hier auch den Namen desjenigen, der brilliert hat oder sich auch nach einem fehlerhaften Spiel geschlagen geben musste. Es baut auf, wenn man sieht, dass auch „die Großen“ im Schach nicht vor – teilweise auch schweren – Fehlern gefeit sind.
Schon einleitend findet sich im Werk ein schönes Zitat von Eleanor Roosevelt. Sinngemäß besagt es: „Lerne von den Fehlern der anderen. Du lebst nicht lange genug, um sie alle selbst zu machen“.

Der für den Leser zu erzielende Lerneffekt setzt sich aus beiden Komponenten zusammen – einerseits der eigenen praktischen Übung an der Aufgabenstellung und andererseits der dazugehörenden Lösung. Und weit gefasst muss man eigentlich von drei Komponenten ausgehen, da es sich bei „The 100 Endgames You Must Know Workbook“ eben um ein ergänzendes Workbook handelt. Vor der Arbeit damit kann schon das Grundwerk durchgegangen worden sein.

Das Buch ist in englischer Sprache geschrieben. Fremdsprachkenntnisse auf Schulniveau reichen für eine bequemen Umgang damit aus.

Fazit: „The 100 Endgames You Must Know Workbook“ ist ein unterhaltsames Workbook und damit eine Ergänzung zum erfolgreichen Buch „100 Endgames You Must Know“. Es kann problemlos genutzt werden, auch wenn der Leser nicht im Besitz des Grundwerkes ist.
300 über Diagramm und Fragestellung an den Leser gerichtete Aufgabenstellungen und die ausführlichen Lösungen dazu kombinieren dessen praktische Übung mit der Wissensvermittlung. Unterschiedliche Schwierigkeitsgrade sorgen dafür, dass ein breites Spektrum von Lesern angesprochen wird.
Das Buch ist eine klare Kaufempfehlung.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

An Attacking Repertoire for White with 1.d4

Viktor Moskalenko
„An Attacking Repertoire for White with 1.d4“
367 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-830-9
29,95 Euro



„An Attacking Repertoire for White with 1.d4“


Viktor Moskalenko, aus der Ukraine stammender Großmeister, Trainer und Autor mehrerer sehr anerkannter Bücher über Eröffnungen, hat mit „An Attacking Repertoire for White with 1.d4“ 2019 ein Repertoirebuch vorgelegt, mit dem er diesmal insbesondere den Weißspieler anspricht. Der Titel ist vielleicht etwas irreführend, weil er den Eindruck vermittelt, dass dem Leser ein Komplettrepertoire auf der Basis einer Eröffnung mit dem Damenbauern angeboten wird. Dies ist aber nicht der Fall. Er erhält für ausgewählte, allerdings darunter sehr wichtige und häufig gespielte Systeme Repertoireempfehlungen. Der Untertitel „Ambitious Ideas and Powerful Weapons“ deutet diesen wichtigen Unterschied an.

„Solche ehrgeizige/ambitionierte Ideen“ und „starke/kraftvolle Waffen“ stellt Moskalenko für die folgenden Eröffnungen vor:
- Königsindische Verteidigung (Vierbauernangriff),
- verschiedene Benoni-Formen,
- Wolga-Benkö-Gambit,
- Grünfeld-Indisch,
- Nimzowitsch-Indisch,
- Slawisch,
- Damengambit (angenommen und abgelehnt - Semi-Slawisch, Abtauschvariante),
- Baltische Verteidigung (in Deutschland besser als „Keres-Verteidigung“ bekannt),
- Tschigorin und
- Albins Gegengambit.

Der Stoff verteilt sich auf insgesamt 14 Kapitel, die sich über rund 350 Buchseiten erstrecken.

Als Adressat dieses bei New in Chess (NIC) erschienenen Werkes sehe ich an erster Stelle den zumindest schon etwas erfahreneren Spieler, der schon über ein eigenes d4-Repertoire verfügt. Für ihn ist „An Attacking Repertoire for White with 1.d4“ eine große Chance zum Update und zum Ausbau seines Repertoires. Versprechen kann er sich dabei vor allem Material, das sehr dynamisch ausgelegt ist und nicht selten ein aggressives Vorgehen erwartet. Man ist gehalten, auf Sieg zu spielen und dabei auch etwas zu riskieren, aber wohl dosiert.

Das Muster, nach dem die Kapitel aufgebaut sind, lässt sich wie folgt skizzieren:
- In einer Einführung erhält der Leser neben allgemeinen Informationen, die ihm vermitteln, was er überhaupt gerade vor sich hat, etwas zur Geschichte der Spielweise, die ihr zugrundeliegenden wesentlichen Ideen, Pläne, Gegenmittel des Gegners und eigene Reaktionsmittel darauf, besondere Stellungsstrukturen, statistische Daten u.ä. Hinsichtlich der Gegenstände dieser Einführung unterscheiden sich die einzelnen Kapitel.
- Mittels ausgewählter kommentierter Partien, von denen etliche vom Autor selbst gespielt worden sind, stellt Moskalenko das Repertoire vor. Diese sind so miteinander verwoben, dass sich ein schlüssiges Bild von der Lage der Theorie ergibt.
- Eine kurze Zusammenfassung hält die wesentlichen Aspekte für den Leser fest.
Die erwähnte Kommentierung orientiert sich an dem, was zum Verständnis aus eröffnungstheoretischer Sicht erforderlich ist. Sie besteht aus Texterläuterungen, Partiefragmenten (zum Teil auch aus dem Fernschach) und Analysen. Hinsichtlich des Anforderungsniveaus unterstützen die Kommentare die oben von mir getroffene Aussage, dass sich „An Attacking Repertoire for White with 1.d4“ vor allem an den fortgeschrittenen Spieler richtet. Der unerfahrene Leser wird die Erläuterungen oft nicht einschätzen können bzw. die Konsequenzen bestimmter Feststellungen nicht abschätzen können.

Die Kommentierung nutzt verschiedene Symbole zur Kennzeichnung bestimmter Passagen. So werden beispielsweise ein Revolver für beste oder überraschende Fortsetzungen, Klemmbretter für Hauptideen und Warnschilder für einzuprägende Inhalte verwendet. Daneben wird dann aber immer auch die von der Grafik vertretene Rubrik genannt. So ist die Darstellung zwar „etwas doppelt gemoppelt“, aber die hervorgehobenen Passagen heben sich besser ab und man kann auch erkennen, wenn eine Grafik fehlerhaft verwendet worden ist (so etwa auf Seite 220 ein Revolver für eine trickreiche Idee, die eigentlich von einem Zauberhut vertreten wird).
Aber: Das Werk verwendet diese Symbole für meinen Geschmack inflationär. Insbesondere der Revolver vermittelt den Eindruck, dass fast alle Empfehlungen gefährliche Waffen sind. Hier hätte ich mir weniger Symbole gewünscht, so dass die Seiten übersichtlicher geblieben wären.

Gelegentlich hat sich der Leser auch persönlich einzubringen, indem er Aufgaben zu erfüllen bzw. Lösungen für bestimmte Brettsituationen zu finden hat. Ob er mit seinem Ergebnis richtig liegt, erfährt er unmittelbar im Anschluss, integriert in den weiteren Text.

Am Ende des Buches sind ein gelungenes Variantenverzeichnis, ein Spielerverzeichnis und ein Quellenverzeichnis eingearbeitet.

Die Buchsprache ist Englisch, Fremdsprachkenntnisse auf Schulniveau sollten für ein weitgehend bequemes Verstehen ausreichen.

Fazit: „An Attacking Repertoire for White with 1.d4“ ist ein Werk, das vor allem dem fortgeschrittenen Spieler zu empfehlen ist. Es bietet ausgewählte Spielweisen an, die einen dynamischen Charakter haben und zumeist ein aggressives Spielen unterstützen. Verfasst worden ist es aus der Warte von Weiß, kann aber auch vom Spieler mit Schwarz gut verwendet werden, allerdings beschränkt auf die Auswahl von Fortsetzungen, die der Autor für Weiß getroffen hat.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Emanuel Lasler, A Reader

Taylor Kingston
„Emanuel Lasler, A Reader“
400 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-949859-00-3
33,50 Euro



„Emanuel Lasler, A Reader“


Dr. Emanuel Lasker, geboren am 24. Dezember 1868 und gestorben am 11. Januar 1941, hat auf verschiedenen Gebieten Bemerkenswertes geleistet. Dem Schachspieler ist er besonders natürlich als zweiter offizieller Weltmeister bekannt, der über die bisher längste Zeitspanne hinweg den Titel gehalten hat (1894 bis 1921). Aber auch als Buchautor, Herausgeber eines Schachmagazins, Kommentator und Komponist von Problemen und Studien ist er der Schachwelt bestens in Erinnerung geblieben.
Außerhalb des Schachspiels hat er sich als Mathematiker, Philosoph und als Erfinder von Spielen einen Namen gemacht.

„Emanuel Lasker, A Reader“ will keine Biografie über diesen großen Menschen sein und ist dies auch nicht. Auch ist das Werk keine Sammlung seiner besten Partien, auch wenn viele seiner Duelle enthalten sind. Wie der Herausgeber Taylor Kingston in seinem Vorwort herausstellt, war es ihm als Aufnahmekriterium vorrangig wichtig, dass die Partie von Lasker kommentiert worden ist. Ob er sie auch selbst gespielt hat oder sie zu seinen besten Leistungen zählt, war für ihn weniger bedeutend.

„Emanuel Lasker, A Reader“ ist ein Kompendium, das ein so detailliertes und differenziertes Bild von der Person zeichnet, wie es eine allenfalls bestens gelungene Biografie hätte schaffen können. Originalarbeiten Laskers werden ergänzt von Beiträgen aus der Feder von Dr. Karsten Müller und Dr. Ingo Althöfer. GM Karsten Müller gilt als einer der weltweit besten Endspielkenner. Er hat sich mit Laskers Endspielkunst und mit seiner Leistung als Komponist von Aufgaben aus dem Problemschach und von Studien befasst. Ingo Althöfer ist Professor der Mathematik in Jena und selbst passionierter und starker Hobbyschachspieler. Bekannt geworden ist er vor Jahrzehnten durch seine „3-Hirn“-Experimente (Kombination von zwei Schachcomputern und einem menschlichen Spieler). Er hat sich mit einem Ausschnitt aus Laskers Schaffen im Bereich der Mathematik befasst.

Das Werk besteht aus insgesamt vier Teilen. Diese sind, in einer sinngemäßen Übersetzung aus dem Englischen:
1. Schriftwerke zum Schach
2. Lasker als Philosoph und Sozialkritiker
3. Lasker als Mathematiker
4. Verschiedenes (u.a. das Spiel „Lasca“).

Der Lasker-Fan wird sich für sich für alles interessieren, was das Buch zu bieten hat. Für den weiteren Teil dieser Rezension setze ich aber die Brille des Schachspielers auf und konzentriere mich auf den Teil 1, Schriftwerke zum Schach.
Dieser Abschnitt enthält 12 Themenbereiche, zwei davon sind die bereits genannten Beiträge von GM Müller.
„The London Chess Fortnightly“ zeigt von Lasker verfasste Textbeiträge und kommentierte Partien in der gleichnamigen britischen Schachzeitschrift. Einige Seiten sind als Faksimile eingearbeitet und zusätzlich entsprechend auch optisch interessant. Lasker ist für seine aufgelockerte Kommentierung bekannt, die sich teilweise von der spröden Sachbuchsprache abhob. Sie ist passagenweise auch in diesen Auszügen zu erkennen.
Von Laskers Duellen um die WM-Krone sind besonders die Kämpfe gegen Steinitz, Marshall, Tarrasch und Capablanca mit zahlreichen kommentierten Partien vertreten (der Wettkampf gegen Marshall im Rahmen eines langen Beitrags „Lasker’s Chess Magazine (1904-1090)“ und mit Anmerkungen beider Spieler).
Auszüge aus Turnierbüchern sind zu Hastings 1895 und St. Petersburg 1909 integriert.
Weitere Auszüge gibt es von Laskers erstem Buch „Common Sense in Chess“ sowie von „Laskers’s Manual of Chess“.

Beeindruckend ist auch die Vielseitigkeit, mit der „Emanuel Lasker, A Reader“ die Vielseitigkeit Emanuel Laskers selbst nachzeichnet. Es gibt humorvolle Einzelbeiträge wie „The Chess Career of Baron Munchausen“ über ernste Aufsätze wie „Why are Chess Masters Short Lived?“ bis hin zu Traurigem wie Nachrufe zu James Mason, Michael Tschigorin und Harry Neslson Pillsbury.

Insgesamt ist „Emanuel Lasker, A Reader“ eine wahre Fundgrube für Schachbegeisterte und historisch Interessierte.
In seinem Vorwort bedauert Taylor Kingston, dass er mehrere beabsichtigte Inhalte nicht realisieren konnte. Gemessen an dem, was dieses Werk bietet, fehlen sie nicht.

Wer dieses Buch bequem durcharbeiten möchte, sollte gute englische Sprachkenntnisse haben.

Fazit: „Emanuel Lasker, A Reader“ ist ein sehr empfehlenswertes Buch über Emanuel Lasker. Es verbindet die verschiedenen Schaffensbereiche, in denen sich Lasker einen Namen gemacht hat. Im Vordergrund steht dabei sein Schaffen als Spieler und Autor in Sachen Schach.
„Emanuel Lasker, A Reader“ ist eine klare Kaufempfehlung an den Leser mit guten Englischkenntnissen.



Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Modern Scotch

Alexander Khalifman, Sergei Soloviov
„The Modern Scotch“
527 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-619-7188-24-0
22,50 Euro



„The Modern Scotch“

Mit „The Modern Scotch“, erschienen im bulgarischen Verlag Chess Stars, haben die beiden Autoren Alexander Khalifman und Sergei Soloviov ein umfangreiches Werk über die Schottische Eröffnung vorgelegt. Während Khalifman als früherer FIDE-Weltmeister und Autor der Buchreihen „Opening for White According to Anand“ bzw. „… According to Kramnik“, um nur einen kleinen Ausschnitt seiner Leistungen und Arbeiten zu geben, nicht weiter vorstellen muss, ist Soloviov vielen vermutlich weniger bekannt. Er ist Internationaler Meister (IM) und hat zahlreiche Bücher geschrieben (zur Eröffnung, biografische Partiensammlungen etc.).


Zunächst einmal ein paar Informationen zum Aufbau des Buches: „The Modern Scotch“ bedient sich nicht des Aufbaus der meisten Repertoirebücher von Chess Stars (Untergliederung der Kapitel in eine kompakte Einführung zu den wesentlichen Aspekten der Spielweise, eine umfassende Erörterung der Theorie und vollständige kommentierte Partien zur Illustration und Vertiefung). Vielmehr ist es klassisch in der Form der Gliederung in Teile/Abschnitte (vier an der Zahl) und sich darauf verteilende Kapitel (insgesamt 30) organisiert. Zusammengekommen sind mehr als 520 Seiten, die Theorie pur anbieten, da auf ergänzende kommentierte Partien gänzlich verzichtet worden ist.
Die einzelnen Buchteile, zum Teil auch die einzelnen Kapitel, werden zunächst kurz erläuternd eingeführt, die Last der Theorie ist den Kapiteln übertragen.

Teil 1 mit insgesamt fünf Kapiteln befasst sich nach 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4. Sxd4 mit allem außer den Haupterwiderungen 4…Lc5 und 4…Sf6.
Teil 2 behandelt in ebenfalls fünf Kapiteln die Folgen von 4…Lc5 5.Sb3.
In Teil 3 geht es um 4…Sf6 5.Sxc6 bxc6 6.e5 inklusive 6…De7 7.De2 Sd5, aber ohne 8.c4, erneut in fünf Kapiteln.
In Teil 4 gehen die Autoren quasi auf Teil 3 aufsetzend in 15 Kapiteln auf alles ein, was über 8.c4 entsteht.

In seinem Vorwort macht Khalifman darauf aufmerksam, dass nach seiner Auffassung in der Eröffnung nicht im Vordergrund stehen kann, wie Schwarz den Ausgleich schafft, sondern wie Weiß einen Vorteil herausholen kann, um eben seinen Anzugsvorteil entsprechend zu nutzen. Vor diese offensive Betrachtung sah er die Autoren in „The Modern Scotch“ gestellt.

Das Werk enthält eine Fülle an Theorie, die es in einer Mischung aus Text und Erläuterungen und in der Form der Baumstruktur aus Haupt- und Nebenvarianten anbietet. Überwiegend werden die Gründe für Empfehlungen oder für Einschätzungen etc. angegeben, aber nicht immer. So gibt es auch längere Passagen mit nur wenigen Texterläuterungen. Hierbei handelt es sich dann zumeist um Partiefragmente, von denen ein bemerkenswerter Anteil aus der Fernschachpraxis stammt.
Auch in der Kommentierung lässt „The Modern Scotch“ erkennen, dass es sich an den ambitionierten und schon fortgeschrittenen Turnier- und Vereinsspieler richtet. Erläuterungen auf einem von unerfahrenen Spielern verwertbaren Niveau bietet es allenfalls sporadisch an. So muss der Leser schon selbst die Begründung für Aussagen der Art, dass die Dame vor der Einleitung einer bestimmten Aktion besser auf a5 stehen sollte bzw. der Läufer nach einem Manöver zu weit vom König entfernt steht, um nur zwei Beispiele in Stellvertretung für viele zu bezeichnen.

Der erste Adressat des Werkes ist nach meiner Einschätzung der leistungsstarke Spieler, der entweder Schottisch bereits in seinem Repertoire hat und ganz gezielt aktualisieren und unterfüttern will oder aber Schottisch neu aufnehmen und hierzu die Fülle des Materials zur Frage sichten will, was er für seine vertiefende Befassung braucht. Daneben sehe ich den Fernschachspieler als ersten Adressaten an, der ein Kompendium sucht, das er während seiner eigenen Partie einsetzen und für das Beiziehen weiterer Hilfsmittel nutzen kann. Er kann auch sehr von der Ordnung, die „The Modern Scotch“ in die Theorie bringt, profitieren.

„The Modern Scotch“ ist übersichtlich gestaltet; die Hauptzüge sind fett gedruckt, die Nebenvarianten werden abgesetzt angeboten. Zahlreiche Diagramme unterstützen bei der Arbeit mit dem Werk. Nicht erwarten darf der Leser, dass sie die Verwendung eines Brettes, egal in welcher Form, entbehrlich machen. Viele Varianten sind einfach zu lang, als dass sie auf der Basis der Diagramme im Kopf weiterverfolgt werden könnten; dies gilt zumindest für jemanden mit meiner eigenen Kragenweite.
Hilfreich bei der Orientierung ist auch das hinreichend detaillierte Variantenverzeichnis auf den letzten Buchseiten.

Die Bibliografie enthält ältere wie auch jüngere Buch-Quellen. Das Gros des Materials stammt nach meiner Einschätzung allerdings aus Datenbanken, von denen mir bekannter Weise vier allein Fernschachpartien enthalten.

Etwas größeres Augenmerk habe ich auf „technische“ Fehler gerichtet, weil mir ein solcher gleich im Vorwort aufgefallen ist. So ganz verständlich ist mir ein solches Auftreten gerade in einem Vorwort nicht, wenn ein hinreichendes Korrekturverfahren stattgefunden hat. Im Vorwort ist das Schachzeichen „mit der Idee“ an einer Stelle abgebildet, an der drei Punkte für einen Zug von Schwarz stehen sollten. Solche Fehler verursacht die Autokorrektur des Textprogramms, wenn ein Schachzeichensatz verwendet wird.
Ich habe trotz meiner gehobenen Aufmerksamkeit keine Fehler auf den weiteren Seiten des Buches gefunden, über die wegen ihrer Zahl oder ihrer Art zu berichten wäre.

Die Buchsprache ist Englisch. Wer über Sprachkenntnisse auf Schulniveau verfügt, wird mit dem Werk ohne besondere Probleme zurechtkommen.

Fazit: „The Modern Scotch“ ist ein gelungenes Werk. Zum Kauf empfehlen möchte ich es demjenigen, in dessen Hand ich es gut aufgehoben sehe, weil er seine Stärken nutzen kann und nicht von diesen überfordert wird. Für den spielstarken Leser mit Vorerfahrung zu Schottisch oder mit der Ambition, sein Repertoire damit zu ergänzen ist wie für den Fernschachspieler dieses Buch eine Chance, erstklassiges und erstklassig bewertetes Material für die eigene Prüfung verfügbar zu bekommen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Forcing Chess Moves

Charles Hertan
„Forcing Chess Moves“
432 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-856-9
27,95 Euro



„Forcing Chess Moves“


In seiner vierten und zugleich erweiterten Auflage ist 2019 das Werk „Forcing Chess Moves“ von Charles Hertan bei New In Chess (NIC) erschienen. Wenn ein Schachbuch innerhalb von 11 Jahren vier Auflagen erfährt, dann weckt es Erwartungen – auch bei einem Rezensenten. Und wenn das Urteil über vorhergehende Ausgaben in der Fachpresse und in Rezensionen so positiv wie in diesem Fall ausfällt, gilt dies noch umso mehr. Was also macht „Forcing Chess Moves“ zu so etwas wie einem Liebling der in Sachen Schach Schreibenden? Welche Art von Schachbuch bekommt der Käufer bei ihm in die Hand?

Das Werk lässt sich in das Genre der Taktikbücher einreihen. Es stellt aber nicht in einer wie von üblichen Arbeiten bekannten Weise Elemente der Schachtaktik vor, sondern widmet sich der Frage, wie man in seiner Partie vorgehen kann, damit man ein bestimmtes mögliches Manöver nicht übersieht. Auch Großmeister sind nicht davor gefeit, eine sich bietende zwingende Möglichkeit taktischer Art nicht zu erkennen und hierdurch den greifbaren Erfolg auszulassen, wie Hertan zurecht feststellt. Und es wird nicht einen einzigen erfahrenen Schachfreund geben, der ein gleiches Missgeschick nicht auch von sich selbst berichten könnte.
Hertans Mittel ist eigentlich denkbar einfach. „Mach es wie ein Computer!“, lässt sich seine Aufforderung auf den Punkt bringen. Der Leser soll lernen und es zu seiner Devise machen, die Berechnung immer mit den Zügen zu beginnen, die den Gegner zu einer aus der eigenen Warte vorteilhaften Reaktion zwingen. Dieser kann somit nicht abweichen und muss sich in den für ihn nachteiligen Ablauf fügen. Und nach dem „brute force“-Prinzip soll er dann alle Möglichkeiten in seine Berechnungen einbeziehen, also nichts nach dem Prinzip „geht sowieso nicht“ ausschließen. Hertans Logik ist dabei bestechend – kann der Gegner mit einem zwingenden Zug in die Niederlage oder ggf. in ein Remis gedrängt werden, so ist genau dieser Zug richtig. Ohne Bedenkzeit für andere Züge zu verschwenden, soll der Leser sich diesem Kandidaten widmen.

Das Prinzip ist für eine Reihe von Situationen auf dem Schachbrett das Mittel zum Erfolg. Im Einzelfall kommen die Elemente der Schachtaktik zum Einsatz, die schon der Anfänger erlernt, von Springergabel bis Opfer.
In insgesamt 13 Kapitel hat Hertan sein Werk gegliedert. Inhaltlich lassen sie sich wie folgt skizzieren:

Kapitel 1: Arten von zwingenden Zügen und deren Einsatz.
Kapitel 2: Arten von Mattangriffen unter Einsatz zwingender Züge.
Kapitel 3: Akkurate Berechnung unter Ausschluss der eigenen Voreingenommenheit (Vermeidung, dass Züge deshalb nicht in die Berechnung einbezogen werden, weil der Spieler sie gleich zu Beginn der Betrachtung für unmöglich hält).
Kapitel 4: Erkennen überraschender zwingender Züge.
Kapitel 5: Abwehr einer gegnerischen Drohung durch das Aufstellen einer gleich starken oder stärkeren eigenen Drohung.
Kapitel 6: Zwingende stille Züge.
Kapitel 7: Zwingende Angriffszüge in der Gestalt eines Rückzugs.
Kapitel 8: Zwischenzüge.
Kapitel 9: Zwingende Züge in der Verteidigung.
Kapitel 10: Zwingende Züge im Endspiel.
Kapitel 11: Intuition und Kreativität.
Kapitel 12: Übungen verschiedener Art.
Kapitel 13: Hierarchie nach Hertan: Hilfsmittel für eine verbesserte Variantenberechnung.

Die Kapitel 1 bis 11 sind allesamt gleichartig aufgebaut. Zunächst führt Hertan den Leser in den jeweiligen Gegenstand der Betrachtung ein. Dabei zeigt er die Bedeutung auf, die eine Fähigkeit des Lesers, wie ein Computer mit der Stellung umzugehen, für das bestmögliche Spiel zum Thema hat. Im Anschluss daran steigt er über intensiv besprochene Beispiele in die Anwendung in einer Partie ein. Dies ist der Bereich, der dem Studium des Lesers gewidmet ist. Er soll konzentriert und im Detail die Beispiele durcharbeiten, um auf diese Weise den jeweiligen Stoffbereich zu verstehen und zu verinnerlichen. Es geht also nicht darum, dass er wie in herkömmlichen Taktikbüchern Elemente der Schachtaktik schlicht kennen lernt. Er soll vielmehr auch zu dem bestimmten Verhalten hingeleitet werden, in der eigenen Partie die ihm bekannten Manöver konsequent auf die Anwendbarkeit in einer aktuellen Brettsituation zu prüfen und diese Prüfung nach den Anforderungen der Objektivität durchzuführen.
Diese Kapitel werden abgeschlossen mit Übungsaufgaben zum Thema. Sie sind so angeordnet, dass der Leser auf der Vorderseite einer Buchseite zumeist vier Aufgaben gestellt bekommt und er die Lösungen für diese auf der Rückseite findet. In diesem Rhythmus geht es bis zum Ende des Kapitels weiter.
Seine konzeptionelle Vorstellung zum Umgang des Lesers mit dem Stoff beschreibt Hertan bereits eingangs des Werkes, so dass er damit quasi auch eine Anleitung zur Nutzung gibt.

Im Kapitel 12 wartet ein Mix aus Aufgaben auf den Leser. Hier geht es also um seine Fähigkeiten, die er zu allen behandelten Elementen bzw. Themen des Buches aufgebaut haben sollte.

Alle Aufgaben, also auch jene in den einzelnen Kapiteln, werden über ein Ausgangsdiagramm gestellt. Zusätzlich gekennzeichnet ist, welche Seite sich am Zug befindet.
Eine konkrete Fragestellung zeigt dem Leser an, was genau von ihm erwartet wird.

Das Kapitel 13 stellt eine Art Checkliste zum Einsatz zwingender Züge in der Partie auf und enthält auch Hilfestellungen, die an FAQ erinnern.

Hertan erklärt sehr ausführlich, nachvollziehbar und überzeugend. Dies gilt sowohl für die Bereiche eines Kapitels, in denen er den jeweiligen Stoff vorstellt, also auch für die Lösungen auf die Übungsaufgaben. Schritt für Schritt wird der Leser von den Grundzügen immer tiefer in den jeweiligen Stoffbereich eingeleitet. Aus meiner Sicht ist es als mustergültig zu bezeichnen, wie Hertan sich Mühe gibt, den Leser den Stoff wirklich verstehen zu lassen und wie er immer wieder darauf hinarbeitet, dass der Leser „Computer-Augen“ entwickelt, also möglichst objektiv alles prüft und seine Berechnungen konsequent durchführt und zu Ende bringt.
Die Buchsprache ist Englisch, mit Fremdsprachkenntnissen auf Schulniveau sollte der Leser aber ganz bequem mit dem Buch arbeiten können.

Fazit: „Forcing Chess Moves“ ist ein ganz besonderes Lehrbuch zur Taktik im Schach. Es zielt darauf ab, den Leser zwingende taktische Möglichkeiten in seiner Partie erkennen und ihn diese dann objektiv und qualifiziert anwenden zu lassen. Es spricht jeden Spieler an, vom Anfänger bis zum erfahrenen Vereins- und Turnierspieler.
Ich kann für dieses Werk eine klare Kaufempfehlung aussprechen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Modernized Dutch Defense

Adrien Demuth
„The Modernized Dutch Defense“
467 Seiten, kartoniert
ISBN: 9789492510556
24,95 Euro




„The Modernized Dutch Defense“

„The Modernized Dutch Defense“ aus der Feder des französischen Großmeisters Adrien Demuth ist ein Repertoirebuch zur Holländischen Verteidigung, in dessen Zentrum das Leningrader System (Leningrader Variante, Leningrader Verteidigung) steht. In diesem Aufbau setzt Schwarz auf das Fianchetto seines Königsläufers.
Das Werk ist eine Neuerscheinung aus 2019 und umfasst 467 Seiten. Es ist in drei Abschnitte gegliedert, die insgesamt 12 Kapitel enthalten.

Der folgende Ausschnitt aus dem Inhaltsverzeichnis, sinngemäß ins Deutsche übersetzt und ergänzt um den Umfang des jeweiligen Kapitels in Seiten, zeigt auf, wie Demuth seine Arbeit aufgebaut hat, welche Spielweisen er in welchem Umfang behandelt und somit auch, wie er das Repertoire gegen Abweichungen des Spielers mit Weiß abgesichert hat. Dies gilt insbesondere auch für die Möglichkeit, dass die Partie zunächst über Zugfolgen aus der Réti-Eröffnung oder der Englischen Eröffnung läuft.

ABSCHNITT I – Frühe Seitenwege nach 1.d4 f5
Kapitel 1 - Das Staunton-Gambit (21 Seiten)
Kapitel 2 - Das System mit 2.Sc3 (37 Seiten)
Kapitel 3 - Der Göring-Angriff 2.Lg5 (26 Seiten)
Kapitel 4 – Seltene Abspiele im zweiten Zug (69 Seiten)
Kapitel 5 - Systeme mit einem frühen c3 und/oder Sh3 (38 Seiten)

ABSCHNITT II - Klassische Systeme
Kapitel 6 – Weiße Seitenwege im dritten Zug (43 Seiten)
Kapitel 7 – Abspiele mit einem frühen b4 (26 Seiten)
Kapitel 8 - Systeme mit b3 (46 Seiten)
Kapitel 9 – Das aggressive 2.c4 Sf6 3.Sc3 (38 Seiten)
Kapitel 10 – Das Klassische Leningrader System (74 Seiten)

ABSCHNITT III - Reti und Englische Zugfolgen
Kapitel 11 – Das Leningrader System der Holländischen Verteidigung gegen die Réti-Eröffnung (27 Seiten)
Kapitel 12 - Das Leningrader System der Holländischen Verteidigung gegen die Englische Eröffnung (38 Seiten).

Die Kapitel werden mit einer Titelseite eingeleitet, die ein Diagramm mit der Ausgangsstellung enthält sowie die Initialzugfolge angibt. Die Folgeseite, mit „Chapter Guide“ überschrieben, enthält eine Übersicht über die im Kapitel behandelten Varianten. Leider enthält das Werk kein umfassendes Variantenverzeichnis, das mit diesen Übersichten in den Kapiteln korrespondiert. So ist es etwas mühselig, bestimmte gesuchte Passagen anzusteuern. Dies dürfte besonders für den noch unerfahrenen Spieler gelten, dem noch ein Überblick über die theoretische Zuordnung fehlt.

Die Kapitel sind sehr übersichtlich gestaltet. Die jeweilige Ausgangsvariante wird deutlich hervorgehoben. Die Hauptzüge sind fett geschrieben, die Kommentare und Varianten sind großzügig abgesetzt. Varianten zweiter Ordnung sind schwächer gedruckt, so dass sie sofort zu erkennen sind.
Es gibt angenehm viele Diagramme, zu denen jeweils auch angemerkt wird, mit welchem Zug die ausgewiesene Stellung erreicht worden ist. Auf die Hauptzüge bezogene Diagramme sind größer als jene für Positionen aus Nebenvarianten.

Demuth erklärt viel und gut. Sehr gut gefällt mir, dass er sich durchgehend intensiv zu strategischen Aspekten, zu den Plänen und den Hintergründen dazu äußert. Dies unterstützt das Verständnis ganz erheblich. Bemerkenswert ist auch, dass er verwendete Computervorschläge nicht einfach angibt, sondern oft auch interpretiert. So erfährt der Leser, warum die Engine nach der Einschätzung des Autors zu einem bestimmten Ergebnis gekommen ist bzw. welche Aspekte den Ausschlag für das Rechenergebnis gegeben haben dürften. Ich gehe davon aus, dass Demuth überwiegend mit Stockfish gearbeitet hat.

Etwas vorsichtig bin ich mit einer Bestätigung, dass „The Modernized Dutch Defense“ auch zahlreiche Neuerungen enthält. Als Neuerung gekennzeichnet sind tatsächlich etliche Züge, sowohl in den Haupt – als auch in den Nebenvarianten. Dies gilt auch für ein teilweise noch frühes Stadium der Partie. Als es mich an einer Stelle wunderte, dass eine bestimmte Fortsetzung sehr plausibel aussah und dennoch neu sein sollte, habe ich meine Partiendatenbank befragt und gleich mehrere Partien gefunden, in denen sie schon angewendet worden war. Um zu schauen, ob dies eine Ausnahme sein konnte, habe ich gezielt für einen willkürlich gewählten Bereich geprüft, ob darin die angegeben Neuerungen für Hauptzüge tatsächlich ohne bisheriges Beispiel sind. Ca. die Hälfte der von mir geprüften Beispiele war schon bekannt, teilweise auch schon seit etlichen Jahren und besonders auch durch eine Anwendung im Fernschach (nur drei Beispiele zur Bestätigung: Seite 174 - 10…Sf7, S. 178 - 8…Db6 und S. 181 - 12.c3).
Dies lässt mich feststellen, dass für den Leser, der nicht auf die Ergebnisse aus dem Fernschach zurückgreift, tatsächlich vieles neu sein wird, soweit es eben aus der Fernschach-Praxis stammt. Der Fernschachspieler mit einer gut sortierten Partiendatenbank wird bisweilen schon über praktisches Material verfügen.

Die Buchsprache ist Englisch. Die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers sind aber nur moderat, so dass jeder mit „Schulenglisch“ ausgestattete Leser problemlos mit dem Werk zurechtkommen sollte.

Fazit: „The Modernized Dutch Defense“ ist ein gelungenes Repertoirebuch zur Holländischen Verteidigung, in dem das Leningrader System im Zentrum steht. Das Repertoire stützt sich auf aktuelle Theorie und Praxis. Die Erläuterungen für den Leser sind sehr ansprechend, insbesondere auch hinsichtlich der strategischen Aspekte und der Pläne. Teilweise sind als Neuerungen gekennzeichnete Fortsetzungen bereits aus der Praxis bekannt, insbesondere aus dem Fernschach.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Safest Grünfeld Reloaded

Alexander Delchev
„The Safest Grünfeld Reloaded“
351 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-619-7188-25-7
22,95 Euro




„The Safest Grünfeld Reloaded“

"The Safest Grünfeld Reloaded" ist ein überarbeitetes, aktualisiertes und erweitertes Repertoirebuch aus 2019 von Alexander Delchev, das 2011 ohne die Titelergänzung "Reloaded" auf den Markt gekommen ist. Delchev ist Großmeister aus Bulgarien und ein renommierter Autor. Erschienen ist das Werk im bulgarischen Verlag Chess Stars.

In insgesamt 14 Kapiteln stattet Delchev den Leser mit einem Komplettrepertoire auf der Basis der Grünfeld-Indischen Verteidigung aus, das er um Antworten auf Versuche von Weiß absichert, der genannten Verteidigung aus dem Weg zu gehen.

Das Werk folgt dem besonderen Format der Repertoirebücher aus dem Hause Chess Stars, das durch einen dreiteiligen Aufbau gekennzeichnet ist. Die einzelnen Spielweisen werden zunächst in einem Abschnitt "Main Ideas" hinsichtlich ihrer grundlegenden Aspekte vorgestellt. Zu diesen zählen insbesondere die wesentlichen Pläne zur Spielführung, Bauernstrukturen und taktische Motive, regelmäßige Zugfolgen und Zugumstellungen, Einschätzung und Bewertung der Theorie. Soweit es sich anbietet, findet der Leser an dieser Stelle auch ein paar Informationen zur Geschichte der Variante, zu Protagonisten etc.

Die intensive Darstellung und Erörterung der Theorie findet im Abschnitt "Step by Step" statt. Abgeschlossen wird das Kapitel vom Abschnitt "Complete Games", in dem der Einsatz des jeweiligen Systems in kommentierten Partien illustriert wird. Die jeweiligen Anmerkungen dienen in erster Linie dem Zweck der Schulung. Entsprechend fokussieren sie sich auf die eröffnungstheoretischen Belange und ergänzen zugleich inhaltlich den Abschnitt "Step by Step".

Im Vorwort eröffnet Delchev dem Leser, wie aus seiner Sicht ein gutes Repertoirebuch gestaltet sein sollte. Demnach sollte es zunächst klären, welches die positionellen Ziele einer Spielweise sind, was es zu erreichen und zu vermeiden gilt. Dann sollten die typischen Bauernstrukturen und einzelne Pläne untersucht werden. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Leser ein generelles Grundverständnis aufbaut, das ihm in seiner Partie auch dann noch helfen wird, wenn er Einzelheiten nicht mehr im Gedächtnis hat.

Diesem Ansatz folgt "The Safest Grünfeld Reloaded" mustergültig.

Delchev gibt an, dass er im Vergleich zum Ursprungwerk mehr auf die dynamischen Chancen für Schwarz Wert gelegt hat. Der Leser soll häufiger auch auf einen Sieg spielen können. Auf Seite 77 beispielsweise verweigert er deshalb einer Variante den Status als seine Hauptvariante, weil sie intensiv analysiert worden ist und Schwarz nicht mehr als ein sicheres Remis verspricht.

Die Entwicklung der Theorie hat Delchev intensiv überprüft, was auch das Quellenverzeichnis andeutet. Es enthält wichtige Neuerscheinungen der letzten Jahre, insbesondere auch zu Eröffnungen, die Weiß zur Vermeidung der Grünfeldindischen Verteidigung einsetzen kann. Die entsprechenden Ausführungen im Werk hat Delchev angabegemäß komplett neu geschrieben.

Die Aktualisierung wird auch darin erkennbar, dass viel neues Material aus der Praxis verarbeitet worden ist. Dabei nehmen im Fernschach gespielte Partien eine bemerkenswerte Rolle ein.

Überprüft hat Delchev auch seine früheren Einschätzungen und Empfehlungen. An mehreren Stellen hat er sie geändert.

Delchev legt einen besonderen Wert darauf, dem Leser mit intensiven Erklärungen und Erläuterungen sowie Empfehlungen zu helfen. Er begnügt sich nicht mit floskelhaften Angaben wie "X steht besser" oder unkommentierten Varianten mit einem abschließenden Symbol zum Stand. Der Leser soll verstehen, was geschieht und warum es zur jeweiligen Einschätzung kommt.

Das Repertoire ist aus der Sicht von Schwarz geschrieben. Es enthält deshalb die wesentlichen Erwiderungen für Weiß und nicht alle Möglichkeiten für Schwarz. Sehr oft aber gibt Delchev Alternativen auch für den Nachziehenden an, so dass eine flexible Gestaltung des Repertoires unterstützt wird.

Dass sich die Anschaffung von "The Safest Grünfeld Reloaded" auch lohnen kann, wenn man sich bereits über Literatur gut ausgestattet sieht, wird an etlichen Stellen deutlich. Mal ist es beispielsweise eine kritische Auseinandersetzung mit einer Variante oder Einschätzung in einem anderen Werk, dann ist es die Aufnahme einer Fortsetzung mit Potenzial, die noch nicht oder selten gespielt worden ist. Auf Seite 38 nimmt er einer Variante von Boris Awruch den Wind aus den Segeln, dessen Bücher zur Grandmaster Repertoire-Serie von Quality Chess zum Besten zählen, was ich bisher aus diesem Bereich der Schachliteratur gesehen habe. Zum gegen die Grünfeldindische Verteidigung gerichteten Sämisch-Aufbau mit 3.f3, behandelt im Kapitel 12, schlägt er einen Zug 11...Te8! vor, der erst einmal in einer Turnierpartie aus dem Jahr 2016 gespielt worden ist. Typisch für das Vorgehen Delchevs allgemein ist es, dass er das Überraschungspotenzial anführt, dann aber in einer Punktaufzählung mit einem abschließenden Resümee die positionellen Aspekte aufzeigt.

Das Werk richtet sich meines Erachtens an den Spieler im Bereich des Klubniveaus. Es kann für die Aufnahme der Grünfeldindischen Verteidigung in das eigene Repertoire wie auch für dessen Aktualisierung und Verfeinerung genutzt werden.

Ein ordentliches Stichwortverzeichnis erleichtert das Navigieren über die Buchinhalte hinweg.

Fremdsprachkenntnisse auf Schulniveau reichen für ein bequemes Verstehen aus.

Fazit: "The Safest Grünfeld Reloaded" ist für mich eine klare Kaufempfehlung.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Cheparinov´s 1.d4!, Volume 1 King´s Indian and Grünfeld

Ivan Cheparinov
„Cheparinov´s 1.d4!, Volume 1 King´s Indian and Grünfeld“
191 Seiten, kartoniert
ISBN: 9789492510709
25,95 Euro




Cheparinov´s 1.d4!, Volume 1 King´s Indian and Grünfeld

„Cheparinov´s 1.d4!, Volume 1 King´s Indian and Grünfeld“ ist der Auftaktband zu einer Serie aus Repertoirebüchern, über die Weiß mit einem Komplettrepertoire ausgestattet werden soll.
Ivan Cheparinov ist ein aus Bulgarien stammender Großmeister, der mit seiner Elo-Zahl von 2718 (zum Zeitpunkt des Erscheinens des 1. Bandes) zur absoluten Weltelite gezählt werden kann. Das von ihm ausgearbeitete Repertoire wendet er auch selbst an. Er veröffentlicht nicht nur in der Turnierpraxis bereits eingesetzte Züge und Varianten, sondern auch die Ergebnisse seiner Analysen im Rahmen seiner Vorbereitung als Spieler sowie natürlich als Autor.

Zunächst ist festzustellen, dass sein Repertoire gegen Königsindisch und gegen Grünfeld-Indisch überwiegend sehr aggressiv ausgelegt ist. Dies passt mit seinen Worten in der Einleitung zusammen, in der er ankündigt, zumeist zweischneidige Varianten anzubieten. Dabei hat er besonders den Turnierspieler im Auge. Er soll Schwarz unter Druck setzen und ihm schwer zu treffende Entscheidungen abringen können. Nicht selten geht es auch zuoberst darum, schneller als Schwarz zu einem gefährlichen Angriff zu kommen. Cheparinov zieht dabei auch ins Kalkül, dass Weiß den Vorteil einer guten Vorbereitung bzw. eines Wissensvorsprunges für sich nutzen kann. Dies gilt für den Leser, indem er ihm auch bisher unveröffentlichtes Material zur Verfügung stellt.
Für den Fernschachspieler mit den schwarzen Steinen ist diese Erwägung weniger bedeutend als für den Spieler auf der Turnierbühne. Er kann seine Antworten auf die Herausforderungen von Weiß ohne Zeitdruck und mit Unterstützung des Computers finden. Auch für ihn aber gilt, dass er sich gegen intensiv geprüfte Attacken behaupten muss. Ebenfalls in der Einleitung bestätigt Cheparinov, dass er alle Varianten mit starken Engines überprüft hat, auch wenn er stets seine persönliche Einschätzung vertritt, ggf. auch der Einschätzung des Computers nicht folgend.

Das Repertoire baut durchgehend auf 3.f3, somit auf Sämisch-Strukturen. Es wird in vier Kapiteln erörtert, die wie folgt überschrieben sind:

1. Early Sidelines
2. Benoni Structures
3. The Grünfeld
4. The King´s Indian Sämisch.

Die aggressive Ausrichtung, gepaart mit der Veröffentlichung bisher unveröffentlichten Materials wird gut an einem Beispiel zum Grünfeld-Inder deutlich. Auf Seite 75 bringt Cheparinov in der Variante 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.f3 d5 4.cxd5 Sxd5 5.e4 Sb6 6.Sc3 Lg7 7.Le3 0-0 8.Dd2 e5 9.d5 c6 10.h4 cxd5 11.exd5 h5 12.g4 Sa6 die Neuerung 13.d6. Nach diesem „Hammer“ sind alle weißen Kräfte in den Angriff einbezogen. Am Brett ist diese Situation schwer zu verteidigen.
Dass der Autor auch die aggressivsten Fortsetzungen für Schwarz auf dem Schirm hat, bestätigt er beispielsweise auf Seite 103. Hier geht er im System nach 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.f3 d5 4.cxd5 Sxd5 5.e4 Sb6 6.Sc3 Lg7 7.Le3 0-0 8.Dd2 Sc6 9.0-0-0 f5 10.e5 auf das von Carlsen und AlphaZero gespielte Opfer 10...f4 ein. Im Ergebnis hält er es, über Analysen unterfüttert, für zweifelhaft.

Da Cheparinov ein Weißrepertoire zusammengestellt hat, deckt er die wesentlichen schwarzen Möglichkeiten jeweils ab. Die Wege für Weiß behandelt er nur, soweit sie in sein Repertoire fallen. Wichtige alternative Wege für Weiß gibt er aber an. So kann der Leser andere Quellen beiziehen, wenn er diese vertiefen möchte.

Als die von seinem Buch angesprochenen Leser sieht Cheparinov Amateure wie auch Profis. Damit ein Amateur von ihm profitieren kann, muss er meines Erachtens aber bereits eine ordentliche Spielstärke erreicht haben. Der noch nicht so versierte Spieler wird die scharfen Varianten vermutlich nicht ohne weiteres unbeschadet überstehen.
Cheparinov erklärt gut, was heißen soll, dass er seine Einschätzungen ganz überwiegend begründet und die in der Spielführung einzuhaltende rote Linie aufzeigt.

Die Buchsprache ist Englisch. Fremdsprachkenntnisse auf Schulniveau reichen für einen bequemen Umgang mit dem Werk aus.

Fazit: „ Cheparinov´s 1.d4!, Volume 1 King´s Indian and Grünfeld“ ist ein starkes Repertoirebuch für den spielstarken Amateur bis zum Profi. Es bildet den Auftakt für eine Serie, die den Spieler mit Weiß mit einem kompletten Repertoire ausstatten soll.
Auf der Basis dieses Werkes kann Weiß sein Spiel gegen die Königsindische Verteidigung und gegen Grünfeld-Indisch besonders aggressiv aufbauen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Attacking with g2-g4

Dmitry Kryakvin
Attacking with g2-g4
288 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-865-1
21,95 Euro




Attacking with g2-g4

Ein sehr interessantes Werk verbirgt sich hinter dem Titel „Attacking with g2-g4“ aus der Feder des russischen Großmeisters Dmitry Kryakvin, 2019 erschienen bei New in Chess (NIC). Denkt man vielleicht zunächst an eine neue Abhandlung zu Grobs Angriff, so liegt man falsch. Es geht in dieser Übersetzung aus dem Russischen vielmehr um den Angriffszug g2-g4 in verschiedenen Eröffnungen.

Mit diesem Bauernvorstoß kann Weiß beispielsweise in der Slawischen Verteidigung, in der Holländischen und der Königsindischen Verteidigung wie auch im Nimzowitsch-Inder quasi mit der Faust auf den Tisch hauen und die Verhältnisse durcheinanderbringen und eskalieren. Im Vordergrund steht dabei zumeist der Kampf um die Initiative.

„Attacking with g2-g4“ ist nicht etwa eine systematische Aufarbeitung zur Frage, wann, unter welchen Bedingungen etc. der Bauernvorstoß gespielt werden kann, sondern eine exemplarische Darstellung. Das Werk ist in acht Teile gegliedert, auf die sich insgesamt 17 Kapitel verteilen. Insgesamt 84 Partien aus der Meisterpraxis, zum Thema kommentiert, sind das Herz der Arbeit. Eingangs stellt Kryakvin heraus, dass g2-g4 auch als Vermächtnis des früheren Weltmeisters M. Botwinnik betrachtet werden kann, der früh die Bedeutung dieses Angriffszuges erkannt hat.

Ab dem vierten Kapitel konzentriert Kryakvin seine Betrachtung auf den Einsatz des thematischen Vorstoßes in bestimmten Eröffnungen. Regelmäßig stellt er zunächst ein paar einleitende Aspekte vor, beispielsweise zur geschichtlichen Entwicklung und zu wichtigen Nuancen. Diesen folgen die jeweiligen kommentierten Partien. Eine wertende Zusammenfassung bildet den Abschluss der Erörterung. Diese hält ohne Anspruch auf Vollständigkeit Erkenntnisse aus der Besprechung fest, so etwa zu strategischen Aspekten, Spielplänen etc.

Zur Kommentierung der Partien bleibt zu ergänzen, dass der Autor Fragen bzw. Aufgaben eingearbeitet hat, über die er den Leser einbindet. Diese beschränken sich nicht auf eröffnungstheoretische Aspekte. So sind sie auch in späteren Partiephasen zu finden.

„Attacking with g2-g4“ ist darauf ausgelegt, das Grundverständnis des Lesers zum genannten Bauernvorstoß als Angriffswaffe zu erweitern. Das Werk ist unterhaltsam geschrieben. Hierdurch unterstützt es den Leser in seinem Streben, konzentriert mit ihm zu arbeiten. Die Buchsprache ist Englisch. Der Leser mit Fremdsprachkenntnissen auf Schulniveau kommt gut mit ihm zurecht.

Fazit: „Attacking with g2-g4“ ist eine Empfehlung für den Spieler, der seine Fertigkeiten im Umgang mit diesem Angriffszug qualifizieren möchte. Dies gilt für beide Rollen, Angreifer und Verteidiger.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Modernized Delayed Benoni

Ivan Ivanisevic
The Modernized Delayed Benoni
236 Seiten, kartoniert
ISBN: 9789492510655
27,95 Euro




The Modernized Delayed Benoni
Im Gegensatz zur modernen Benoni- Verteidigung, von der man üblicherweise spricht, wenn die Partie über die Eingangszüge 1. d2–d4 Sg8–f6 2. c2–c4 c7–c5 3. d4–d5 e7–e6 eröffnet wird, wird bei der verzögerten modernen Benoni-Verteidigung zunächst g7-g6 und Lf8-g7 gespielt, bevor d7-d6 und dann auch die Rochade folgen. e7-e6 und e6xd5 (manchmal auch e6-e5) werden verzögert ausgeführt. Dieser Spielweise widmet sich der serbische Großmeister Ivan Ivanisevic in seinem Buch "The Modernized Delayed Benoni", 2019 erschienen bei Thinkers Publishing. Das Buch ist konzeptionell eine Mischung aus Ratgeber, Anleitung und Repertoirebuch. So erinnert es mich ein wenig an Eröffnungsbücher aus Buchreihen wie "Wie spielt man ...", allerdings für den Spieler mindestens im gehobenen Leistungsbereich.

Ivanisevic orientiert seine Darstellungen an dem, was der deutlich fortgeschrittene Spieler aufgrund seiner bereits vorhandenen Kenntnisse verstehen kann. Spieler im unteren Leistungsbereich werden offene Fragen behalten. Sie werden von (Analyse-)Varianten, von denen es reichlich gibt, weniger profitieren können, soweit sie keine Kommentare enthalten, und manche Einschätzungen nicht nachvollziehen können, weil sie nicht begründet werden. Um hierfür ein Beispiel zu geben: Bereits auf der ersten Theorieseite ist zu lesen, dass eine bestimmte Fortsetzung eine Ungenauigkeit ist. Worauf sich dieses Urteil stützt, kann der weniger versierte Spieler kaum ergründen.

Benoni ist an sich schon keine Anfängereröffnung. Es ist entsprechend nachvollziehbar, in welchen Lesern Ivanisevic sein Klientel sieht.

Der starke Spieler mit Vorkenntnissen zur Benoni-Verteidigung erhält über "The Modernized Delayed Benoni" ein Update und ein Mittel zum "Fein-Tuning". Einige Neuerungen sind im Werk zu finden, mit denen der Gegner überrascht werden kann.

Es gibt acht Kapitel im Buch, von denen mich die Nummern vier, sieben und acht am meisten überzeugen. In diesen ist der Anteil der Erläuterungen, Begründungen etc. deutlich höher als in den weiteren Kapiteln. Diese setzen vermehrt auf die Abbildung nicht oder kaum kommentierter Varianten. Besonders ausführlich gestaltet ist das Kapitel 8, das sich mit dem Sämisch-System befasst. In seiner Einleitung erklärt Ivanisevic, das die Ausführungen erheblich von Erkenntnissen Ivan Sokolovs profitieren, mit dem zusammen er ein Vorgängerprojekt bearbeitet hat, dessen Ergebnisse für die vorliegende Arbeit nutzbar waren.

Zwei Anhänge ergänzen die Kapitel.

Das Inhaltsverzeichnis - beschränkt auf die Darstellung der Eröffnungstheorie - sieht wie folgt aus:
1. Rare 5th Moves
2. The Fianchetto Variation
3. White Avoids the Main Variation
4. The Main Variation
5. Allowing ... Bg4 in the Main Variation
6. The Classical 7.Be2
7. The Four Pawns Attack
8. The Sämisch
Appendix 1: Transpositions and Move Orders
Appendix 2: Classical Modern Benoni.

Es gibt mehrere Einzelaspekte, die mir an "The Modernized Delayed Benoni" sehr gut gefallen:
- Ein flexibler Umgang mit dem behandelten System: Wenn er es ausnahmsweise für besser hält, von der verzögerten Variante in die moderne Variante oder anders zu wechseln, dann empfiehlt Ivanisevic diesen Schritt.
- Der Autor behält Verbindungen zwischen dem Buchsystem und der Königsindischen Verteidigung im Auge, so dass der Königsindisch-Anhänger ebenfalls vom Werk profitieren kann.
- Ivanisevic zeigt praxisrelevante Zugumstellungen auf.

Jedes Kapitel enthält eine abschließende wertende Zusammenfassung. Teilweise bietet es sich an, diese frühzeitig beim Befassen mit einem Kapitel zu lesen, um bereits vorab Leitgedanken nutzen zu können.
Unterschiedlich intensiv sind die Einleitungen der Kapitel. Hier gefallen mir jene am besten, die bereits Aussagen zur Strategie und zu Plänen treffen.
Die Buchsprache ist Englisch. Die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers sind nicht allzu hoch.
Fazit: "The Modernized Delayed Benoni" ist eine Empfehlung für den fortgeschrittenen, den spielstarken Schachfreund. Dieser kann insbesondere dann, wenn er bereits Benoni in seinem Repertoire hat, seine Kenntnisse aktualisieren und erweitern.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The King’s Indian according to Tigran Petrosian

Igor Yanvarjov
The King’s Indian according to Tigran Petrosian
421 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-941270-57-8
34,95 Euro




The King’s Indian according to Tigran Petrosian
Wer sich für die Königsindische Verteidigung interessiert, hat heute die Wahl zwischen vielen aktuellen Büchern. Die Palette reicht von Einführungen für unerfahrene Spieler bis hin zum mehrbändigen Monumentalwerk. So stellt sich natürlich bei jeder Neuerscheinung die Frage, für wen sie eine Bereicherung sein kann, vielleicht sogar ersatzweise für eine bereits vorhandene Arbeit.

2019 ist „The King’s Indian according to Tigran Petrosian“ als Übersetzung aus dem Russischen in den Markt gekommen. Sein Autor ist der russische Internationale Meister Igor Yanvarjov, der herausgebende Verlag ist Russell Enterprises.

Wo ist die Lücke im Bücherregal, die Yanvarjov füllt? Mit welchen Stärken weiß sein Werk zu überzeugen? Und welchen Wert soll ein Königsindisch-Repertoire haben, das sich an einem vor rund 35 Jahren verstorbenen Meister orientiert?

Tigran Petrosjan, wie sein Nachname in deutscher Schreibweise lautet, war der neunte Weltmeister im Schach (1963 bis 1969). Er lebte von 1929 bis 1984 und galt als begnadeter Positionsspieler. Teilweise wurde sein Stil als defensiv und zäh gesehen. Die Königsindische Verteidigung mit ihren lang angelegten Plänen und regelmäßig weit in die Partie verlegten heftigeren Auseinandersetzungen war für ihn geradezu wie gemacht. Ganz dem System getreu war er auch bekannt dafür, dass er seine Kräfte auf dem Brett durchaus auch explodieren lassen konnte, wenn sich die Gelegenheit nach langer Vorbereitung bot. Und auch das passt zum Königsinder.

„The King’s Indian according to Tigran Petrosian“ enthält 289 ausgezeichnet kommentierte Partien Petrosjans, natürlich allesamt zum Thema „Königsindisch“ eröffnet. Ausnahmsweise ist die Eröffnung nicht in reiner Form auf das Brett gekommen, sondern in einer verwandten Konstellation, beispielsweise mit vertauschten Farben. Meines Wissens gab es bisher noch keine solche Sammlung, die dem ehemaligen Weltmeister ein Denkmal setzt. Damit ist sowohl eine erste mit diesem Werk gefüllte Lücke im Bücherregal gefunden und mit der ausgezeichneten Kommentierung auch eine seiner Stärken angesprochen. „The King’s Indian according to Tigran Petrosian“ hält die Erinnerung an diesen großen Spieler wach und porträtiert seine Leistung mit einem ganz eigenen Schwerpunkt.

Die Partien verteilen sich auf 14 Kapitel, die wiederum drei Teilen des Buches zugeordnet sind. Der folgende Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis gibt einen Überblick über die Gliederung.

Part I Tabiyas
Chapter 1 Classical Variation
Chapter 2 The Sämisch System
Chapter 3 The Fianchetto Variation
Chapter 4 The Benoni
Chapter 5 Other Systems
Part II Elements of Success
Chapter 6 Portrait of a Chess Player
Chapter 7 Lessons from Petrosian
Chapter 8 The Problem of the Exchange
Chapter 9 “Furman’s Bishop&rdquo
Chapter 10 “Pawns are the soul of chess&rdquo
Chapter 11 Playing by Analogy
Chapter 12 Maneuvering Battle
Part III Experiments
Chapter 13 Realist or Romantic?
Chapter 14 The King’s Indian with Colors – and Flanks – Reversed.


Die Königsindische Verteidigung zählt zu jenen Eröffnungen, zu deren guter Behandlung mehr als nur ein Variantenstudium erforderlich ist. In der eigenen Partie ist ein tiefes Verständnis des Systems von Nöten, um die Entscheidungen in seinem Geist treffen zu können. Zu diesem Aspekt ist das vorliegende Werk in meinen Augen ungemein wertvoll. Es bietet dem Leser sehr qualifizierten Stoff in Hülle und Fülle an, der sein Auge schärfen und sein Gefühl für die Verteidigung wachsen lassen wird. Wer es ungeachtet dessen, dass damit ein immenser Zeitaufwand verbunden sein wird, intensiv durcharbeitet, kann die behandelten Systeme zukünftig garantiert gut spielen. Die Anmerkungen decken alles ab, was erforderlich ist, um tief in die jeweilige Partie einzudringen. Der Leser setzt sich mit den strategischen Aspekten wie mit den taktischen Möglichkeiten auseinander. Er lernt die Theorie kennen und muss dabei nicht befürchten, dass diese in der Zeit seit dem Partiedatum bis heute ihre Meinung zu einer Variante geändert haben könnte, ohne dass er dies erfährt. Yanvarjov zeigt im Rahmen der Kommentierung auf, wenn sich in einer Partie „alte Theorie“ findet, und gibt den aktuellen Stand an. Er hat zahlreiche Originalkommentare Petrosjans eingebaut, mit dem ihn übrigens eine persönliche Bekanntschaft verband. Auch auf Anmerkungen anderer Meister hat er zurückgegriffen. Das Allermeiste stammt aber aus seiner eigenen Feder.

Die in meinen Augen herausragende Stärke des Werkes liegt darin, dass es wie kein anderes mir bekanntes Buch zur Königsindischen Verteidigung so intensiv, verständlich und qualifiziert den Leser zu einem Insider macht.

Der Leser erhält die aktuelle Theorie, in weitem Rahmen über Petrosjans Praxis, daneben über die Kommentierung. Der Wert des Repertoires steht außer Zweifel. Interessant ist auch, dass Yanvarjov bei einer eingetretenen Änderung der Meidung der Theorie die maßgeblichen Gründe hierfür angibt. Dem Aufbau des Verständnisses können diese Ergänzungen nur dienen.

Wie schon erwähnt wird der Leser viel Zeit aufbringen müssen, wenn er „The King’s Indian according to Tigran Petrosian“ komplett und konzentriert durcharbeitet. Entsprechend ist seine Disziplin gefragt. Diese wird durch Auflockerungen in der Kommentierung gestützt. Es gibt erzählende Passagen, Informationen zu Petrosjan und seiner Karriere, ergänzende Angaben zu Elementen der Partie, zum Beispiel zur verbrauchten Bedenkzeit für Züge, und mehr.

Über sichere Englischkenntnisse sollte der Leser verfügen, wenn er möglichst bequem mit dem Buch arbeiten möchte, denn es ist reichlich Text aufzunehmen. Fazit: „The King’s Indian according to Tigran Petrosian“ ist eine ausgezeichnete Neuerscheinung in der englisch-sprachigen Literatur. Es bietet dem Leser – nach meiner Einschätzung ab Klubniveau – die große Chance, die Königsindische Verteidigung wirklich zu verstehen und dabei zugleich zu einem qualifizierten Repertoire zu kommen. Ich kann die Anschaffung nur sehr empfehlen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Strategy Meets Dynamics

Ivan Sokolov
Strategy Meets Dynamics
323 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-94-9251-060-0
28,95 Euro




Strategy Meets Dynamics
"Strategy Meets Dynamics" ist der Titel des dritten und zugleich letzten Bandes aus der Serie "Chess Middlegame Strategies", die Ivan Sokolov für das belgische Verlagshaus Thinkers Publishing geschrieben hat. Die beiden Vorbände sind in 2017 und 2018 veröffentlicht und von der Schachwelt sehr gut aufgenommen worden. Band 3 ist in der zweiten Jahreshälfte 2019 auf den Markt gekommen.

Das Werk richtet sich an den fortgeschrittenen Spieler. Anhand von 43 intensiv besprochenen Partien geht Sokolov, der über viele Jahre hinweg zur Weltelite zählte und auch als Autor eine allgemein sehr hohe Anerkennung genießt, darauf ein, wie ein dynamisches Spiel über besondere stellungsgemäße Manöver erreicht oder unterstützt werden kann. Seine Arbeit konzentriert er dabei zu manchen Themen auf ausgewählte Stellungsmuster, basierend auf Bauernstrukturen. Da es zu diesen über bestimmte Eröffnungen kommt, konzentriert sich seine Arbeit insoweit auch auf diese.
Sokolov will nicht etwa die Theorie verschiedener Elemente der Schachstrategie darstellen, sondern deren praktischen Einsatz; die Theoriekenntnis des Lesers wird dabei vorausgesetzt. Inhaltlich lässt es sich entsprechend als "angewandte Schachstrategie" skizzieren.
Bisweilen geht das Werk auf den Einsatz des besprochenen Elementes auch in ähnlichen Strukturen ein.

"Strategy Meets Dynamics" enthält sieben Kapitel, die sich wie folgt beschreiben lassen:

Kapitel 1 ("Karpov's King in the Center"):
Anatoly Karpov, 13. Weltmeister, setzte den Verzicht auf die Rochade ganz bewusst ein, um seine dynamischen Möglichkeiten in der Partie zu verbessern. In fünf der sechs im Kapitel behandelten Partien hat Karpov mit Schwarz am Brett gesessen, im zusätzlichen Duell mit Vishy Anand noch ein weiterer Weltmeister. Die behandelten Stellungen werden im Wesentlichen über Caro-Kann erreicht, Anand wendet die Idee in der Damenindischen Verteidigung an.

Kapitel 2 ("Geller/Tolush Gambit Plans & Ideas"):
In drei Partien kommt das genannte Gambit, bei uns eher in der umgekehrten Reihenfolge der Namen als Tolusch-Geller-Gambit geläufig, in reiner Form auf das Brett, in zwei weiteren lagen ähnliche Strukturen vor. Die grundsätzliche Zugfolge führt über 1. d2-d4 d7-d5 2. c2-c4 c7-c6 3. Sf3 Sf6 4. Sb1-c3 d5xc4 5. e2-e4 usw. Darüber hinaus soll der Leser in seinem Spiel profitieren, das über verschiedene Variationen der Slawischen Verteidigung, das Angenommene Damengambit, die Wiener Partie und Katalanisch erreicht wird.

Kapitel 3 ("Anti Moscow Gambit Typical Plans & Ideas"):
Das Anti-Moskauer Gambit (in der Halbslawischen Verteidigung) wird über die Zugfolge 1. d4 d5 2. c4 c6 3.Sf3 Sf6 4. Sc3 e6 5. Lg5 h6 6. Lh4 usw. erreicht. Die fünf im Kapitel analysierten Partien sollen nach Sokolov dem Leser helfen, seine Fähigkeiten nicht nur für dieses System zu verbessern, sondern seiner Vervollkommnung generell dienen.

Kapitel 4 ("Space vs Flexibility"):
Die hier in drei Partien behandelten Muster entstehen insbesondere über Caro-Kann, die Skandinavische und die Französische Verteidigung sowie über die Meraner Variante in der Halbslawischen Verteidigung, mit einem weißen c-Bauern schon auf c4. Diese Aufzählung der maßgeblichen potenziellen Eröffnungswege ist aber nicht abschließend. Der Titel, zu übersetzen mit "Raum gegen Flexibilität", zeigt gut an, worum es im Folgenden geht.

Kapitel 5 ("Positional Exchange Sacrifice"):
Die 11 in diesem Kapitel erörterten Partien beinhalten einen Gegenstand der hohen Kunst im Positionsspiel, das positionell begründete Qualitätsopfer. Dieser Teil des Buches wendet sich am meisten dem Gespür des Lesers zu. Dieser bekommt zwar auch Anhaltspunkte dafür geliefert, die auf eine in der Stellung liegende Opfermöglichkeit hindeuten können, doch auf seine reine Rechenfähigkeit gestützt wird er mit diesen nicht viel anfangen können. Entsprechend dient das Kapitel besonders auch einer Schärfung der Intuition. Diese ist nicht auf bestimmte Stellungsmuster und damit Eröffnungsquellen beschränkt.

Kapitel 6 ("Open File"):
Dieses Kapitel enthält sieben Partien. Offene Linien sind ein Standardthema zur Schachstrategie. Das "technische" Wissen hierzu wird beim Spieler vorausgesetzt. Untersucht wird das freie Spiel dazu.

Kapitel 7 ("G-Pawn Strategies"):
Mit dem aggressiven Vorgehen des g-Bauern können sich verschiedene Absichten verbinden. In sechs Partien geht Sokolov auf den Einsatz dieses Mittels ein. Eine Festlegung des Einsatzes in die Richtung bestimmter Eröffnungen erfolgt nicht. Entsprechend trägt der Nutzen dieses Kapitels für den Leser auch wieder einen generellen Charakter.

Wie schon bei früheren Werken Sokolovs ist mir auch bei meiner Arbeit mit "Strategy Meets Dynamics" die Klarheit aufgefallen, mit der er den Leser in alle wichtigen Winkel der Partie und damit ins Wesen des behandelten strategischen Elements führt. Es sieht immer ungemein logisch und nachvollziehbar aus, wenn er die Zusammenhänge etc. erklärt. Sokolov beherrscht wie wenige andere die hohe Kunst, dem interessierten Leser anspruchsvolles Wissen so nachvollziehbar anzubieten, dass er Schritt für Schritt folgen und damit verstehen kann. Ich bemerke jeweils bei mir das Gefühl aufkeimen, dass es doch so schwer nicht sein kann, es ihm in der nächsten eigenen Partie gleichzutun. Sokolov führt durch gutes Beispiel, wie man zu den richtigen Einschätzungen und dann den richtigen Entscheidungen kommt.

Mehrfach ist mir aufgefallen, dass besonders auch der Fernschachspieler von diesem Werk angesprochen werden kann. Dies gilt nicht nur für die konkreten Inhalte, sondern auch für seinen Geist, denn Sokolov will Verständnis und Intuition vermitteln. Dabei weist er der Variantenberechnung eine durchaus wichtige, aber nicht die alles dominierende Rolle zu. Im Fernschach kann der Spieler zur Variantenberechnung die Engine als Hilfsmittel beiziehen, nicht aber zur intuitiv richtigen Entscheidung.
Für seine Arbeit an "Strategy Meets Dynamics" hat Sokolov natürlich auch auf Engineunterstützung gesetzt. Eine recht vielsagende Aussage trifft er auf Seite 129. Ich erlaube mir ein entsprechendes Zitat, in einer sinngemäßen Übersetzung: "Aus meiner Warte als menschlicher Spieler erscheint dieses Bauernrennen unberechenbar zu sein. Ich habe den Computer nur zu dem Zweck beigezogen, den Stellungsausgleich festzustellen. Und dies ist die Hauptvariante der Engine (... )".

Das vorliegende Werk ist unabhängig davon nutzbar, ob der Leser auch über die beiden vorhergehenden Bände aus der Serie "Chess Middlegames Strategies" verfügt.

Da recht viel Text zu verarbeiten ist, sind geübte Englischkenntnisse von Vorteil.

Fazit: "Strategy Meets Dynamics" ist ein sehr starkes Buch zur angewandten Schachstrategie. Es richtet sich in erster Linie an den fortgeschrittenen Leser. Dabei konzentriert es sich in Teilen auf ausgewählte Stellungssituationen und dort hinführende Eröffnungswege. Diese aber sind breit gestreut.
Daneben ist das Werk eine klare Empfehlung an jeden Freund ausgezeichnet kommentierter Meisterpartien.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Portrait des Meisters

Ulrich Geilmann
Portrait des Meisters
144 Seiten, kartoniert
ISBN: -
12,80 Euro




Portrait des Meisters
In "Portrait des Meisters" beschreibt der Autor Ulrich Geilmann den Werdegang des französischen Großmeisters Laurent Dubois von seinem ersten Kontakt mit dem Schachspiel bis zum tragisch verlaufenden Auftakt des Kampfes um die Weltmeisterkrone, den er als Herausforderer bestritt. Obwohl, bestritt ist eigentlich begrifflich unpassend, weil es nicht zu einem echten Match kam und Weltmeister Kordanowski seinen Titel - und auch sein Leben - kampflos behalten durfte. Sie verstehen nicht und meinen, sich im falschen Märchen zu befinden? Sie kennen weder den französischen Großmeister Laurent Dubois noch den Schach-Weltmeister Kordanowski aus Russland?

In die Einleitung seines Werkes, hier passend als Präludium, also Vorspiel, bezeichnet, hat Geilmann auch einen Zeitungsausschnitt eingebettet. Er zeigt einen Artikel, der über den WM-Auftakt im Pariser Louvre am Vortag berichtet und stammt vom 17. Februar 2029. Dubois ist einerseits eine fiktive Person, andererseits aber auch sehr real, indem er Schachgrößen wie Aljechin, Morphy, Steinitz, Fischer und andere in sich vereinigt. In seinem erzählenden Werk will Ulrich Geilmann, den es - im Gegensatz zu seinem Romanhelden - natürlich wirklich gibt, nicht etwa ein Psychogramm über Dubois und damit wohl in gewisser Weise über die von ihm stellvertretenen Schachgrößen abliefern, auch wenn dies die Titelseite glauben machen will. Vielmehr setzt er sich ohne den Anspruch auf eine wissenschaftliche Sichtweise allein mit verschiedenen Aspekten und Erwägungen zum Thema "Schach und seelische Erkrankungen" auseinander. Er ist der Schachwelt insbesondere als Buchautor, Vizepräsident der Schachbundesliga e.V. und ehemaliger Teamchef der Bundesliga-Mannschaft der SF Katernberg bekannt, und natürlich als Spieler.

Dubois lebt in Paris und kommt erst als Vierzigjähriger zufällig in Kontakt zum Schachspiel. Der Ort ist geschickt gewählt, weil Paris als historische Stätte des Schachspiels eine hervorragende Kulisse abgibt und das Grab Alexander Aljechins in der Stadt liegt, der zu Dubois´ Idol wird. Er ist mit einem herausragenden Talent ausgestattet, was sich schon zu Beginn seiner Aktivitäten zeigt, als er gleich seine erste Partie im Gartenschach nach einer kurzen Befassung mit den Regeln gegen einen spielstarken Gegner gewinnt. Die Fiktion erlaubt Geilmann, seinen Helden erst mit 40 Jahren zum Schachspiel finden zu lassen und ihn dann in kurzer Zeit bis zum Großmeister und dann WM-Herausforderer aufsteigen zu lassen. In gewisser Weise ist Dubois damit nicht nur ein Konzentrat aus mehreren echten Größen der Schachgeschichte, sondern auch ein moderner Hans im Glück. Letzteres gilt aber nicht unbeschränkt, weil er seinen Aufstieg teuer bezahlt. Mal sind es Betrugsvorwürfe, denen er sich ausgesetzt sieht, dann sind es Benachteiligungen und Ausgrenzungen, denen er unterliegt. Zumindest sieht er sich zunehmend in der Opferrolle und der Pflicht, sich gegen unredliche Machenschaften zur Wehr setzen zu müssen. So kommt es dann auch zum Eklat zum WM-Auftakt ...

Geilmann schreibt in einer Weise, wie man sie aus der Schachpresse kennt. Turnierberichte beispielsweise erscheinen täuschend echt. So lässt sich oft die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit nicht erkennen.

In einem quasi zweiten Teil geht er auf Schachgrößen der Vergangenheit ein, über die zum Thema "Schach und seelische Erkrankungen" schon viel geschrieben worden ist. Ich empfinde es als angemessen und wohltuend zugleich, dass er sich dabei jeder "hobby-psychologischen" Einordnung enthält. Verschiedene Schachaufgaben, der Praxis von Dubois und andere Meistern entnommen, garnieren das Werk. Die Lösungen erfährt der Leser zusammengefasst im hinteren Teil des Werkes.

Das Vorwort stammt von GM Michael Prusikin, ein launisches Nachwort vom "Schachtherapeuten" Manfred Herbold selbst. Mehrere historische Fotos lockern den textlichen Inhalt auf und helfen teilweise dabei, die Grenzen von Fiktion und Wirklichkeit zu verwischen.
Das gelungene Layout stammt von Fränk Stiefel.

Fazit: "Portrait des Meisters" ist ein interessantes Erzählwerk zum Schach mit einem ernsten Kristallisationskern. Man möchte fortlaufend erfahren, wie es im Leben des Meisters weitergeht, was sein Fesselungspotenzial bestätigt. Wer nicht nur gerne Schach spielt, sondern auch erzählenden Lesestoff sucht, wird bei diesem Werk fündig. Mich überzeugt es, so kann ich es zum Kauf empfehlen.
"Portrait des Meisters" ist bei "Der Schachtherapeut" Manfred Herbold erschienen und kostet 12,80 Euro. Es kann bezogen werden über den Herausgeber wie auch allgemein über den Handel.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Herausgeber "Der Schachtherapeut" (www.schachtherapeut) zur Verfügung gestellt.