Abschätzungsrichtlinien des Deutschen Fernschachbundes (BdF)

Gültig für ab dem 01.11.2023 gestartete Turniere

Präambel

Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass alle im Spiel- und Turnierbetrieb des Deutschen Fernschachbundes (BdF) gespielten Partien aus den im Regelwerk vorgesehenen Gründen be­endet werden (Matt, Patt, Remisvereinbarung, Zeitüberschreitung, Wertung bei Rücktritten). Wenn es zur Wertung einer Partie durch Abschätzung kommen muss, werden die folgenden Abschätzungsrichtlinien angewendet.

Alle Personen bezeichnenden Angaben sind in geschlechtsneutraler Form zu verstehen.


§ 1 Anwendungsbereich

Bei terminabhängigen Wettbewerben (Meisterschaften, Pokalturniere), die in Etappen (Vor-, Zwischen- und Endrunde) ausgetragen werden oder für die feste Spielzeiten (Spielklassen der Mannschaftsmeisterschaft festgelegt sind, werden die Ergebnisse noch nicht beendeter Par-tien durch deren Abschätzung ermittelt; grundsätzlich soll bereits in den Turnierbedingungen (Ausschreibungstext, Startschreiben) vor Turnierbeginn auf das vorgesehene Verfahren hinge­wiesen worden sein. Das Fehlen eines solchen Hinweises schließt die Wertung von Partien durch Abschätzung und die Anwendung dieser Abschätzungsrichtlinien nicht aus.

 

§ 2 Einleitung des Verfahrens, Zuständigkeiten

Für die Durchführung des Verfahrens besteht eine besondere Abschätzungszentrale, die aus einem Leiter und den Abschätzern besteht. Die Abschätzungszentrale hat die ausschließliche Aufgabe, über die zu den Abbruchstellungen unbeendeter Partien gestellten Wertungsanträge beider Spielpartner zu entscheiden, wenn diese Anträge im Ergebnis auseinander fallen. Hiervon unberührt bleibt die Zuständigkeit der Turnierleitung für alle Entscheidungen aufgrund des Regelwerks (SpO/TO/MTO) sowie in den Fällen von § 4 dieser Richtlinien.
Über die Notwendigkeit, das Abschätzungsverfahren durchzuführen, entscheidet die Turnier­leitung, indem sie nach Klärung aller regeltechnischen Fragen den Abbruch der Partien anordnet und

- in Einzelturnieren die betroffenen Spieler

- in Mannschaftsturnieren die betroffenen Mannschaftsführer

auffordert, bis zu einem vorgegebenen Termin die Unterlagen für die unbeendeten Partien an die Turnierleitung einzusenden.

 

§ 3 Anforderungen an die Einsendungen

Die Einsendungen an die Turnierleitung können grundsätzlich per Post oder E-Mail erfolgen; aus Gründen der Vereinfachung soll nach Möglichkeit die Übermittlung per E-Mail gewählt werden.
Die Einsendungen müssen die Ausführungen in doppelter Ausfertigung (je einmal mit und ohne Namensnennung) und nachstehende Angaben enthalten:

a) die Turnierkennziffer,

b) die Partieniederschrift bis zum Abbruch,

c) die danach entstandene Abbruchstellung (weiße und schwarze Figuren),

d) einen verbindlichen Antrag (Gewinn oder Remis) zur Wertung der Partie,

e) geordnete Analysen zur Unterstützung des Antrags.

 

Zu den geordneten Analysen (e) gehört eine verbale Begründung des Antrags (d), die ggf. von Zugfolgen gestützt wird. Der Verweis auf Engine-Bewertungen und/oder die Angabe von Varianten, die von Engines erzeugt wurden, genügen nicht zur Begründung des Antrags.

 

§ 4 Ausschluss der Abschätzung

Die Abschätzung entfällt

a) bei übereinstimmenden Anträgen beider Spielpartner; das beiderseitig beantragte Ergebnis wird vom Turnierleiter gewertet;

b) wenn nur ein Spielpartner die vollständigen Unterlagen (§ 3) einsendet; das von ihm beantragte Ergebnis wird vom Turnierleiter gewertet - Ausnahmen hiervon siehe § 5;

c) wenn beide Spielpartner die Unterlagen (§ 3) gar nicht, verspätet oder unvollständig/grob fehlerhaft einsenden; die betroffene Partie wird für alle turnierrechtlichen Folgerungen (Qualifikationen, Aufstiege, Klassenerhalte, Mannschaftswettkämpfe, Fernschachwertungs-zahlen usw.) vom Turnierleiter mit 0:0 gewertet.

Der Turnierleiter teilt den Einsendern das gewertete Ergebnis mit; ein Reklamationsrecht ist in diesen Fällen nicht gegeben.

 

§ 5 Frist bis zur Abschätzung, Vorprüfung durch die Turnierleitung

Die Abschätzung soll innerhalb eines Monats nach Einsendung der Unterlagen durchgeführt werden, wenn

a) bis zum Einsendetermin von beiden Spielpartnern vollständige Unterlagen (§ 3) eingereicht und nicht übereinstimmende Anträge gestellt worden sind

b) dies nur von einem Spielpartner erfolgt und der andere Spielpartner zurückgetreten oder verstorben ist. In diesem Fall wird vom Turnierleiter für den anderen Spielpartner immer Gewinn beantragt.

Der Turnierleiter prüft die Unterlagen daraufhin und übersendet die entscheidungsfähigen Unterlagen an den Leiter der Abschätzungszentrale, der die ohne Namensnennung vorgeleg­ten Unterlagen an die Abschätzer weiterleitet. Dabei wird der Leiter der Abschätzungszentrale – und durch diesen die Abschätzer – davon in Kenntnis gesetzt, wenn ein Gewinnantrag für einen verstorbenen oder zurückgetretenen Spieler vorliegt.

 

§ 6 Ablauf der Abschätzung

Ein anonymer Abschätzer prüft die Anträge/Analysen der Spielpartner und trifft seine Ent­scheidung im subjektiven Abschätzungsverfahren

a) nach der seiner Meinung nach richtigen Analyse oder

b) bei fehlenden/fehlerhaften (Teilen der) Analysen nach seinem Ermessen, indem er ohne tiefgründige eigene Analysen auf allgemeine Prinzipien wie Plusmaterial ohne ersichtliche Kompensation für die andere Seite, theoretische Gewinn- oder Remis-Stellungen zurückgreift.
Der Abschätzer legt das von ihm ermittelte Ergebnis fest und fügt seiner Nachricht an den Leiter der Abschätzungszentrale eine kurze Begründung hinzu, die zumindest den abweichen-den Zug benennen soll, der zu einer anderen als der beantragten Partiewertung geführt hat. Der Abschätzer darf dabei nicht über die vorliegenden Anträge hinausgehen (Antragsmaxime).
Der Leiter der Abschätzungszentrale teilt beiden Spielpartnern das Abschätzungsergebnis mit der kurzen Begründung mit.

 

§ 7 Berufung

Innerhalb von 8 Tagen nach dem Versanddatum des Abschätzungsergebnisses kann von dem Spielpartner, dessen Antrag nicht zum Erfolg geführt hat, beim Leiter der Abschätzungszentra­le Berufung eingelegt werden; die Einhaltung der Frist bestimmt sich beim Postversand durch den Poststempel. Die Berufung darf nur durch Analysen unterstützt werden, die sich aus­schließlich auf die kurze Begründung des Abschätzungsergebnisses beziehen; neue Analysen zur Abbruchstellung bleiben ohne Beachtung.

Der Leiter der Abschätzungszentrale unterrichtet unverzüglich den Spielpartner, dass das Abschätzungsergebnis durch Berufung angefochten wurde. Dabei gibt er ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von 8 Tagen aus Anlass der Berufung; die Einhaltung der Frist bestimmt sich beim Postversand auch hier durch den Poststempel.

 

§ 8 Entscheidung über die Berufung

Die Berufung und ggf. die Stellungnahme des Spielpartners werden durch einen anonymen Abschätzer überprüft, der an der ersten Abschätzung nicht beteiligt war. Der im Berufungs­verfahren tätige Abschätzer kann

a) der Berufung stattgeben und anderweitig entscheiden oder

b) durch Zurückweisung der Berufung die Entscheidung des ersten Abschätzers bestätigen.

Das Ergebnis seiner Abschätzung teilt der Abschätzer dem Leiter der Abschätzungszentrale mit, der dann die beiden Spielpartner unterrichtet.

Das Urteil des zweiten Abschätzers gilt abschließend, ein weiteres Reklamationsrecht ist nicht gegeben.

 

§ 9 Abschluss des Verfahrens

Das Abschätzungsverfahren wird dadurch abgeschlossen, dass der Leiter der Abschätzungs­zentrale alle rechtskräftigen Abschätzungsergebnisse der Turnierleitung mitteilt, die sodann die abschließenden Maßnahmen für die Ermittlung der Turnierendstände durchführt.


§10 Abschlussbestimmung

Die vorstehenden Abschätzungsrichtlinien lösen die Abschätzungsrichtlinien vom 12.12.2006 ab. Sie treten durch Vorstandsbeschluss vom 06.10.2023 am 01.11.2023 in Kraft und gelten für alle ab diesem Datum gestarteten Turniere.