Rezensionen - Einstellungsjahr 2015

Verfasser: Uwe Bekemann (sofern nicht jeweils ein anderer Verfasser genannt ist)

Damengambit … richtig gespielt

Jerzy Konikowski
Damengambit … richtig gespielt
247 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-3-95920-007-3
22,80 Euro




Damengambit … richtig gespielt
Mit seiner 3. überarbeiteten und ergänzten Auflage ist das Werk "Damengambit … richtig gespielt" von Jerzy Konikowski ganz frisch wieder in den Markt gekommen. Erschienen ist es als Imprint des Schachverlags Ullrich im Joachim Beyer Verlag.

Auch wenn der Buchtitel ausschließlich das Damengambit als Inhalt benennt, erhält der Leser auch Stoff außerhalb dessen in die Hand, was gemeinhin unter dieser Bezeichnung läuft. Zu den weiteren Inhalten zählen beispielsweise die Slawische Verteidigung, das Colle-System, das Blackmar-Diemer-Gambit, die Tschigorin Verteidigung und mehr.
Ein so weiter Streifzug durch die Systeme kann diese natürlich nicht erschöpfend darstellen, was auch der Rückentext deutlich herausstellt. Dort steht: "Die vorliegende überarbeitete Neuauflage richtet sich vornehmlich an Vereinsspieler und Amateure, die sich einen fundierten Überblick zu diesem Eröffnungskomplex verschaffen möchten, ohne auf die vielfach vorhandenen Monografien einzelner Untersysteme zurückgreifen zu müssen. Ich denke, dass "Damengambit … richtig gespielt" genau diesen selbst gesetzten Anspruch erfüllt.

In einem einleitenden Teil stellt Konikowski zunächst "Bauernstrukturen im Damengambit" vor. Auf rund 20 Seiten wird der Leser mit dem Rüstzeug ausgestattet, die wesentlichen Stellungsmerkmale in den sich anschließenden Theoriekapiteln hinsichtlich der Bauernkonstellationen mit angezeigten Formen einer Behandlung in Verbindung zu bringen. Eine typische Formation kann er wiedererkennen und seine Entscheidung auch auf der Basis seiner Erkenntnisse aus den einleitenden Ausführungen treffen.
Diesem allgemeinen Teil folgt eine Einleitung. Diese ähnelt im Erscheinungsbild den nachfolgenden Theoriekapiteln, enthält tatsächlich auch Abweichungen von überwiegend nachrangier Bedeutung, zeigt vor allem aber auf, wie sich das theoretische Material auf die folgenden Kapitel verteilt.
Der Einleitung schließen sich 21 Kapitel an, die sich jeweils einem bestimmten Eröffnungssystem widmen. Ein 22. Kapitel folgt mit insgesamt 60 Beispielpartien. Diese beziehen sich inhaltlich auf alle vorhergehenden Kapitel und dienen der ganzheitlichen Betrachtung einer Eröffnung im Partieeinsatz. Die Kommentierung setzt sich aus Textkommentaren und Analysen bzw. als Varianten genutzten Partiefragmenten zusammen. Die jüngsten der abgebildeten Partien stammen aus dem Jahr 2015. Die Aktualisierung des Werkes ist auch an dem Partienteil nicht vorbeigegangen.

Die 21 Kapitel "reinen" Theoriekapitel sind inhaltlich identisch aufgebaut. Die Initialzugfolge wird abgebildet, regelmäßig mit einigen erklärenden Worten. Dann geht es sogleich in die Besprechung der Theorie. Diese erfolgt an einem Baum aus Hauptvariante und Abzweigungen.
Konikowski erklärt viel, spart aber auch nicht an Varianten. Dieser Aspekt ist für den Fernschachspieler von Bedeutung, der diese Varianten in seiner Partie unmittelbar einsetzen kann.

Aufgefallen ist mir an ausgesuchten Beispielen, dass Konikowski gerne auch mal eine weniger gängige Empfehlung "herauskitzelt", die der Gegner in einer fortlaufenden Partie vielleicht nicht erwartet hat, sofern er auf die Hauptvarianten fixiert ist. Statistisch relevantes Material gibt es in diesen Fällen kaum und beruht dann oft nur auf ca. fünf bis sechs Beispielpartien. Der Leser bekommt so durchaus Erfolg versprechendes Material in die Hand, ohne dass der Gegner die Partie darauf hat zusteuern sehen. Er kann es in seiner Partie im Wissen einsetzen, dass es von Konikowski gut geprüft worden ist.

Der Käufer erhält "Damengambit … richtig gespielt" in einer gebundenen Fassung und einem festen Einband. Den "besonderen Pfiff" macht dabei auch ein Lesebändchen aus, dass dem im Werk arbeitenden Leser immer anzeigt, wo er sich gerade befindet.

Fazit: "Damengambit … richtig gespielt" ist ein sehr guter Allrounder, um das Damengambit, die Slawische Verteidigung und einige weitere weniger breite Systeme für den Einsatz im Klubspiel oder eben auch in der privaten Partie am heimischen Brett zu erlernen. Damit ist das Werk zugleich eine gute Grundausstattung, auf deren Basis der Spieler seine Entscheidungen treffen kann, für welche Systeme er sich bedarfsweise Spezialliteratur beschaffen möchte.
Ich kann den Kauf des Buches bis in den Klubbereich hinein empfehlen.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Schachverlag Ullrich / Joachim Beyer Verlag (www.schachversand-ullrich.de) zur Verfügung gestellt.

The Even More Flexible French

Viktor Moskalenko
The Even More Flexible French
363 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-574-2
26,95 Euro




The Even More Flexible French
Im Jahr 2008 ist das Buch "The Flexible French" von Viktor Moskalenko erschienen. Der Untertitel "Strategic Explanations & Surprise Weapons for Dynamic Chess Players" zeigte die Richtung an, in der sein Inhalt ging. Dieser ließ sich charakterisieren als "Tiefe Untersuchung und instruktive Darstellung ausgewählter Systeme und Varianten der Französischen Verteidigung".

Nunmehr ist eine Neuauflage des Werkes erschienen, natürlich wieder bei New In Chess (NIC). Ihr Titel ist im Vergleich zur Erstausgabe etwas abgewandelt worden, um anzudeuten, dass das Werk eine Entwicklung genommen hat. "The Even More Flexible French" ist im Gerüst der Erstausgabe entstanden und teilweise inhaltlich unverändert geblieben, wartet insgesamt aber doch mit einigem Neuen auf.
Zunächst einmal kann man schon rein äußerlich feststellen, dass das Werk das Schicksal von vielen unter uns teilt: Es ist dicker geworden. Umfasste die Erstausgabe noch 279 Seiten, so sind es nun schon 363. Dabei kann ich aufgrund ausdrücklicher Prüfung bestätigen, dass es nicht aufgrund eines anderen Schriftbildes oder etwa einer höheren Zahl an Diagrammen hierzu gekommen ist. Die Darstellungen der Theorie sind einfach erheblich aufgestockt worden.

Wie die Erstausgabe umfasst auch "The Even More Flexible French" insgesamt fünf Teile, auf die sich 26 Kapitel verteilen. Deren Überschriften sind diesmal sachlicher gestaltet, Moskalenko verzichtet auf fantasievolle Textbilder.
Auf diese Abschnitte reduziert hat das Inhaltsverzeichnis das folgende Gesicht:
Teil 1 - Vorstoß-Variante - 1.e4 e6 2.d4 d5 3.e5
Teil 2 - Tarrasch-Variante - 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sd2
Teil 3 - Klassisches System - 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6
Teil 4 - Winawer-Variante - 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4
Teil 5 - Überraschungswaffen für dynamisch orientierte Spieler (sinngemäß ins Deutsche übersetzt).

Die Abbildung auch der einzelnen Kapitel würde den Rahmen dieser Rezension sprengen. Ich verweise zum Ausgleich auf entsprechende Informationen im Internet, insbesondere der Fa. Niggemann, die das Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.
Anzumerken ist aber, dass sich die Zahl der Kapitel von damals 16 auf heute 26 erhöht hat. Von neuen Zuordnungen abgesehen gibt es auch gänzlich neuen Stoff. Dies gilt beispielsweise für das Kapitel 21, in der es um die Linie 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.e5 c5 5.a3 Lxc3+ 6.bxc3 Da5 7.Ld2 Da4 als Hauptvariante geht. Hier konzentriert sich das verwendete Material auf die Jahre 2008 und später, also auf die Zeit ab dem Erscheinungsjahr der Erstausgabe. Diese Feststellung beschränkt sich natürlich auf die genutzten Turnierpartien. Moskalenko ist ein ausgewiesener Experte der Französischen Verteidigung. Seine im Buch verwendeten Analysen lassen sich hinsichtlich ihres Entstehens zeitlich nicht zuordnen, nur hinsichtlich ihrer Verwendung.

Die Kapitel folgen im Aufbau einem weitgehend einheitlichen Schema. Die besprochene Variante wird zunächst kurz eingeführt. Dabei geht Moskalenko auch auf deren "Geheimnisse" ein, also auf wichtige grundlegende Aspekte, taktische Möglichkeiten und mehr. Erkenntnisse zieht er auch aus der Statistik zum System, die er zusätzlich anführt. Diese allgemeinen Ausführungen in einem Kapitel werden ergänzt um kommentierte Partien. Deren Kommentierung muss man sich aber etwas anders vorstellen, als dies beispielsweise in einer Partiensammlung der Fall ist. Moskalenko interessiert sich natürlich fast ausschließlich auf die theoretische Bedeutung von Zügen und Varianten, nicht für beispielsweise die Schönheit einer Kombination. So richten sich die Kommentare fast ausschließlich auf Aspekte der Theorie.
Er legt sehr viel Wert darauf, dass der Leser seine Gedanken und damit das jeweils besprochene System versteht. Dabei nutzt er auch raumgreifender und facettenreicher eine grafische Unterstützung seiner Aussagen als damals. Während die Erstausgabe nur das kleine Bildchen eines Revolvers kannte, die eine besondere Waffe im Spiel grafisch hervorhob, gibt es heute gleich sieben solcher Symbole. Sie zeigen nunmehr auch versteckte Tricks an, mögliche Systemübergänge etc. Besonders gefällt mir die Hervorhebung der Hauptideen und Pläne eines Systems. Das dafür verwendete Symbol des Klemmbrettes macht den Leser deutlich darauf aufmerksam, dass er an diesen Stellen Masterpläne und mehr erfährt. Moskalenko macht ausgiebig Gebrauch von diesem Symbol und begründet damit eine klare Stärke des neuen Werkes.
Zu übersehen sind die mit Symbolen gekennzeichneten Passagen nicht. Zur Sicherheit hat NIC sie auch noch in eine graue Textbox gefasst.

Schon das damalige Werk gefiel mir sehr gut, "The Even More Flexible French" aber ist noch einmal um eine Klasse besser. Dabei sehe ich auch einen klaren Mehrwert des Buches für denjenigen, der sich schon ab 2008 das Ausgangswerk angeschafft hat. Es war mir nicht möglich, die Neuerscheinung komplett auf inhaltliche Veränderungen gegenüber der ursprünglichen Fassung durchzugehen. Bei der Prüfung in Stichproben aber sind mehr im direkten Vergleich mehrere Passagen aufgefallen, in denen teilweise auch erhebliche Änderungen eingetreten sind. Diese beinhalten nach den Stichprobenergebnissen auch ein Abrücken von früheren Empfehlungen zu neuen.

Die Buchsprache ist Englisch. Die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers sind moderat.

Fazit: "The Even More Flexible French" ist eine Zusammenstellung interessanter Systeme und Varianten für das breite Feld der Französischen Verteidigung. Diese werden vom Autor sehr gut aufbereitet und dem Leser mit dem Ziel, ihn die Theorie im echten Sinn verstehen zu lassen, vorgestellt. Auch für den ambitionierten Spieler, der schon im Besitz der Erstausgabe ist, kann sich ein Umstieg auf das neue Werk lohnen. Um von "The Even More Flexible French" optimal profitieren zu können, sollten die Fertigkeiten des Spielers die Anfangsgründe des Schachspiels verlassen haben. Ab einem unteren Klubniveau aber kann ich den Kauf auf jeden Fall empfehlen.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Wie man im Schach gewinnt

Daniel King
Wie man im Schach gewinnt
244 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-3-95920-013-4
12,80 Euro




Wie man im Schach gewinnt
Der Buchmarkt gibt einiges her, wenn es um die Einführung ins Schachspiel geht. Zu den Werken, die seit etlichen Jahren das besondere Vertrauen des Marktes genießen, zählt "Wie man im Schach gewinnt" von Daniel King. Der Schachverlag Ullrich hat diesen Klassiker jüngst in dessen 10. Auflage als Imprint im Joachim Beyer Verlag herausgegeben. Der Untertitel "10 goldene Faustregeln" deutet bereits an, wie der britische GM und frühere Schachprofi King seine Arbeit organisiert hat. Bevor wir darauf eingehen, ist eine Klärung des Begriffes "Faustregel" angebracht. Der Duden sagt dazu: "grob gefasste, einfache Regel, nach der man sich meist ungefähr richten kann". 10 dieser Regeln nutzt King also als Ordnungselement zur Gestaltung seines Buches.

Im Wesentlichen ist das Buch in drei Teile gegliedert, die nach den Partiephasen Eröffnung, Mittelspiel und Endspiel betitelt sind. Zur Eröffnung und zum Endspiel behandelt King jeweils drei Faustregeln, für das Mittelspiel deren vier.
Zur Veranschaulichung, was man sich unter einer Faustregel im Werk vorstellen kann, gebe ich drei Beispiele dazu.
Eröffnung: Rochiere so schnell wie möglich (Regel 3)
Mittelspiel: Achte auf taktische Schläge (Regel 6)
Endspiel: Kenne die einfachen Mattführungen (Regel 8).
Für jede Regel hält das Buch ein eigenes Kapitel bereit. Bereits auf den ersten Buchseiten macht King darauf aufmerksam, dass sich der Spieler nicht sklavisch an eine Regel halten soll. Dann aber, wenn er nichts Besseres sieht, gibt sie ihm eine Orientierung, wie er in seiner Partie spielen sollte.
Das Einstiegsniveau ist zu jedem Thema sehr niedrig. King holt den Leser ab, der gerade mal weiß, wie man die Figuren zieht. "Wie man im Schach gewinnt" ist damit ein absolutes Anfängerbuch. Dabei stellt es sich auch auf typische Anfängerfehler ein und korrigiert diese. Der Leser wird dabei mit den logischen Prinzipien des Schachspiels vertraut gemacht, er lernt also verstandesmäßig und nicht durch ein Einprägen von Grundsätzen.
Ein Beispiel dazu: Das Werk gibt dem Anfänger die Empfehlung, mit einem zentralen Bauern zu eröffnen. Auf dieser Basis gibt King in der Folge als Antworten mehrere Zugalternativen an. Eine davon ist vernünftig, die anderen sind typische Anfängerfehler. Nachdem der Leser sich für eine Möglichkeit entschieden hat, klärt King die Lage auf. Er erläutert, was den "richtigen" Zug dieses Werturteil erhalten lässt und was jeweils gegen die Alternativen spricht. Schritt für Schritt erhält der Leser damit ein Grund-Knowhow, das ihm auf einem noch niedrigen Spielniveau richtiges Handeln erlernen und falsches Handeln vermeiden lässt. Sobald die zehn Kapitel durchgearbeitet sind, wird der Spieler eine Partie sinnvoll führen können.

Den Adressaten des Werkes verorte ich nicht nur, wie oben schon erwähnt, beim gerade erst regelkundigen Schachfreund. King dürfte in erster Linie junge Menschen im Auge gehabt haben, die er im Werk duzt. Auch wenn das ursprüngliche Manuskript in Englisch verfasst worden ist, was eine Erklärung für die fehlende Unterscheidung nach Sie und Du sein könnte, gibt die einfache Sprache im Buch weitere Anhaltspunkte auf eine Ausrichtung auf die Jugend.

Zu erwähnen bleibt noch, dass "Wie man im Schach gewinnt" den Leser auch mit Übungsaufgaben versorgt, die sowohl über die Kapitel verteilt als auch in einem eigenständigen Bereich im hinteren Teil des Werkes zu finden sind. Die Lösungen dazu sind recht ausführlich und ebenfalls auf den letzten Seiten zu finden.
Am Rande erfährt der Leser noch das eine oder andere allgemein Wissenswerte zum Schach, beispielsweise die Erklärung, was ein Gambit ist.

Fazit: "Wie man im Schach gewinnt" ist ein qualifiziertes Einsteigerwerk. Es ist didaktisch gut aufgebaut, zu seinen besonderen Stärken zählt die sehr auf die Bedürfnisse des Anfängers ausgerichtete Art der Erläuterungen. Wer einem jungen Menschen ein Buch schenken möchte, das diesem auf angenehme Weise das Schachspiel qualifiziert beibringt und Lust auf mehr macht, macht mit diesem Werk alles richtig.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Schachverlag Ullrich / Joachim Beyer Verlag (www.schachversand-ullrich.de) zur Verfügung gestellt.

Understanding the Queen's Gambit Accepted

Alexander Delchev, Semko Semkov
Understanding the Queen's Gambit Accepted
244 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-619-7188-05-9
20,95 Euro




Understanding the Queen's Gambit Accepted
Einen sehr guten Eindruck macht die 2015er Neuerscheinung "Understanding the Queen's Gambit Accepted" auf mich, herausgegeben vom bulgarischen Verlag Chess Stars. Als Autoren ausgewiesen sind Alexander Delchev und Semko Semkov, wobei Delchev im Zuge der Zusammenarbeit "den Hut aufhatte". Er legt aber Wert auf die Feststellung, dass alle Varianten von beiden Autoren geprüft worden sind.

Das Werk ist im typischen Stil der Repertoirebücher von Chess Stars geschrieben worden. Dies bedeutet, dass die einzelnen Systeme in ihren jeweiligen Kapiteln in drei Etappen behandelt werden. Zunächst werden im Bereich "Main Ideas" die im System verfolgten Pläne vorgestellt, es werden typische Strukturen behandelt, Probleme und kritische Linien angesprochen und bisweilen wird zudem eine Einschätzung zum aktuellen Stand der theoretischen Diskussion abgegeben. Hier bekommt der Leser den roten Faden für die jeweilige Spielweise vermittelt, zudem erhält er die Eckpfeiler für seine Orientierung genannt.
Es schließt sich dann der Bereich "Step by Step" an. Dieser enthält die detaillierten Darstellungen der Theorie, somit das Repertoire. Vervollständigt wird das Kapitel durch thematisch gerichtet kommentierte Partien, die "Annotated Games". Sie veranschaulichen den Einsatz des Systems in der Praxis und lehren so den Einsatz der Eröffnung unter ganzheitlichen Aspekten.

In "Step by Step" liegt der Erörterung ein Baum aus Haupt- und Nebenvarianten zugrunde. Textliche Aussagen, Analysen und Partiefragmente fügen sich in dieses Gerüst ein. Analysen und Nebenvarianten werden teilweise recht weit in die Tiefe gestoßen, bilden aber dennoch nicht den Schwerpunkt der Darstellungen. Für mich ist "Understanding the Queen's Gambit Accepted" ein Vorzeigebeispiel dafür, wie ein Eröffnungsbuch gestaltet werden kann, das den Leser den Stoff wirklich verstehen lassen will. Die Autoren legen einen ganz besonderen Wert auf Erklärungen und Erläuterungen, sodass der Leser eigentlich immer weiß, warum etwas auf dem Brett geschehen sollte oder eben auch nicht. Indem Züge und Variantenauf der einen Seite und Erläuterungen etc. auf der anderen eine qualifizierte Einheit bilden, hat der Leser eine ausgezeichnete Chance auf einen klaren Lernerfolg. Auch das Einprägen von bestimmten Zugfolgen wird erleichtert, da diese nicht isoliert erscheinen, sondern eben mit den Textaussagen "eine Geschichte erzählen".
Zu den verwendeten Quellen zählen auch "Playing 1.d4 - The Queen's Gambit" von Lars Schandorff und "Grandmaster Repertoire 1 - 1.d4 volume one" von Boris Awruch. Mehrfach verbessern Delchev und Semkov darin ausgesprochene Empfehlungen bzw. ergänzen diese um neue Linien etc. Das Werk verspricht damit auch einen Mehrwert für den Leser, der das Angenommene Damengambit, das "Queen's Gambit Accepted", längst zu spielen weiß und sich vor allem für Updates seines schon qualifizierten Repertoires interessiert.

Die "Annotated Games" stammen, von Ausnahmen abgesehen, aus unseren Tagen. Dabei sind auch im Fernschach gespielte Beispiele vertreten.

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis, auf die Ebene der Abschnitte beschränkt, zeigt das folgende Bild:

Teil 1: 1.d4 d5 2.c4 dxc4 3.e4
Teil 2: The Classical System (Anmerkung: Hier geht es um die Alternativen nach 1.d4 d5 2.c4 dxc4 3.Sf3 Sf6 4.e3 e6 5.Lxc4 c5.)
Teil 3: Deviations from the Classical System
Teil 4: Alternative Repertoires
Teil 5: Odds and Ends.

Auf diese Abschnitte verteilen sich insgesamt 18 Kapitel.

Eine kleine Sonderrolle nimmt der Abschnitt mit der Überschrift "Alternative Repertoires" ein. Das hier vorgestellte "alternative Repertoire" basiert auf Delchevs Favoriten für sein eigenes praktisches Turnierspiel.

"Understanding the Queen's Gambit Accepted" ist aus der Warte von Schwarz geschrieben. Entsprechend hat Delchev mit Unterstützung durch Semkov das Repertoire inhaltlich zusammengestellt. Im Rahmen der für den Nachziehenden ausgesprochenen Repertoireempfehlungen ist das Werk natürlich auch für den Spieler mit Weiß zu nutzen.

Ein Variantenverzeichnis am Ende des Buches ist ansprechend ausführlich und damit eine gute Orientierungshilfe über alle Inhalte hinweg.

Noch ein Wort zur Sprache: Wie schon der Buchtitel anzeigt, ist das Werk in Englisch geschrieben. Es stellt eher niedrige Ansprüche an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers. Mir sind einige Fehler in Grammatik und Rechtschreibung aufgefallen. Anders als gewöhnlich können diese mein Vertrauen in die Stichhaltigkeit der Ausführungen in diesem Fall nicht beeinträchtigen. Diese Auffälligkeit dürfte eher an den Umständen liegen. Englisch ist nicht die Muttersprache der beiden Autoren und ein Muttersprachler scheint bei der Fertigung des Manuskriptes nicht mitgewirkt zu haben.

Fazit: Ich bewerte "Understanding the Queen's Gambit Accepted" mit einem "gut gelungen". Das Werk besticht durch eine sehr qualifizierte Anleitung des Lesers, wie die einzelnen Systeme zu spielen sind. Das Repertoire scheint mir solide und up to date zu sein. Bisweilen kommuniziert es mit den Inhalten anderer aktueller Werke und verbessert und ergänzt darin ausgesprochene Empfehlungen auch.
Auf allen Niveauebenen des Klubspielers sollte das Buch von Nutzen sein können.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Dragon 1 & 2

Gawain Jones
The Dragon 1 & 2
Bd. 1: 320 Seiten, kartoniert / Bd. 2: 325 Seiten, kartoniert
Bd. 1: ISBN: 978-1-78483-007-6 / Bd. 2: ISBN: 978-1-78483-009-0
je 24,99 Euro




The Dragon 1 & 2
"The Dragon 1" und "The Dragon 2" sind die Titel der beiden Bücher einer zweiteiligen Gesamtausgabe über die Sizilianische Drachenvariante. Gemeinsam ergeben sie ein schwarzes Komplettrepertoire allgemein zum Drachen, schwerpunktmäßig und damit ganz speziell aber zum Jugoslawischen Angriff. Er entsteht auf dem Brett, wenn es in der Partie nach der Einleitung 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 g6 (dies ist die Ausgangszugfolge der Drachenvariante als solche) mit 6.Le3 weitergeht. Als Hauptvariante verfolgen beide Bücher die Linie 6…Lg7 7.f3 0-0 8.Dd2 Sc6. An dieser Stelle eröffnen sich Weiß nun die Hauptfortsetzungen 9.Lc4 und 9.g4 (Band I) sowie 9.0-0-0 (Band II). Der 2. Band beherbergt zudem die diversen Abweichungen des Anziehenden.
Geschrieben hat beide Bände Gawain Jones, erschienen sind sie in der "Grandmaster Repertoire"-Serie von Quality Chess. Nimmt man beide Bücher zusammen, so erhält der Käufer mehr als 600 Seiten Theorie, zusammengestellt und organisiert mit dem Ziel, dem Nachziehenden ein abgesichertes und qualifiziertes Repertoire zu offerieren. Natürlich sind die Inhalte genauso gut für den Spieler mit Weiß zu verwenden, aber unter einem Hinweis. Er kann nicht darauf setzen, dass alle wichtigen Züge, die sein Gegner in der Partie grundsätzlich spielen könnte, tatsächlich in den Büchern zu finden sind. Soweit Gawain Jones sich bei der Zusammenstellung des Repertoires anderweitig orientiert hat, können schwarze Alternativen berechtigter Weise fehlen. Schwarz aber muss darauf setzen können, dass für ihn das Repertoire abgesichert ist, er also nicht durch einen Zug aus "seiner" Theorie gehebelt werden kann, indem sein Gegner eine wichtige aber im Werk fehlende Abweichung zu einer Buchempfehlung spielt.
Diese Erwägungen haben aber durchaus auch einen Vorteil für denjenigen, der sich mit Weiß auf der Basis des Jugoslawischen Angriffs wappnen möchte. Er kann sich auf eine Wahl im 9. Zug festlegen und sich auf den Kauf genau des Bandes beschränken, in der sie behandelt wird. Der Schwarzspieler aber braucht beide Bände, wenn er sich ein "rundes" Repertoire verschaffen will, da er in seiner Partie nicht weiß, welche Fortsetzung ihm sein Gegner an der genannten Stelle präsentieren wird.

Jones verzichtet im 2. Band auf ein allgemeines Vorwort und konzentriert sich inhaltlich sogleich konsequent auf die Folgen der weißen Weichenstellung im 9. Zug und zuvor. Es kommt also zu keinen Wiederholungen innerhalb der beiden Bände, sie bilden eine in sich abgestimmte Einheit.

Wer bereits Bücher aus der inzwischen umfangreichen "Grandmaster Repertoire"-Serie kennt, kann sich ein klares Bild vom Aufbau dieser neuen Werke machen. Sie halten sich an den bekannten Rahmen.
Band 1 enthält 15, Band 2 sogar 19 Kapitel. Im 1. Band geht Jones vorab kurz auf das Problem, aber auch die Chancen aus einer Zugumstellung hin zum Drachen ein, bevor er Hauptmotive und -ideen vorstellt. Beides bezieht sich auf den Inhalt beider Bände.
Die einzelnen Kapitel starten mit einer Übersichtsseite, die neben einem Auszug aus dem Variantenverzeichnis der letzten Buchseiten in der Regel auch Diagramme als Hinweis auf später im Text behandelte Neuerungen enthält. Eine kurze wertende Zusammenfassung schließt das jeweilige Kapitel ab.
Das inhaltliche Herzstück, die theoretische Betrachtung, umrahmt von Einführungsseite und Zusammenfassung, ist als Variantenbaum organisiert. Eine von Jones als Hauptvariante ausgewählte Zugfolge bildet das Rückgrat, von dem die Nebenvarianten abzweigen.
Wie für die Bücher aus der "Grandmeister Repertoire"-Serie üblich, sind keine vollständigen Partien abgebildet, auch nicht zur Illustration. Allerdings sind die erwähnten Hauptvarianten zumeist echten Partien entnommen. Die Notation setzt sich aus Texterläuterungen, Partiefragmenten und Analysen zusammen. Jones ist ein "passionierter Drachenspieler" und verfügt somit über eine immense Erfahrung zum System. Zahlreiche Analysen stammen nach den Angaben im Werk von ihm selbst, dürften damit oft auch einen Zusammenhang mit seiner Turniervor- und nachbereitung aufweisen.
Die Texterläuterungen richten sich nach meinem Eindruck an den verständigen Leser in dem Sinn, dass er grundlegende Aspekte überwiegend nicht anspricht. Dies ist meines Erachtens nachvollziehbar und richtig, denn das zweibändige Gesamtwerk ist für einen Anfänger eher nicht geeignet. Den Käufer, der von ihm profitiert, verorte ich im Leistungsbereich des Klubspielers und höher. Er sollte also mit "The Dragon 1" und "The Dragon 2" auf schon bemerkenswerten Kenntnissen aufbauen können.
Besonders als Adressat zu benennen ist natürlich der Fernschachspieler, der seine Partie begleitend auch die üppigsten Quellen nutzen kann, ohne auf sein Gedächtnis angewiesen zu sein. "The Dragon 1 + 2" sind, wenn ich mir ein Bild erlauben darf, die Nobelkarosse auf der Straße in den Partieerfolg. Damit ordnen sich beide Bücher nahtlos in die Reihe der Spitzenwerke aus der "Grandmaster Repertoire"-Serie von Quality Chess ein.

Hätte der Verlag beide Bände in einem einzigen Buch herausbringen können? Vielleicht, aber dann wäre es inklusive der Serviceseiten ein "Brummer" von fast 650 Seiten geworden. Ich habe nicht den Eindruck, dass mit der Zweiteilung ein höherer (aufsummierter) Verkaufspreis erzielt werden soll. Vermutlich verspricht sich Quality Chess einen besseren Absatz dadurch, dass der deutlich höher anzunehmende Preis für ein Gesamtwerk vermieden wird. Zudem kann der Interessent, besonders jener mit Blick auf die weißen Steine, flexibel entscheiden, was er kaufen will, beide Bände oder eben nur einen.

"The Dragon 1" und "The Dragon 2" enthalten Neuerungen in einer sehr hohen Zahl. Nun bedeutet eine Neuerung nicht gleich, dass sie sich in der Praxis durchsetzen wird, aber sie gibt selbst dem erfahrenen Spieler neue Möglichkeiten in die Hand, die dieser für einen eigenen Einsatz zumindest prüfen kann. So gehe ich davon aus, dass selbst der Experte auf dem Gebiet des Jugoslawischen Angriffs in der Drachenvariante viel neuen Stoff vorfinden wird.

Beide Bände verfügen über ein eigenes Variantenverzeichnis, das jeweils sehr ausführlich gehalten ist und die Orientierung über alle Buchinhalte hinweg leicht macht. Der maßgebliche Ausschnitt daraus findet sich dann auf der Eingangsseite eines Kapitels wieder, wie oben schon kurz ausgeführt.

Die Buchsprache ist Englisch. Die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers entsprechen dem Üblichen in Schachbüchern. Sie sind also nicht deshalb höher anzusetzen, weil der Autor in seiner Muttersprache geschrieben hat.

Noch ein Wort zu Gawain Jones: Er ist britischer GM, hat eine aktuelle Elo-Zahl von 2615, kann auf Siege auch in mehreren herausragenden Turnieren verweisen und hat sich schon früher einen Namen als Autor gemacht.

Fazit: "The Dragon 1" und "The Dragon 2" sind die meines Wissens vollständigsten Behandlungen des Jugoslawischen Angriffs in der Drachenvariante der Sizilianischen Verteidigung überhaupt, natürlich auch die aktuellste. Dies gilt unter den vom Autor gesetzten Schwerpunkten innerhalb des Repertoires für Schwarz. Für Weiß ist die gebotene Abgrenzung zu einer Monographie zu beachten. Allerdings kenne ich auch kein Werk aus dieser Sparte, das den Anziehenden kompletter gegen das schwarze Spiel rüsten könnte.
Beide Bände sind würdige Vertreter aus der "Grandmaster Repertoire"-Eröffnungsreihe. Schwarz braucht beide Bände für eine "Vollausrüstung", Weiß kann sich grundsätzlich wahlweise auf eine Fortsetzung im 9. Zug konzentrieren und sich dann auf den Kauf eines Bandes beschränken.

Der Rezension lagen die Bücher "kartoniert" zugrunde. Für einen Aufpreis von je 5 Euro sind sie auch gebunden erhältlich.


Die Rezensionsexemplare wurden freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Risk & Bluff in Chess

Vladimir Tukmakov
Risk & Bluff in Chess
224 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-595-7
24,95 Euro




Risk & Bluff in Chess
Um die Neuerscheinung "Risk & Bluff in Chess" von Vladimir Tukmakov, herausgegeben von New In Chess (NIC), richtig einzuordnen, ist es hilfreich, sich zunächst die Bedeutung der beiden wesentlichen Begriffe im Titel zu vergegenwärtigen. Das Risiko (englisch "risk") ist im Schach ein Schritt, den der Spieler mit der Gefahr eines sich einstellenden Nachteils bis hin zum Partieverlust eingeht, der ihm zugleich aber auch die Chance auf einen Vorteil vermittelt, bis hin zum Sieg in der Partie. Ein Bluff (englisch und deutsch gleich) gaukelt dem Gegenüber einen ihm drohenden potentiellen Nachteil vor, der real in dieser Weise nicht in der Luft liegt. Wenn der Spieler einen Bluff versucht, macht er dies unter dem Risiko, dass der Gegner nicht darauf hereinfällt und daraus einen Profit zieht. Ein sein schönes Zitat von Michail Tal auf einer der ersten Buchseiten beschreibt diesen Zusammenhang anschaulich. In einer sinngemäßen Übersetzung lautet es wie folgt: "Wenn Sie Ihrem Gegner weismachen wollen, dass 2 x 2 = 5 gilt, dann müssen Sie zunächst wissen, dass 2 x 2 = 4 ist und dass Sie ein Risiko eingehen!"
"The Art of Taking Calculated Risks", dies ist der Untertitel des neuen Werkes, zeigt dessen Schwerpunkt an. Er bedeutet soviel wie "Die Kunst, kalkulierte Risiken einzugehen". Zug für Zug geht der Spieler im Schach ein Risiko ein. Dies beginnt schon mit der ersten Bauernbewegung, die u.a. die Chance auf Raum und Einfluss in sich trägt, zugleich aber auch das Risiko einer gewissen Schwächung der Bauernformation. Schach kann nicht gespielt werden und im Schach wird kein Sieg möglich, ohne Risiken einzugehen. Das vorstehende Beispiel zum ersten Bauernzug ist natürlich ungenügend, um eine tiefe Betrachtung der Materie einzuleiten; es dient allein einer frühen Veranschaulichung. Erst mit Fortschreiten einer Partie, verbunden mit komplexen Strukturen, unübersichtlichen Verhältnissen und dynamischen Möglichkeiten, die nicht bis ins letzte Detail berechnet werden können, entsteht die Szenerie für Risiken und Bluffs.

Tukmakov hat versucht, Kategorien zu entwickeln, nach denen in der Praxis mit einem kalkulierten Risiko oder einem Bluff "gearbeitet" werden kann. "Risk & Bluff in Chess" enthält neun Kapitel, die sich im Wesentlichen an diesen Kategorien orientieren und jeweils aussagekräftige Beispiele enthalten.
In der Art seiner Zusammenstellung erinnert mich das Werk etwas an eine Kochsendung im Fernsehen. Der Meisterkoch erschafft vor den Augen der Zuschauer eine Speise. Diese folgen seinem Tun, wobei aber nur die wesentlichen Schritte genauer dargestellt werden und erfolgte Vorarbeiten etc. weitgehend unbetrachtet bleiben. Der Zuschauer lernt eine neue Speise kennen, erhält einen Einblick in das Rezept, sieht die richtige Ausführung und erfährt dann auch noch etwas in der Form einer Zusammenfassung, die er sich zumeist auch noch auf einem angegebenen Weg verfügbar machen kann.

In "Risk & Bluff in Chess" veranschaulicht der "Meisterkoch" Vladimir Tukmakov anhand von 106 Beispielen aus der Praxis, in welchen Situationen das Eingehen eines Risikos etwas bringen kann und wann es Zeit für einen Bluffversuch ist. Bei diesen Beispielen handelt es sich um ganze Partien wie auch um Fragmente aus dem Turnierspiel. Bei deren Auswahl hat sich der Autor offenkundig ausschließlich von deren inhaltlicher Eignung leiten lassen, nicht von eher formalen Aspekten. So gibt es einige Duelle aus unseren Tagen im Buch, sehr viele aber auch aus früheren Zeiten.

Das Inhaltsverzeichnis sieht, auf die Punkte der theoretischen Erörterung konzentriert, wie folgt aus:

Introduction
Kapitel 1: Mikhail Tal: The Start of a New Era
Kapitel 2: Bluff in the Opening
Kapitel 3: The Madness of the Brave
Kapitel 4: The Logic of the Irrational
Kapitel 5: By Right of the Strong
Kapitel 6: Masculine Desperation
Kapitel 7: In the Grip of Passion
Kapitel 8: When a Win is the Only Acceptable Result
Kapitel 9: the Last Chance!

Teilweise lassen die Kapitelüberschriften nicht erkennen, worum es im jeweils Folgenden genau geht. Diese Lücke versuche ich nachfolgend zu schließen:

Kapitel 3: Hier werden Beispiele besprochen, in denen es nicht nötig gewesen wäre, eine riskante Aktion zu starten.
Kapitel 4: Tukmakov versucht die Trennlinie zwischen einem kalkulierten Risiko und eines riskanten Spiels aufgrund eines Fehlers zu ziehen.
Kapitel 5: In diesem Abschnitt werden Faktoren betrachtet, die einen Spieler gegenüber seinem Gegner prädestinieren, ein Risiko einzugehen.
Kapitel 6: Es gibt Partien, in denen in einer bestimmten Situation nur noch ein riskantes Herumreißen des Steuers den Lauf in eine Niederlage verhindern kann. Um derartige Beispiele geht es im Kapitel 6.
Kapitel 7: Manchmal liegt die Chance darin, die Stellung ins Ungewisse zu überführen, sie also außer Kontrolle geraten zu lassen und sie in einem weiten Maße der konkreten Berechnung zu entziehen. Tukmakov untersucht derartige Beispiele an dieser Stelle.
Kapitel 8: Wenn nur noch ein Sieg hilft, dann muss ein Sieg her. Dies kann der Fall sein, wenn nur so ein Turniererfolg erreicht werden kann. Das 8. Kapitel thematisiert das Siegen quasi mit der Brechstange mittels Risiko und Bluff.
Kapitel 9: Eine verlorene Partie dem Gegner doch noch wieder zu entreißen ist im Kern das Thema im letzten Buchkapitel.

Den Abschluss eines Kapitels bildet eine Zusammenfassung, die dem Leser komprimiert vermittelt, was er aus der Arbeit an den Beispielen in verallgemeinerter Form mitnehmen soll.

Wie die vorstehenden Beschreibungen vielleicht schon zeigen, ist "Risk & Bluff in Chess" thematisch anspruchsvoll. Den besonders von ihm angesprochenen Leser suche ich im Leistungsbereich des Klubspielers und auch höher.

Die Buchsprache ist Englisch. Der verwendete Wortschatz ist nach meiner Einschätzung bisweilen so breit angelegt, dass der Leser mit nicht mehr allzu geübtem Schulenglisch einiges wird nachschlagen müssen. Der Satzbau ist unkritisch, im Wesentlichen beschränkt sich Tukmakov auf recht kurze Sätze.

Fazit: "Risk & Bluff in Chess" ist ein Werk, das einen schon recht leistungsstarken Spieler weiter voranbringen kann. Unterhalb der Ebene des Klubspielers wird der Leser Mühe haben, den vollen Nutzen für sich daraus zu ziehen.
Tukmakov arbeitet mit aussagekräftigen Beispielen. Über sie lernt der Leser die Kategorien kennen, in die der Autor die Situationen des Auftretens von Risikoentscheidungen und Bluffs und damit zugleich diese selbst unterscheidet. Diese Methode eines gewissen abstrakten Lernens ergänzt Tukmakov um eine sehr konkrete Komponente, und zwar eine Zusammenfassung der Kerninhalte jeweils am Ende des Kapitels.

"Risk & Bluff in Chess" kann ich in erster Linie dem Spieler ab Klubniveau als Schulungs- und Trainingsbuch empfehlen.

The Lazy Man's Sicilian

Valerie Bronznik, Steve Giddins
The Lazy Man's Sicilian
222 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-605-3
19,95 Euro




The Lazy Man's Sicilian
"The Lazy Man's Sicilian" ist der humorvolle Titel eines Buches, das für einige unter uns Schachspielern wie ein alter Bekannter ist, den man nach mehreren Jahren wiedertrifft. In der Zwischenzeit aber hat er im Jungbrunnen gebadet und sich komplett neue und anders geartete Kleider angelegt. Wenn ich für Sie in Rätseln spreche und Sie die Auflösung erfahren möchten, müssen Sie weiterlesen. Also:

Wörtlich übersetzt lautet der Buchtitel auf "Der Sizilianer des faulen Mannes". Mit etwas Fantasie lässt er darauf schließen, dass dieses Werk dem Leser eine Variante in der Sizilianischen Verteidigung anbietet, die ihm nicht allzu viel Fleiß für das Studium abverlangt. Und so ist es auch, zumindest gemessen an dem, was man sich erarbeiten muss, wenn man die gängigen Systeme in dieser Eröffnung spielen und in ihnen bestehen will. Es geht hier um die einleitende Zugfolge 1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Lc5. Mit seinem 4. Zug verlässt der Nachziehende das sizilianische Meer an Theorie und biegt in eine abgelegene Bucht ein. Dies ist ein interessanter Weg für den Spieler, der wenig Theoriekenntnisse zum Sizilianer hat, sich diese auch nicht aufwändig erarbeiten kann oder will und seinem Gegner dessen Wissensvorteil zu nehmen trachtet. Kurzum: Dies ist ein interessanter Weg für den Müßiggänger. Und damit sind wir an der Geburtsstätte des neuen Werkes angekommen. "The Lazy Man's Sicilian" ist eine Übersetzung unter gleichzeitiger Aktualisierung des 2004 erschienenen Buches "Sizilianisch für Müßiggänger" von Valerie Bronznik. Auf einen aktuellen theoretischen Stand hat Steve Giddins das schon 2004 viel beachtete ursprüngliche Werk gebracht. Er hat die Entwicklungen seit dem Erscheinungsjahr der deutschen Erstfassung gesichtet und eingearbeitet. Deshalb steht sein Name als Autor neben jenem von Valerie Bronznik.

Einen einheitlichen Namen für die Themaeröffnung gibt es nicht. "The Lazy Man's Sicilian" bezeichnet sie als Basman-Sale-Variante, im Deutschen ist Sie entfernt mit dem Namen Paulsen verbunden.

Wie das Werk zur Darstellung der Theorie aufgebaut ist, wird anhand des Inhaltsverzeichnisses deutlich, das insoweit wie folgt aussieht (in der Buchsprache Englisch, die Figurensymbole habe ich durch Figuren-Abkürzungen ersetzt):

Part I - Systems without 5.Sb3
Chapter 1 - The Natural 5.Sc3
Chapter 2 - The Sharp 5.Sb5
Chapter 3 - Central Control: 5.Le3

Part II - Systems with 5.Sb3 Lb6 6.Sc3 Se7
Chapter 4 - The Active 7.Ld3
Chapter 5 - The Modest 7.Le2
Chapter 6 - The Poisonous 7.Lc4
Chapter 7 - The Deceptive 7.Lf4
Chapter 8 - The Fianchetto 7.g3
Chapter 9 - The Aggressive 7.Dh5
Chapter 10 - Mobilising and Pinning: 7.Lg5

Part III - Systems with 5.Sb3 Lb6 6.c4 Se7 7.Sc3 0-0
Chapter 11 - Eyeing f5: 8.Ld3
Chapter 12 - The Modest 8.Le2
Chapter 13 - Chasing the Bishop: 8.c5
Chapter 14 - Eyeing d6: 8.Lf4

Part IV - Systems with 5.Sb3 Lb6
Chapter 15 - 6.Ld3 and other 6th moves for White

Part V - Systems with 3.Sc3
Chapter 16 - Avoiding Standard Lines: 3...a6.

Vorangestellt ist ein Abschnitt, in dem die typischen Pläne und Ideen gezeigt werden. Der Leser erhält auf diese Weise die Informationen, die er für einen Masterplan in der Partie benötigt. Vor allem werden ihm die regelmäßig entstehenden Bauernformationen aufgezeigt; daran angelehnt wird erörtert, wie er an diesen ausgerichtet sein Spiel aufbauen kann.

Wie schon dem Inhaltsverzeichnis entnommen werden kann, enthält "The Lazy Man's Sicilian" 16 Kapitel, die sich auf fünf Buchabschnitte verteilen. Sie enthalten die Darstellungen der Theorie. Als Trägerelement der Erörterungen dienen Partien aus der Turnierszene. Die Kommentierung ergibt sich aus einer Kombination von Text, Analysen sowie als Nebenvarianten berücksichtigten Partiefragmenten. Der Leser, der sich sehr tief in das vorgestellte System einarbeiten möchte, damit dann aber den Buchtitel des "faulen Mannes" dann doch ein wenig Lügen straft, erhält das Material dafür. Zum Teil gehen die Varianten bis in eine bemerkenswerte Tiefe vor. So detailliert eintauchen muss der Leser, der sich eher grundsätzlich informieren und für die einfache Klubpartie rüsten möchte, allerdings nicht. Ihm dürfte die Kenntnis der Hauptvarianten vor dem Hintergrund seines "Masterplanes" genügen. Im Klubspiel wird schon damit einiges zu erreichen sein, denn der Sizilianer mit 4…Lc5 dürfte auch als Überraschungswaffe eine erste Wirkung erzielen.
Anders ist die Sache aus der Sicht des Fernschachspielers zu beurteilen. Dieser braucht eine breite Variantenausstattung, die er sich generell idealerweise über die Literatur wie zugleich auch seine gut sortierte Partiendatenbank verschafft. Ich halte "The Lazy Man's Sicilian" für so qualifiziert, dass es auch sehr gut die eigene Fernschachpartie begleitend eingesetzt werden kann, ohne dass bemerkenswerte Lücken eben über den Fundus an Partien geschlossen werden müssten.
Um mir dieses Urteil erlauben zu können, habe ich meine eigene Datenbank entsprechend systematisch ausgewertet und die Ergebnisse mit den im Buch vorgestellten Linien verglichen. Dabei habe ich mich auf Partien beschränkt, die in der Zeit von 2000 bis 2015 ausgetragen worden sind. Auf der Basis von exakt 1683 Duellen, die für meine Auswertungen zusammengekommen sind, und den daraus abgeleiteten Eröffnungsreferenzen kann ich eine breite Abdeckung der praxisrelevanten Linien im Buch bestätigen. Mir ist über diese Untersuchung keine relevante Variante aufgefallen, die "The Lazy Man's Sicilian" vermissen lässt.

Jedes Kapitel wird mit einer wertenden Zusammenfassung abgeschlossen, oft in einer sehr ausführlichen Form. Persönlich würde ich bei der Arbeit mit dem Buch zunächst immer genau diese Zusammenfassung aufsuchen, um erst im Anschluss daran und dabei vorkonditioniert in die theoretischen Darstellungen zu gehen.

Auf den letzten Seiten findet sich unter anderem ein detailliertes Variantenverzeichnis, das die Navigation über alle Kapitel hinweg erlaubt.

Die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers sind moderat. Der verwendete Wortschatz orientiert sich allgemein am umgangssprachlich Relevantem, ergänzt um die üblichen Schachausdrücke.

Der Vorzug von "The Lazy Man's Sicilian" gegenüber dem Basiswerk "Sizilianisch für Müßiggänger" liegt natürlich im theoretischen Update. Wer also des Englischen mächtig ist, sollte sich die neue Ausgabe zulegen.

Fazit: "The Lazy Man's Sicilian" rüstet den Spieler mit Spezialwissen aus, der mit Schwarz seinem Gegner auf 1.e4 mit Sizilianisch begegnen möchte, nicht aber zum Preis eines Eintauchens in ein Meer von Theorie. Mittels 4…Lc5 verlässt er die meistgespielten Wege und kann so einen möglicherweise großen Wissensvorsprung seines Gegners zur Sizilianischen Verteidigung allgemein wertlos machen, vielleicht sogar auf eigene bessere Kenntnisse hoffen.
Das Buch ist vollständig, systematisch gut aufgebaut und über die neue Bearbeitung wieder auf den aktuellen Stand der Theorie und des Turniergeschehens gebracht worden.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Der blinde Fleck

Lothar Nikolaiczuk
Der blinde Fleck
140 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-3-940417-65-7
19,80 Euro




Der blinde Fleck
"Der blinde Fleck" von Lothar Nikolaiczuk, vor wenigen Wochen als Imprint des Schachverlags Ullrich im Joachim Beyer Verlag neu auf den Markt gekommen, ist ein Buch für den Praktiker. Man muss nur lange genug Schach spielen, um irgendwann die eigenen Fälle aufzählen zu können, in denen man in der eigenen Partie den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen hat. Der Untertitel des neuen Werkes lautet auf "Allerlei Gründe schachlicher Kurzsichtigkeit"; er deutet schon etwas konkreter an, womit sich Nikolaiczuk beschäftigt hat.

Wie oft hat man beispielsweise einen Gewinnzug ausgelassen, weil man zu kompliziert gedacht hat? Derartige Situationen sind dadurch gekennzeichnet, dass der Spieler die Lösung in einer schwierigen Berechnung sucht, obwohl es eine naheliegende einfache Möglichkeit gibt, den angestrebten Erfolg zu erreichen. Lothar Nikolaiczuk sieht den blinden Fleck im Schach dort verortet, wo der Spieler grundsätzlich eine Lösung sehen könnte, er diese Lösung auch sehen will, sie aber tatsächlich nicht erkennt, weil er zu schablonenhaft denkt. Und genau hier will er mit "Der blinde Fleck" ansetzen.

Das Buch ist in drei Abschnitte unterteilt. Es macht hier in der Rezension wenig Sinn, auch nur auszugsweise das Inhaltsverzeichnis abzubilden, weil die meisten Einträge abstrakt gehalten sind und die behandelten Themen nicht wirklich erkennbar werden lassen. Ich konzentriere mich deshalb auf eine Beschreibung der Inhalte.
Im 1. Abschnitt werden anhand von Beispielen aus der Praxis, Partiefragmenten somit, Denkschablonen zusammengestellt, mit denen sich der Spieler jeweils selbst im Wege gestanden hat und die für uns alle relevant sind. Im 2. Abschnitt setzt sich Nikolaiczuk mit den Ursachen für ein Übersehen recht einfach erkennbarer Ressourcen auseinander, beispielsweise einem eingeschränkten Blick oder die fehlende Antenne für einen Zwischenzug. Im 3. Abschnitt wird der Leser mit 162 Aufgaben konfrontiert, sinnigerweise als "Sehtests" bezeichnet. An diesen kann er seine Fähigkeiten überprüfen und sein Auge schulen. Er findet dabei jeweils nur ein Ausgangsdiagramm und die Information vor, welche Seite sich am Zug befindet. Es ist durchaus anspruchsvoll, was der Leser hier zu leisten hat. Die Lösungen werden gesammelt gleich im Anschluss besprochen. Sie sind erfreulich deskriptiv gehalten, arbeiten also mit viel erläuterndem Text als Ergänzung zu den reinen Zügen.
Die im Buch abgebildeten Beispiele sind überwiegend schon älteren Datums, was aber faktisch bedeutungslos ist, denn sie sind fachlich dadurch um keinen Deut weniger geeignet als etwa taufrisches Material.

Nikolaiczuk schreibt in einem bilderreichen und humorvollen Stil, sodass dieses Werk unterhaltsam und amüsant ist. Für die Motivation des Lesers kann dies nur förderlich sein.

Zu klären bleibt noch, für welchen Spieler "Der blinde Fleck" in erster Linie ein Gewinn sein dürfte. Ich sehe in dieser Neuerscheinung in erster Linie ein Trainingsbuch für den fortgeschrittenen Spieler. Er bringt die Voraussetzungen mit, anhand dieses Buches seinen Blick zu schärfen und mit der Arbeit an den "Sehtests" seine Auffassungsgabe, seine Urteilsfähigkeit und seine kombinatorischen Fähigkeiten zu schulen. Unterhalb der Ebene des Klubspielers könnte sich meines Erachtens die Herausforderung an den Spieler schnell in eine Überforderung entwickeln.

Fazit: "Der blinde Fleck" ist ein Buch für den Praktiker, dessen Fähigkeiten sich auf der Ebene des Klubniveaus oder darüber bewegen. Es ist weniger auf die Vermittlung eines besonderen Wissens ausgerichtet, mehr hingegen darauf, dem Spieler die Augen zu öffnen und ihm zu helfen, schablonenhaftes Denken bewusst zu vermeiden.
So ist "Der blinde Fleck" eine Neuerscheinung, die ich besonders als Trainingsbuch für den Klubspieler einordne, sodass ich besonders ihm den Kauf empfehlen kann.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Schachverlag Ullrich / Joachim Beyer Verlag (www.schachversand-ullrich.de) zur Verfügung gestellt.

Lessons with a Grandmaster III

GM Boris Gulko / Dr. Joel R. Sneed
Lessons with a Grandmaster III
272 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-78194-195-9
20,60 Euro




Lessons with a Grandmaster III
"Lessons with a Grandmaster III" ist der dritte Band einer Serie, in der GM Boris Gulko und Dr. Joel R. Sneed im "Smalltalk am Brett" Partien aus dem langen Schaffen Gulkos durchgehen. Fortlaufend eingestreut werden dabei Übungen, die sich de facto an den Leser richten. Diese soll er erfüllen, bevor er im Text voranschreitet. Der Schwierigkeitsgrad differiert von Übung zu Übung, er reicht von 1 (einfach) bis 6 (schwierig).

Wenn Sie Bücher aus der Reihe "move by move" kennen, die ebenfalls wie die hier rezensierte Neuerscheinung bei Everyman Chess erschienen sind, und sich an diese erinnert fühlen, so ist dies verständlich. Tatsächlich lässt sich eine erhebliche Ähnlichkeit nicht verkennen. Allerdings sind die "Lessons with a Grandmaster" gezielt und ganz intensiv wie ein Gespräch zwischen Schachlehrer und Schüler aufgemacht. Diese Form ist hier also das zentrale Stilelement. Mir persönlich erscheint "Lessons with a Grandmaster III" wie schon seine Vorgänger wie ein verschriftlichtes Video bei Youtube. Was dort die Kommentatoren in Filmchen, die mir bei meinem Vergleich vorschweben, am Demobrett vollziehen und - manchmal im Dialog, oft als Monolog - besprechen, präsentieren hier Papier und Druckerschwärze.

Dr. Joel R. Sneed ist Professor der Psychologie und ein engagierter Amateurspieler. Boris Gulko zählte früher zur engen Weltspitze des Schachspiels, er verfügt über eine immense Erfahrung und ist auch als qualifizierter Autor anerkannt.

"Lessons with a Grandmaster III" widmet sich dem Zusammenhang und dem Zusammenwirken von Strategie und Taktik im Schach. Weiterhin steht die Psychologie im Zentrum des Interesses. Das Werk umfasst insgesamt 11 Kapitel, insoweit sieht das Inhaltsverzeichnis wie folgt aus:

1) The Advantage of Two Bishops
2) The Theory of Weak Squares
3) The Struggle for the Initiative
4) Problems Around Counterplay
5) Struggle in the Center
6) Mysterious Passed Pawn on the d-file
7) Piece Coordination
8) Psychology in Chess
9) Struggle with Major Pieces
10) Some Strategic Ideas in the Sicilian Defense
11) Some Strategic Ideas in the Catalan.

Als Hilfsmittel bei der Erfüllung der Aufgabe, einen roten Faden im Stoff zu halten und die Materie überhaupt praxisnah zu behandeln, fungieren 30 Partien aus Gulkos langer Karriere. Die Vorkommnisse in diesen Partien, verpasste Möglichkeiten, versteckte Drohungen etc. sind jeweils der ins Wasser geworfene Stein, um den sich die folgenden Erörterungen drehen. Diese Partien sind zunächst herkömmlich kommentiert, wobei die og. Schwerpunkte, unter denen dieser Band geschrieben worden ist, besonders in den Fokus genommen werden. Die Kommentierung ist dann um den Smalltalk zwischen den beiden Autoren sowie um die Übungen ergänzt worden. Herausgekommen ist letztlich ein sehr unterhaltsames Buch, das den Leser vor allem in der Anwendung ausgewählter strategischer und taktischer Elemente schult. Ein bisschen ist "Lessons with a Grandmaster III" ein Theoriewerk, ein bisschen zugleich ein Handbuch für die Praxis und durchgehend auch ein unterhaltsamer Lesestoff. Nicht nur die Frage nach dem objektiv besten Zug steht jeweils im Raum, sondern auch danach, was in der jeweils praktischen Situation am Brett das beste Vorgehen sein mag. Beispielhaft setzen sich die Autoren damit auseinander, welcher Eröffnungszug quasi aus der "zweiten Reihe" gegen einen bestimmten Gegner genau die richtige Wahl ist und welchen Zug aus der ersten man gegen einen anderen bestimmten Gegner vielleicht besser sein lassen sollte. Hier also kommt die Psychologie ins Spiel, deren Erwägungen Einfluss auf die Eröffnungswahl, auf die Priorisierung von Zügen und etliches mehr nehmen können und oft genug sogar sollten, wenn es den Erfolg in der Partie zu fördern vermag.

In der Fiktion des Buches und der Serie als solcher steigert Dr. Joel R. Sneed seine Spielstärke, indem er von seinem Schachlehrer geschult und angeleitet wird. Erkennt er den angesagten Weg für das weitere Vorgehen nicht, wird er von Gulko aufs Pferd gesetzt, lernt und macht auf der Basis seines neuen Wissens weiter.

Die Buchsprache ist Englisch, Fremdsprachkenntnisse auf einem guten Schulniveau reichen für ein weitgehend bequemes Verstehen aus.
Am Ende des Werkes findet der Leser ein Verzeichnis der in den Partien auf das Brett gekommenen Eröffnungen sowie eine Liste der Gegner, auf die Gulko in den Buchpartien getroffen ist.

Fazit: "Lessons with a Grandmaster III" ist als Einzelwerk wie auch als Element der gleichnamigen Serie nutzbar. Es ist ein Buch zur angewandten Strategie und Taktik im Schach. Zusätzlich wirft es einen Blick auf die Schachpsychologie.
In der aufgelockerten Atmosphäre eines verschriftlichten Gesprächs zwischen Lehrer und Schüler spielt im Hintergrund der Leser die Hauptrolle, der als aufmerksamer Beobachter und de facto heimlicher Akteur seine Fähigkeiten schult.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Petroff - move by move

Cyrus Lakdawala
The Petroff - move by move
400 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-78194-257-4
21,85 Euro




The Petroff - move by move
"The Petroff" ist das 20.Buch, das der US-amerikanische IM Cyrus Lakdawala im Rahmen der Buchreihe "move by move" von Everyman Chess geschrieben hat. Es behandelt die Russische Verteidigung, die außerhalb des deutschen Sprachraums überwiegend als "Petroff-Verteidigung" bezeichnet wird, in Anlehnung an den frühen russischen Meister Alexander Dmitrijewitsch Petrow (1794-1867), der als ihr erster großer Protagonist gilt.

Anhand von 48 Partien, die bis auf wenige Ausnahmen nach dem Jahr 2000 gespielt worden sind, versucht Lakdawala dem Leser die Russische Verteidigung so zu vermitteln, dass er sie im wahren Wortsinn versteht und nicht nur Zugfolgen auswendig lernt, deren Hintergründe er nicht ermessen kann. Indem der Leser die Aufbaupläne, wichtige Motive etc. erfährt, erhält er den roten Faden für die eigene Partie, um in unbekannten Situationen die systemgerechten Entscheidungen treffen zu können.
Die besondere Form der Kommentierung der Partien, die sich durch eingestreute und an den Leser gerichtete Fragen und Übungen auszeichnet, hat Lakdawala spezifiziert. Die Übungsanweisungen geben jeweils an, worum es in der Richtung geht. Mal kann es sein, dass ein Plan zu entwickeln ist, dann soll eine kritische Entscheidung getroffen werden oder es gilt eine Kombination zu finden. Es kommen zudem Übungen vor, in denen verschiedene Übungsziele miteinander kombiniert werden.
Die Lösungen werden - wie für die "move by move"-Reihe typisch - im Rahmen der sich sogleich anschließenden Kommentierung gegeben, sodass der Leser im Fluss der Partie das von ihm Erarbeitete mit den Einschätzungen des Autors vergleichen kann.

Ich bin davon überzeugt, dass der Leser, der intensiv mit diesem Werk arbeitet, für vergleichsweise den Bereich des Klubspiels sehr gute Fähigkeiten darin erreicht, die Russische Verteidigung planvoll und sein Spiel in sich widerspruchsfrei aufzuziehen. Es ist dafür eine erhebliche Investition an Zeit erforderlich, um den vollen Nutzen für sich aus diesem Buch zu ziehen, aber der Klubspieler wird im Anschluss daran ganz sicher nicht mehr den Einsatz der Russischen Verteidigung scheuen müssen.

Ein zweiter Effekt, den "The Petroff - move by move" erzielt, liegt darin, dass der Spieler mit Schwarz ein ordentliches Grundrepertoire zur Eröffnung erhält. Für den Weißspieler gilt diese Aussage auch, aber unter der Einschränkung, dass er nicht alle guten oder klar spielbaren Zugmöglichkeiten seines Gegners erfährt, sondern in dieser Frage mehr als sein Gegenüber den Auswahlentscheidungen des Autors unterliegt. Wenn Schwarz also in seiner Partie von den Empfehlungen im Buch abweicht, etwa weil er einer guten Alternative aus einer anderen Quelle folgt, ist Weiß aus dem Repertoire des vorliegenden Werkes geglitten. Solange Lakdawala die richtigen Entscheidungen zur Wichtigkeit weißer Zugalternativen getroffen hat, besteht für Schwarz die beschriebene Gefahr nicht in gleicher Weise.

An unsere deutsche Nomenklatur angepasst und sinngemäß ins Deutsche übersetzt hat das Inhaltsverzeichnis, auf die Theoriekapitel beschränkt, das folgende Gesicht:

1 Das Cochrane-Gambit
2 Steinitz-System
3 1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.Sxe5 d6 4.Sf3 Sxe4 5.d4 d5 6.Ld3 Sc6 7.0-0 Le7 8.c4
4 Alternativen im 5. Zug
5 1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.Sxe5 d6 4.Sf3 Sxe4 5.Sc3 Sxc3 6.dxc3 Le7 7.Le3
6 Drei-Springer-Variante
7 Verschiedenes.

Ein paar Worte über das 1. Kapitel zum Cochrane-Gambit: Dieses Gambit, bei dem Weiß einen Springer gegen (nur) zwei Bauern gibt, gilt als nicht ganz vollwertig. Dennoch ist es für Schwarz brandgefährlich, wenn er am Brett ohne besondere Vorkenntnisse und auf sich allein gestellt die richtigen Entscheidungen zu treffen hat. So ist es nicht verwunderlich, dass es zumindest im Nahschach einen sehr guten Score für den Anziehenden aufweist.
Lakdawala sieht nach 1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.Sxe5 d6 4.Sxf7 Kxf7 5.d4 zurecht die Fortsetzung 5…c5 als die empfohlene Erwiderung an. Die alte Hauptvariante wurde mit 5…g6 eingeleitet. Auch sie kommt weiterhin nicht selten vor, führt aber zu größeren Schwierigkeiten für Schwarz im Ringen um ein aktives Gegenspiel.
Lakdawala lässt diese alte Hauptvariante komplett unerwähnt. Aus Gründen der Repertoirezusammenstellung kann ich dies gut nachvollziehen, und dennoch halte ich deren fundierte Kenntnis für sehr wichtig, und zwar vor einem anderen Hintergrund. In dieser alten Hauptvariante erlebt der Schwarzspieler alle Schwierigkeiten, die ihm sein Gegner als Kompensation für sein erbrachtes Opfer bereiten kann. Ich persönlich halte die Kenntnis der alten Hauptvariante deshalb für sehr wichtig, um das Cochrane-Gambit möglichst gut zu verstehen und es dann - unter Hinwendung zur neuen Hauptvariante - verständig spielen zu können.
Ich habe mich früher selbst intensiv mit dem Cochrane-Gambit befasst und online ein kleines Büchlein darüber zusammengestellt, das für jedermann kostenlos frei verfügbar ist. Erreicht werden kann es über meine private Homepage www.bekemann.de und dort den Navigationseintrag "Cochrane-Gambit". Die darin zu findenden Ausführungen sind derzeit nicht mehr aktuell. Sie reichen aber komplett aus, um in Ergänzung zu "The Petroff - move by move" die darin fehlende alte Hauptvariante kennen zu lernen.

"The Petroff - move by move" ist in englischer Sprache verfasst. Lakdawala stellt sprachlich erhebliche Anforderungen an den Leser mit deutscher Zunge. Ein Spieler mit ungeübten Fremdsprachkenntnissen sollte sich darauf einstellen, zumindest etliche Vokabeln nachschauen zu müssen.

Die Bibliografie stützt sich auf aktuelle Werke. Ich vermisse darin keinen wichtigen Titel. Die angegebenen elektronischen Medien bestätigen eine fundierte Nutzung der Partienquellen.
Das Variantenverzeichnis im Bereich der letzten Buchseiten ist ordentlich, auch ein Partienverzeichnis ist hier zu finden. Während in den Kapiteln häufig auch im Fernschach gespielte Partien referenziert werden, gibt es keine Beispiele daraus als vollständige Partie.

Fazit: "The Petroff - move by move" merkt man an, dass sein Autor Cyrus Lakdawala in dieser Buchserie eine inzwischen ganz besondere Erfahrung aufgebaut hat. Während mich zwischenzeitlich einzelne seiner vorherigen Werke nur noch leicht eingeschränkt überzeugt hatten, ist dieses aus meiner Sicht nun wieder voll zu empfehlen. Eine Voraussetzung für ein bequemes Verstehen auf der Seite des deutschen Lesers sehe ich in geübten englischen Sprachkenntnissen.
Der Leser erhält ein qualifiziertes Werk, das ihn die Russische Verteidigung "mit Verstand" spielen lässt, ihm ein Grundrepertoire vermittelt und das zugleich auch allgemein seine strategischen und taktischen Fähigkeiten schult.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Python Strategy

Tigran Petrosjan
Python Strategy
392 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-78483-002-1
24,99 Euro




Python Strategy
Der Buchtitel "Python Strategy" vermittelt den Eindruck, dass hinter ihm ein Mittelspielwerk zur Strategie im Schach steht. Dies ist jedoch in diesem Sinne nicht der Fall. Allerdings veranschaulicht er gut die Art und Weise, wie der frühere Weltmeister Tigran Petrosjan seine Partien zumeist angelegt hat. Und um genau den geht es nicht nur in diesem Werk, sondern er ist auch dessen Autor, wenn auch nicht so ganz. Diese Einschränkung muss ich natürlich erläutern. Also: "Python Strategy" ist der Titel für eine englische Übersetzung einer im Russischen geschriebenen Sammlung von 111 Partien des zehnten Weltmeisters, von ihm auch selbst kommentiert. Der Originaltitel wäre sinngemäß in etwa mit "Eine gesunde Strategie im Schach" zu übersetzen. Treffender erschien Quality Chess, dem britischen Verlagshaus, als Herausgeber offensichtlich "Python Strategy", was den modifizierten Titel erklärt.

Diese erste englischsprachige Ausgabe beschränkt sich aber nicht auf die schon genannten Partien, sondern bietet dem Leser zusätzliche Inhalte an. Diese stammen nicht aus Petrosjans Feder, sodass sich seine Autorenschaft darauf nicht erstreckt. Bevor ich Details zu dieser Unterscheidung aufzeigen kann, muss ich etwas zum Aufbau des Buches sagen.
Es ist zum Kerninhalt, den insgesamt 111 kommentierten Partien, in insgesamt 16 Abschnitte unterteilt. Diese decken den Zeitraum von 1945 bis 1982 ab. So erfährt der Leser in Blöcken nach zusammengefassten Jahren, welche besonderen Partien in dieser Zeit Petrosjan jeweils gespielt hat. Wie schon kurz angemerkt stammt die Notation von Petrosjan selbst; an einer Stelle des Werkes ist zu lesen, dass er sie oft bereits kurz nach der Partie erstellt hat. Dieses Vorgehen fördert die authentische Aufnahme seiner Gedanken während des Spiels. An verschiedenen Stellen werden seine Anmerkungen um fremde Kommentare ergänzt, beispielsweise um solche von Saitzew, Tal und Boleslawski, aber eher auf Passagen konzentriert und insgesamt gesehen recht zurückhaltend. Die dominierende Urheberschaft Petrosjans in der Kommentierung zeigt sich rein äußerlich auch darin, dass beschreibende Elemente in der 1. Person Singular verfasst sind. Anders verhält es sich mit einer Einleitung, die jeder Jahresphase vorangestellt ist. Diese wechselt in die 3. Person Singular, sodass über Petrosjan geschrieben wird. Diese Einführungen sind allesamt sehr interessant zu lesen, teilweise umfangreich und durchgehend ausgesprochen informativ. Sie bringen dem Leser den Spieler und den Menschen Tigran Petrosjan näher. Klar im Vordergrund stehen dabei Aspekte aus der Karriere des Ex-Champions und aus Turnieren, die um Belange aus dem Umfeld ergänzt werden.

Petrosjan gilt als Spieler, der das Risiko eher scheute und stattdessen lieber den Weg der kleinen Schritte bevorzugte, um seine Stellung sukzessive weiter auszubauen und die gegnerischen Möglichkeiten einzuengen. Dieser Stil verleitet zum Vergleich mit einer Python, die ihr Opfer umschlingt und nach und nach das Leben aus ihm herauspresst. Ich bin mehrere Partien des Buches konzentriert durchgegangen. Sie lassen erkennen, dass Petrosjan regelmäßig quasi dem Ziel folgte, eine Dominanz über das gesamte Brett zu entwickeln, den Gegner also regelrecht zusammenzuschieben, um dann nach einem zähen Prozess den vollen Punkt einzufahren.
So risikoscheu wie oft dargestellt war er aber nun allerdings auch nicht. Eines seiner häufiger eingesetzten Motive war beispielsweise das Qualitätsopfer. Wer als Spieler nicht bereit ist, Sicherheit gegen Chancen zu investieren, wird sich dieses Opfer drei Mal überlegen, bevor er dazu greift.

Petrosjan gilt auch als Meister der Verteidigung. Hierfür aber habe ich im Buch keine Beispiele gefunden, soweit am Ende der Partie dann noch ein Remis herausgesprungen wäre. Dies dürfte allerdings nicht wirklich verwunderlich sein, denn welcher Autor würde in die eigene Auswahl seiner besten Partie auch solche nehmen, in denen er mit dem Rücken zur Wand gestanden hat. Sehr wohl aber finden sich Beispiele im Werk, in denen er in durchaus schwieriger Stellung die Chance zum plötzlichen (Gegen-)Angriff erkannt hat, was eine zweite ihm allgemein zugeschriebene Fähigkeit bestätigt.

Ergänzt wird der auf Partien bezogene Inhalt um mehrere Fremdbeiträge, beispielsweise geschrieben von Gligoric und Krogius. In diesen werden - sicherlich nachvollziehbar - weitere Schlaglichter auf Tigran Petrosjan geworfen. Ein klein wenig kommt dabei ein biografisches Gesicht des Werkes zum Vorschein.
Interessant finde ich auch einen Beitrag von Karsten Müller am Ende des Werkes. Er kümmert sich um Beispiele, in denen Petrosjan während einer Partie bestimmte Ressourcen übersehen hat, wobei er auch wiederkehrende Konstellationen anspricht. Zu diesen zählen beispielsweise zu früh abgebrochene Berechnungen. In der Zeit der Karriere Petrosjans spielten Computer keine bzw. zu deren Ende eine nur sehr ungewichtige Rolle. Heute aber sind sie erbarmungslos im Auffinden von Stellen in einer Partie, an denen die Spielführung Schwächen irgendeiner Art aufweist.
Einzelne im Werk abgebildete Partien sind ebenfalls nicht frei von Schwächen, die heute mit Hilfe des Computers erkannt werden. Indem sich Müller mit diesen Schwächen im Appendix befasst, fallen sie nicht unter den Tisch und zugleich stören die Korrekturen nicht im Ablauf von Petrosjans Originalkommentaren. Bemerkenswert ist, dass die Zahl der von Müller gefundenen suboptimal behandelten Stellungen niedrig ist, was die große Rechenkunst des Ex-Weltmeisters bestätigen mag.

Die Buchsprache ist Englisch. Die Kommentierung der Partien kann gut mit Schulenglisch verfolgt werden. Etwas mehr Übung kommt dem Verständnis der ausgeprägten Textpassagen zugute, aber auch hier sehe ich die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers noch als moderat an.

Fazit: "Python Strategy" ist eine um berichtende, erzählende und unterhaltende Inhalte ergänzte Partiensammlung zum spielerischen Lebenswerk des zehnten Weltmeisters Tigran Petrosjan. Die Partien sind überwiegend von ihm (allein) kommentiert worden. Die Auswahl geht auf Petrosjans Entscheidungen zurück.
Das Werk ist eine Empfehlung für den Schachfreund, der gerne gut kommentierte Partien zur Unterhaltung wie auch zur Verbesserung seiner Spielstärke nutzt sowie für denjenigen, der mehr über den ehemaligen Weltmeister erfahren möchte.
Der Rezension lag die kartonierte Ausgabe des Buches zugrunde. Es ist auch in einer gebundenen Form erhältlich.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Old Indian - move by move

Junior Tay
The Old Indian - move by move
496 Seiten, gebunden
ISBN: 978-1-78194-2321
24,95 Euro




The Old Indian - move by move
"The Old Indian" ist ein neues Glied in der Kette der Bücher aus der "move by move"-Reihe von Everyman Chess. Geschrieben hat es Junior Tay aus Singapur, der im Fernschach den SIM-Titel trägt. Für ihn ist es das dritte Werk in der besagten Buchreihe.

Die Altindische Verteidigung, um die es in dieser Neuerscheinung geht, ist weniger beliebt als ihre großen Indischen Schwestern wie Grünfeld-, Nimzowitsch- und besonders auch Königsindisch. Zum letztgenannten Schwergewicht hat Altindisch die wohl größte Ähnlichkeit, denn bei sonst gleichen Initialzügen geht hier der schwarze Königsläufer nach e7 anstelle von g7 im Königsinder.
Es gelingt Weiß regelmäßig, ein gesundes starkes Bauernzentrum zu errichten, das mit dem auf e7 stehenden Läufer etwas mühevoller als mit jenem im Fianchetto zu attackiern ist.

Tay stellt die Eröffnung anhand von 56 kommentierten Partien vor, wie es für die "move by move"-Reihe typisch ist. Zwei Duelle wurden im Fernschach ausgetragen, die weiteren unter Brettschachregeln, ausnahmsweise dann auch im Internet. Ebenfalls typisch ist die besondere Art der Kommentierung. In hoher Zahl hat Tay an den Leser gerichtete Fragen und Übungen eingestreut, die diesen zwingen, sich mit einzelnen Punkten besonders auseinanderzusetzen. Sein Verständnis wird hierdurch gefördert, da diese interaktiven Elemente nicht wahllos platziert sind, sondern sich natürlich an geeigneten und wichtigen Stellen finden. Mit Fortsetzung der Kommentierung erfährt der Leser gleich im Anschluss, ob seine Überlegungen richtig waren und er zu den korrekten Lösungen gekommen ist.
Tay geht in meinen Augen sehr geschickt vor. Zunächst klärt er die auch grundlegenden Aspekte, teilweise dann auch mit ausführlichen Antworten in der Form einer Aufzählung, während die Problemstellungen im weiteren Verlauf tendenziell spezifischer werden.

Eine klare Trennlinie zur Unterscheidung der Fragen ("Questions") und Übungen ("Exercises") habe ich übrigens nicht feststellen können. Zumeist sind diese Begriffe hinsichtlich dessen, was dem Leser aufgegeben wird, austauschbar. So hätte auch immer jeweils "Questions" oder "Exercises" über den Aufgaben stehen können.
Dass Tay auch selbst einer scharfen Unterscheidung keine allzu große Bedeutung beimisst, lässt sich sogar konkret aus dem Werk ablesen. So steht auf Seite 84 die Aufgabe "Discuss the pros and cons of such a move" und auf Seite 229 "What are the pros and cons of each move". Inhaltlich lässt sich hier nichts differenzieren. Dem Leser kann es egal sein.

Zu den Kerninhalten des Buches sieht das Inhaltsverzeichnis wie folgt aus:

Introduction
1) The Classical Tension Tussle
2) Sämisch-Style Set-Ups and Early d4-d5 Systems
3) Various Ideas in the Fianchetto System
4) Marshalling an Attack with 4 Bg5 and 5 e3
5) Navigating the Old Indian Trail: 20 Questions
Solutions

Zum Kapitel 1 ist anzumerken, dass sich Tay auf die Fortsetzung 1.d4 Sf6 2.c4 d6 3.Sc3 und nun 3…Sbd7 konzentriert und die Alternativen 3…e5 und 3…Lf5 außer Acht lässt.
Das Kapitel 5 mit der außergewöhnlichen Überschrift "Navigating the Old Indian Trail" hält 20 Aufgaben für den Leser bereit, an denen er seinen Lernerfolg testen und unter Beweis stellen kann. Die Lösungen findet er auf den gleich nachfolgenden Seiten.

"The Old Indian" ist aus der Warte von Schwarz geschrieben, dem es zugleich auch ein solides Grundrepertoire anbietet.

Die Kommentierung ist eine gesunde Mischung aus Text und Varianten. Tay erklärt viel, was von einem Werk wie diesem auch zu erwarten ist. In der Regel bewegen sich die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers im Bereich des Üblichen bei Schachbüchern. Dort, wo Tay auch schon mal etwas umfangreicher Text anbietet, dürfte der Leser im Vorteil sein, dessen Englisch geübt ist und einen nicht zu engen Sprachschatz umfasst.

Mit insgesamt fast 500 Seiten erhält der Leser ordentlich Theorie an die Hand, die den Klubspieler bei einer Eröffnung mit der Bedeutung der Altindischen Verteidigung völlig ausreichend ausstatten sollte. Gleiches gilt auch für den Fernschachspieler, der sich an die Repertoireauswahl des Autors hält und seine gut sortierte Partiendatenbank ergänzend einsetzt.

Noch einmal kurz zurück zu den in "The Old Indian" verarbeiteten Partien: Diese sind teilweise erst jüngst gespielt worden, teilweise auch schon etwas angegraut. Für eine Eröffnung wie Altindisch und dann in einem Buch wie diesem ist dies durchaus typisch. Der Autor beschränkt sich nicht nur auf die klaren Hauptlinien, damit der Leser, der die Eröffnung abgesichert erlernen möchte, sein Grundwissen auch in den beachtenswerten Seitenlinien erhält. In denen hat sich dann eben die Theorie schon vor längerer Zeit ein Urteil gebildet, das seitdem zumindest im hohen Leistungsbereich niemand mehr zu überprüfen gedachte oder bei Überprüfungen alles beim Alten geblieben ist.

Der erhebliche Umfang des Werkes steht einer guten Orientierung des Lesers über die Inhalte hinweg nicht entgegen. Ein qualifiziertes Variantenverzeichnis im Bereich der abschließenden Seiten leistet dabei gute Dienste.

Fazit: "The Old Indian" kann ich dem Spieler empfehlen, der die Altindische Verteidigung erlernen im Sinne von grundlegend verstehen möchte. Sie wird gut erklärt, der Leser wird mit den Mitteln der "move by move"-Reihe im Lernen gut unterstützt. Er erhält eine Fülle an Theorie für sein Geld, die in sich zudem ein Grundrepertoire zur Themaeröffnung vermittelt.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Positional Decision Making in Chess

Boris Gelfand (mit Jacob Aagaard)
Positional Decision Making in Chess
285 Seiten, gebunden
ISBN: 978-1-78483-006-9
29,99 Euro




Positional Decision Making in Chess
"Positional Decision Making in Chess" von Boris Gelfand ist nach den Angaben im Werk eigentlich eine Gemeinschaftsaufgabe von Gelfand und Jacob Aagaard. Das, was die Besonderheit des Buches ausmacht, stammt aber von Gelfand, sodass er als Autor genannt wird. In dieser 2015er Neuerscheinung von Quality Chess geht es darum, dem Leser einen tiefen Einblick in die Denkweise eines (Super-)Großmeisters zu geben, um sein eigenes Positionsspiel an dessen Beispielen zu verbessern. Alle Ideen, Pläne etc. stammen von Gelfand. Aagaards Aufgabe bestand darin, diese durch Fragen an Gelfand zu identifizieren, die Antworten zu verarbeiten, Analysen beizusteuern sowie alles in die Form eines guten Schachbuchs zu bringen. Aagaard selbst bezeichnet sich als Ghostwriter in diesem Projekt.

Aus dem Werk ergibt sich, dass noch weitere Bände geplant sind. Dies lässt erwarten, dass dem Leser zukünftig weitere Elemente des Positionsspiels in ähnlicher Weise wie in diesem Buch zum Studium angeboten werden.

Bevor ich auf die spezifischen Inhalte von "Positional Decision Making in Chess" eingehe, möchte ich beschreiben, wie das Werk inhaltlich, systematisch, didaktisch aufgebaut ist, wie Gelfand und Aagard also den Kern der Arbeit gestaltet haben.
Basis aller Ausführungen sind 34 vollständige Partien und in noch größerer Zahl Partiefragmente, in denen die Ausgangsstellung über ein Diagramm eingeführt und die Partie ab diesem Zeitpunkt weiter behandelt wird. Wenn ich zukünftig das Wort "Partie" verwende, sind die Fragmente in gleicher Weise von meinen Ausführungen erfasst.

Unter dem jeweils ausgewählten positionellen Aspekt wird die aktuell behandelte Partie geradezu "auf links gezogen". Der Leser bekommt tatsächlich einen tiefen Einblick darin, wie der Großmeister denkt und plant. Soweit die Partie von Gelfand selbst gespielt worden ist, werden auch Punkte angesprochen, die in der Partie wirklich vom Spieler durchdacht worden sind. In den anderen Fällen kann Gelfand diese natürlich nicht wissen. Seine Vorstellungen werden dann über seine Anmerkungen sowie über seine und Aagaards Analysen "von außen" in die Abläufe am Brett eingetragen. Die Partien werden quasi geröntgt. Es werden beispielsweise Entscheidungen und ihre Folgen wie auch bestimmte Stellungsaspekte und ihre Ursachen untersucht. Dabei gehen die Betrachtungen sehr weit in die Tiefe und dürften sich dem Leser nur dann in voller Qualität erschließen, wenn er schon eine erhebliche Spielstärke erreicht hat. In meinen Augen sollte er mindestens ein ordentliches Klubniveau mitbringen, um den Anforderungen an sein Verständnis entsprechen zu können und nicht schnell überfordert zu werden.
Es ist nicht leicht, das Besondere in der Art des Vorgehens in "Positional Decision Making in Chess" herauszustellen. Ich versuche es deshalb zusätzlich mit einem bildhaften Vergleich. Man kann sich die Besprechung einer Partie wie eine Spielanalyse im Fußball vorstellen, die man am Bildschirm verfolgt. Dort werden Schlüsselszenen wie beispielsweise Torerfolge ebenso wie verschossene Elfmeter herausgestellt, schwer erkennbare und zugleich bedeutende Szenen in Zeitlupe angeboten, Erfolg und Misserfolg in einer Situation bis in den Ausgangspunkt zurückgeführt, an dem ein Fehler oder ein genialer Einfall die Entstehungsgeschichte eingeleitet hat etc.

"Positional Decision Making in Chess" vermittelt dem ausreichend vorausgestatteten Leser in meinen Augen eine große Chance. Wenn er das Werk intensiv durcharbeitet, kann er neben Knowhow, beispielsweise zur Gestaltung von Plänen für bestimmte Stellungsmuster wie auch Konsequenzen einer spezifischen Eröffnungswahl usw., für sich zweifellos Gefühl für das Positionsspiel in den Denkweisen Gelfands entwickeln.

Gelfand ist bekannt dafür, dass er auch nur kleine Vorteile auszunutzen und auszubauen versteht. Er sieht sich dabei selbst in der Tradition von Akiba Rubinstein, den man auch als sein Idol bezeichnen kann. Diese Beziehung lässt sich auch aus dem Gesamtinhalt des vorliegenden Werkes ableiten. "Positional Decision Making in Chess" enthält 5 Kapitel mit den folgenden Überschriften, sinngemäß ins Deutsche übersetzt:

1 Spielen wie Akiba Rubinstein
2 Druck ausüben
3 Raumvorteil
4 Transformation von Bauernstrukturen
5 Transformation von Vorteilen.

Weitere Inhalte sind …
Vorbemerkungen, ein Vorwort von Jacob Aagaard, ein Interview mit Jacob Aagaard 2012, ein Namensverzeichnis, ein Partienverzeichnis sowie ein Eröffnungsindex.

Mittels der obengenannten fünf Kernkapitel ist ein vollständiger Überblick darüber gegeben, welche Elemente des Positionsspiels Gelfand in diesem Werk in den Mittelpunkt stellt.

Ergänzend sei noch erwähnt, dass "Positional Decision Making in Chess" auch erzählende und dabei unterhaltende Passagen enthält und entfernt auch leicht biografische Gedanken.

Das Buch ist in englischer Sprache geschrieben. Um komfortabel mit ihm arbeiten zu können, sollte der fremdsprachliche Leser nicht ungeübt sein, denn Satzbau und Vokabular empfinde ich als anspruchsvoller als gewöhnlich in Schachbüchern.

Der Rezension lag ein gebundenes Exemplar zugrunde. Eine Ausführung als Paperback (also kartoniert) ist meines Wissens geplant.

Fazit: "Positional Decision Making in Chess" ist ein Werk zum Positionsspiel für einen gehobenen Anspruch, das besonders auch beleuchten soll, wie der Großmeister zu seinen positionellen Entscheidungen kommt. Ich sehe seinen Adressatenkreis deshalb beim schon geübten Klubspieler und höher. Es bietet dem Leser die Chance, Gelfands Wissen und Denkweisen zu verinnerlichen, um es in seiner eigenen Partie antizipierend zu nutzen. Wenn ihm dies gelingt, wird er sukzessive Fähigkeiten entwickeln, die einen Großmeister von der Masse der Spieler abheben und auszeichnen. Dabei ist das Werk eine Herausforderung an den Ehrgeiz und die Disziplin des Lesers.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Grandmaster Repertoire 1A, 1.d4 The Catalan

Boris Awruch
Grandmaster Repertoire 1A, 1.d4 The Catalan
436 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-907982-88-0
24,99 Euro




Grandmaster Repertoire 1A, 1.d4 The Catalan
Die Bände 1 und 2 der ausgezeichneten "Grandmaster Repertoire"-Reihe von Quality Chess sind 2008 bzw. 2010 erschienen und stammen beide aus der Feder des israelischen Großmeisters Boris Awruch. Im Band 1 werden Katalanisch, Slawisch und das Damengambit behandelt, in Band 2 Bogoljubow-Indisch, das Budapester Gambit, Benoni, Holländisch, Grünfeld- und Königsindisch, die Moderne Verteidigung sowie verschiedene Nebensysteme.

Nunmehr ist ein als "1A" bezeichneter Band auf den Markt gekommen, in dem Awruch eine Aktualisierung seiner damaligen Ausführungen und Empfehlungen vornimmt. Der Buchtitel ist "1.d4 The Catalan". Dieser ist allerdings etwas irreführend, da das neue Werk nicht nur die Katalanische Eröffnung "auf Stand bringt", sondern daneben auch noch Bogoljubow-Indisch und Benoni-Formen. Dies sind, wie oben schon erklärt, Systeme, die zunächst im Band 2 behandelt worden sind. Der neue Band "1A" enthält also aus beiden ersten Bänden Themen, während auch aus beiden andere fehlen. Diese werden dann in einem oder mehreren zukünftigen Bänden zu erwarten sein, denn sowohl Slawisch und das Damengambit als auch die indischen Systeme werden eine Aktualisierung vertragen. Der Leser, der sich bisher mit einem der ersten Bände begnügt hat, wird nun also mehr als einen neuen Band kaufen müssen, wenn er "seinen" Ausgangsband umfassend aktualisieren möchte.

Um besser zu ermitteln, was genau sich geändert hat und wie Awruch dabei vorgegangen ist, habe ich mir Katalanisch nach 1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.g3 d5 4.Sf3 dxc4 5.Lg2 Lb4+ intensiv angeschaut. Im neuen Werk ist dem Thema das Kapitel 4 gewidmet, während es damals im Kapitel 3 behandelt wurde (übrigens mit einer Einleitung unter Zugumstellungen).
Um dem Leser einen Vergleich zu ermöglichen und Änderungen deutlich herausstellen zu können, hat Awruch innerhalb der Systeme die einzelnen Varianten in der ursprünglichen Abfolge belassen, zumindest soweit ich dieser Frage nachgegangen bin. Wenn sich neue abweichende Darstellungen ergeben, machte er besonders darauf aufmerksam (Beispiel: "Another big change from GM 1", womit hier Band 1 der "Grandmaster Repertoire"-Serie gemeint ist. Es ist also relativ leicht, im neuen Werk spezifisch nachzuschlagen, ob die eigenen bevorzugten Systeme von Änderungen erfasst sind oder nicht.

Bei den eingearbeiteten Änderungen handelt es sich um neue Erkenntnisse aus Theorie und Praxis, bisweilen aber auch "nur" um neue eigene Einschätzungen des Autors, ohne dass sich hierfür Anlässe in der Turnierszene finden lassen. Ein Beispiel dazu:
Im damaligen Band hat Awruch nach 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sf3 Sf6 4.g3 dxc4 5.Lg2 Lb4+ 6.Ld2 a5 die Fortsetzung 7.0-0 empfohlen, 7.Dc2 dabei aber etwas ins Abseits gesetzt. Er sieht dann eine mit 7…Lxd2+ beginnende Zugfolge als "beinahe erzwungen" an und für Weiß weniger erstrebenswert als eben die Konsequenzen von 7.0-0. Nunmehr aber wechselt er das Pferd und spricht sich für 7.Dc2 aus, eben als große Veränderung zum früheren Band. Die gerade angesprochene Variante wird dabei zur Hauptvariante, die aber nicht alternativlos bleibt und sich damit auch nicht als "beinahe erzwungen" erweist (So ist exakt dazu jetzt auch älteres praktisches Material aufgenommen worden, u.a. eine im Spitzenfernschach 1987 geführte Partie). Am Ende der Untersuchung steht ein Endspiel mit ausgeglichenen Chancen.
In einem Fall wie diesem erhält der Leser mit dem Kauf des neuen Buches also ein Update in der Einschätzung des Autors und nicht zwingend neues Material.

Einmal mehr erweist sich Awruch in seinen Darstellungen als einer der besten Autoren von Eröffnungsbüchern, wie ich finde. Er erklärt und erläutert sehr viel und geht besonders auch auf die Pläne zum Spielaufbau ein. Dabei führt er seine Erörterungen und Analysen nicht in höchste Tiefen, in die ihm die meisten Spieler kaum folgen könnten, sondern in meinen Augen angemessen weit. Dies gilt auch für den Fernschachspieler, der regelmäßig mit Awruchs Ausführungen qualifiziert die Mittelspielphase erreichen sollte. Dies gilt in den Möglichkeiten der Systeme auch für Schwarz, dessen Chancen - wenn auch in den Repertoire-Weichenstellungen seines Gegners - von Awruch möglichst neutral und objektiv dargestellt werden. Über den Horizont der Betrachtungen Awruchs hinaus steuert den Rest aus der Turnierpraxis die gut sortierte Partiendatenbank des Spielers bei.

Aber es gilt noch die Kardinalfragen zu klären: Welchen Mehrwert erhält der Leser, der die beiden Erstbände bereits besitzt? Und kommt der Spieler nun mit dem neuen Band aus, wenn er sich sein Repertoire aus beiden ersten Bänden zusammengestellt hat?
Die erste Frage lässt sich damit beantworten, dass er in den Themen der damaligen beiden Bände ein Update erhält. Er bekommt teilweise neues Material, teilweise aktualisiertes Material, teilweise "nur" neue Einschätzungen des Autors und bisweilen fehlt etwas zum damaligen Inhalt (weil Awruch Teile verworfen hat).
Die zweite Frage lässt sich nur mit "nein" beantworten. Da die Themen der damaligen Bände 1 und 2 nicht alle im neuen Band 1A zu finden sind, braucht der Spieler auf jeden Fall noch seine Exemplare von "damals" (ich setze diesen Verweis in die Vergangenheit in An- und Ausführungszeichen, da der Begriff längst vergangene Zeiten assoziieren lässt, die Bücher aber gefühlt fast erst vorgestern auf den Markt gekommen sind).

Mein Tipp: Behalten Sie die früheren Bände unabhängig davon, dass Sie sonst im neuen Band nicht behandelte Systeme verlieren würden, und arbeiten sie ergänzend mit "1.d4 The Catalan", also Band 1A. Sie können dann die neuen Erkenntnisse etc. nutzen und sich dabei aber auch die Wahl zwischen alt und neu offen halten.

Der Rezension liegt eine kartonierte Ausgabe des Buches zugrunde. Es ist auch in einer gebundenen Form erhältlich, für einen Mehrpreis von 5 Euro.

Fazit: "Grandmaster Repertoire 1A, 1.d4 The Catalan" ist eine Empfehlung für den Spieler, der sich auf dem neuesten Stand halten möchte - in Katalanisch, Bogoljubow-Indisch und Benoni. Der Maßstab des Vergleichs ist dabei der Stoff, den Boris Awruch in den beiden ersten Bänden der "Grandmaster Repertoire"-Serie von Quality Chess als relevant herausgearbeitet hat.
Der Leser braucht englische Sprachkenntnisse, um mit dem Werk arbeiten zu können.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

the Killer Dutch

Simon Williams
the Killer Dutch
468 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-78194-242-0
27,95 Euro




the Killer Dutch
"the Killer Dutch" von GM Simon Williams, Neuerscheinung 2015 bei Everyman Chess, ist ein nach einem interessanten Konzept geschriebenes Eröffnungswerk über das Klassische System der Holländischen Verteidigung. Bevor ich seinen Aufbau beschreibe, ist es meines Erachtens angebracht, zunächst den thematischen Inhalt zu konkretisieren. Der Stoff gliedert sich, nach einer bereits ausführlichen Einführung, auf insgesamt 10 Kapitel auf. Da sich dem Betrachter allein aus den Überschriften der Kapitel und damit den Eintragungen im Inhaltsverzeichnis nicht in allen Fällen erschließt, was ihn in einem Kapitel erwartet, zeige ich die Inhalte nachstehend anhand einer Kombination aus dem Inhaltsverzeichnis und der Variantenübersicht auf, wobei Überschriften sinngemäß übersetzt sind. Auf dieser Grundlage ergibt sich die folgende Kapitelübersicht:

Kapitel 1: 1.d4 f5 2.Sf3 e6 3.g3 Sf6 4.Lg2 Le7 5.0-0 0-0 6.c4 d6 7.Sc3 und nun 7...a5
Kapitel 2: Der populärste Zug: 7...De8
Kapitel 3: Das Moderne 7...Se4
Kapitel 4: 1.d4 f5 2.Sf3 Sf6 3.g3 e6 4.Lg2 Le7 5.0-0 0-0 6.c4 d6 7.Sc3 Sc6
Kapitel 5: Weiß spielt g3 und Lg2: Frühe Abweichungen
Kapitel 6: Weiß vermeidet Fianchettos
Kapitel 7: Aggressive Aufbauten und frühe Gambits (z.B. 2.h3, 2.g4 etc.)
Kapitel 8: Frühe Abweichungen: 2.Sc3 und 2.Lg5
Kapitel 9: Weiß vermeidet d4 und wählt einen Englischen Aufbau
Kapitel 10: Weiß vermeidet c4 und d4.

Die Kapitel folgen nicht durchgehend einem identischen Aufbau. Nach meinem Eindruck hat Williams einen besonderen Weg gesucht, den Aufbau je nach Inhalt zu optimieren. Folgende Merkmale aber lassen sich isolieren:

1. Das jeweils behandelte Abspiel wird zunächst kurz inhaltlich beschrieben. Dem schließt sich regelmäßig eine Erörterung anhand von Beispielen aus der Turnierszene an, sofern nicht ausnahmsweise eine tiefer gehende Einführung zum Thema dazwischengeschaltet ist.
2. Den Turnierpartien folgt die theoretische Darstellung im Rahmen eines herkömmlichen Variantenbaums. Besonders interessant an dieser Systematik ist, dass der Leser zunächst ein Bild des Abspiels im Praxiseinsatz erhält, bevor das theoretische Rüstzeug aufgearbeitet wird.
3. Am Ende eines Kapitels muss der Leser seinen Lernerfolg im Selbsttest bestätigen.

Ich hatte zunächst den Eindruck, dass der skizzierte Aufbau den weniger erfahrenen Leser überfordern könnte, wobei ich mich auch davon leiten ließ, dass die kommentierten Partien regelmäßig nicht inhaltlich miteinander verwoben sind. Der Leser gelangt also nicht über ein "Partien-Hopping" zur Betrachtung alternativer Varianten, wie man dies von anderen Büchern kennt, die eine Eröffnung auf der Basis von Partien erläutern. Im Zuge meiner Arbeit an dieser Rezension habe ich meine Meinung aber geändert und die vorgesehene Passage neu geschrieben. Der Spieler, unabhängig von einer geringen oder erheblichen Erfahrung, kann die Inhalte eines Kapitels auch unter einer eigenen Umstellung der Reihenfolge der Elemente bearbeiten. Er kann durchaus im Kapitel vorrücken und zunächst die theoretische Betrachtung behandeln, um dann zu den einleitenden Partien zurückzukehren. Die Reihenfolge ist ihm und seinen Vorlieben überlassen.

Grundsätzlich ist "the Killer Dutch" so konzipiert, dass der Leser ein Gefühl für die Spielweisen entwickeln soll, sie also im wahren Wortsinn verstehen soll. Einen Anspruch als Nachschlagewerk erhebt das Buch eher weniger, auch das Büffeln von Zugketten wird konzeptionell nicht angestrebt. Wer also die "klassische Seite" der Holländischen Verteidigung verinnerlichen will, wird mehr zufrieden sein als derjenige, der möglichst viele Varianten, die bis in eine erhebliche Tiefe geführt sein können, erwartet.

Die schon angesprochenen Partien, die intensiv im Sinne der Buchintentionen kommentiert sind, und die klassisch erörterten Theorievarianten sollen eine funktionierende Einheit bilden, quasi einen symbiotischen Effekt erzielen. Nach meiner Einschätzung gelingt dies Williams gut. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch sogenannte "Brainstorming Points!", die den Ablauf der Kommentierung immer wieder mal an markanten Stellen unterbrechen und den Leser anhalten, sich mit einer Problematik auseinanderzusetzen bzw. sich etwas gezielt zu verinnerlichen. Ein wenig erinnert diese Methode an ein Merkmal der Bücher aus der "move by move"-Reihe, ebenfalls von Everyman Chess, wenn auch nur eher prinzipiell.

Von den insgesamt 45 im Buch aufgenommenen Partien sind etliche von Williams selbst gespielt worden. Er spricht diese Auffälligkeit an und begründet die Aufnahme mit dem dadurch erzielbaren Nutzen, dass er die Überlegungen des Spielers und seine Erfahrung so am besten einfließen lassen kann. Williams hat einen hohen Erfahrungsschatz im "klassischen Holländer" aufgebaut und bringt diesen ein.
Von Ausnahmen abgesehen sind die abgebildeten Partien seit der Jahrtausendwende gespielt worden.

"the Killer Dutch" punktet weniger durch eine üppige Zahl von Neuerungen als mit seiner Qualität als Lehr- und Repertoirebuch. Neue Ideen sind enthalten, besonders auch solche aus der Arbeit des Autors selbst, aber sie stehen nicht im Vordergrund. Der Leser bekommt mit dem Werk ein vollständiges Repertoire an die Hand, das gegen weiße Abweichungen gut geschützt ist. Für den als Weißspieler interessierten Leser beschränkt sich der Effekt auf den Bereich, den Williams als Repertoire für Schwarz abgesteckt hat. Insoweit aber ist "the Killer Dutch" auch für ihn in gleicher Qualität von Nutzen.

Die Buchsprache ist Englisch. Erstaunlicherweise aber ist "the Killer Dutch", obwohl das Werk von einem "Originalsprachler" verfasst worden ist, mit Schulenglisch sicher ohne Probleme zu verwenden.
Geschrieben ist es übrigens in einem recht lockeren Stil, sodass es nicht ohne einen Unterhaltungswert ist. Williams gibt das eine oder andere Geschichtchen zum Besten. Nicht ganz ernst gemeint: Ein bisschen ist "the Killer Dutch" auch ein Reiseführer für einen Aufenthalt in London, zumindest wenn man einen der ausgesuchtesten Pubs sucht!

Ein ausführliches Variantenverzeichnis im Bereich der letzten Seiten des Werkes rundet den guten Gesamteindruck ab.

Fazit: "the Killer Dutch" ist ein Lehr- und Repertoirebuch zum Klassischen System der Holländischen Verteidigung, das den Leser die Eröffnung verstehen lassen will und nicht auf das Einprägen von Varianten setzt. Indem es dem Leser permanent besonders auch strategische Aspekte aufzeigt, erhält dieser das Gefühl für die wichtige rote Linie in den verschiedenen Abspielen. Den Adressatenkreis möchte ich hinsichtlich der Spielstärke nach unten nicht besonders definieren; er dürfte sich daran orientieren, ab wann die Holländische Verteidigung als solche frühestens ein ratsames System sein kann. Nach oben erfasst er auf jeden Fall auch noch das gute Klubniveau. Ein Spieler mit zumindest deutlich darüber liegenden Fähigkeiten dürfte dann aber überwiegend den Anteil der grundlegenden Erklärungen von Williams nicht mehr benötigen. Für den autodidaktisch orientierten Spieler ist das Werk in meinen Augen ausgezeichnet geeignet, sodass ich ohne Einschränkung eine Empfehlung aussprechen kann.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Semi-Slav

Lars Schandorff
The Semi-Slav
260 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-907982-94-1
24,99 Euro




The Semi-Slav
"The Semi-Slav" ist als Band 20 in der Reihe "Grandmaster Repertoire" von Quality Chess erschienen, geschrieben vom dänischen GM Lars Schandorff. Das Werk offeriert dem Spieler mit den schwarzen Steinen ein Repertoire gegen 1.d4, das sich auf die Semi-Slawische-Verteidigung (auch Halb-Slawisch genannt) stützt. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass sich zum "slawischen" Zug c7-c6 der Bauernzug e7-e6 gesellt, der eigentlich das klassische Damengambit kennzeichnet. Es kommt dabei also zu einer typischen Bauern-Triangel aus c6, d5 und e6. Die Eröffnung zählt zu jenen, über die in der jüngeren Vergangenheit recht viel theoretisches Material veröffentlicht worden ist. Mit Schandorffs Neuerscheinung ist ein sehr gutes Werk hinzugekommen, im bekannten Stil der Bücher von Quality Chess in dieser Buchreihe und mit dem entsprechend gehobenen Qualitätsanspruch. Sein Autor Lars Schandorff gilt als profunder Kenner des Eröffnungsgebietes Damengambit und Slawische Verteidigung und hat dies schon u.a. mit seinem Werk "Playing1.d4 - The Queen's Gambit" unter Beweis gestellt.

"The Semi-Slav" ist in sechs Teile gegliedert, auf die sich insgesamt 21 Kapitel verteilen. Dementsprechend behandelt Schandorff den Stoff nach zugeordneten Varianten, im Inhaltsverzeichnis wie folgt abgebildet:

Botvinnik
Introduction
Rare 9th Moves
Main Line - 16.Rb1!?
Main Line - 16.Na4
Anti-Moscow
Introduction
9.Be2 Bb7 - Sidelines
10.0-0
Moscow
Various 7th Moves
Main Line
Meran
Introduction
9.e4
13.Nd4 and others
Main Line 13.dxe6
Anti-Meran
Various 7th Moves
7.b3
7.g4!?
7.Bd3 - Introduction
7.Bd3 - Main Line
Minor Lines
5.g3
Exchange Variation
5.Qd3 & 5.Qb3

Semi-Slawisch ist teilweise mit sehr scharfen Varianten verbunden, die man als Spieler am Brett kennen muss, um nicht Gefahr zu laufen, plötzlich in eine Verluststellung zu geraten. Dies gilt beispielsweise für weite Teile der Botwinnik-Variante, mit der Schandorff beginnt. Diese Besonderheit, die dazu führt, dass sich der Spieler etliche ganz konkrete Varianten schlichtweg einprägen muss, macht das System nicht gerade zum Favoriten für den Spieler, dessen Schachpraxis sich auf den wöchentlichen Klubabend beschränkt. Für den Fernschachspieler, und dies ohne Unterscheidung nach Spielstärke, verhält sich die Sache aber anders. Er kann "The Semi-Slav" begleitend einsetzen, während er seine Partie spielt, und so die kompliziertesten Varianten auf Großmeisterniveau in seine Partie bringen. Gerade er wird einen immensen Vorsprung vor seinem Gegner haben, wenn dieser ohne eine vergleichbare Unterstützung am Brett hantiert.

Wenn man genau hinschaut, dann sind mehrere Bereiche des vorliegenden Werkes erheblich von Erfahrungen aus der Fernschachpraxis geprägt. Schandorff geht auch selbst verschiedentlich darauf ein und hat seine Ressourcen offenkundig bewusst entsprechend gewichtet. Es erstaunt mich deshalb etwas, dass die Bibliografie keinen besonderen Verweis auf eine Fernschach-Partiendatenbank enthält.
Ich habe zahlreiche Spieler identifiziert, die dem Deutschen Fernschachbund e.V. angehören oder in dessen Turnieren spielen, besonders auch Spitzenspieler. Dr. Hans-Dieter Wunderlich, Peter Hertel und Matthias Rüfenacht zählen dazu, um nur drei Namen zu nennen. Es wird sich also so mancher Spieler selbst im Werk wiederfinden oder den einen oder anderen Spielpartner erkennen.

In einem kleinen Zwischenfazit möchte ich festhalten, dass ich den Adressaten des Werkes vornehmlich im Bereich einer gehobenen Spielstärke im Nahschach verorte, und beim Fernschachspieler ohne eine Fokussierung auf einen bestimmten Leistungsbereich.

Schandorff erklärt viel, ohne aber den Leser quasi an die Hand zu nehmen, was mich in meiner vorstehenden Einschätzung bestärkt. Viele Anmerkungen beziehen sich auf Ressourcen, fassen Ergebnisse zusammen, geben Einschätzungen wieder, ohne eine "hintergründige" Erklärung zu geben. So erfährt der Leser, dass eine Fortsetzung schon von Xy empfohlen worden ist, erfolgreich in der Partie Yz mit der Folge sowienoch eingesetzt worden ist oder eine der beiden Parteien besser steht. Am Grundsätzlichen orientierte Erklärungen gibt Schandorff eher selten, der spielstarke Leser braucht diese auch nicht. Strategische und taktische Hintergründe aber zeigt Schandorff regelmäßig auf, was ich als wichtiges Qualitätsmerkmal des Buches sehe.
Insgesamt zeigt sich die Kommentierung in einer gesunden Mischung aus Varianten, Partiefragmenten und tiefer gehenden Analysen auf der einen Seite und Textausführungen auf der anderen. Natürlich differiert das Bild dabei etwas von Kapitel zu Kapitel, was mit dem jeweiligen Wesen der Varianten zu begründen ist.

"The Semi-Slav" integriert sich auch im Aufbau voll in die "Grandmaster Repertoire"-Reihe, sodass sich wohl eine sehr ausführliche Beschreibung erübrigen dürfte. So belasse ich es bei der Angabe, dass jedes Kapitel mit einer Variantenübersicht eingeleitet wird, ergänzt um ein Ausgangsdiagramm und weitere Stellungsbilder, die später im Text behandelte Neuerungen vorankündigen. Dem schließt sich der Theorieteil an, der am Ende von einer kurzen und quasi auf einen Tenor reduzierten Zusammenfassung abgelöst wird.
Die genannte Variantenübersicht ist ausgezeichnet mit dem Gesamt-Variantenverzeichnis verzahnt, das sich auf den letzten Seiten des Buches finden lässt. So ist die Orientierung im Werk sehr komfortabel möglich.

Noch ein Wort zu den kurz bereits erwähnten Neuerungen: Davon hat Schandorff einige zu bieten, in den - nach seiner Einteilung - Haupt- und Nebenvarianten.

Die Buchsprache ist Englisch, der Leser sollte für ein flüssiges Verstehen über gesicherte Fremdsprachkenntnisse verfügen.

Fazit: "The Semi-Slav" ist ein weiterer ausgezeichneter Spross der "Grandmaster Repertoire"-Serie von Quality Chess. Das Buch bietet ein Schwarz-Repertoire gegen 1.d4 über die Wahl der Semi-Slawischen Verteidigung an. Es ist aus der Warte des Nachziehenden geschrieben, geht aber genauso objektiv auf die weißen Möglichkeiten ein, allerdings bei Zügen der Wahl nach der schwarzen Weichenstellung.
In erster Linie geeignet ist das Werk in meinen Augen für den fortgeschrittenen Spieler im Bereich des Nahschachs und für den Fernschachspieler generell.

Der Rezension liegt das Buch in einer kartonierten Form zugrunde. Es ist zu einem Aufpreis auch gebunden erhältlich.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Winning Chess Manoeuvres

Sarhan Guliev
Winning Chess Manoeuvres
238 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-568-1
24,95 Euro




Winning Chess Manoeuvres
"Winning Chess Manoeuvres" mit dem Untertitel "Strategic Ideas that Masters Never Fail to Find" aus der Feder von GM Sarhan Guliev aus Aserbaidschan und 2015 erschienen bei New In Chess (NIC) ist ein Buch zur Strategie und zur Taktik im Schach, das irgendwie anders ist als andere Werke dieses Genres. Aber woran genau macht sich dieser Unterschied fest? Ich habe bei meiner Arbeit mit diesem Buch eine Weile gebraucht, um diese von Anfang an gespürte Andersartigkeit konkret und handfest bezeichnen zu können.

Das Buch beinhaltet 24 Kapitel, deren Überschriften zumeist recht gut erkennen lassen, worin es darin jeweils im Kern geht. Der entsprechende Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis sieht wie folgt aus:

Kapitel 1: The Janowski Incident or Grief out of Wit
Kapitel 2: Non-Routine Exchanges
Kapitel 3: Connecting the Endgame with the Opening
Kapitel 4 The Battle of the Major Pieces
Kapitel 5: Dances with the Knights
Kapitel 6: The Shuttle Manoeuvre
Kapitel 7: Positional Sacrifices (Part One)
Kapitel 8: Positional Sacrifices (Part Two)
Kapitel 9: Standing on the Shoulders of the Classics
Kapitel 10: Fancy some Solving?
Kapitel 11: The Pawn Prod
Kapitel 12: Doubled Pawns are Cool!
Kapitel 13: Alekhine's Nail
Kapitel 14: Attack and Counterattack with a Closed Centre
Kapitel 15: g2-g4, and White wins
Kapitel 16: h2-h4, and White wins
Kapitel 17: Overcoming the Blockade
Kapitel 18: With the Mirror's Help
Kapitel 19: Fischer's Hedgehog and Morphy's Needles
Kapitel 20: March of the Tank Columns
Kapitel 21: The Dialectics of Weakness
Kapitel 22: Structure and Plan
Kapitel 23: Torture to any Taste
Kapitel 24: Indirect Borrowings.

Die meisten dieser Überschriften könnten in gleicher Weise auch in üblichen Lehrbüchern verwendet werden, beispielweise zu positionellen Opfern, zu gewinnbringenden Bauernvorstößen mit g2-g4 und h2-h4 oder zur Überwindung einer Blockadestellung. Dort aber würde dann die Existenz verschiedener Elemente der Strategie und Taktik beschrieben, die Technik der Umsetzung behandelt etc. In dieser Richtung setzt "Winning Chess Manoeuvres" den Schwerpunkt nicht, wenn auch natürlich kurz beschrieben wird, was unter einem bestimmten Element zu verstehen ist, um den Gegenstand der Betrachtung zu fixieren.

Guliev sieht eine Ursache für den Unterschied in der Spielstärke zwischen einem Meister und einem typischen Amateurspieler darin, dass der Meister strategische Möglichkeiten fast nie zufällig erkennt, sondern so gut wie immer aufgrund einer gezielten Suche auf der Basis erarbeiteter Kenntnisse heraus, während der Amateur mit einer Zahl abstrakter Regeln und Vorgehensmuster im Kopf hantiert. Der Meister erkennt Strukturen, besonders geprägt auch durch die Bauernformationen, und bringt diese mit konkreten Manövern in Verbindung. Und die Kenntnis dieser Strukturen hat er sich über das Studium der Partien aus der Meisterpraxis erarbeitet. Er erkennt in seiner Partie am Brett das Muster, das er anhand dieser oder jener konkreten Begegnung der Vergangenheit studiert hat, und wendet die ihm dazu bekannten Manöver gezielt an.

Hier nun ist dann auch der Unterschied zwischen "Winning Chess Manoeuvres" und "herkömmlichen" Büchern zur Strategie und zur Taktik im Schach identifiziert. Guliev hat eine Auswahl von 24 Motiven getroffen, denen er jeweils ein Kapitel widmet. Darin stellt er das maßgebliche Motiv vor, skizziert seinen Hintergrund bzw. seine Bedeutung und stellt dann Beispiele dar. Teilweise geht er sogar konkret darauf ein, in welcher Situation sich ein Meister an eine Referenzpartie bzw. -stellung erinnert hat oder mutmaßlich erinnert haben dürfte, um dann zu beschreiben, wie diese Kenntnis auf den richtigen Weg in der aktuellen Partie geführt hat.

Der wesentliche Unterschied zwischen "Winning Chess Manoeuvres" und anderen Strategie- und Taktikbüchern liegt darin, dass nach dem Studium dieses Werkes die eigentliche Arbeit des Spielers erst anfängt. Guliev gibt dem Leser eine Anleitung, wie dieser sich einen Kenntnisschatz aufbauen kann, um dann in seiner Praxis auf der Basis sehr konkreter Ideen zu den richtigen Entscheidungen zu kommen, nicht immer nur im Wissen um abstrakte Regeln und Hinweise.
"Winning Chess Manoeuvres" wirkt im Idealfall auf eine doppelte Weise.
1. Es vermittelt Kenntnis über insgesamt 24 strategische und taktische Motive.
2. Es gibt dem Leser eine Methode an die Hand, wie er sich zielstrebig selbst verbessern kann.
In der heutigen Zeit moderner Datenbanksysteme wie Chessbase und Chess Assistent ist es mit einem Bruchteil an Aufwand, verglichen mit Zeiten der Vergangenheit, möglich, Manöver etc. aus einer Vielzahl von Partien herauszufiltern und deren Behandlung "im Guten und im Bösen" zu studieren. Der erfahrene Spieler mit einer erheblichen Zahl eigener Partien kann dies sogar mit seinen eigenen positiven wie auch negativen praktischen Erfahrungen kombinieren oder in eine Beziehung setzen.
"Winning Chess Manoeuvres" ist somit ein Lehrbuch und Ratgeber zur Organisation der eignen systematischen Arbeit zur Hebung der Spielstärke.

Guliev schreibt gut nachvollziehbar, es klingt bisweilen wie in einer Vorlesung. Darin sehe ich ein "formales" Qualitätsmerkmal des Werkes. Verfasst ist es in englischer Sprache. Der Wortschatz geht bisweilen über das für Schachbücher gewöhnliche Maß hinaus, sodass die meisten Leser einiges zum Nachschlagen haben werden.

Fazit: "Winning Chess Manoeuvres" ist das etwas andere Werk zur Schulung der strategischen und taktischen Fähigkeiten des Spielers. Es stattet ihn mit einem Ansatz aus, in den eigenen Partien konkreter nach Motiven suchen und damit die Möglichkeiten in den Stellungen besser finden zu können.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Ivanchuk - move by move

Junior Tay
Ivanchuk - move by move
512 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-78194-169-0
27,50 Euro




Ivanchuk - move by move
"Ivanchuk - move by move" ist ein weiteres Werk aus der "move by move"-Reihe des britischen Labels Everyman Chess. Geschrieben worden ist es von Junior Tay, Candidate Master (CM) der FIDE und Senior International Master (SIM) der ICCF aus Singapur. Er hat 40 aus der großen Zahl der von Wassyl Iwantschuk geführten Turnierpartien ausgewählt, kategorisiert und im Stil der genannten Buchreihe kommentiert. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass zwischendurch immer wieder Fragen und Aufgaben an den Leser gerichtet werden, denen er dann an Ort und Stelle widmet. Die Antwort bzw. die Lösung wird dann quasi als Bestandteil der Partiekommentierung an den Leser gebracht. Auf diese Weise soll er beteiligt werden, sodass sein Verständnis der Materie gegenüber dem schlichten Konsum eines Buches gefördert werden soll.

De facto ist "Ivanchuk - move by move" ein Buch zur Strategie und zur Taktik im Schach, das sich am Stil und den Fähigkeiten Iwantschuks orientiert. Der Leser soll also in seiner eigenen Spielstärke gefördert werden, indem er gute Leistungen Iwantschuks als Beispiel vorgestellt bekommt und ihm diese unter einer eigenen Einbeziehung unter strategischen und taktischen Aspekten erläutert werden.

Nach einer Einführung, die sich Iwantschuk als Spielerpersönlichkeit widmet, ein wenig auch den "Mythos Iwantschuk" pflegt, wird dessen Stil in sechs Kapiteln unter die Lupe genommen. Ein 7. Kapitel hebt sich etwas von den anderen ab, ich werde dies später kurz noch ansprechen.

Das 1. Kapitel mit der Überschrift "Global Domination" thematisiert Iwantschuks Fähigkeit, seine Stellung kontinuierlich durch strategische Manöver und taktische Drohungen zu verbessern. Es geht dabei also darum, dass er die Stellungen so lange "knetet", bis er schließlich das ganze Brett in der Hand hat und sich dann gegen den feindlichen König wenden kann.
Das 2. Kapitel trägt die Überschrift "A ‚Rook Awakening' …" und befasst sich damit, dass es ihm immer wieder gelingt, seine Türme frühzeitig auf Linien zu entwickeln, die sich erst später als gutes Einsatzfeld erweisen. Er erkennt vorausschauend, dass er es schaffen wird, die Linie zu öffnen, oder er den Gegner zu diesem Schritt veranlassen kann.
In herkömmlichen Partien stürzt sich Iwantschuk nicht in einen waghalsigen Angriff, sondern bereitet diesen regelmäßig klassisch vor. Wie er dabei handelt, ist Thema des 3. Kapitels ("Pragmatism and Precicion in the Regicide Quest"). Er baut seine Stellung so lange aus, bis sie gesichert reif ist für den Königsangriff, um diesen dann nachhaltig und aus der Position der Überlegenheit heraus zu führen.
Im 4. Kapitel ("Aggressive Defence") wird seine Eigenschaft besprochen, sich in der Verteidigung möglichst aggressiv zu verhalten. Selbst wenn sein König in Gefahr ist, versucht er passive Verteidigungsformen zu meiden, wenn er aggressiv auf Gegenspiel, Raumgewinn etc. spielen kann. In derart zweischneidigen Stellungen zwingt er den Gegner, unter Beweis zu stellen, dass er die Stellungen besser durchrechnen kann als Iwantschuk.
Das 5. Kapitel ("Mutanis Mutandis") geht darauf ein, dass Iwantschuk ohne Rücksicht auf materielle Verluste auf Sieg spielt, wenn er die Gelegenheit dazu sieht. Die Kapitelüberschrift heißt so viel, dass die Dinge verändert werden, die verändert werden müssen. Wenn beispielsweise ein verteidigender Springer beseitigt werden muss, setzt er ohne zu zögern den Turm ein, um dies zu erreichen.
Im 6. Kapitel ("Chucky the Closer") geht es um Iwantschuks Endspielbehandlung. Nach den Feststellungen des Autors ist er besonders dann sehr gefährlich, wenn er zumindest einen Hauch von Initiative hat. Auf der Basis seiner ausgezeichneten Endspielfähigkeit gelingt es ihm oft, die Initiative in konkrete Drohungen etc. zu entwickeln, auch am Rande des Verlustes nach Zeit, sodass der Gegner an seine Grenzen kommt.
30 Fragen, die herausarbeiten sollen, was es mit dem Begriff "planet Iwantschuk" auf sich hat, sind Inhalt des 7. Kapitels ("Planet Ivanchuk Immigration Visa Questions"). Gleich im Anschluss erfährt der Leser dann en bloc die Antworten.
Wenn Iwantschuk spielt, dann befindet er sich in seiner eigenen Welt - wie ist es zu dieser Aussage gekommen, die Iwantschuk als Typ beschreibt? "Ivanchuk - move by move" versucht dies an der genannten Stelle zu klären.

Tay hat nach eigenen Angaben mehr als 3500 Iwantschuk-Partien durchgespielt, um 40 herauszufiltern, die ihren Wert im Buch zeigen können. Die Beispiele, die ich mir näher angeschaut habe, lassen mich bestätigen, dass Tay eine gute Auswahl getroffen hat. Die abgebildeten Partien sind - mein Urteil ist hier pars pro toto zu verstehen - nicht nur im Sinne des Buchprojektes geeignet, sondern zugleich spannend und unterhaltsam. Es bereitet Vergnügen, sich mit ihnen zu befassen.

Die Kommentierung ist ansprechend, es dominieren Texterläuterungen gegenüber zugbasierten Anmerkungen. Für das Verstehen des lernenden Lesers ist dies ein in meinen Augen wichtiger Pluspunkt.

Die Bibliografie ist sehr umfangreich. Tay hat als engagierter Fernschachspieler einen offenkundig gut gefüllten Bücherschrank und nutzt natürlich auch die wichtigsten elektronischen Quellen. Als Engines hat er Houdini 4 und Stockfish unterstützend eingesetzt.

Noch ein Wort zur Buchsprache Englisch: Der verwendete Wortschatz ist bisweilen durchaus weiter als gewöhnlich. Auch sind die Sätze nicht immer kurz und einfach strukturiert. Ich denke, dass der Leser Fremdsprachkenntnisse auf einem guten Schulniveau mitbringen und auch geübt sein sollte, um "beschwerdefrei" alle Passagen im Werk verstehen zu können. Den Rest erledigt dann, wie auch bei mir selbst, das Nachschlagen von Vokabeln, im Buch oder am Bildschirm.

Fazit: "Ivanchuk - move by move" ist ein gut gemachtes Buch im Stil der "move by move"-Reihe von Everyman Chess, das zugleich eine praktische Schulung zur Strategie und zur Taktik wie auch angenehme Unterhaltung ist. Es bringt dem Leser zudem Vassili Iwantschuk etwas näher, der zu den - nicht nur auf dem Brett - ganz Großen der Schachwelt unserer Tage zu zählen ist.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Urteil und Plan

Max Euwe
Urteil und Plan
182 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-3-940417-85-5
19,80 Euro




Urteil und Plan
In einer 6. Auflage 2015 neu im Handel verfügbar ist der Schachbuch-Klassiker "Urteil und Plan" von Max Euwe. Das Werk ist als Imprint des Schachverlag Ullrich im Joachim Beyer Verlag erschienen. "Urteil und Plan" gilt als eines der besten Bücher Max Euwes, des 5. Weltmeisters in der Schachgeschichte. In seiner 1. Auflage aus dem Jahre 1956 umfasste es neun Abschnitte, deren Inhalte ich etwas weiter unten bezeichne. Nach dem Tode Euwes, aber mit seiner Genehmigung, ist ein zehnter Abschnitt hinzugekommen, der von Kurt Richter verfasst worden ist und "Fünf erläuternde Partien" enthält.

Wenn man - vor allem junge - Spielerinnen und Spieler, die zwar schon regelkundig sind, aber noch keine Erfahrung gesammelt haben, am Schachbrett beobachtet, so stellt man oft ein Phänomen fest: Die Hand des am Zug befindlichen Kontrahenten kreist über dem Schachbrett wie ein Geier am Himmel über der Savanne. Unentschlossen tendiert sie mal zur einen und dann wieder zu einer anderen Figur. Die Hand ist ein Indikator der Gedanken, denn so, wie sie sich verhält, läuft gerade auch der Gedankenprozess ab. Das Spiel bleibt planlos, die Merkmale der Stellung werden unzureichend erkannt und zur Basis der kommenden Entscheidungen gemacht.
Genau hier setzt "Urteil und Plan" an. Es ist ein Lehr- und für den erfahrenen Spieler auch ein Trainingsbuch zum praktischen Positionsspiel. Ich möchte das Werk als einen Praxiskurs bezeichnen, der nicht nur Kenntnisse zur Spielführung, vor allem im Mittelspiel, verschafft, sondern Struktur in das Spiel des Lesers bringt und ihm die Chance gibt, Intuition zu entwickeln.

Ich möchte ein zweites Phänomen ansprechen, diesmal auf das Fernschachspiel bezogen.
Aus dem Fernschach sind heute Computer als Hilfsmittel nicht mehr wegzudenken, sie gehören schlicht dazu. Sofern es ausnahmsweise keine ausdrücklichen Be-schränkungen gibt, gilt dies vorneweg auch für die Engines, also die Programme, die aus einer Stellung heraus die besten Züge und Zugfolgen zu errechnen versuchen.
Zu den modernen Herausforderungen an den Fernschachspieler zählt heute der möglichst effektive und effiziente Einsatz seiner Engine oder Engines. Die Methode, den Computer in einer einfachen Stellungsanalyse brutal alles durchrechnen zu lassen, stößt sehr schnell in verschiedener Hinsicht an ihre Grenzen. Der so handelnde Spieler wird spielerisch nicht weiterkommen und es werden ihm auch größere Erfolge verwehrt bleiben. Aber warum ist dies so? Das ist so, weil er nicht nach dem Prinzip Urteil und Plan handelt. Er setzt sein Hilfsmittel, die Engine, nicht so qualifiziert und wirksam ein wie seine klüger handelnden Mitbewerber, er wird tendenziell hinter diesen zurückbleiben.
Das Buch "Urteil und Plan" orientiert sich am folgenden Prinzip: Es werden Beispiele aus der Praxis durchgegangen, um bestimmte darin erreichte Stellungen auf ihre besonderen Merkmale, von Euwe auch als "Fingerzeige" bezeichnet, zu untersuchen, um nach deren Feststellung den richtigen Plan für das weitere Vorgehen abzuleiten. Der Leser erlernt und vertieft, wie man Schach planvoll spielt, wie man die stellungsgerechten Urteile und Entscheidungen trifft und er prägt sich automatisch nach und nach Stellungs- und Vorgehensmuster ein, die ihm im Laufe der Zeit vermehrt ein intuitives Handeln ermöglichen werden.

Die "geierähnlich" kreisende Hand des Spielers wird weichen, der Fernschachspieler wird seine Engine auf bestimmte Züge ansetzen und viele andere dabei ausblenden, somit sein Hilfsmittel Engine viel effektiver und effizienter einsetzen.
Das markanteste Beispiel für diese Variante meiner Ausführungen habe ich auf Seite 71 f. gefunden. Hier macht Euwe den Leser zunächst intensiv mit dem Beispiel der Betrachtung vertraut, bis er zur kritischen Stellung kommt. Diese untersucht er nach den Kriterien des Positionsspiels und kommt auf sieben zu berücksichtigende Besonderheiten. Er stellt dann die Frage, ob aus einem materiellen Standpunkt heraus ein bestimmter gegnerischer Zug für den am Zug befindlichen Spieler eine Bedrohung ist. Die Stellung ist komplex, die Antwort nicht leicht. Auf einem analytischen Weg stellt er dann fest, dass der geprüfte Zug eine Bedrohung ist, der Spieler also etwas dagegen tun muss. Und nun kommt die Aussage, die den interessierten Fernschachspieler aufhorchen lassen sollte: "(…) diese Erkenntnis macht es bereits überflüssig, Züge wie Ta8-c8 oder b6-b5 zu erwägen." In diesem Fall bleiben nur vier Bauernzüge als spielbar übrig. Wenn ich mich nicht verzählt habe, stehen in der fraglichen Stellung 38 regelgerechte Züge zur Verfügung. Der mit Urteil und Plan handelnde Fernschachspieler blendet 34 Züge aus und setzt seine Engine auf die vier Züge an, die eventuell helfen können, nutzt deren Kapazitäten optimal. Der Spieler mit der "brutalen Rechenmethode" aber wird nur einen Bruchteil dieses Nutzens ziehen können, da sich die Engine auch an auszuschließenden Zügen abarbeitet, und dieser Effekt verstärkt bzw. potenziert sich mit dem Fortgang einer Zugfolge.

Die Themen in den schon erwähnten ursprünglichen Buchkapiteln, hier "Abschnitte" genannt, ergeben sich aus dem folgenden Überblick, der sich an das Inhaltsverzeichnis anlehnt:

Abschnitt I: Forciertes Matt oder großer materieller Vorteil
Abschnitt II: Die Bauernmehrheit auf dem Damenflügel
Abschnitt III: Der Angriff auf dem Damenflügel
Abschnitt IV: Springer gegen schlechten Läufer
Abschnitt V: Die Schwächung der Königsstellung
Abschnitt VI: Der Angriff auf die feindliche Königsstellung
Abschnitt VII: Schwache Bauern
Abschnitt VIII: Starke Felder
Abschnitt IX: Offene Linien
Und hinzu kommt, wie oben schon angemerkt, Abschnitt X: Fünf erläuternde Partien, von Kurt Richter.

Euwe ist ein Meister des Schreibens. Er versteht es ausgezeichnet, alles so einfach, klar und nachvollziehbar zu erklären, dass man als Leser das Gefühl hat, sich gerade mit einer der einfachsten Sachen der Welt zu befassen. Ich stelle seine Kunst des Erklärens auf eine Stufe mit jener von Mark Dvoretski, wenn ich einen aktuellen meisterlich schreibenden Autor zum Vergleich heranziehen darf.

"Urteil und Plan" ist "kein Buch für eine Nacht". Dieses Werk verlangt ein Studium. Der Leser muss Zeit investieren, um den richtigen Nutzen aus ihm ziehen zu können. Und meines Erachtens verlangt es nach Wiederholung, es sollte also mehrfach durchgearbeitet werden. Die dafür aufzubringende Disziplin wird durch den unterhaltsamen Schreibstil Euwes gestützt.

Fazit: "Urteil und Plan" ist ein heute wie schon früher ausgezeichnetes Buch zum praktischen Positionsspiel. Es ist zugleich das Bindeglied zwischen Theoriewerken, die sich den verschiedenen Methoden des Positionsspiels widmen, und der praktischen Partie des Lesers.
Jeder Spieler unterhalb des Meisterlevels wird von diesem Werk profitieren, wenn er ernsthaft damit arbeitet. Der Fernschachspieler, der die vorgestellte Methode richtig auslegt und anwendet, wird zudem zu einem besseren und vor allem wirkungsvolleren Einsatz seiner Engine als Hilfsmittel in seiner Partie kommen.
Für mich ist "Urteil und Plan" eine klare Empfehlung für jeden Spieler, der die ersten Anfangsgründe gerade hinter sich gelassen hat und noch nicht zum Meisterspieler geworden ist.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Schachverlag Ullrich / Joachim Beyer Verlag (www.schachversand-ullrich.de) zur Verfügung gestellt.

Kotronias on the King's Indian, Mar del Plata I und II

Vassilios Kotronias
Kotronias on the King's Indian, Mar del Plata I und II
Bd. 1: 320 Seiten, kartoniert / Bd. 2: 277 Seiten, kartoniert
Bd. 1: ISBN: 978-1-907982-87-3 / Bd. 2: ISBN: 978-1-907982-53-8
je 24,99 Euro




Kotronias on the King's Indian, Mar del Plata I und II
"Mar del Plata I" und "Mar del Plata II" sind die Bände zwei und drei aus der Serie "Kotronias on the King's Indian" von Quality Chess. "Volume One" aus dieser Reihe ist schon älter und behandelt Fianchettosysteme; er stammt aus dem Jahre 2013, die beiden neuen und hier besprochenen Bände "Volume Two" and "Volume Three" aus 2015.
Die Mar del Plata-Variante der Königsindischen Verteidigung wird über die Züge 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.Sf3 0-0 6.Le2 e5 7.0-0 Sc6 8.d5 Se7 eingeleitet. Während sich Band I mit der Hauptvariante beschäftigt, die mit 9.Se1 fortgesetzt wird, geht es in Band II um 9.b4, 9.Sd2 und alle weiteren vernünftigen Alternativen.

Ich habe mich entschlossen, beide neuen Bände gemeinsam in einer Rezension zu behandeln. Zusammen ergeben sie eine Komplettbehandlung zum Thema, sie könnten auch ohne Probleme in einem gemeinsamen umfangreichen Werken erörtert werden.
Natürlich kenne ich nicht die Gründe, die Quality Chess bewogen haben, zwei einzelne Bände herauszugeben. Für den Leser sind die Konsequenzen aber unterschiedlich, je nachdem, ob er sich für die Seite von Weiß oder von Schwarz interessiert. Die Weichenstellung zwischen beiden Bänden wird von Weiß vorgenommen. Wenn sich ein Spieler sicher ist, dass er immer nur 9.Se1 ausführen wird, braucht er grundsätzlich nur Band I, oder im Rahmen der Serie insgesamt also nur "Kotronias on the King's Indian Volume Two". Als Spieler mit Schwarz braucht man generell beide Bände, wenn man auf der Basis von Kotronias' Werk umfassend gewappnet sein möchte, eben um auch auf eine abweichende Wahl von Weiß im 9. Zug mit Material aus dieser Serie reagieren zu können. Wenn man sich mit meiner Begründung als Weißspieler auf die Beschaffung von "Mar del Plata I" beschränkt, muss man allerdings bedenken, dass Kotronias das Repertoire aus der Perspektive von Schwarz zusammengestellt hat. Für den Nachziehenden werden also alle wichtigen weißen Fortsetzungen berücksichtigt, für Weiß gilt dies hinsichtlich der schwarzen Möglichkeiten nicht gleichermaßen. Hier können nach der Auswahl des Autors durchaus auch wichtige Wege - aus Repertoiregründen - weggelassen worden sein.

Die Mar del Plata-Variante trägt übrigens ihren Namen, weil sie 1953 von S. Gligoric in einem Turnier in dieser argentinischen Großstadt eingeführt worden ist und sie ihm dabei sogleich Erfolg gebracht hat. Heute zählt die Variante zu den besonders häufig auf das Brett kommenden Systemen.

Nun zu den beiden neuen Werken selbst: Nach deren intensivem Studium kann ich sagen, dass bis auf wenige Anpassungen auf sie genau das zutrifft, was ich damals schon zu "Kotronias on the King's Indian Volume One" geschrieben habe. Ich kann also meine Ausführungen in der 2013 darüber veröffentlichten Rezension problemlos dieser neuen Besprechung zugrunde legen. Dies verstehen Sie aber bitte nicht als einen Ausdruck von Faulheit, die über mich gekommen sein könnte, sondern als vernünftig. Die für mich wesentlichen Aspekte aller drei verschiedenen Bände sind gleich und sie werden jeweils - bis auf wenige Ausnahmen - gleichartig erfüllt.

Die Fülle des Materials, das beide neuen Bände jeweils für sich wie auch zusammen bereitstellen, ist erschlagend. Vermutlich gibt es nichts, was man - vorrangig natürlich aus der Sicht des Nachziehenden - vergeblich darin suchen könnte, sofern es nur irgendwie relevant sein mag. Einen Scherz von Jacob Aagaard aufgreifend geht Kotronias auch selbst darauf ein, indem er meint, dass es kaum jemanden auf der Erde geben wird, der sich das gesamte Repertoire wird merken können.
So drängt sich natürlich geradezu die Frage auf, für wen "Kotronias on the King's Indian, Mar del Plata I und II" die idealen Bücher sind. Der wichtigste Adressat ist für mich ganz klar der Fernschachspieler. Er steht nicht vor der unlösbaren Aufgabe, sich das Material, das er nach Sichtung der Inhalte der Bände für sich als relevant erkennt, einzuprägen. Er setzt sie seine Partie begleitend als Hilfsmittel ein und hat so jederzeit vollen Zugriff auf das ganze Spektrum der Inhalte.

Auf drei inhaltliche Aspekte ist wie schon zum "…Volume One" hinzuweisen:
1. Mir sind zahlreiche Neuerungen aufgefallen, auch sind etliche neue Analysen erkennbar aus Kotronias' Hand. Beide neuen Bände entwickeln die Theorie weiter.
2. Das Buch enthält zwar keine Illustrationspartien, aber sehr weit in die Partie hinein führende Varianten, oft genug aus praktischen Partien stammend und dann auch oft bis ins Ergebnis. Dies erlaubt dem Leser nachzuvollziehen, wie sich die jeweilige Variante jenseits der Eröffnungsphase weiter entwickeln kann, was Kotronias nach seinen eigenen Worten auch wichtig ist. Zu bedenken ist dabei auch, dass sich die Mar del Plata-Variante erst zu einem vergleichsweise späten Zeitpunkt im Spiel herauskristallisiert. Auch dies führt dazu, dass eine Betrachtung der Praxisbeispiele tendenziell langschrittig sein muss.
3. Gleich zu Beginn trifft der Leser auf jeweils 48 Übungen, die ihm über Diagramme gestellt werden. Er soll diese wie in einer Partie lösen, ggf. unter Nutzung einer Engine. Die Übungsstellungen sind allesamt dem später behandelten Stoff entnommen und enthalten keine ausdrückliche Lösung. Diese ergibt sich automatisch aus der Behandlung im betreffenden Kapitel, die Fundstelle wird jeweils angegeben.

Ich halte es in diesem Fall für entbehrlich, die Inhalte beider Bände jeweils nach gebildeten Abschnitten und Kapiteln weiter zu differenzieren. Das Splitten des Gesamtmaterials auf die beiden Bände sollte nach meiner Einschätzung reichen. Bei Interesse an mehr kann online im Handel nachgesehen werden.

Die einzelnen Kapitel sind so gestaltet, wie man es von den Büchern aus der Grandmaster Repertoire-Serie kennt. Ein Variantenindex gibt eine Übersicht über den im Kapitel behandelten Stoff. Dem folgt die Darstellung der Theorie, die von einer wertenden Zusammenfassung, die hier regelmäßig sehr ausführlich gehalten ist, abgeschlossen wird.
Der genannte Variantenindex schließt sich an das Variantenverzeichnis an, das jeweils am Schluss beider Bände die Übersicht über das gesamte Werk gibt. Diese Verzeichnisse sind sehr detailliert und erlauben eine gute Navigation über den gesamten Band hinweg.

Kotronias erklärt gut und viel. Auch dann, wenn Varianten bis in eine besondere Zugtiefe geführt werden, beispielsweise über den 30. Zug hinaus, muss der Leser nur selten auf eine textliche Kommentierung verzichten. Eine kleine Einschränkung dieser Aussage erlaube ich mir für passagenweise weit in die Tiefe abgebildete Beispiele aus der Turnierpraxis. Hier reduzieren sich die Anmerkungen, aus meiner Sicht allerdings nachvollziehbar, deutlich.
Insgesamt schreibe ich beiden Bänden, also Mar del Plata I und Mar del Plata II, in punkto Erklärung und Kommentierung eine sehr hohe Qualität zu.

Die Buchsprache ist Englisch. Wie schon 2013 bei "Kotronias on the King's Indian Volume One, Fianchetto Systems" sollten auch hier wieder Fremdsprachkenntnisse auf Schulniveau weitgehend ausreichen, um ohne große Schwierigkeiten mit beiden neuen Bänden arbeiten zu können.

Fazit: Die beiden Bände "Kotronias on the King's Indian, Volume Two" und "Volume Three", die zusammen ein schwarzes Komplettrepertoire zur Mar del Plata-Variante im Königsinder bilden, sind meines Wissens das Kompletteste und Aktuellste, was es zurzeit - und vermutlich auf lange Sicht - für diesen Bereich des Eröffnungsspiels gibt. Für eine umfassende theoretische Repertoire-Ausstattung braucht man beide Bände, ggf. ist eine Beschränkung für den Weißspieler möglich, da er die Weichenstellung zwischen den beiden Einzelbänden vornimmt.
In einer kartonierten Fassung kosten beide Bände jeweils 24,99 Euro. Es gibt sie auch gebunden, dann für jeweils 29,99 Euro. Das ist nicht wenig, allerdings dürfte es sich für die meisten Spieler um eine Investition mit langem Nutzen handeln. Und die Leistung, die der Käufer für seinen Einsatz erhält, ist den Preis allemal wert.


Die Rezensionsexemplare wurden freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

Testbuch der Leichtfigurenendspiele

Jerzy Konikowski
Testbuch der Leichtfigurenendspiele
131 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-3-940417-79-4
9,80 Euro




Testbuch der Leichtfigurenendspiele
Zu den Dingen, die mir bei der Schulung meiner Fertigkeiten im Schach nur recht wenig Spaß gemacht haben, zählt die Erarbeitung der Endspieltheorie. Und wenn ich mich so umhöre, bin ich wohl kein Einzelfall. Das Pauken von Manövern, das Zählen von Linienabständen, das Abzählen der Tempi in "Figurenwettläufen" und vergleichbare Elemente, die man als Rüstzeug für die gute Endspielführung braucht, standen absolut nicht in meiner Gunst.

Wenn es Ihnen ähnlich geht wie mir, dann werfen Sie alle Erinnerungen über Bord, wenn Sie den Buchtitel "Testbuch der Leichtfigurenendspiele" hören. Dieses von Jerzy Konikowski geschriebene Werk ist im Jahre 1997 im Joachim Beyer Verlag erschienen und jetzt in 2015 mit seiner 2. Auflage und als Imprint des Schachverlag Ullrich wieder neu verfügbar.

Zur Vorbereitung dieser Rezension habe ich intensiv mit dem Buch gearbeitet und ich kann sagen, dass es mir viel Spaß bereitet hat. Es sorgt auf eine angenehme Weise für eine Beschäftigung mit Endspielen, in denen außer Springern und Läufern, den Leichtfiguren also, nur noch Bauern auf dem Brett stehen. Natürlich spielt auch der König noch mit, aber den muss ich sicher nicht besonders erwähnen, denn ohne ihn gibt es kein reguläres Schach. Wenn es aber um die korrekte Spielführung geht, muss man ihn auf jeden Fall einbeziehen, denn oft genug hängt es gerade von ihm ab, ob man mit einem oder wenigstens mit einem halben Punkt oder aber mit einer Niederlage vom Brett geht.

Das "Testbuch der Leichtfigurenendspiele" ist dem Titel entsprechend natürlich ein Testbuch, aber es ist zugleich auch ein Schulungs- und Trainingswerk. Indem der Leser die an ihn gerichteten Aufgaben löst und sich hinterher intensiv auch mit den Lösungen auseinandersetzt, profitiert er eindeutig auch in der Form einer Verbesserung seiner Spielstärke. Diese kann sich in neu erlangtem Knowhow zeigen, aber auch in seinem Vermögen, Motive etc. in Stellungen zu erkennen, und Wege zur Umsetzung auszuarbeiten, also in der Anwendung von Kenntnissen.

Konikowski hat insgesamt 140 Aufgaben eingearbeitet, die sich in einer Kombination einer Diagrammstellung und zwei oder drei alternativen Übungsfragen zeigen. Das Werk arbeitet also nach dem Multiple-Choice-Prinzip. Es ist aber nicht etwa mit einem schlichten Ankreuzen getan, vielmehr müssen Einschätzungen getroffen und Analysen ausgearbeitet werden, so wie ich dies oben schon einmal kurz angedeutet hatte. Die vom Leser gefundenen Lösungen werden dann mit den Buchlösungen verglichen, die einen zweiten Teil des Werkes bilden.
Die Aufgabenstellungen sind praktischen Partien wie auch Studien entnommen.

Einige Aufgaben habe ich als recht einfach empfunden, an einigen anderen aber bin ich gescheitert. Der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben deckt eine breite Palette ab.

Dem Fernschachspieler sei dazu noch gesagt, dass viele der Ausgangsstellungen mehr als sechs Steine aufweisen. Mit Tablebases kommt man dann also nicht weiter, aber deren Einsatz wäre natürlich auch ebenso wenig sinnvoll wie jener einer Engine.

Damit Sie sich etwas unter den Aufgaben und deren Schwierigkeitsgraden vorstellen können, habe ich zwei Beispiele für Sie ausgesucht und in die Rezension übernommen. Diese sind:

Sehen Sie hier Gewinnchancen für Weiß?
a) Ja, nach 1.Lxf5.
b) Ja, aber er muss sich etwas anderes einfallen lassen.
c) Nein, das Endspiel ist für Weiß nicht zu gewinnen.
In der Diagrammstellung gab Schwarz die Partie auf. Hatte er Recht?
a) Nein, die Stellung ist vollkommen ausgeglichen.
b) Ja, die schwarze Stellung ist hoffnungslos. Weiß hat einen simplen Gewinnplan.
c) Schwarz hat nicht bemerkt, dass er selbst einen Gewinnplan hat.


Die erste Aufgabe zählt zu den einfacheren, die zweite stellt schon etwas höhere Ansprüche.

Mit dem "Testbuch der Leichtfigurenendspiele" kann man sich sowohl am herkömmlichen Brett beschäftigen, was ich auch empfehlen möchte, als auch am Bildschirm (aber ohne Engine bitte!) oder - ganz ohne Brett nur mit dem Diagramm und Vorstellungskraft. Die letztgenannte Möglichkeit ist etwas für die Fahrt in der Bahn, die Mittagspause am Arbeitsplatz, für den Strand und sonst wo. Das Buch lässt sich überallhin mitnehmen, ist leicht und robust.

Wer zur Erhaltung der eigenen Disziplin einen kleinen Ansporn braucht, findet auch ein Punktesystem vor, über das er sich entsprechend seinem Erfolg in den Lösungen einordnen kann.

Fazit: Das "Testbuch der Leichtfigurenendspiele" ist ein sehr empfehlenswertes Buch zur Prüfung, Entwicklung und Anwendung von Endspielkenntnissen im Sektor der Leichtfigurenendspiele. Es enthält etwas für den Spieler jeder Spielstärke, ist zugleich unterhaltsam und kann Wegbegleiter auch außerhalb der eigenen vier Wände sein. Mit einem Preis von 9,80 Euro ist es zudem günstig zu haben.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Schachverlag Ullrich / Joachim Beyer Verlag (www.schachversand-ullrich.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

Attacking the Caro-Kann

Alexey Dreev
Attacking the Caro-Kann
235 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-619-7188-04-2
24,95 Euro




Attacking the Caro-Kann
"Attacking the Caro-Kann" von Alexey Dreev ist ein neues Repertoirebuch für Spieler mit Weiß, das diesen gegen die vom Nachziehenden gewählte Caro-Kann-Verteidigung gutes Spiel, möglichst verbunden mit einem Eröffnungsvorteil, verschaffen soll. Erschienen ist es im bulgarischen Verlag Chess Stars.

Das Repertoire basiert auf der Vorstoßvariante, wird also über die Züge 1.e4 c6 2.d4 d5 3.e5 eingeleitet. Der vollständige Inhalt wird aus dem nachfolgenden Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis ersichtlich:

Teil 1
1.e4 c6 2.d4 d5 3.e5 c5 4.dxc5
1) verschieden; 4...e6 5.a3
2) 4...Sc6 5.Sf3

Teil 2
1.e4 c6 2.d4 d5 3.e5 Lf5
3) 4.c4 e6; 4.h4 h5; 4.Sbd2 e6
4) 4.Sf3 various; 4...e6 5.Le2 verschieden; 5...Se7 6.0-0 Sc8; 6...Lg6
5) 4.Sf3 e6 5.Le2 Se7 6.0-0 c5 7.a3; 7.c4
6) 4.Sf3 e6 5.Le2 Sd7 6.0-0 rare; 6...Lg6; 6...Se7 7.Sbd2 m/o 7...h6
7) 4.Sf3 e6 5.Le2 Sd7 6.0-0 Se7 7.Sbd2 h6 8.Sb3

Teil 3
1.e4 c6 2.d4 d5 3.e5 Lf5 4.Sf3 e6 5.Le2 c5 6.Le3
8) 6...Se7 7.dxc5
9) 6...Db6 7.Sc3
10) 6...Sd7 7.0-0
11) 6...cxd4 7.Sxd4 Se7 8.c4
12) 6...cxd4 7.Sxd4 Se7 8.0-0
13) 6...cxd4 7.Sxd4 Se7 8.Sd2.

Das Buch ist herkömmlich als Repertoirebuch gestaltet, entspricht also im Aufbau nicht dem sonst bei Repertoirebüchern von Chess Stars anzutreffendem Format (mit "Quick Repertoire", "Step by Step" und dann Partien). Dreev arbeitet mit einem Variantenbaum aus Haupt- und Nebenvarianten. Vollständige Partien enthält das Werk auch, und zwar als Beispiele und gesammelt in einem eigenen Abschnitt im Buch. Hierbei handelt es sich um Meisterpartien, die bis auf drei allesamt im Jahr 2015 gespielt worden sind. Das im Buch zum Einsatz gekommene Material ist also auch insoweit brandaktuell. Insgesamt hat Dreev 14 Partien eingearbeitet.

Gemessen am Detaillierungsgrad der Darstellungen sowie an der Art und Weise, die gezeigten Wege zu kommentieren, zu erklären, sehe ich den Adressatenkreis des Werkes beim fortgeschrittenen Spieler bis in den Bereich des guten Klubspielers hinein. Sie erhalten ein Repertoire, das einerseits ausführlich genug ist, um daraus die für sich besten Linien zu wählen und auf die besten Antworten des Gegners reagieren zu können, andererseits aber auch so weit komprimiert ist, dass man es sich mit den Möglichkeiten eines Hobbyspielers erarbeiten kann. In seinen Erklärungen setzt Dreev ein ausreichendes allgemeines Schachverständnis beim Leser voraus. Einfache Aspekte der Spielführung etc. spricht er nicht an.
Seine Ausführungen sind eine Mischung aus Text und Varianten. Oft hält er seine textlichen Ausführungen kurz, aus meiner Sicht hat er ein sehr gesundes Maß gefunden. Varianten können auch schon mal erheblich in die Tiefe der Partie vorrücken. "Attacking the Caro-Kann" ist aber ganz weit davon entfernt, mit Analyseschlangen zu arbeiten. Die Art der Gestaltung sehe ich persönlich als sehr qualifiziert an.

Der Fernschachspieler erhält über das Buch neben dem Eröffnungsmaterial an sich zugleich auch eine sehr gute Ordnung der Materie, auf der basierend er zusätzliche Auswertungen seiner Partiendatenbank fahren kann.

Die Repertoireinhalte sind absolut auf der Höhe der Zeit, "Attacking the Caro-Kann" ist also ein sehr aktuelles Werk.

Zur Vermeidung von Fehlern jenseits der inhaltlichen Korrektheit hat man einen am Ergebnis erkennbaren Aufwand betrieben, was zugleich auch das Vertrauen in die redaktionellen Aussagen stärken kann. Mir sind so gut wie keine Fehler oberhalb einer Bagatellgrenze von tolerierbaren Ungenauigkeiten aufgefallen. Den einzigen etwas größeren formalen Fehler habe ich auf Seite 67 gesehen, wo im Text zwei Mal hintereinander das Wort "with" erscheint, wovon eines dort nicht hingehört. Diese Art von Fehlern ist hinsichtlich des vorliegenden Werkes "Attacking the Caro-Kann" nicht relevant.

Das Variantenverzeichnis auf den letzten Buchseiten ist erfreulich ausführlich und damit beim Navigieren im Werk sehr hilfreich.

Die Buchsprache ist Englisch, aber es werden keine besonderen Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers gestellt.

Die Kartonstärke des Einbands hätte ich mir etwas stärker gewünscht, denn er bietet nicht den Halt, den man von Büchern aus anderen Verlagen als Mindeststandard kennt.

Fazit: "Attacking the Caro-Kann" ist ein in meinen Augen sehr gelungenes Repertoirebuch besonders für einen Spieler im Leistungsbereich des Fortgeschrittenen bis zum erfahrenen Klubspieler, der sich als Weißspieler gegen die Caro-Kann-Verteidigung von Schwarz wappnen möchte. Es basiert auf der Vorstoßvariante. Das Buch überzeugt durch sein gelungenes Maß an Ausführlichkeit, gemessen an den Möglichkeiten eines Lesers aus dem og. Adressatenkreis.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

The French Defence - Volume Three

Emanuel Berg
The French Defence - Volume Three
471 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-907982-85-9
24,99 Euro




The French Defence - Volume Three
"The French Defence - Volume Three" ist der letzte von drei Teilen, über die der schwedische GM Emanuel Berg dem Leser ein Vollrepertoire zur Französischen Verteidigung zur Verfügung stellt, alles erschienen in der Grandmaster Repertoire-Serie von Quality Chess.

Das aktuelle Werk widmet sich in 22 Kapiteln, die sich auf sechs Abschnitte verteilen, der Vorstoß-Variante, dem Tarrasch-System, der Abtausch-Variante und weniger gebräuchlichen Spielweisen wie dem Königsindischen Angriff.

Zunächst stellt sich die Frage, ob diese Neuerscheinung des Jahres 2015 nur im Verbund mit den beiden Vorgängerbänden nutzbar ist oder diese nicht zusätzlich benötigt werden. Sie ist in Abhängigkeit davon zu beantworten, ob es um die weiße oder die schwarze Warte geht. Das Repertoire ist aus der Sicht von Schwarz zusammengestellt. Es soll also, wenn er beim Vorliegen alternativer Wege bestimmen kann, wie es weitergeht, grundsätzlich nur die beste Wahl für ihn dargestellt werden, ganz nach der Einschätzung des Autors. Dabei aber soll sein Repertoire gegen Versuche seines Gegners, die Partie aus dem Stoff des Buches heraus zu lenken, abgesichert werden. Was die weißen Möglichkeiten betrifft, muss aber alles behandelt werden, was relevant ist. Für den Weißspieler gilt eine andere Situation. Er kann nicht darauf vertrauen, dass alle zu erwartenden weißen Spielweisen dargestellt werden, denn nur jene nach der Auswahl des Autors sind im Buch zu finden. Ansonsten kann er ähnlich wie sein Kontrahent mit Schwarz von der Besprechung profitieren.
Zurück zur Ausgangsfrage, ob alle drei Bände für eine möglichst runde Ausstattung benötigt werden: Für den Spieler mit Weiß ist die Frage mit "nein", für jenen mit Schwarz aber mit "ja" zu beantworten. Der Grund dafür ist einfach: Sobald sich der Nachziehende in seiner Partie zur Französischen Verteidigung entschieden hat, trifft die erste große Lenkungsentscheidung Weiß. Ob nämlich beispielsweise die Vorstoßvariante aus Band III oder vielleicht etwas über die Zugfolge 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4, die Gegenstand des ersten Bandes war, auf das Brett kommt, liegt in seiner Hand. Mit Weiß also braucht man grundsätzlich nur einen Band, mit Schwarz demgegenüber alle drei (oder aber etwas Anderes zur Abdeckung der weiteren Varianten).

Die Kapitel sind regelmäßig so aufgebaut, dass der Leser auf der ersten Seite eine Variantenübersicht findet, die einen Überblick über den Inhalt und den Ablauf der Darstellungen gibt und sich mit dem ausführlichen Variantenverzeichnis auf den letzten Seiten des Buches harmonisch ergänzt. Diese Seite enthält zudem ein Diagramm zur Grundstellung sowie weitere kleine Stellungsbilder, auf denen Positionen bei Neuerungen zu sehen sind, die inhaltlich dann später im Text behandelt werden.
Dieser Einführung schließt sich die Darstellung der Theorie an. Berg bedient sich dabei eines Variantenbaumes, "The French Defence - Volume Three" ist also klassich als Eröffnungsbuch aufgebaut. Vollständige Partien hat er nicht aufgenommen, also weder als Träger theoretischer Ausführungen noch zur Illustration. Der Verzicht auf Partien ist Standard für Bücher aus der Grandmaster Repertoire-Reihe; sie fehlen meines Erachtens auch nicht und sie hätten zudem auch nicht viel Platz eingeräumt bekommen können. Stattliche 471 Seiten sind schon ohne sie im vorliegenden Band gefüllt.
Eine wertende Zusammenfassung schließt die Kapitel jeweils ab.

Bergs Erläuterungen machen einen sehr "erwachsenen" Eindruck. Zumeist begründet er seine Einschätzungen, er verweist auf Zusammenhänge, zeigt Konsequenzen richtiger und falscher Zugfolgen auf und mehr. Damit trifft er das Wesen der Kommentierung. Er vermittelt aber nicht den Eindruck, als wolle er seinen Leser an die Hand nehmen, um ihn so in die Spielweisen zu führen. Er bietet ihm einen Strauß von relevanten Informationen an, verstehen aber muss der Leser selbst. Ganz überwiegend geht es in den Erläuterungen etc. um taktische Aspekte, strategische Gedanken werden eher ausnahmsweise thematisiert.
Die Anmerkungen sind eine bunte Mischung aus Text und Varianten, die Analysen sein wie auch als Fragmente Partien entnommen worden sein können. Mir gefällt diese Zusammenstellung, wobei meine Anschauung auch durch die Brille des Fernschachspielers beeinflusst ist.

"The French Defence - Volume Three" ist ein Buch für den fortgeschrittenen Spieler. Natürlich verschließt es sich auch dem Anfänger nicht, aber es trifft nicht seinen Bedarf. Wenn ich mir einen Vergleich erlauben darf: "The French Defence - Volume Three" ist unter den Repertoirebüchern das, was der Bolide unter den Fahrzeugen ist. Dieser ist für den versierten Fahrer eine Freude, der Führerscheinneuling aber bekommt ihn schon nicht mal richtig aus der Garage.
Für den Fernschachspieler ist das Werk ein herausragendes Hilfsmittel, allein und im Verbund mit den anderen Bänden der Trilogie.

Der Rückentext wirbt mit Hunderten von Neuerungen im Buch. Ich habe sie nicht gezählt, aber schon beim Durchblättern fallen sie auf, in den Haupt- und in den Nebenvarianten. Selbst der Französisch-Kenner wird viel Neues vorfinden und prüfen können, ob es etwas für ihn ist.
Nicht immer heißt "Neuerung" zugleich, dass die Folgen einer bisher unbekannten Idee auch gleich bis ins Detail untersucht werden. Manchmal endet die Betrachtung auch gerade mit ihr, sodass sie einen Denkanstoß bzw. Anhalt gibt, nicht aber eine schon abgesicherte Spielweise.

"The French Defence - Volume Three" ist in englischer Sprache geschrieben, Fremdsprachkenntnisse auf Schulniveau reichen durchgehend zu einem ordentlichen Verständnis aus.

Fazit: "The French Defence - Volume Three" ist für Schwarz besonders zusammen mit den weiteren Werken der Trilogie zur Französischen Verteidigung zu nutzen, für Weiß auch als einzelnes Buch. Es ist ein aus der Sicht des Nachziehenden geschriebenes Repertoirebuch und inhaltlich exzellent.
Unter den beschriebenen Anmerkungen kann ich es sehr zum Kauf empfehlen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

The Veresov - move by move

Jimmy Liew
The Veresov - move by move
256 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-78194-245-1
21,90 Euro




The Veresov - move by move
"The Veresov - move by move" ist das Erstlingswerk von IM Jimmy Liew aus Malaysia. Es ist im laufenden Jahr 2015 unter dem britischen Label Everyman Chess erschienen und, wie der Titel schon anzeigt, im Stil der "move by move"-Reihe des Hauses geschrieben. Es arbeitet also mit fortlaufend eingestreuten und an den Leser gerichteten Fragen und Aufgabenstellungen im Rahmen der Kommentierung. Indem dieser den Stoff nicht nur konsumiert, sondern sich auch selbst einbringen muss und dabei auf wichtige Aspekte gestoßen wird, soll sein Lernerfolg gesteigert werden, was meines Erachtens auch klar zu erwarten ist.

Das Richter-Weressow-System, oder auch Weressow-Eröffnung genannt, ist das Thema des Werkes. Das System wird zentral über die Zugfolge 1.d4 d5 2.Sc3 Sf6 3.Lg5 eingeleitet, aber natürlich kann es auch über 1.d4 Sf6 etc. auf das Brett kommen. Die Merkmale des weißen Aufbaus sind also ein Bauer auf d4, der Damenspringer auf c3 und der Läufer auf g5. In einem kurzen Kapitel geht Liew auch auf 3.Lf4 statt 3.Lg5 ein, was der Darstellung einer modernen Abweichung dient.
Besondere Verdienste bei der Entwicklung des Systems hat auch Kurt Richter erworben, weshalb sein Name oft als Bestandteil der Bezeichnung für diese Spielweise berücksichtigt wird, so wie auch in dieser Rezension wenige Zeilen zuvor. Liew macht dies nicht und gibt dafür eine Begründung im Vorwort an.

Gefühlsmäßig war das Richter-Weressow-System für mich immer so etwas wie der Wachtelkönig im Naturschutz. Den umgibt eine Aura des Geheimnisvollen; er kommt besonders bei uns nur sporadisch vor, es gibt aber auch größere Vorkommen in seinem Gesamtverbreitungsgebiet. Auf jeden Fall ist er interessant und es hat seinen Reiz, sich mit ihm zu befassen.

Liew hat seine Arbeit in sieben Kapitel mit den folgenden, ins Deutsche übersetzten, Überschriften unterteilt:

Frühe Abweichungen von Schwarz
3. Lg5: Verschiedenes
Das solide 3...c6
Die Hauptlinie: 4. Dd3
Die Hauptlinie: 4 e3 und 4 f3
Natürliche Entwicklung: 3...Lf5
Weiß spielt 3. Lf4.

Basis der Darstellungen sind 55 Partien aus der Meisterszene, die im oben schon angesprochenen Stil der "move by move"-Buchreihe kommentiert worden sind. Liew weist früh darauf hin, dass er viele eigene Analysen eingearbeitet hat, die aus seiner Jahre langen Beschäftigung mit dieser Eröffnung stammen. Er spielt das Richter-Weressow-System selbst, einige Partien im Buch stammen aus seiner eigenen Praxis. In diesen kann er sein Verständnis von dieser Eröffnung besonders unter Beweis stellen, da es vom Partieverlauf widergespiegelt wird.
Eine der illustrierten Partien wurde im Fernschach gespielt.

Die Kommentierung zeigt sich als eine bunte Mischung aus Textkommentaren, über die Liew erläutert, erklärt, begründet, um dem Leser den Stoff begreifbar zu machen, aus Analysen und aus Partiefragmenten. In einer erheblichen Anzahl handelt es sich bei den Letzteren nicht tatsächlich um Fragmente, sondern um ganze Partien. So findet der Leser mehr als 55 Begegnungen im Buch vor, über die kommentierten Beispiele hinweg eben auch einige ohne weitere Anmerkungen.

Die einzelnen Kapitel sind gleichartig aufgebaut. Einer kurzen Einleitung folgt der kompakte Partienteil, dem sich eine wertende Zusammenfassung anschließt, die dann auch jeweils den Schlusspunkt setzt.

In meinen Augen ist das Richter-Weressow-System ein geradezu ideales Thema, um in der "move by move"-Reihe vorgestellt zu werden. Es ist in der Theoriebreite begrenzt und kann mit einem einzelnen Buch vollständig vermittelt und eben auch erfasst werden. Im vorliegenden Fall kommt dem Werk eine Qualität im Sinne schon eines Repertoirebuches zu. Über "The Veresov - move by move" ist der Spieler sehr gut und aus meiner Sicht auch ausreichend vorbereitet, um seine Partie mit diesem System zu beginnen.
Liew stellt deutlich heraus, dass er das Buch unter dem Ansatz geschrieben hat, sowohl Weiß als auch Schwarz ein guter Ratgeber zu sein. Auch der Spieler mit Schwarz findet die nach Liews Einschätzungen besten Züge für sich vor, kann also ebenfalls gut mit dem Werk arbeiten und im Rahmen der weißen Richtungsentscheidungen ein Repertoire gegen das Richter-Weressow-System aufbauen.
Eines aber ist anzumerken: Weiß kann nicht erzwingen, dass die Partie über das Richter-Weressow-System beginnt. Der Nachziehende kann ihr eine komplett andere Richtung geben, sie vor allem in die Gefilde von Caro-Kann, der Französischen Verteidigung oder auch der Pirc-Verteidigung führen. Wer also Richter-Weressow im Sinn hat, sollte als Weißer auch mit diesen von Schwarz geprägten Eröffnungen zurechtkommen.

Die letzten Seiten im Buch werden von einem ausführlichen und um Diagramme bereicherten Variantenverzeichnis eingenommen.
Die Buchsprache ist Englisch, die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers sind durchgehend moderat.

"The Veresov - move by move" ist ein gelungenes Werk. Es lässt den "Wachtelkönig" Richter-Weressow-System das bekannte Versprechen des Erlkönig Goethes geben:
"Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir;
Manch' bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand."

Mit ihm arbeiten, konzentriert und diszipliniert, muss aber der Spieler, um das System in der Praxis einsetzen oder gut dagegen bestehen zu können. Andernfalls folgt des Erlkönigs versprechen womöglich schnell das tragische Ende, das die unsterblichen Zeilen aus Goethes Feder malen. Für wen gelten Sie, hier ein wenig auf das Schachbrett getragen? Wird es Weiß treffen, oder wird es Schwarz sein?

"Dem Spieler grauset's, er rechnet geschwind,
er schnell doch eine Riposte ersinnt,
schafft die Verteidigung mit Müh und Not;
doch strategisch seine Partie ist längst schon tot."

"The Veresov - move by move" gibt beiden Kontrahenten das Rüstzeug an die Hand, nicht des Erlkönigs Schicksal erleiden zu müssen.

Fazit: Wer das Richter-Weressow-System fundiert zu spielen erlernen und zugleich mit Weiß ein ausreichendes Grundrepertoire erhalten möchte, ist mit "The Veresov - move by move" sehr gut bedient. Das Gleiche gilt für den Spieler mit den schwarzen Steinen, der sich der weißen Eröffnungswahl stellen und nicht in Systeme wie besonders Caro-Kann oder Französisch überleiten möchte.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

The English Attack Against the Taimanov Sicilian

Zaven Andriasyan
The English Attack Against the Taimanov Sicilian
191 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-555-1
21,95 Euro




The English Attack Against the Taimanov Sicilian
"The English Attack Against the Taimanov Sicilian" ist eine Neuerscheinung von New In Chess (NIC), deren Autor der junge armenische Großmeister Zaven Andriasyan ist. Es soll "A Guide for White", also ein Führer für Weiß und nach dem Rückentext eine "easy-to-grasp", also leicht zu begreifende, und gefährliche Waffe sein, wenn Schwarz die Taimanov-Variante gegen den weißen Anzug mit 1.e4 wählt.
Die Taimanov-Variante ist durch die Anfangszüge 1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sc6 5.Sc3 Dc7 gekennzeichnet, der "Englische Angriff" gegen diesen Aufbau geht über die Fortsetzung 6.Le3.
Um es auf den Punkt zu bringen: Das vorliegende Werk ist ein Repertoirebuch, das aus der Sicht von Weiß geschrieben worden ist. Der Anziehende soll nach Möglichkeit mit einem zumindest kleinen Vorteil aus der Eröffnung kommen, wenn sein Gegner die Taimanov-Variante wählt. Der Spieler mit Schwarz findet natürlich ebenfalls die nach der Einschätzung des Autors für sich besten Alternativen im Buch, allerdings unter der Maßgabe, dass Weiß hinsichtlich der Variantenwahl mitspielt.

In den ersten Zügen meiner Vorbereitung dieser Rezension sind mir zwei Aussagen besonders aufgefallen, und zwar:
1. In erster Linie soll das Buch dem Leser vermitteln, wo die Figuren zu stehen haben und warum dies so ist.
2. Der Leser soll zumindest zunächst ohne Computerunterstützung lernen, also mit einem herkömmlichen Brett.
Beide Aussagen haben für mich eine innere Verbindung. Indem der Leser mit einem Brett aus Holz oder von mir aus auch aus Kunststoff arbeitet, befindet er sich in einer ähnlichen Situation wie in der Turnierpartie. Wenn er in dieser weiß und eben am Brett vor Augen hat, wo die Figuren stehen sollten und den Grund dafür kennt, ist er optimal präpariert. Die Visualisierung im Format des traditionellen Schachbretts sollte ihm bei der Arbeit mit dem Werk helfen, und wenn der Computer aus bleibt, dann kann auch keine Engine "dazwischenfunken".

Also, für mich machen Andriasyans Vorgaben Sinn. Allerdings muss er sich auch gefallen lassen, dass er an seiner Aussage zu 1. auch selbst gemessen wird. Ist es ihm gelungen, "The English Attack Against the Taimanov Sicilian" so zu schreiben, dass der Leser dieses innere Verständnis vom System erlangt?
Bevor ich mich an die Beantwortung dieser Frage mache, möchte ich einen Blick auf die Inhalte des Buches eröffnen, soweit sich diese der Theorie und deren Vermittlung widmen. Der entsprechende Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis sieht - in der Originalsprache, mit deutschen Figurenkürzeln - wie folgt aus:

Part I
Chapter 1 Early Divergences

Part II
Chapter 2 A Knight on the Edge - 9...Sa5
Chapter 3 Preparing ...d7-d5 - 9...Se7
Chapter 4 Two Sidelines - 10 ... d5 and 10 ... 0-0
Chapter 5 Two Less Common Moves - 11.Ld4, 11.Df2
Chapter 6 The Two Main Moves - 11.Kb1, 11.De1

Part III
Chapter 7 Two Pawn Moves - 9 ... h5 and 9 ... b5
Chapter 8 The Knight Retreat - 11...Se8
Chapter 9 Another Knight on the Edge - 11...Sh5
Chapter 10 Exercises / Solutions

Wie man sieht, besteht das Werk aus drei Teilen mit insgesamt zehn Kapiteln, wobei das letzte davon an den Leser gerichtete Übungsaufgaben enthält, 50 an der Zahl, sowie die Lösungen dazu.
Die Kapitel sind einander ähnlich aufgebaut. Zunächst erfolgt jeweils eine ausführliche Einführung, die mir in der Art ihrer Gestaltung sehr gefallen hat. Der Leser erfährt beispielsweise, warum eine Befassung mit dem Stoff aus diesem Bereich wichtig ist, welchen Grundprinzipien die behandelten Spielweisen folgen, wie die weitere Stoffvermittlung aufgebaut ist und mehr. Er weiß damit, warum er sich mit diesem Bereich der Theorie befasst, welchen Wert seine Mühen also haben werden. In grober Richtung kann er ermessen, wie eine Partie mit den behandelten Initialzügen verlaufen wird und mit welchen grundsätzlichen Entscheidungen er den für ihn aussichtsreichen Weg ansteuert. Zugleich erhält er einen Blick auf die rote Linie durch den Stoff des Kapitels.

Die detaillierte Besprechung erfolgt systematisch nach den Prinzipien eines mit einem Variantenbaum arbeitenden Eröffnungsbuches. Andriasyan orientiert sich somit immer an Varianten, die er als die jeweilige Hauptlinie ansieht, und lässt Verzweigungen und Unterverzweigungen die Nebenwege anzeigen. Er arbeitet mit reichlichen Texterklärungen, mit denen er den Leser informieren und anleiten möchte. Gemessen an seinem oben schon genannten Anspruch, diesen lernen zu lassen, wo die Figuren zu stehen haben und warum dies so ist, gelingt ihm genau damit die Einlösung seines Versprechens. Nach meiner Einschätzung schafft er es, dem Leser das innere Verständnis des Systems und der jeweiligen Abspiele zu verschaffen. Dieser paukt nicht konkrete Zugfolgen ein, um diese in seiner Partie rekonstruieren zu können, sondern erfasst, worauf es in der Spielanlage ankommt und findet die konkreten Zugfolgen selbst am Brett. Abgesehen von den Hauptlinien, die man quasi automatisch bei der Arbeit mit dem Werk erlernt, gibt es somit nicht viel, was der Leser auswendig zu lernen hat.

Aufgefallen ist mir, dass Andriasyan Zugfolgen oft sehr weit in die Partie anzeigt. Je weiter man sich von den Initialzügen entfernt, als desto beispielhafter sind die konkreten Züge zu betrachten, denn über mannigfaltige Abweichungen kann der Partieverlauf deutlich verändert werden. Ich habe in "The English Attack Against the Taimanov Sicilian" eigene Hinweise Andriasyans gefunden, dass mit Fortschreiten einer Variante konkret abgebildete Züge unbedeutender werden, was ich als sympathisch empfinde. Es geht eben tatsächlich um die Spielführung und deren Eckpunkte, nicht um eine Masse konkreter Züge.

Bisweilen ist es mir nicht ganz so einfach gefallen, Hauptvarianten fortzusetzen, nachdem deren Verlauf über die Betrachtung von Nebenvarianten unterbrochen war. Hier kann die Arbeit mit Lesezeichen helfen, aber auch der Einsatz von Stiften oder Textmarkern, wenn man denn bereit ist, Gebrauchszeichen in seinem Buch zu akzeptieren. Vielleicht hätte das Werk etwas übersichtlicher gestaltet werden können, um den Augen des Lesers Textanker anzubieten.

Die einzelnen Kapitel werden jeweils von einer Zusammenfassung abgeschlossen. Diese ist jeweils sehr ausführlich gehalten. Grundsätzlich haben diese Passagen eine Eignung als Merksätze.

Das zehnte Kapitel fordert den Leser mit Übungsaufgaben. Er wird hier komplett ins kalte Wasser geworfen und muss strampeln, um die jeweils richtigen konkreten Züge und Zugfolgen zu finden. Eine Anleitung erhält er nicht, für ihn ist es ganz genauso wie in der Partie.
Die Übungen sind dem Stoff in den vorhergehenden Kapiteln entnommen. Die Lösungen sehen dann so aus, dass die korrekten Züge bezeichnet werden, ergänzt um die Fundstelle vorne.

Die letzten Seiten im Buch nehmen u.a. ein ausführliches Variantenverzeichnis sowie ein Quellenverzeichnis ein. Zu diesem ist anzumerken, dass Andriasyan nach eigenen Angaben zur Theorie auf keine anderen Werke zurückgegriffen hat. Lediglich für Hintergrundinformationen, etwa zum Namensgeber der Eröffnung, Mark Taimanov, hat er Literatur genutzt.

Andriasyan gibt an, dass der Leser einiges an neuer Theorie erhält, die zum Teil auch noch außerhalb einer Praxiserprobung liegt. Mit einem "N" für Neuerung gekennzeichnete Züge sind mir nicht aufgefallen, sodass er wohl zumindest weitgehend auf eine entsprechende Kennzeichnung verzichtet hat. In den Neuerungen sieht er übrigens den größten Nutzen für den erfahrenen Spieler, während die Anleitung zur Spielführung den besonderer Wert für den noch lernenden Schachanhänger ausmachen soll.

Die Buchsprache ist Englisch. Der mit einem ordentlichen Schulenglisch ausgerüstete Leser wird keine Probleme haben, flüssig mit dem Werk zu arbeiten.

Fazit: "The English Attack Against the Taimanov Sicilian" ist ein Repertoirewerk zur Eröffnungstheorie, wie ich es mir hinsichtlich der Stoffvermittlung wünsche. Der Leser, auch wenn er noch weniger erfahren ist, profitiert durch Verstehen und nicht nur durch Auswendiglernen, wenn er sich bestimmungsgemäß mit dem Buch befasst. Der Autor Zaven Andriasyan hat auf die Auswertung bisheriger Werke zum Thema verzichtet. Neue Ideen sollen das Repertoire besonders auch für den erfahrenen Spieler interessant machen. "The English Attack Against the Taimanov Sicilian" hat mich überzeugt, sodass ich eine Kaufempfehlung für den Spieler abgeben kann, der sich gegen die Taimanov-Variante neu rüsten oder sein Repertoire auffrischen möchte.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

Gambits ... richtig gespielt

Juri Rasuwajew, Anatoli Mazukewitsch
Gambits ... richtig gespielt
159 Seiten, gebunden mit Lesebändchen
ISBN: 978-3-940417-87-9
19,80 Euro




Gambits ... richtig gespielt (eine Gastrezension von CM Manfred Herbold)
"Wenn Sie gewinnen wollen, fürchten Sie sich nicht, das Gleichgewicht zu zerstören. Mehr noch, lernen Sie, es zu tun!", Michail Tal.

Das Buch des russischen Autorenduos aus dem Beyer-Verlag wurde durch den Nationalen Fernschach-Meister (Bronze) Uwe Bekemann für diese 2. Auflage überarbeitet und aktualisiert und kommt in gewohnt guter Aufmachung und Übersichtlichkeit als Hardcover-Ausgabe daher. Der Textanteil ist in allen Kapiteln recht hoch, sodass man mit den Partien und Analysen nicht allein gelassen wird.
Gegliedert ist das Buch in zwei unterschiedliche Teile. Der 1. Teil "Enzyklopädie der Gambits" beinhaltet 57 Gambits, die alphabetisch geordnet sind; von Albins Gegengambit bis zum Wolgagambit. In Wirklichkeit sind es 56, da das Lwow-Gambit auch als Tennison-Gambit ein zusätzliches Kapitel erhielt. Jedes Gambit wird mit 1-2 Kurzpartien und einer knappen historischen Einführung dargestellt; aufgelockert durch ein Bild/Zeichnung des Namensgebers. Kurzschlüsse statt Hauptvarianten kennzeichnen die Partien, von denen viele bereits nach ca. 10 Zügen ihr taktisches Ende finden.

Im 2. Teil "Moderne Gambitideen" (Seite 82-159) werden 14 weitere Gambits vorgestellt. Der Aljechin-Chatard-Angriff in der Französischen Verteidigung, das Estrin-Gambit (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.d4), das Rubinstein-Gambit (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Sc3 Sf6 4.Lb5 Sd4), das Marshall-Gambit in der Spanischen Eröffnung und das Rasuwajew-Gambit (hierbei wird der weiße h-Bauer in einer Variante des Damengambits geopfert) werden dabei am ausführlichsten besprochen. Diese sind gut strukturiert aufgemacht und der historische Werdegang wird an Hand von spannenden und hochwertigen Partien und Analysen bis zum aktuellen Theoriestand dargestellt. Der Verlauf einiger Partien gipfelt in überraschenden Damenopfern.

Fazit: Bei ca. 160 bekannten Gambits fehlen m.E. doch ein paar, um den 1. Teil als enzyklopädisch zu bezeichnen. Trotzdem kann der Gambit-Neuling einen Einblick und ein Gefühl für die Gefährlichkeit der dargestellten Eröffnungen bekommen.
Vor allem die fünf ausführlicher behandelten Gambits aus Teil 2 machen Lust darauf diese Eröffnungen in Turnierpartien auszuprobieren. So macht Schach Spaß und Glanzpartien scheinen in der Luft zu liegen.
Weniger ist manchmal mehr. IMHO würde ich lieber auf verschiedene Gambits aus Teil 1 verzichten, zu Gunsten von mehr ausführlicheren in Teil 2.

(CM Manfred Herbold)

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Schachversand Ullrich / Joachim Beyer Verlag (www.schachversand-ullrich.de) zur Verfügung gestellt.

Schachtaktik richtig berechnen

Valerie Beim
Schachtaktik richtig berechnen
191 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-910093-24-5
17,90 Euro




Schachtaktik richtig berechnen
"Schachtaktik richtig berechnen" von Valeri Beim ist die Übersetzung des Buches "How to Calculate Chess Tactics" des Verlagshauses Gambit Publications Ltd. aus dem Englischen. Die Originalausgabe stammt aus dem Jahre 2006. Anders als etwa bei einer Veröffentlichung zur Eröffnungstheorie ist es unerheblich, dass zwischen dem ersten Erscheinen in der Originalsprache und nun der deutschen Übersetzung einige Jahre liegen, denn der Besprechungsgegenstand unterliegt nur einem allenfalls geringen Wandel der Zeit.

Valerie Beim ist ein in Österreich lebender Großmeister, der gebürtig aus der Ukraine stammt. Seine Erfolge hat er nicht nur auf der Turnierbühne gefeiert, sondern auch als Trainer (vor allem auch der Nationalmannschaft Israels), als Schachlehrer und als Buchautor.

Seine Kernmotivation zum Schreiben des hier besprochenen Werkes liegt darin, eine von ihm gesehene Lücke in der Schachliteratur zu schließen. Diese sieht er dort, wo es Intuition, Logik und die Fertigkeiten im Umsetzen taktischer Motive im Schachspiel miteinander in Beziehung zu bringen gilt. Um diesen Ansatz zu konkretisieren: Stellen Sie sich das Motiv des Läuferopfers auf h7 vor, eine der Grundideen im Rochadeangriff. Der Spieler muss dieses Motiv zunächst einmal grundsätzlich kennen, um es gezielt einsetzen zu können. Dass eine Stellung reif sein kann für die Anwendung und deshalb entsprechend genauer untersucht werden sollte, ist ein aus der Intuition heraus aufkommender Gedanke. Die sich anschließende genaue Prüfung bedient sich der Logik bis hin in die Berechnung der konkreten Varianten.

Der folgende ausführliche Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis dient nicht nur der Information darüber, wie Beim "Schachtaktik richtig berechnen" gegliedert hat, sondern gibt bereits einen tiefen Einblick in die Materie selbst.

Einführung
"Der Teufel steckt im Detail"

1: Taktik im Schach
Was ist Taktik, und was sind Kombinationen?
Taktik in der Praxis
Schlag auf Schlag
Logische Analyse
Die Entwicklung der taktischen Fähigkeiten
Übungen zum 1. Teil

Teil 2: Die Technik der Variantenberechnung
Berechnung und Taktik
Die Technik der Variantenberechnung
Was man tun soll, bevor man anfängt zu rechnen
Unklare und komplizierte Situationen
Die Rolle der Bewertung
Wann man mit der Berechnung aufhören soll
Berechnung in Etappen
Konkrete Aktion zur Verwertung eines Vorteils
Resultierende Züge
Zusammenfassung
Kalkulationstraining
Schlussfolgerung
Übungen zum 2. Teil

Lösungen
Lösungen der Aufgaben zum 1. Teil
Lösungen der Aufgaben zum 2. Teil.

Zunächst versucht Beim zu klären, was unter den wichtigen einzelnen Begriffen zu verstehen ist, beispielsweise unter "Taktik". Dies ist nicht etwa als Glossar misszuverstehen, sondern der Unterbau für seine späteren fachlichen Ausführungen. Nach dem Durcharbeiten dieses Bereiches kennt der Leser die Bedeutung und die Inhalte der Begriffe, so wie Beim diese interpretiert, und wie sie untereinander in Beziehung stehen. Er bekommt damit eine Struktur an die Hand, die teilweise wie eine Gebrauchsanweisung Schritt für Schritt beschrieben wird. Sich an diese anlehnend kann der Leser dann in der eigenen Partie gezielt und mit einem roten Faden im wahren Sinn des Buchtitels Schachtaktik richtig berechnen.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich alle Definitionen so zu verstehen bereit bin, wie Beim sie gibt. Auch bin ich mir nicht sicher, ob es tatsächlich erforderlich war, ausgewählte hergebrachte Definitionen zu modifizieren und ob die damit verbundene Änderung aus der Sicht eines erfahrenen Spielers immer von Vorteil ist. Beim möchte damit auch Missverständnisse und Verwechslungen ausschließen, legt damit aber auch Hand an in Dingen, die das grundlegende Schachverständnis des erfahrenen Lesers betreffen, seine Erfahrung ausmachen und auch den Darstellungen in anderen Lehrbüchern entsprechen. Ein einfaches Beispiel dazu: Unter Strategie im Schach verstehe ich den übergeordneten Plan, nach dem der Spieler vorgeht, in der Partie und in einer bestimmten Phase. Vielleicht kann man modern auch vom Masterplan sprechen. Taktik ist dann die Anwendung der konkreten Mittel, die Schritt für Schritt, konkret und kontinuierlich dem Erreichen des strategisch definierten Zieles dienen und dem Gegner dasselbe verwehren. Nach Beim ist Taktik das, was der Spieler zunächst auf dem Brett macht oder zu machen hat.

Im zweiten Teil des Werkes geht es um die konkrete Berechnung der Varianten. Er arbeitet dabei nach dem Prinzip der Kandidatenzüge, das er allerdings verfeinert. Zudem gibt er ganz spezifische Tipps zum Umgang mit verschiedenen Brettsituationen, in denen sich der Spieler befinden kann. Ein Beispiel dazu: Wenn es viele Kandidatenzüge gibt, von denen manche leichter und andere nur sehr schwer und aufwändig zu berechnen sind, sollte sich der Spieler zunächst den leichteren zuwenden und die anstrengende und zeitintensive Berechnung der komplexen Varianten von einem erkennbaren Mehrwert abhängig machen.
Die vom Spieler berechnete Variante ist eine Kette aus Kandidatenzügen, die sich als tatsächlich auszuführende Züge gegenüber den anderen in Betracht kommenden Zügen durchgesetzt haben.

Zu beiden großen Teilen in "Schachtaktik richtig berechnen" hat Beim leichte bis anspruchsvolle Übungsaufgaben eingearbeitet, die jeweils an deren Ende zu finden sind. Die Lösungen auf alle Aufgaben sind am Ende des Buches gebündelt.

Es ist nicht ganz einfach, den Adressatenkreis zu bestimmen, an den sich das Buch richtet. Ausnehmen möchte ich den reinen Anfänger im königlichen Spiel. Er sollte meines Erachtens zunächst abwarten, bis er mit den grundlegenden Aspekten des Schachspiels sicher vertraut ist. Einen Lernerfolg im Bereich der unmittelbaren Fähigkeiten auf dem Brett halte ich mindestens bis zum Spieler auf einem guten Klubniveau für gut möglich. Und soweit es um die Erweiterung des Verständnishorizontes vor dem Hintergrund geht, Intuition mit Logik und mit Technik zu verknüpfen, gibt es für mich keine definierbare Grenze hinsichtlich der Spielstärke des Lesers.

Fazit: "Schachtaktik richtig berechnen" ist ein gutes, bisweilen auch etwas "eigenwilliges" Buch. Der für den Leser erreichbare Mehrwert richtet sich meines Erachtens besonders auch nach dessen Konstitution selbst und ist differenziert zu betrachten, je nach denkbarem Element des Mehrwertes an sich.
Dem erfahrenen Spieler werden in Teilen andere Definitionen u.ä. in Fleisch und Blut übergegangen sein, als "Schachtaktik richtig berechnen" diese vermittelt. Unabhängig davon, ob der Leser sich den Anschauungen des Autors in diesen Punkten öffnet, kann er die Erläuterungen, Anleitungen etc. des Werkes für sich nutzen.
Die disziplinierte Arbeit mit dem Werk gibt dem Leser die große Chance, sein Verständnis mit dem Ziel zu erweitern oder zu schärfen, Intuition, Logik und die Fertigkeiten im Umsetzen taktischer Motive miteinander (besser) zu verknüpfen.

"Schachtaktik richtig berechnen" ist für mich mit den obenstehenden Differenzierungen zum Adressatenkreis eine Kaufempfehlung.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

Gesunder Menschenverstand im Schach

Dr. Emanuel Lasker
Gesunder Menschenverstand im Schach
153 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-3-940417-83-1
19,80 Euro




Gesunder Menschenverstand im Schach
"Gesunder Menschenverstand im Schach" von Emanuel Lasker gehört zu den Klassikern der Schachliteratur. In einer ersten Fassung ist es schon 1896 erschienen, in englischer Sprache. Die erste deutsche Ausgabe stammt aus dem Jahre 1925 und war nach der Überlieferung im Vergleich zur Erstfassung deutlich überarbeitet worden.
Der Schachverlag Robert Ullrich hat es sich zur Aufgabe gemacht, Schach-Klassiker zu erhalten, und dafür eine eigene Buchreihe im Joachim Beyer Verlag geschaffen, in der diese Werke als sein Imprint neu erscheinen. Diese Reihe, die den Namen "Meilensteine des Schach" trägt, ist nun also um das hier rezensierte Werk des 2. Weltmeisters Emanuel Lasker bereichert worden.
Bücher aus der Zeit von vor 100 Jahren und mehr unterscheiden sich regelmäßig auch sprachlich von modernen Veröffentlichungen. Redewendungen wirken manchmal etwas schwülstig, kompliziert und verschroben, bisweilen sogar unverständlich. Für heutige Herausgeber ergibt sich daraus ein Zwiespalt. Soll die Originalausgabe auch sprachlich unangetastete bleiben oder mit dem Ziel überarbeitet werden, den Inhalt für das heutige Auge und den heutigen Verstand gewohnter und besser verständlich zu machen? Verleger Robert Ullrich hat sich ganz im Sinne des Titels des Werkes entschieden - er hat den gesunden Menschenverstand bemüht. Und das Ergebnis sieht so aus, dass er die frühere Ausgabe sprachlich hat überarbeiten lassen, aber in einer moderaten Form und mit dem Bemühen, in den Aussagen etc. nichts zu verfälschen. Der Käufer erhält das Werk heute also in einer von Dr. Ralf Binnewirtz sprachlich überarbeiteten Fassung. Ich habe keine Gelegenheit, die frühere und die heutige Version zu vergleichen. So muss ich mein Urteil auf die Rezensionsausgabe beschränken. Und hier kann ich sagen, dass die Sprache immer noch "alt" wirkt und damit unverfälscht, das Buch aber gut lesbar ist. Ohne einen Hinweis auf die erfolgten Korrekturen hätte ich diese nicht bemerkt, an der Authentizität also hätte ich keinerlei Zweifel bekommen. Aus meiner Warte kann ich also sagen, dass die sprachliche Überarbeitung gut gelungen ist.

Lasker hat mit "Gesunder Menschenverstand im Schach" kein im üblichen Sinne Schachbuch geschrieben, sondern eine Sammlung von 12 Vorlesungen geschaffen, die wie Kapitel nacheinander abgebildet sind. Entsprechend ist das Werk zu lesen, nämlich wie das verschriftlichte gesprochene Wort. Die Gestaltung der Texte spiegelt diesen Ansatz wider. Nur zu gern hätte ich manche Inhalte in einem richtigen Vortrag gehört, möglichst leidenschaftlich vorgetragen.
Ich möchte Ihnen mittels einer kurzen Passage, die ich als Zitat dem Werk entnehme, einen Eindruck geben. Sie entstammt der Einleitung zu Laskers Darstellungen zum Endspiel, hier nun exakt zur Rolle des Bauern:
"Ein Freibauer zu sein: das ist des Bauers Traum. Nun eilen die feindlichen Offiziere herbei, vermutlich sogar der feindliche König, nur um ihn aufzuhalten; die eigenen Offiziere, der eigene König stürzen heran, um sein kostbares Leben zu verteidigen und ihn Schritt für Schritt vorwärtszubringen. Jeder Schritt nach vorn ist eine gewonnene Schlacht. Endlich steht er auf der siebenten Reihe, den Feind in Verzweiflung stürzend, die hohe Hoffnung der eigenen Partei: noch ein Schritt, und er ist Offizier, vielleicht sogar die mächtige Dame. Wahrscheinlich fällt er, aber sein Leben, vorher so billig, wird nun sehr teuer verkauft, so teuer, dass der Feind sich ergeben muss."

Meisterlich vorgetragen muss diese Szene begeisternd wirken. In meiner Vorstellung verschwimmt das Schachbrett zu einer Theaterbühne. In einer dramatischen Szene werden die Figuren zu Gestalten und ihre eigentlich nur virtuellen Fähigkeiten werden real in Bewegung und Wirkung.

Nun aber zu den Auffassungen und Ideen, die Lasker über "Gesunder Menschenverstand im Schach" der Schachöffentlichkeit vermitteln wollte - noch einmal möchte ich mit einem Zitat arbeiten, diesmal aus dem Rückentext. Darin ist zu finden:
"Wie Lasker es selbst formulierte, sollte es (Anmerkung UB: das vorliegende Buch) als Versuch gesehen werden, alle Phasen einer Schachpartie mit Hilfe allgemeiner Prinzipien zu behandeln."
Ich habe - allerdings erfolglos - mehrfach angesetzt, Laskers Ausführungen zu klassifizieren, also den Mehrwert im Schach darzustellen, den der Leser neben der immensen Unterhaltung einstreicht. Mit meinen Versuchen war ich jeweils besonders deshalb unzufrieden, weil sie die Rolle des gesunden Menschenverstandes in den Entscheidungen auf dem Brett nicht genügend herausarbeiteten. Daneben krankten meine Formulierungen daran, dass die Lehren aus Laskers Stoff in meinem Text wie Allgemeinplätze wirkten, sie deren eigentlichen Wert nicht auszudrücken vermochten, vor allem in Verbindung mit den konkreten Belangen des Positionsstils, mit den Motiven und Methoden aus Strategie und Taktik und abgestuft auch den Prinzipien aus der Eröffnungskunde.
"Krankten" ist das Stichwort - ich muss mich in ein anderes Gebiet flüchten, um ein verständliches Bild zeichnen zu können, ich wähle das Reich der Medizin.

Also … Lasker ist in "Gesunder Menschenverstand im Schach" der Doktor, der zur Vorbeugung und Behandlung seinem Kreis von Zuhörern das Handeln nach dem gesunden Menschenverstand vermittelt. Mit meinen Worten etwa so: "Zur Gesunderhaltung sollten Sie nach dem gesunden Menschenverstand auf Ihre Ernährung achten und auch für eine ausreichende Bewegung sorgen. Gehen Sie bei Kälte nicht in leichter Sommerbekleidung nach draußen. Sollten Sie trotz aller Vorsicht Halsschmerzen verspüren, ist es vernünftig, sich darum zu kümmern. Was genau angebracht ist, hängt von der Situation ab, insbesondere von der Intensität der Schmerzen und der Frage, ob Sie Fieber haben. Welches Medikament Sie anwenden sollten, das ist hier noch nicht zu klären, aber dass der Einsatz eines Medikamentes angebracht sein wird, kann ich schon sagen. Es entspricht dem gesunden Menschenverstand, wenn Sie sich in dieser Situation schonen und sich in allen Punkten so verhalten, dass Ihre Genesung unterstützt wird, und die richtigen Medikamente einzusetzen."

Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesem Vergleich eine griffige Vorstellung davon vermitteln kann, was das Werk "Gesunder Menschenverstand im Schach" anbietet und Sie nicht in dessen Folge an meinem eigenen gesunden Menschenverstand zweifeln!

Fazit: "Gesunder Menschenverstand im Schach" ist in der überarbeiteten Ausgabe 2015 ein Klassiker, der frisch aufpoliert in neuem Glanz erscheint.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Schachversand Ullrich / Joachim Beyer Verlag (www.schachversand-ullrich.de) zur Verfügung gestellt.

Rossolimo and Friends

Alexei Kornev
Rossolimo and Friends
347 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-619-7188-03-5
25,95 Euro




Rossolimo and Friends
"Rossolimo and Friends" mit dem Untertitel "A Complete Repertoire vs. the Sicilian" ist ein neues Werk von GM Alexei Kornev, jüngst erschienen im bulgarischen Verlag Chess Stars. Es verfolgt den Anspruch, den Spieler mit Weiß mit einem Repertoire gegen die Sizilianische Verteidigung des Gegners auszustatten, das auf den sonst üblichen Zug 3.d4 verzichtet. "Rossolimo and Friends" heißt, dass der Anziehende nach Möglichkeit auf 3.Lb5 setzt, sowohl nach 2…Sc6 als auch nach 2…d6. In der Schachwelt wird nicht selten alles, was über 1.e4 c5 2.Sf3 und dann 3.Lb5 läuft, als Rossolimo-Angriff abgehandelt, doch richtig bezeichnet wird damit nur der Bereich nach 2…Sc6 3.Lb5. Die Spielweise 2…d6 3.Lb5 wird unter dem Begriff "Moskauer Variante" geführt, fällt im Titel also unter "…and Friends". Zu den "Freunden" gehören auch die Antworten auf schwarze Abweichungen im 2. Zug, von denen 2…e6 die wichtigste sein dürfte.

Dementsprechend ist das Werk in drei große Teile gegliedert, auf die sich dann insgesamt 24 Kapitel verteilen. Teil 1 befasst sich mit dem Rossolimo-Angriff, Teil 2 mit der Moskauer Variante und Teil 3 mit allen beachtenswerten schwarzen Alternativen zu 2…Sc6 und 2…d6.
Indem Kornev die schwarzen Alternativen im 2. Zug angemessen berücksichtigt, sichert er das Repertoire aus weißer Sicht ab. So stimmt der Ansatz, dass der Weißspieler ein Komplettrepertoire erhält. Mit ihm kann er Berge von Eröffnungstheorie zur Sizilianischen Verteidigung ausblenden, was einen ganz eigenständigen Reiz der hier untersuchten Systeme ausmacht.

"Rossolimo and Friends" ist klassisch als Eröffnungsbuch aufgemacht. Es arbeitet mit einem Baum aus Varianten und Abspielen, nicht mittels miteinander verbundenen Partien. Solche gibt es im Werk zu keinem Zweck, also auch nicht zur Illustration.

Das Konzept des Werkes basiert nicht darauf, möglichst viele Varianten abzubilden. Von recht wenigen Passagen abgesehen gibt Kornev diese sogar eher zurückhaltend an. Mir gefällt diese Herangehensweise ausgesprochen gut, denn sie zielt darauf ab, dem Leser Verständnis zu verschaffen, nicht massenweise Material für sein Erinnerungsvermögen. Er erklärt sehr viel, zeigt die Pläne auf, macht auf Besonderheiten aufmerksam usw. Er beginnt mit der einfachen Feststellung, dass es zu den Hauptideen des Rossolimo-Angriffs und der Moskauer Variante zählt, den Abtausch des weißen d-Bauern gegen den neben dem Zentrum stehenden c-Bauern zu vermeiden und zu einer schnellen Figurenentwicklung mit einer baldigen kurzen Rochade zu kommen. Mit dieser Richtschnur geht er dann innerhalb der einzelnen Kapitel ins Detail.
Schon als Leser zur Vorbereitung dieser Rezension hatte ich das Gefühl, als würde ich Schritt für Schritt beigebracht bekommen, wie ich möglichst gut mit dem jeweiligen System umgehen kann. Wer ein Eröffnungsbuch bevorzugt, in dem (auch) alle relevanten konkreten Zugfolgen zu finden sind, läuft Gefahr, von "Rossolimo and Friends" eher enttäuscht zu werden. Wer aber die Spielführung im Rossolimo-Angriff etc. erlernen im Sinne von tiefgehend verstehen möchte, profitiert sehr von Kornevs Vorgehen. Ich denke, dass "Rossolimo and Friends" in Verbindung mit einer gut sortierten Partiendatenbank seine volle PS-Stärke auf die Straße bringt, was nicht zuletzt auch für den Fernschachspieler ein interessanter Hinweis sein dürfte. Das Motto "Knowhow zur Spielführung aus dem Buch, die konkreten Varianten aus der Partiendatenbank" passt hier vorbildlich.

Soweit Kornev Material aus der Praxis einfließen lässt, stammt es häufig aus Fernpartien. Diese erwähnt er in seiner Einführung sogar besonders und hebt hervor, dass er sie im Unterschied zu vielen anderen Autoren gerne beachtet. Ich habe auch eine ganze Reihe deutscher Spieler namentlich unter den Akteuren erkannt.

Die einzelnen Kapitel sind gleichartig aufgebaut. Zunächst erfährt der Leser eher Allgemeines zum Abspiel, nicht selten auch etwas zu seiner Geschichte, zu Protagonisten sowie Spitzenspielern unter seinen heutigen Anwendern. Dem schließt sich die eigentliche Darstellung der Theorie an, das Ende setzt dann jeweils eine wertende Zusammenfassung. Diese kann dann auch schon mal ziemlich ausführlich ausfallen. Für den Leser, der sich ganz neu mit einer Variante vertraut machen möchte, kann es eine gute Idee sein, zunächst einen Blick gerade in diese Zusammenfassung zu werfen.

Das Variantenverzeichnis am Ende des Buches ist sehr ausführlich und dadurch eine große Hilfe bei der Navigation über die Inhalte hinweg.
Die Buchsprache ist Englisch, die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers sind niedrig.

Das Einzige, was mir nicht gut gefällt, ist der in meinen Augen zu dünne Karton für den Einband, den ich eben gerne etwas stabiler hätte, aber dies ist keine Besonderheit für ein Buch aus dem Chess Stars-Verlag. So richtig leicht fällt es mir nicht, von Hardcover zu sprechen, denn Softcover würde eher passen. Man muss etwas vorsichtiger sein, wenn das Werk nicht schnell Gebrauchsspuren aufweisen soll.

Fazit: "Rossolimo and Friends" ist ein sehr gelungenes Repertoirebuch unter dem Aspekt, den Leser die besprochenen Systeme mit Sinn und Verstand erlernen zu lassen. Das Repertoire ist rund, ohne dass mittels vieler Varianten jeder gegnerische "Absprung" zur Seite aufgefangen wird. Gegen einen solchen Fall hilft eine qualifizierte Partiendatenbank des Lesers.
Die Zusammenstellung des Materials ist aus der Warte von Weiß erfolgt, aber auch der Schwarzspieler findet die für ihn besten Züge im Buch, soweit diese nicht über Weichenstellungen des Anziehenden ausgeblendet sind. Ich empfehle das Werk demjenigen, der mit Weiß "Rossolimo and Friends" fundiert gegen die Sizilianische Verteidigung einsetzen möchte.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

1...b6 move by move

Cyrus Lakdawala
1...b6 move by move
416 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-78194-223-9
24,95 Euro




1...b6 move by move
Mit "1…b6 move by move" hat der amerikanische IM und erfahrene Trainer Cyrus Lakdawala sein inzwischen schon 17. Buch aus der "move by move"-Reihe von Everyman geschrieben. Er ist damit der mit Abstand erfahrenste Autor auf diesem Gebiet.

Der Antwortzug "1…b6" ist sehr vielseitig und kann auf so gut wie jede weiße Spieleröffnung erwidert werden. Dementsprechend breit hat Lakdawala die thematische Streuung im Werk angelegt. Mit 416 Seiten - und dies für eine Eröffnung am Rand des Spektrums - zeigt auch der Umfang des Buches an, dass sich das Material recht weit aufgliedern wird.

Ich bin der Auffassung, dass sich eine Eröffnung wie diese besonders gut für eine Behandlung im Rahmen der "move by move"-Reihe eignet. Mit einem einzigen Werk kann sich der Leser mit den Systemen vertraut machen. Für den "Normalspieler" bis in den Bereich des Klubniveaus dürfte es ein nicht allzu ratsames Unterfangen sein, auf der Basis von 1…b6 Theorie im engen Wortsinn zu büffeln. Viel angebrachter wird es sein, die Prinzipien zu verstehen, die Art und Weise, wie die resultierenden Stellungsmuster gespielt werden können. Weiterhin braucht der Spieler die Pläne, an denen er seine Spielführung ausrichten kann. Wenn er dann noch ein Grundrepertoire an die Hand bekommt, ist der Boden für den Einsatz in seinen eigenen Partien bereitet.

"1…b6 move by move" erfüllt die voranstehenden Voraussetzungen. Auf der Basis von 52 Partien, von denen übrigens keine aus dem Fernschach stammen, führt Lakdawala seinen Leser Schritt für Schritt in die Systeme ein. Er erklärt sehr viel, passagenweise sind für jedes Zugpaar Erläuterungen zu finden. Dabei setzt er gezielt auch die Besonderheit dieser Buchreihe ein, die integrierten Fragen und Aufgabenstellungen. Diesen muss sich der Leser widmen und wird dabei veranlasst, system- bzw. situationsgerecht zu reagieren. Zugleich kann er dabei überprüfen, ob sein Verständnis schon ausreicht, die Brettsituation zu meistern und oft auch das Spiel mit einem angemessenen Plan fortzusetzen. Wie seine Vorbände simuliert "1…b6 move by move" ein zwischen dem Schachlehrer und seinem Schüler stattfindendes Gespräch.
Lakdawala schreibt unterhaltsam, wobei er Stilmittel einsetzt, die man schon von ihm kennt, sofern man frühere Werke gelesen hat. So möchte ich seinen Stil als humorvoll bezeichnen, zudem nimmt er für Zitate Anleihen aus der Welt der Literatur und aus Songtexten.
Für meinen Geschmack hatte er in früheren Büchern die Lehrer-Schüler-Situation auch schon das eine oder andere Mal etwas gekünstelt, indem er dem Schüler über die schon genannten Fragen Ausrufe etc. in den Mund gelegt hat. Dies ist mir hier kaum aufgefallen, ein "Hm" soll da schon mal drin sein.

Jede Partie schließt mit einer kurzen werten Zusammenfassung. Der Leser wird hierdurch noch einmal besonders darauf hingewiesen, was er aus ihr mitnehmen soll.

Demjenigen, der mit dem Studium des Werkes beginnen möchte, rate ich nach dem Lesen der Einführung einen Blick in das Variantenverzeichnis am Ende des Buches zu werfen. So kann er gezielt entscheiden, mit welchem Kapitel er anfangen möchte. Wenn ein Spieler 1…b6 gegen den gegnerischen Eröffnungszug mit dem Königsbauern spielen möchte, gegen 1.d4 aber nicht, so ist dies natürlich möglich. Das Variantenverzeichnis kann bei der Fokussierung auf persönlich relevantes Material im Werk helfen. Die Einführung aber sollte sich jeder Leser unabhängig von einer späteren Konzentration auf bestimmte Inhalte zuerst ansehen.

Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis:
Introduction
1. Owen's Defence: Lines involving Sc3
2. Owen's Defence: Sd2 Lines
3. Blatny's 'Ruy Lopez'
4. Hippopotamus Lines
5. The English Defence
6. English Defence: Non-Critical Lines
7. Odds and Ends.

Die Buchsprache ist Englisch. Man merkt dem Werk an, dass dies die Buchsprache des Autors ist. Der Leser sollte schon recht sattelfest in seinen Fremdsprachkenntnissen sein, wenn er das Werk ohne besondere Mühe gut verstehen möchte.

Fazit: "1…b6 move by move" ist ein empfehlenswertes Buch, geschrieben aus der Sicht von Schwarz, um die mit 1…b6 eingeleiteten Eröffnungssysteme gut zu erlernen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

The Modern Tiger

Tiger Hillarp Persson
The Modern Tiger
536 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-907982-83-5
24,99 Euro




The Modern Tiger
Merkmale sowohl eines Repertoirebuches als auch einer Monografie zeigt die 2015er Neuerscheinung "The Modern Tiger" des schwedischen Großmeisters Tiger Hillarp Persson. Auf den Markt gebracht worden ist dieses Werk vom englischen Verlagshaus Quality Chess. Es behandelt die Moderne Verteidigung, die in ihrer Standardform über die einleitenden Züge 1.e4 g6 2.d4 Lg7 entsteht. Nach Möglichkeit strebt Schwarz eine Stellung an, für deren Entstehen sich zwei weitere Zugpaare anschließen müssen, nämlich 3.Sc3 d6 4.Le3 a6. Damit es soweit kommt, muss Weiß bereit sein, mit ins Boot zu steigen, also nicht abweichen. Dies ist natürlich nicht sicher, deshalb deckt Persson auch die Alternativen in der Hand des Anziehenden ab.

Interessanterweise hat "The Modern Tiger" einen Vorgänger mit dem Titel "Tiger's Modern" aus dem Jahre 2005, ebenfalls aus der Feder von Persson. Er erklärt, dass dieses Werk von der Entwicklung der Theorie überholt war und er es nicht einfach mit dem Ziel einer Neuauflage überarbeiten wollte. Mit "The Modern Tiger" hat er ein neues Buch geschrieben, wobei er seinen Klassiker nur als eine Ressource genutzt hat. Die Neuerscheinung ist umfangreicher und trägt den Änderungen theoretischer Bewertungen und den Erkenntnissen aus der Turnierpraxis Rechnung. Persson fokussiert die Betrachtung aktuell auf den Zug 4…a6, der in seiner Bedeutung damals gegenüber heute zurückstand. Zu seiner persönlichen Interpretation der Modernen Verteidigung gehört dieser einzüge Schritt des a-Bauern, sofern die Linie der Partie dies zulässt.

"The Modern Tiger" bedient sich insgesamt 102 Partien, um das Material und damit auch die Besprechung zu ordnen. Diese sind bunt zusammengestellt. Sie stammen sowohl aus dem Spitzenschach (auch Magnus Carlsen hat dabei am Brett gesessen, wenn auch mit Weiß) wie auch aus dem "einfachen" Turniergeschehen, sind zum Teil hochaktuell und dann wieder schon etwas betagt, wurden am Brett Auge in Auge mit dem Gegner oder im Fernschach gespielt. Persson hat sich offensichtlich allein an der Qualität einer Partie und daran orientiert, ob sie für seine Ziele geeignet ist, ohne Präferenzen für die größten Namen im Weltschach. Zum Zweck der Darstellung der Theorie hat Persson alle Partien vergleichbar intensiv unter die Analyselupe genommen.

Eigentlich bin ich persönlich eher ein Freund des klassischen Aufbaus eines Eröffnungsbuches, der durch einen klaren Eröffnungsbaum mit Haupt- und Nebenvarianten gekennzeichnet ist. Persson geht stattdessen den Weg der Darstellung in der Abfolge von Partien, verschafft einem Leser wie mir aber dennoch die erhoffte "klassische Übersicht", quasi als separates Ordnungselement. Das sehr ausführliche Variantenverzeichnis am Ende des Buches erfüllt die Funktion des Variantenbaumes, der dann auf der ersten Seite jedes einzelnen Kapitels aufgegriffen und verfeinert wird, dann beschränkt auf die in diesem Kapitel behandelten Themen. So kann der Leser ganz gezielt den umgekehrten Weg von der "abstrakten Variante" in die konkrete Partie nehmen und behält so jederzeit den Überblick, wo in der Theorie er sich gerade befindet.
Der Unterschied zum klassisch aufgebauten Eröffnungsbuch macht sich also darin bemerkbar, dass sich im Text keine Gliederung finden lässt, zum Beispiel dezimaler oder alphanumerischer Form. Stattdessen folgt Partie auf Partie und die Gliederung mit den dazugehörigen Zügen und Varianten wird in der Variantenübersicht am Ende zusammen mit der Einführungsseite der Kapitel ausgewiesen.
Wer schon einmal ein Eröffnungsbuch von Quality Chess in der Hand gehalten hat, wird in dieser Beschreibung Ähnlichkeiten zu jenem Werk erkennen, denn die Arbeit mit einem umfassenden Variantenverzeichnis am Ende eines Buches und einem "kleinen Variantenverzeichnis" zu Beginn eines Kapitels ist typisch für Erzeugnisse dieses Verlagshauses. Dieses Vorgehen eignet sich sowohl für den klassischen Aufbau mit einem Variantenbaum wie für die Darstellung über eine Abfolge von Partien, wenn es so ausgeführt wird wie in "The Modern Tiger".

Das Inhaltsverzeichnis als solches dürfte für die meisten Interessenten zu wenig Aussagekraft hinsichtlich der behandelten Systeme haben, da die darin verwendeten Namen und Bezeichnungen der verschiedenen Eröffnungslinien nicht durchgehend Standard sind. Ich ergänze diese deshalb um die Initialzugfolgen, reduziert auf die Basis der jeweiligen Variante. Dieses Vorgehen führt zu folgender Kapitelübersicht:

1. 4.f4 - Austrian Style (1.e4 g6 2.d4 Lg7 3.Sc3 d6 4.f4 a6)
2. 4.f4 Sf6 - The Back-up Plan (1.e4 g6 2.d4 Lg7 3.Sc3 d6 4.f4 Sf6)
3. Flexible Dragon Unleashed (1.e4 g6 2.d4 Lg7 3.Sc3 d6 4.Le3 a6)
4. Flexible Dragon Restrained (1.e4 g6 2.d4 Lg7 3.Sf3 d6 4.Le3 / 3.Sc3 d6 4.Le3 a6 5.Ld3 / 5.a4 / 5.Sf3)
5. The Hippopotamus (1.e4 g6 2.d4 Lg7 3.Sf3 d6 4.Lc4 e6 / 3.Sc3 d6 4.Lg5 / 4.Le3 / 4.Sf3)
6. Classical Variation (1.e4 g6 2.d4 Lg7 3.Sf3 d6 4.h3 / 4.Le2 / 3.Sc3 d6 4.Sf3 a6 5.Ld3 / 5.Le2)
7. 4.Lg5 - Into Midair (1.e4 g6 2.d4 Lg7 3.Sc3 d6 4.Lg5 a6)
8. 4.Lc4 - Mad Dog (1.e4 g6 2.d4 Lg7 3.Sc3 d6 4.Lc4 Sf6 5.Sf3 / 5.De2 / 3.Sf3 d6 4.Lc4 Sf6 5.De2 0-0)
9. Fianchetto (In Excelsis) (1.e4 g6 2.d4 Lg7 3.Sc3 d6 4.Sge2 Sd7 / g3)
10. Lazy Variation with c2-c3 (1.e4 g6 2.d4 Lg7 3.c3 d6 4.Lg5 Sf6 5.Sd2 0-0 6.Sgf3 / 3.Sf6 d6 4.c3 / 4.Ld3)
11. Unusual Lines (1.e4 g6 2.Sc3 Lg7 / 2.d4 Lg7) 12. Averbakh Variation (1.e4 g6 2.d4 Lg7 3.c4 d6).

Persson arbeitet mit einer Mischung aus Texterläuterungen und Varianten, wobei keines der beiden Elemente dominiert. So erhält der Leser regelmäßig die Einschätzungen zu Zügen und Stellungsbewertungen in einer ausführlichen Form, Gründe für ein bestimmtes Vorgehen etc., ohne dass er auf die Angaben von konkreten Zugfolgen, durchaus auch schon mal bis in eine fortgeschrittene Phase der Partie, verzichtet. Aus manchen Büchern bekannte "Variantenschlangen" aber findet der Leser im Buch nicht.

Eine Anleitung Schritt für Schritt, wie die einzelnen Abspiele von Grund auf anzulegen sind, ist "The Modern Tiger" eher nicht. Persson breitet den Stand der Theorie aus und entwickelt diesen über Neuerungen gelegentlich auch fort, ohne aber beständig die rote Linie der Spielführung im jeweiligen System anzusprechen. Eingangs eines Kapitels zeigt er die zentralen Spielweisen auf, gibt damit auch Hinweise auf alternative Pläne. Orientiert an den Anforderungen an das strategische Verständnis seines Lesers, der Art der Besprechung bis hin zu den Analysen ist das Werk an den Spieler adressiert, der mindestens eine gute Klubstärke erreicht hat. Für mich ist dies stimmig, weil es mit dem Eröffnungsthema zusammenpasst, das eben auch nicht gerade für den Einsatz durch einen Anfänger prädestiniert ist. Entsprechend ist der Verzicht auf jedweden nennenswerten Versuch, den Leser quasi an die Hand zu nehmen, um dieses System zu erlernen, folgerichtig.

Zu erwähnen bleibt noch, dass Persson auch selbst als Spieler die Moderne Verteidigung einsetzt. So stammen auch etliche im Buch abgebildete Partien aus seiner eigenen Praxis. Damit dürfte das Werk zusätzlich davon profitieren, dass sein Autor seine langjährige Erfahrung als Spieler mitsamt seinem dabei betriebenen Vorbereitungsaufwand eingebracht hat.

Die Buchsprache ist Englisch. Um möglichst reibungslos mit "The Modern Tiger" arbeiten zu können, sollte der Leser Fremdsprachkenntnisse mindestens auf einem ordentlichen Schulniveau haben.

Fazit: "The Modern Tiger" ist ein Spezialwerk zur Modernen Verteidigung, das etwas von einer Monografie und etwas von einem Repertoirebuch hat. Es eignet sich für den fortgeschrittenen Spieler mit ausreichenden Englischkenntnissen, der sich intensiv in die Theorie des Systems einarbeiten will und natürlich auch für den Fernschachspieler. Es zeigt den aktuellen Stand der Theorie auf, deren Entwicklung der Autor Tiger Hillarp Persson intensiv verfolgt hat, weil er schon im Jahr 2005 ein Buch zu dieser Eröffnung geschrieben hat und er das System auch selbst in seinen Partien einsetzt.
Ich kann "The Modern Tiger" - durchaus sogar als Standardwerk für die ModerneVerteidigung - empfehlen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

The Soviet Chess Primer

Ilya Maizelis
The Soviet Chess Primer
400 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-907982-99-6
19,99 Euro




The Soviet Chess Primer
Einführungen in das Schachspiel gibt es zuhauf. Bücher, die sich an den bis dahin völlig Unkundigen in Sachen Schach richten, und an denjenigen, der gerade mal weiß, wie sich die Figuren bewegen, gibt es in allen viel gesprochenen Sprachen. Wenn es dann doch eine in Englisch geschriebene Neuerscheinung gibt, die eine erhöhte Aufmerksamkeit auf sich zieht, dann muss etwas Besonderes vorliegen.
So ist es bei "The Soviet Chess Primer" von Ilya Maizelis, ganz frisch bei Quality Chess erschienen. Neuerscheinung ja, ganz neues Werk aber nein - so lässt sich "The Soviet Chess Primer" grob charakterisieren.

Hinter diesem neuen Angebot auf dem Ladentisch steckt die englische Übersetzung des Buches, das auf Russisch einfach "Schach" heißt. Schon der Titel macht deutlich, dass es sich um wahrlich eine Institution handeln muss. Generationen von Schachspielern in der Sowjetunion haben das Schachspiel mit Unterstützung dieses Buches erlernt, Weltmeister nicht ausgeschlossen. So enthält der Rückentext auch zwei verkürzte Laudationes der beiden Ex-Weltmeister Garry Kasparow und Anatoly Karpov. "Ein bemerkenswertes Buch, mit dem ich Schach zu spielen erlernte" (Kasparow) und "ein wunderbares Buch, das ich selbst studiert habe" (Karpov) sind deren sinngemäße Übersetzungen.

Die russische Erstausgabe, erschienen vor rund 80 Jahren, enthielt ein Vorwort von Emanuel Lasker. Auch dieses findet sich in einer englischen Übersetzung im neuen Werk wieder. Schon die Tatsache, dass gerade Emanuel Lasker ein Vorwort geschrieben hat, ist ein sicheres Indiz für die Bedeutung, die der Erstausgabe in Erwartung beigemessen wurde.

Ich muss zugeben, dass ich von dem Autor Ilya Maizelis zuvor noch keine besondere Notiz genommen hatte. In der Vorbereitung dieser Rezension habe ich mehr über ihn zu erfahren versucht, was mir auch gelungen ist. Danach hat Ilja Lwowitsch Maiselis, wie sein vollständiger Name im deutschen Sprachraum verwendet wird, von 1894 bis 1978 gelebt, mehrere Publikationen geschrieben (auch zusammen mit Jury Awerbach) und auch als Redakteur für bekannte Schachzeitschriften gearbeitet. Er sprach fließend Deutsch und betätigte sich deshalb auch als Übersetzer von Schachbüchern ins Russische.

Zum Aufbau des Werkes muss ich, so denke ich, nicht viel sagen, wenn ich anhand von Auszügen einen Blick in das Inhaltsverzeichnis eröffne. Eine vollständige Abbildung an dieser Stelle ist ausgeschlossen, weil sonst der Rahmen meiner Rezension gesprengt würde. Ich beschränke mich deshalb auf die Einträge der ersten und zweiten Ordnung, sinngemäß ins Deutsche übersetzt. Also …

Teil 1: Die Elemente des Schachspiels
Kapitel 1: Erläuterung der Spielregeln
Kapitel 2: Das Ziel des Spiels
Kapitel 3: Taktik und Strategie
Kapitel 4: Techniken und Berechnung
Kapitel 5: Kombination
Kapitel 6: Positionsspiel Kapitel 7: Wie man eine Partie beginnt

Teil 2: Die Schachpartie (seine drei Phasen)
Kapitel 8: Das Endspiel
Kapitel 9: Das Mittelspiel
Kapitel 10: Die Grundregeln der Eröffnungstheorie

Appendix: Schachkompositionen.

Sehr positiv aufgefallen sind mir Spaßaufgaben und -fragen, die genau das machen, was ihre Bezeichnung erwarten lässt - Spaß. Zum mir bekannten Standardrepertoire von Schach-Lehrbüchern zählen generell auch an den Leser gerichtete Aufgaben, die diesem durch das Lösen beim Verstehen helfen und ihm das Entwickeln eigener Fertigkeiten ermöglichen sollen. Spaßaufgaben im Sinne dieses Buches sind mir aber bisher nirgendwo aufgefallen. Und nun muss ich erneut etwas zugeben - ich habe schon bei den ganz einfachen Aufgaben nicht alles lösen können. Oft muss man, um hinter ein Problem zu kommen, über den Tellerrand hinaus denken. Mehrmals kam bei mir erst dann der Aha-Effekt, als ich mir die Lösung genehmigte; deren Zusammenstellung ist regelmäßig unmittelbar im Anschluss an die Aufgaben und Fragen zu finden. Sicher nicht ganz unbeabsichtigt führen gerade auch diese auf Spaß angelegten Inhalte zu einem Zuwachs an Verständnis.
Ein Beispiel gefällig? Hier ist eines von ganz vorne: Die weiße Stellung besteht aus einem Turm auf a1 einem weiteren Turm auf b2, sein König steht auf c1. Der schwarze König ist auf h1 postiert, ansonsten ist er materiell blank. Weiß ist am Zuge. Er setzt matt in einem halben Zug. Wie soll das gehen? Ich bin nicht darauf gekommen. Um Sie nicht verzweifeln zu lassen, wenn es Ihnen so wie mir gehen sollte, nenne ich Ihnen die Lösung, aber unten, gleich nach dem Fazit. Versuchen Sie sich doch erst mal eigenständig an der Lösung!

Der Autor gibt die Empfehlung, gut portioniert mit dem Buch zu arbeiten. So sollte sich der Lernende nur in kleinen Schritten durch die Inhalte arbeiten, mehr als 1 bis 2 Stunden am Tag sollten es nicht sein. Wichtiger ist es, den Stoff jeweils gut zu verstehen, als möglichst viel auf einmal zu lernen.
Der Tipp, ein "richtiges" Brett mit Figuren zur Hand zu nehmen, stammt zwar aus der Prä-Computerzeit, hat aber seine Berechtigung heute mehr denn je.

Natürlich führt die Übersetzung eines Buches immer auch zu sprachlichen Unschärfen beim Vergleich von Original und Übersetzung. Nur so aber werden die Inhalte dieses besonders im russischen Sprachraum berühmten und historischen Buches für diejenigen wie mich, die die Originalsprache nicht verstehen, verfügbar. Quality Chess legt ohnehin keinen Wert darauf, möglichst nahe am Original zu arbeiten, dem Verlag geht es allein um den Inhalt. So ist alles in "The Soviet Chess Primer" wie immer in den Büchern aus diesem Haus, vom Schriftbild über die Diagramme bis hin zur Verarbeitung. Der Käufer erhält somit ein Buch in der Hand, das er von anderen Neuerscheinungen nicht wird unterscheiden können, wenn er über die Inhalte nicht mit der Nase auf die historischen Wurzeln gestoßen wird.
Die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers sind moderat, den verwendeten Wortschatz möchte ich aber als bisweilen durchaus weit bezeichnen.

Fazit: "The Soviet Chess Primer" ist ein Einführungsbuch zum Schachspiel, das am Anfang der Karriere unzähliger Schachspieler der ehemaligen Sowjetunion stand, bis in die Riege der Weltmeister hinein. Es ist geeignet, den Leser - auch ohne jedwede Vorkenntnisse - zu einem Schachspieler zu machen, der keine Angst haben muss, einen Schachklub aufzusuchen und eine Partie zu wagen. Es vermittelt Verständnis und ein breites Rüstzeug, das fundamental ist und seine Bedeutung nie verliert.
Die Arbeit mit dem Werk ist unterhaltsam, was auch an eingearbeiteten Spaßaufgaben und -fragen liegt.

(Nun bin ich noch die Auflösung für das Beispiel einer Aufgabe schuldig, die ich oben im Text aus dem besprochenen Werk übernommen habe. Der Clou der Lösung liegt darin, dass Weiß die Rochade, also den Doppelzug von König und Turm, in der Stellungssituation gerade zur Hälfte absolviert hat. Der König ist bereits von e1 nach c1 gezogen worden, nun muss der Turm von a1 auf d1 und damit über den König hinweg den Rochadezug komplettieren.)

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

Tennison-Gambit (Abonyi-Gambit) / Budapester Gambit

Uwe Bekemann
Tennison-Gambit (Abonyi-Gambit) / Budapester Gambit
120 Seiten, gebunden mit Lesebändchen
ISBN: 978-3-940417-80-0
19,80 Euro




Tennison-Gambit (Abonyi-Gambit) / Budapester Gambit (eine Gastrezension von CM Manfred Herbold)
Der Leser dieser Rezension ist bestimmt schon durch den Titel des Buches neugierig geworden. "Tennison-Gambit oder gar Abonyi-Gambit … noch nie davon gehört! Was verbirgt sich denn hinter dieser Eröffnung? Budapester Gambit, ja, das kenne ich, aber was haben denn die beiden Eröffnungen in einem Buch zu suchen?" Auf der anderen Seite könnte die Reaktion bei einem Gambit-Spezialisten auch völlig anders ausfallen. "Hurra, endlich ein deutsches Buch zum Tennison-Gambit plus einer aktuellen Variante aus dem Budapester Gambit! (Meine beiden Geheimwaffen.)"

Das Buch beinhaltet ca. 90 Seiten zum Tennison-Gambit, das mit der Zugfolge 1.Sf3 d5 2.e4, bzw. 1.e4 d5 2.Sf3 beginnt und ca. 10 Seiten zu der modernen Variante 1.d4 Sf6 2.c4 e5 3.dxe5 Sg4 4.Lf4 g5!? des Budapester Gambits.

Der Autor schließt mit dieser Veröffentlichung auf alle Fälle eine Lücke der Schachliteratur im deutschsprachigen Raum. Bislang sind m.W. nur Artikel im RANDSPRINGER oder in der GAMBIT-REVUE (vielleicht auch in der ein oder anderen Schachzeitung) erschienen; zudem ein französisches Büchlein mit gerade mal 24 Seiten aus 2014 von Alain Benlolo und dem Buch "The Budapest Defence And The Tennison-Gambit" von W. John Lutes aus 2002.

Diese Publikationen sind allerdings nicht in das Werk von Uwe Bekemann in irgendeiner Weise eingeflossen. Ist das gut oder schlecht? Da das Tennison-Gambit vor allem bei Amateuren Beliebtheit gefunden hat, stecken in vielen gespielten Partien zum Teil grobe Fehler, sodass man darauf kein hochwertiges Eröffnungsbuch aufbauen kann, aber genau das war die Intention des Autors; eine objektive Darstellung der weißen und schwarzen Chancen. Deshalb geht er seinen eigenen Weg und benutzt fast ausschließlich Fernschachpartien ab dem Jahr 1991; viele davon ganz aktuell aus dem Jahr 2014. Zudem sind alle Partien von ihm mit den neusten Versionen von Schachprogrammen analysiert. Zum Teil sind Schlüsselstellungen sogar mit der Bewertung mehrerer Engines und der benutzten Rechenzeit angegeben.

Insofern ist die Theorie hier wasserdicht und nicht wie man es von anderen (vor allem älteren) Eröffnungsbüchern kennt, dass manchmal Züge empfohlen werden, die mittlerweile als Fehler entlarvt wurden.

Die Theorie des Tennison-Gambit ist an Hand von 26 Musterpartien in folgende Kapitel eingeteilt:
Kapitel 1: 3...Lf5 4.Sc3 Sf6 5.d3 Lg4 und anderes
Kapitel 2: Schwarzer Aufbau mit 3...Sf6
Kapitel 3: Rückgabe des Gambitbauern mit 3...e5
Kapitel 4: Weißer Bauernvorstoß 4.g2-g4
Kapitel 5: Entwicklung der Dame mit 5.De2
Kapitel 6: Verfolgung des Grundmotivs mit 5.Lc4
Kapitel 7: Der Versuch 5.f3
Kapitel 8: Seltene Abspiele

Die Variante des Budapester Gambits wird in 2 Kapiteln und 6 Musterpartien besprochen. 5 der 6 Turnierpartien stammen aus dem Jahr 2014 und stellen somit den aller-aktuellsten Stand der Theorie dar. Nach 1.d4 Sf6 2.c4 e5 3.dxe5 Sg4 4.Lf4 g5!? 5.Lg3 Lg7
Kapitel 1: 6.Sf3
Kapitel 2: 6.h4.

Alle Partien sind mit viel Text versehen, aber auch mit Analysen und Partiefragmenten, sodass der Leser nicht mit den "nackten" Zügen alleingelassen wird, sondern gediegen, aber auch umfassend in den Varianten begleitet wird.

Warum die Variante des Budapester Gambits in das Buch integriert wurde, wird erst bei einem 2. Blick klarer. Das Tennison-Gambit ist der Versuch eines Budapester Gambits im Anzug. Allerdings wird Schwarz diesen Gefallen wohl in den seltensten Fällen erfüllen. Dazu müsste ein baldiges c7-c5 gespielt werden; für den Zug spricht aber nicht viel. Trotzdem ähneln sich die beiden Eröffnungen strukturell; vor allem beim 4. Kapitel mit 4.g4.

"Wie scharf sind denn diese beiden Gambits? Eignen sie sich meinen Gegner gleich in der Eröffnung umzunieten?"
Vor allem die in Kapitel 8 behandelten Erwiderungen 3...Dd5 oder 3...f5 eignen sich hervorragend für einen schnellen, spektakulären Sieg. Oder wie es Lukas Podolski ausdrücken würde: "Rein das Ding - und ab nach Hause!" Leider werden diese Varianten im Buch nur etwas stiefmütterlich abgehandelt. Da wäre m.E. mehr herauszuholen gewesen, was vor allem die Turnierspieler bestimmt interessiert hätte. Anders ausgedrückt, bedeutet das, dass hier noch Platz für eigene Analysen besteht.
Aber auch in den anderen Varianten ist Gift enthalten. Zudem stärkt die Theoriekenntnis den Weißen; schließlich werden die wenigsten Schwarzspieler auf das Tennison-Gambit vorbereitet sein. Außerdem entstehen ungewohnte Stellungsbilder, in denen der Schwarzspieler vom 2. Zug an selbst gefordert ist.
Im Fernschach ist die Remisrate groß und die Schwarzsiege überwiegen den weißen Erfolg. Bekemann selbst gibt im Buch an, "dass die Eröffnung den Ruf hat, nicht ganz vollwertig zu sein und dieses Buch nicht grundlegend etwas daran ändern wird." Diese Aussage muss man natürlich im Licht des Fernschachspielers und den heutigen Engines betrachten, die kleinste Vorteile erspähen. Insofern würde ich es für FS-Spieler (außer bei enginefreien Turnieren) nur bedingt empfehlen.

In der 4...g5-Variante des Budapester-Gambits kommt es sofort zu unorthodoxen und wilden Stellungen in denen alles möglich ist. Eine Partie von Rauf Mamedov (FIDE-ELO: 2651) als Schwarzspieler zeigt, dass diese Variante auch auf hohem GM-Niveau gespielt wird.

Im Buch bezeichnet der Autor das Tennison-Gambit als Tennison-Gambit / Abonyi-Gambit und möchte damit auch den ungarischen Schachspieler und Schachfunktionär István Abonyi namentlich mit ins Boot holen, der neben dem "Erfinder" der Eröffnung, Otto Tennison, ebenfalls zur Verbreitung der Eröffnung beitrug. Dies ist soweit ehrenvoll. Nur missglückt ihm dabei m.E. die passende Abkürzung. Es wird im Buch als TeAbG abgekürzt und so wiederholt verwendet. Eine Abkürzung wie TAG (Tennison-Abonyi-Gambit) hielte ich für einprägsamer. Man denke da auch an andere Abkürzungen, wie WRG für Winckelmann-Reimer-Gambit oder BDG für Blackmar-Diemer-Gambit.

Diese Kleinigkeit schmälert natürlich nicht die vorbildliche Arbeit des Autors, der mit diesem Buch einen weiteren Beitrag zur Eröffnungstheorie liefert. Die durchweg hochwertige Analyse durch neuste Engines ist lobenswert. Die Publikation stammt aus dem Joachim Beyer Verlag und ist als Hardcover mit Fadenheftung Anfang 2015 erschienen. Es ist sehr übersichtlich geordnet, besitzt eine Einleitung u.a. mit Schlüsselformationen, ein Inhalts-, Varianten- und Partienverzeichnis.

(CM Manfred Herbold)

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Schachversand Ullrich / Joachim Beyer Verlag (www.schachversand-ullrich.de) zur Verfügung gestellt.

A Cunning Chess Opening for Black

Sergey Kasparov
A Cunning Chess Opening for Black
334 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-593-3
24,95 Euro




A Cunning Chess Opening for Black
"A Cunning Chess Opening for Black", sinngemäß in etwa zu übersetzen mit "Eine trickreiche, pfiffige Schacheröffnung für Schwarz", von Sergey Kasparov, aktuelle Neuerscheinung bei New In Chess (NIC), ist für mich das typische Beispiel eines Buches über eine zumindest in Teilen etwas schrille Eröffnung, die von der Spielerschaft sehr ambivalent eingeschätzt werden dürfte, je nach eigener Veranlagung und eigenem Kontext. Sie wird über die Zugfolge 1. e4 d6 2.d4 Sf6 3. Sc3 und nun 3…e5 eingeleitet. Den treffendsten Satz zur entstandenen Situation habe ich gleich beim ersten Griff zum Buch im Rückentext gelesen. In sinngemäßer Übersetzung: "Weiß ist zu einer richtungweisenden Entscheidung gezwungen: Soll er im Stil der ruhigen Philidor-Verteidigung weitermachen oder zwei Tempi dabei gewinnen, den Nachziehenden in ein Endspiel zu zwingen, das besser für Weiß aussieht, wenn nicht sogar nahe am Gewinn liegt." Hierzu passt dann auch der Untertitel des Werkes, der sich quasi an Schwarz richtet. "Lure Your Opponent into the Philidor Swamp" (in etwa "Locken Sie Ihren Gegner in den Philidor-Sumpf").

Was erreicht Schwarz mit 3…e5?
1. Er nimmt auf erhebliche Weise Einfluss auf die Entwicklung der Eröffnung, was in einer Linie schon an ein Diktat des Geschehens heranreichen kann.
2. Er wird seinen Gegner überraschen, denn er bietet ihm die Fortsetzung 4.dxe5 dxe5 5.Dxd8 Kxd8 an, die "konventionell betrachtet" schlecht aussieht für Schwarz.
3. Er kann darauf hoffen, die weitere Eröffnungsphase mit einem Wissensvorsprung spielen zu können. Die Wahrscheinlichkeit dürfte hoch sein, dass der Weißspieler seine frühere Beschäftigung mit der Eröffnung in einer frühen Partiephase abgeschlossen hat, verbunden mit dem Urteil "Weiß hat (einen großen) Vorteil".
4. Seine Chancen auf ein Remis steigen gegenüber Spielweisen, in denen sein Gegner die Dame als Angriffsfigur auf dem Brett behält bzw. einen aggressiveren Spielaufbau wählen kann.
5. Sehr offensiv ausgerichtete Weißspieler und solche mit Vorlieben für komplizierte Stellungen können die Gefilde des Buchrepertoires als langweilig empfinden und somit vielleicht unter ihrer Normalform spielen.

Aber es ist auch darauf zu schauen, welche Zu- oder Eingeständnisse Schwarz mit seiner Wahl macht.
1. Er spielt von Vornherein im besten Fall auf Ausgleich, Phantasie auf einen Eröffnungsvorteil kann er kaum entwickeln.
2. Seine Aussichten auf Gegenspiel sind eher grau eingefärbt. Er wird sich auf eine lange Defensive einstellen müssen.
3. Er muss sich genau verteidigen, weil Nachlässigkeiten in seiner sehr defensiven Lage schnell in echte Nachteile übergehen können.

Ein kleines Zwischenfazit auf diese Gegenüberstellung: "A Cunning Chess Opening for Black" befasst sich mit einem Eröffnungsbereich, dessen Konsequenzen dem Nachziehenden sehr klar sein sollten. Er muss also wissen, ob er selbst über die Mauer kommen wird, wenn er durch seine Wahl 3…e5 seinen Rucksack hinüber wirft.

Eine Auswertung meiner Partiendatenbank, konzentriert auf das Präsenzschach und jüngere Veranstaltungsjahre, zeigt durchaus respektable Erfolgsaussichten für Schwarz an, die sich vor den meisten anderen Systemen ein Stückchen jenseits des Mainstreams nicht verstecken müssen. Die Remisquote ist recht hoch, wie dies auch zu vermuten war.
Die Zahl der Partien, die im Spitzenschach gespielt worden sind, hat mich überrascht. Die Themaeröffnung ist durchaus ein wiederkehrender Gast auf der Turnierbühne.

Zurück zum Buch selbst - das Inhaltsverzeichnis hat das folgende Aussehen (Auszug, konzentriert auf die Kerninhalte):

Introduction

Part I
The Treacherous Ending: 4.dxe5 dxe5 5.Qxd8+ Kxd8
Chapter 1
The Principled 6.Bg5

Chapter 2
Pressure on f7: 6.Bc4
Section 1: 6...Be6
Section 2: 6...Ke8

Part II Flexible Development: 4.Nge2
Part III
The Rare 4.f3

Part IV
Transposing to the Philidor: 4.Nf3
Chapter 1
The Surrender of the Centre (...exd4) on Different Moves
Section 1: 4...e5xd4
Section 2: 5...e5xd4
Section 3: The Manoeuvre ...Nd7-b6
Section 4: 8...e5xd4
Chapter 2
Rare lines on White's 5th move
Chapter 3
Attack on the f7-Pawn
Section 1: The Sacrifice 6.Bxf7+
Section 2: Black Plays ...a7-a5
Section 3: The Flexible Structure (a6, b6, c6)
Section 4: Black Doesn't Play ...c7-c6

Exercises
Solutions on Exercises
Conclusion.

Kasparov hat einen Buchaufbau gewählt, der sich 156 Partien ganz überwiegend aus dem aktuellen Turniergeschehen als Rückgrat bedient. Seine Darstellung der zu beachtenden theoretischen Linien und seine Erläuterungen, wie die Systeme zu spielen sind, orientieren sich somit an der Praxis. Seine Anmerkungen erreichen den Leser in der Gestalt der Partiekommentierung, die also dem Schulungszweck entsprechend gestaltet worden ist.

Diese Art des Aufbaus setzt meines Erachtens ein qualifiziertes Variantenverzeichnis voraus, an das sich der Leser beim Ansteuern gesuchter Linien halten kann. Diese Anforderung ist in "A Cunning Chess Opening for Black" sehr gut erfüllt, das Verzeichnis ist sehr ausführlich gehalten, um Diagramme zu den Schlüsselstellungen ergänzt und am Ende des Werkes zu finden.

Kasparov hat im Anschluss an seine Darstellungen der Theorie einen Bereich mit Aufgaben eingearbeitet, anhand derer der Leser überprüfen kann, ob er die Eröffnung zu spielen erlernt hat, sie also in der eigenen Partie zu spielen versteht. Die Lösungen für diese Aufgaben folgen auf den nächsten Seiten.

Ich habe oben schon angemerkt, dass die behandelten Eröffnungslinien von den Spielern je nach Typus sehr ambivalent beurteilt werden dürften. So ist es schwer, eine Einschätzung vorzunehmen, welcher Adressatenkreis von "A Cunning Chess Opening for Black" angesprochen werden kann. Besonders aber möchte ich mich in dieser Beziehung auf das Nahschach konzentrieren.
Ob die Themaeröffnung im heutigen Fernschach Schwarz genügend einbringen kann, hängt nach meiner Einschätzung nicht zuletzt von der Art des Turniers ab. In Fernturnieren unter Engineverbot wie auch natürlich in Thematurnieren könnte ich mir den Einsatz vorstellen.

Die Buchsprache in Englisch. Überwiegend sind die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers niedrig.

Fazit: "A Cunning Chess Opening for Black" ist ein Spezialwerk, das einen sowohl breiten als auch tiefen theoretischen Unterbau für die nach der außergewöhnlichen Zugfolge 1. e4 d6 2.d4 Sf6 3. Sc3 e5 entstehende Ausgangssituation anbietet. Es orientiert sich an der Warte von Schwarz, ist aber auch ein Werk für den Nachziehenden.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.

1.e4 vs The Sicilian I

Parimarjan Negi
1.e4 vs The Sicilian I
359 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-906552-39-8
24,99 Euro




1.e4 vs The Sicilian I
Mit "1.e4 vs The Sicilian I" führt Quality Chess den Aufschlag aus, in der Serie "Grandmaster Repertoire" ein "rundes" Komplettrepertoire für Weiß gegen die Sizilianische Verteidigung des Nachziehenden anzubieten. Autor ist Parimarjan Negi, Großmeister aus Indien, der sich als Spieler stark auf dem "aufsteigenden Ast" befindet und gerade erst sein 22. Lebensjahr vollendet hat.

Dieser Band stellt sich gegen die Najdorf,Variante, also gegen den schwarzen Aufbau mit 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6. Unter Ausblendung insbesondere auch des Englischen Angriffs, der über 6.Le3 eingeleitet wird, läuft das Repertoire Negis über 6.Lg5.

Thema des Eröffnungswerkes ist also ein Theorieareal, das zu den besonders weit erprobten und ausanalysierten zählt. Zweifellos wäre es möglich, ein Buch mit Tausenden von Seiten hierüber zu schreiben. Negi hat den Stoff auf rund 350 Seiten komprimiert, was eine anspruchsvolle Aufgabe gewesen sein muss. Die Auswahl, was Aufnahme im Werk finden soll und was nicht, dürfte einer von mehreren Schwerpunkten bei der Bewältigung der Autorenaufgaben gewesen sein. Ein Repertoirebuch, das einen praktischen Nutzen auch für den Amateur haben soll, ist im Bereich der Najdorf-Variante ohne eine rigorose Konzentration auf spezifische Abspiele des Weißen nicht vorstellbar. Nur hier hat der Autor eines solchen Werkes einen echten Gestaltungsspielraum, da er für den Gegner alle gut spielbaren bzw. gängigen Varianten angeben muss, wenn es denn keine echten Lücken im Repertoire geben soll.

Schon früh im Buch macht der Autor darauf aufmerksam, dass er versucht hat, vor allem auch solche Wege zu finden, die aussichtsreich sind, ohne dass es schon Hunderte Partien dazu in den Datenbanken gibt. Auch hat er über zahlreiche Neuerungen Verbesserungen zu erzielen versucht, wobei eine Verbesserung auch darin liegen kann, dass sich die Möglichkeit eines Ausblendens existierender Eröffnungstheorie ergibt.

Negi stützt sich auch sehr auf Partien, die im Fernschach gespielt worden sind. Hier versucht er den Nutzen des Lesers auch daraus zu ziehen, dass der Fernschachspieler seine Züge mit viel Bedenkzeit im Rücken und rechnergestützt finden kann. Hier ist es für ihn also die Linie, dass im Fernschach der Gegenwart und im hohen Leistungsbereich gespielte Züge, die sich in der Partie bewährt haben, die Erwartung rechtfertigen, objektiv qualifiziert zu sein. Bemerkenswert ist aber, dass Negi bei seiner Arbeit den Anspruch nicht aus den Augen verliert, ein Repertoire (auch) für das Nahschachspiel zu schaffen. Hierzu habe ich im Werk auf Seite 159 eine schöne Aussage gefunden, die sinngemäß ins Deutsche übersetzt in etwa den folgenden Inhalt hat: "Es ist nicht ungefährlich, ein Repertoire für den Nahschacheinsatz über Fernschachpartien zu bilden. Schwierige Stellungen in diesen Partien sind nicht selten und gerade auch im Fernschach unter Rechnereinsatz zu einem gewünschten Ergebnis führbar, nicht aber ebenso im Nahschach. Unter dessen Turnierbedingungen, also eng begrenzter Bedenkzeit und ohne Hilfsmittel, kann die Spielführung zu schwierig sein, das objektiv in der Stellung schlummernde Ergebnis also real nicht greifbar werden.
Negi hat auch diesen Aspekt in seinen Repertoireempfehlungen berücksichtigt.

Wieder zurück zur Ausgangslage, dass also ein Repertoire für ein weit ausgeforschtes Gebiet angeboten werden soll: Sie lässt erwarten, dass sich unter diesen Bedingungen ein besonderer Einfluss auf den Stil des Autors zeigen wird, und so ist es auch. Mehr als viele andere Werke aus der "Grandmaster Repertoire"-Serie sind in "1.e4 vs The Sicilian I" Varianten zu finden, oft als Partiefragmente. Diese können auch schon mal in manchen Bereichen die Grenze von 30 Zügen in der Partie überschreiten. Nur geht dies hier nicht auf eine Detaillierungswut des Autors zurück, sondern darauf, dass es eben viel beachtenswertes Material gibt. Er nimmt es auf, da ein Weglassen zu einem Defizit führen würde. Dennoch erklärt Negi viel, versucht also den Leser das Repertoire verstehen zu lassen, er speist ihn nicht etwa mit Ketten von Zügen ab. Auch zu diesem Punkt macht er eine interessante Anmerkung, die man über die Seiten hinweg auch oft wiederkehrend bestätigt findet. Danach gibt es Stellungen/Züge, die erfolgreich spielbar sind, was die Praxis zeigt, insbesondere auch jene im Fernschach. Längst nicht immer aber lässt sich dies an einzelnen Kriterien exakt begründet festmachen. In solchen Fällen kann ein Autor nur ein Beispiel geben und nicht mit Begründungen arbeiten, die der Leser als Methode erlernen kann.

So lässt sich feststellen, dass "1.e4 vs The Sicilian I" ein Repertoirebuch ist, das teilweise sehr detailorientiert über Varianten arbeitet, dennoch Wert auf Anleitungen und Erläuterungen legt, und dies nicht nur auf etwa ein Mindestmaß begrenzt.

Als Zwischenfazit möchte ich aus diesen Beschreibungen Schlüsse auf den Leserkreis ziehen, für den "1.e4 vs The Sicilian I" besonders geeignet sein dürfte. Dieser besteht nach meiner Einschätzung aus fortgeschrittenen Spielern, wobei ich eine Linie des erfahrenen Klubspielers nicht unterschreiten möchte, sowie jeden Fernschachspieler. Dieser kann unabhängig von der Einordnung seiner eigenen Spielstärke das Buch seine Partie begleitend qualifiziert nutzen.

"1.e4 vs The Sicilian I" ist in der für die Bücher aus der "Grandmaster Repertoire"-Serie typischen Weise aufgebaut. Eine Hauptvariante bildet das jeweilige Rückgrat des behandelten Stoffes. Sie organisiert dabei auch die Anbindung von Nebenvarianten, die das Spiel von ihr ausgehend abweichen lassen. Die Nummerierung ist alphanummerisch, sie kann schon mal ein halbes Dutzend Ziffern umfassen.
Eingeführt wird jedes Kapitel über die Darstellung der Initialzugfolge und ein Schlüsseldiagramm. Weiterhin erhält der Leser hier eine auf das aktuelle Kapitel bezogene Variantenübersicht, die sich sehr gut mit dem Gesamtverzeichnis auf den letzten Seiten des Buches ergänzt. Beides zusammen erlaubt dem Leser ein bequemes Navigieren über alle Inhalte hinweg.
Zusätzlich auf jeder ersten Kapitelseite erhält der Leser als Appetitmacher Diagramme mit der zusätzlichen Notation eines Zuges, der als nächstes auf dem Brett ausgeführt wird und eine Neuerung ist. Die exakte Beschreibung erfolgt dann an der bereiten Stelle des Kapitels.

Üblicherweise haben Autor und Verlag auf die Abbildung vollständiger Partien, beispielsweise zur Illustration, verzichtet.

Wie der folgende Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis zeigt, erhält der Leser Material nicht nur in einer tiefen, sondern auch in einer breiten Aufstellung.

1. Introduction and Rare 6th Moves
2. 7...g6
3. 7...h6
4. 8...g6
6...e6 7.f4

5. Introduction and Sidelines
6. 7...Dc7
7. The Polugaevsky Variation

The Gelfand Variation
8. Introduction
9. The Main Line

Classical Main Line
10. The Gothenburg Variation
11. Three-Piece System with ...h6
12. Three-Piece System - Main Line

Poisoned Pawn
13. Introduction and 12...Sd5!?
14. 12...Sfd7
15. 20...Td8

12...g5
16. 13.Lf2!?
17. 13.exf6 - Introduction and 16.Kh1
18. 16.Tbd1.

Negi hat versucht, spezifische Empfehlungen zu harmonisieren, um für den Leser eine Verringerung des Aufwandes zu erreichen und ihm ähnliche Strukturen auf dem Brett zu verschaffen. Da er das Werk aus der Sicht des Anziehenden geschrieben hat, beeinflusst diese Harmonisierung dessen Alternativen. So es sachlich gerechtfertigt war, hat er also in verwandten Stellungen möglichst auf dieselbe Empfehlung zurückgegriffen, beispielsweise auf De2 nach 6…Sbd7 und 6…e6 7.f4 Sbd7.

Die Buchsprache ist Englisch, Fremdsprachkenntnisse auf einem guten Schulniveau sollten beim Leser zugunsten eines unproblematischen Umgangs mit dem Werk vorhanden sein.

Vor dem Fazit noch ein kleiner Passus zum Schmunzeln: Negi erzählt, dass Nigel Short ihm einst ein Eröffnungsbuch geschenkt habe, garniert mit dem Sprüchlein, dass er damit Negis Eröffnungsbibliothek wohl verdoppele.
Von sich selbst schreibt er in diesem Zusammenhang, dass er sich früher nicht habe vorstellen können, dass Eröffnungsbücher wertvoll sein könnten. In einer Zeit der schnellen Veränderungen und sich wandelnder Einschätzungen müsse das Medium geschriebenes Buch zu schwerfällig sein. Er habe seine Meinung ändern müssen, heute erkenne er den Wert eines Buches an.

Fazit: "1.e4 vs The Sicilian I" ist ein gelungenes Repertoirebuch für Weiß, um mit 6.Lg5 sein Spiel gegen die Najdorf-Variante des Schwarzen zu organisieren. Sein Autor hat die Aufgabe, die Fülle des Materials zu komprimieren und doch das Wesentliche zu belassen, aus meiner Sicht gut bewältigt.
Das Buch bedient den gehobenen Anspruch, es ist für den fortgeschrittenen Spieler wie auch für den Fernschachspieler geeignet.
Da es sich um den Eingangsband einer Serie handelt, wird es zu gegebener Zeit im Verbund mit den weiteren Erscheinungen ein Gesamtsystem bilden, es ist aber auch als Einzelwerk uneingeschränkt von Nutzen.
Der Leser sollte über ordentliche englische Sprachkenntnisse verfügen.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

the Killer Sicilian

Tony Rotella
the Killer Sicilian
464 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-85744-665-4
23,95 Euro




the Killer Sicilian
Eine Möglichkeit zu einem Versuch, das Eröffnungsgeschehen und damit auch die Phase bis deutlich ins Mittelspiel hinein zu diktieren, ist für Schwarz nach 1.e4 das Ansteuern der sogenannten Kalaschnikow-Variante in der Sizilianischen Verteidigung. "The Killer Sicilian" von Tony Rotella, Neuerscheinung aus den letzten Tagen des Jahres 2014 bei Everyman Chess, bietet Schwarz ein Repertoire auf der Basis dieses Systems an, das der Autor zugleich für den Fall abgesichert hat, dass Weiß das Spiel in andere Regionen führt.

Die Kalaschnikow-Variante wird durch die Züge 1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 e5 eingeleitet, also durch den typischen Vorstoß des e-Bauern, aber anders als in der Sweschnikow-Variante vor einer Springerentwicklung nach f6. Der Name für das System lehnt sich an die Kalaschnikow an, ein Gewehr für den militärischen Einsatz, und soll einem Scherz entspringen, in Anspielung auf den "schnellen schwarzen Schuss" ins Zentrum. Eine Anleihe bei einem Kriegsgerät zur Bezeichnung einer Spielweise im Schach halte ich für unpassend, aber diese Bezeichnung hat sich nun mal auch im deutschen Sprachraum durchgesetzt. Weniger gebräuchlich sind die Namen "Neo-Sweschnikow", "Beschleunigte Sweschnikow-Variante" oder ähnliche Konstruktionen unter Verwendung der Namen "Lasker" und "Pelikan".
Als unnötig reißerisch empfinde ich auch den Buchtitel "The Killer Sicilian", also in etwa "Mörder Sizilianische Verteidigung". Meinem abschließenden Urteil vorgreifend kann ich jetzt schon feststellen, dass dieses Werk eine sehr gelungene Neuerscheinung ist, die einen solchen martialischen Titel überhaupt nicht nötig hätte.

Wie oben schon erwähnt, hat Rotella das Repertoire für den Schwarzspieler abgesichert. Es liegt in der Hand von Weiß, ob der Nachziehende die Gelegenheit erhält, sein System anzubringen. Er kann abweichen, auch in gängige Systeme wie den Alapin-Sizilianer, geschlossene Strukturen mit einem frühen Sb1-c3, den Rossolimo-Angriff oder auch den Grand Prix-Angriff. Der Autor hat für diese Hauptsysteme eigenständige Kapitel eingebaut, sodass der Leser ein Repertoire auch für sie erhält. Diese Buchinhalte sind von einer gleichen Qualität wie Rotellas Ausführungen zum Kernthema des Werkes, nicht also so etwas wie unzureichende Alibi-Besprechungen. Nicht mit dieser Tiefe geht er auf die Konsequenzen ein, wenn Weiß ein Nebensystem wie das Sizilianische Flügelgambit oder das Morra-Gambit ansteuert, was für mich aber nachvollziehbar ist. Hier sollte sich der Leser, der sich insgesamt gut aufstellen will, die Anschaffung von Begleitliteratur überlegen.

Das Inhaltsverzeichnis hat also, soweit es um die Ausführungen zur Theorie geht, das folgende Gesicht - im Original:

The Kalashnikov
1. 6.N1c3 - The Critical 8.Nc4
2. 6.N1c3 - White's Other 8th Moves
3. 6.c4 - The Main Line 7.N1c3
4. 6.c4 - The Natural 7.Be2
5. 6.c4 - The Clever 7.b3
6. 6.c4 - 7.Bd3 and Friends
7. White's Lesser 6th Moves
8. Other Knight Hops

The Anti-Sicilians
9. The Anti-Kalashnikov - 3.Nc3
10. The Rossolimo - 3.Bb5
11. The Alapin - 2.c3
12. The Closed - 2 Nc3
13. The Grand Prix Attack and Siblings
14. White's Odd 2nd Moves.

Rotella ist ein Fernschachspieler aus den USA (aktuelle Elo: 2124). Diese Herkunft mag es erklären, dass er sich sehr umfassend auch des Partienmaterials aus der Fernschachpraxis bedient. Zudem macht er darauf aufmerksam, dass er zur Prüfung der Varianten vier der wichtigsten aktuellen Engines eingesetzt hat, Houdini, Stockfish, Critter und Komodo. Auch dies ist eher für einen Autor aus der Gilde der Fernschachspieler typisch als für einen Meister des Brettschachs, der sich zumeist auf eine bestimmte Engine konzentriert, heutzutage regelmäßig Houdini.

"The Killer Sicilian" ist ein klassisch aufgebautes Theoriewerk, es arbeitet also mit einem Variantenbaum. Dieser wird sowohl aus Fragmenten gespielter Turnierpartien wie auch Analysen gebildet. Komplette Partien enthält das Buch nicht, auch nicht zur Illustration. Mir sagt der Verzicht auf Beispielpartien zu, denn diese kann auch die gut sortierte eigene Partiendatenbank bieten. Der Raum in einem Buch wie diesem ist begrenzt und so wie hier viel besser genutzt, wenn zur Absicherung des Repertoires auch Systeme behandelt werden, in die der Gegner das Spiel einseitig lenken kann.

Die Einführung des Lesers in das System möchte ich als mustergültig bezeichnen. Rotella behandelt zunächst die grundlegenden Stellungsstrukturen, die sich auf dem Brett ergeben können, orientiert an den Bauernformationen. Daraus entwickelt er die generell abzuleitenden Anforderungen an die Stellungsbehandlung, die Pläne etc. Dem schließen sich die Kapitel mit der spezifischen Besprechung der Kalaschnikow-Variante an, bevor den weißen Abweichungen die Folgekapitel gewidmet werden.

Der Stil Rotellas ist dadurch gekennzeichnet, dass er sehr viel textlich erklärt und beschreibt. Da das Werk in englischer Sprache und damit der Muttersprache des Autors geschrieben ist, sind dem Leser dadurch einige Anforderungen gestellt. Mit einem ordentlichen Schulenglisch sollte er aber dennoch gut mit "The Killer Sicilian" zurechtkommen.
Besonders auch für den Fernschachspieler ist es wichtig, dass die Varianten neben den Hauptlinien nicht zu kurz kommen. Dies sehe ich in diesem Buch als gesichert an, denn neben allen Erläuterungen hat Rotella auch nicht bei der Darstellung der Nebenwege gegeizt.
Für mich ist der Inhalt ein gelungener Mix aus Erläuterungen und Varianten.

Hervorzuheben ist eine Zusammenstellung der wichtigsten Lehren, die der Leser aus einem Kapitel mitnehmen soll, jeweils an dessen Ende aufgeführt. Hier bringt Rotella die Kernaussagen noch einmal auf den Punkt. Für den Leser ist dies das Material, das er sich auf jeden Fall zur Behandlung des Abspiels einprägen sollte.

Dass der Leser mit "The Killer Sicilian" auch das Ergebnis einer Fleißarbeit in die Hände bekommt, veranschaulicht auch die umfangreiche Bibliografie.
Auf den letzten Buchseiten ist ein Variantenverzeichnis zu finden, das eine gute Navigation im Buch unterstützt. Die Schlüsselzüge sind hier über Diagramme visualisiert.

Das Vorwort hat Alexander Shabalov beigesteuert. Als ich sein Resümee gelesen hatte, war meine Erwartungshaltung ziemlich nach oben gegangen. Sinngemäß ins Deutsche übersetzt beschreibt er "The Killer Sicilian" als eine gigantische Arbeit mit einem enzyklopädischen Charakter und einem hohen praktischen Nutzen. Ich denke, dass er mit diesem Werturteil nicht übertreibt.

Fazit: "The Killer Sicilian" bietet dem Spieler mit Schwarz ein spezifisches Repertoire mit der Kalaschnikow-Variante als Rückgrat. Die wichtigsten weißen Abweichungen greift er mit eigenständigen ausführlichen Repertoireantworten auf.
Das Werk ist auch für den Weißspieler sehr gut zu nutzen, zumal seine Abweichungsmöglichkeiten den Autor zur Aufnahme zusätzlicher Varianten veranlasst haben. Während Schwarz Antworten auf alle wichtigen Zugentscheidungen seines Gegners erhalten soll, gilt dies für Weiß allerdings so nicht, was der Perspektive des Autors entspringt.
Der Leser sollte über recht gute Englischkenntnisse verfügen, um möglichst flüssig mit dem Buch arbeiten zu können.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

Chess Structures

Mauricio Flores Rios
Chess Structures
464 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-78483-000-7
24,99 Euro




Chess Structures
Hinter dem Titel "Chess Structures" und dem Untertitel "A Grandmaster Guide" steht ein Lehrbuch zum Strategiespiel im Schach, geschrieben vom chilenischen Großmeister Mauricio Flores Rios. Hierbei handelt es sich um eine Neuerscheinung von Quality Chess aus dem laufenden Jahr 2015.

Die Grundidee für das Werk ist nicht neu, aber neuartig und, wie ich finde, anspruchsvoll umgesetzt. Der Leser soll anhand von Partien und Fragmenten zu ausgewählten Stellungstypen durch das geführte Arbeiten mit Beispielen aus der Praxis eigene Fähigkeiten entwickeln, insbesondere zur Planung seines Spiels. Er soll seine Fähigkeiten ausbauen, bestimmte Schlüsselmuster zu erkennen und diese in seinen Partien entsprechend zu nutzen. Was unter meiner Formulierung "ausgewählte Stellungstypen" in grober Linie zu verstehen ist, ergibt sich aus dem nachfolgenden Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis. Das Buch ist in sieben Abschnitte untergliedert, in die sich insgesamt 24 Kapitel verteilen. Deren Inhalte sind thematisch:

d4 and ...d5
Open Sicilian
Benoni
King's Indian
French
Miscellaneous
Training.

Die Abschnitte 1 bis 5 sind nicht mit "Chapter" bezeichnet, sondern mit "Family", auf Deutsch also mit "Familie". Der Grund hierfür liegt darin, dass Mauricio Flores Rios jeweils gleichartige Strukturen bzw. zumindest sehr ähnliche in einem Kapitel zu erfassen und zu behandeln versucht hat.

Die Theorie-Kapitel sind identisch aufgebaut. Zunächst zeigt der Autor auf, wie die darin behandelte Struktur charakterisiert ist und welche sehr grundlegenden Gedanken sich mit ihr verbinden. Dem schließt sich die Darstellung der Pläne für Weiß und für Schwarz an, was teilweise sehr umfangreich und so sehr ausführlich erfolgt. Diese Inhalte sind in meinen Augen ein Höhepunkt in diesem Werk. Der Leser erhält einen Kompaktkurs zum planvollen Spiel im behandelten System, hier noch in einer Form, die ich als "generalisiert" bezeichnen möchte. Was sich im Einzelfall der Partie und des Stellungstyps als angezeigt erweist, ist Thema der nachfolgenden Praxisbeispiele.
Fast jeder Partie bzw. jedem Fragment steht ein deutlich abgesetztes Textfeld voran, in dem der Leser die Info erhält, was nachfolgend Lerngegenstand sein soll. Dem schließt sich die wirklich sehr instruktive Besprechung an. Hier erscheint der Stoff optisch wie eine herkömmlich kommentierte Partie, es handelt sich aber um die stellungs- und zugbezogenen Anmerkungen im Sinne des Lernstoffes. Rios erklärt und beschreibt sehr ausführlich. Die Qualität seines Vorgehens unter dem Aspekt der schulenden Vermittlung möchte ich als vorbildlich bezeichnen.
Abschließende Anmerkungen heben noch einmal die Knackpunkte im Verlauf des Spiels hervor und bewerten diese entsprechend.

Das Kapitel 23 ist 50 Übungsaufgaben vorbehalten, die über ein Diagramm und eine kurze Übungsanweisung eingeführt werden. Sie greifen auf Kenntnisse zurück, die sich der Leser über alle Abschnitte hinweg verschafft haben soll. Das Folgekapitel 24 enthält gesammelt die Lösungen.

Der Leser, der engagiert und diszipliniert mit diesem Werk arbeitet, wird sein Stellungsspiel ohne Zweifel deutlich verbessern können, soweit er nicht schon eine meisterliche Spielstärke entwickelt hat. Der Meister aber wird es zumindest qualifiziert trainieren.
Für wen ist dieses Buch geeignet? Ich möchte den frühen Anfänger nicht zum adressierten Leserkreis zählen, da er an verschiedenen Stellen vorausgesetzte Vorkenntnisse nicht haben dürfte. Ab dem unteren Klubniveau aber halte ich es für sehr gut geeignet.
Daneben stellt es aus meiner Sicht eine gute Grundlage für Übungsleiter dar, die das Material als "vorgefertigten" Kurs zur Schachstrategie einsetzen können.

Die Buchsprache ist Englisch. Fremdsprachkenntnisse auf gutem Schulniveau sollten beim Leser vorhanden sein, um ohne große Hindernisse mit dem Werk arbeiten zu können.

Fazit: "Chess Structures" ist ein in meinen Augen sehr gutes Lehrbuch zur Schachstrategie, das dem Spieler ab dem unteren Klubniveau die geführte Entwicklung seiner Spielstärke in die Richtung des planvollen Spiels ermöglicht. Vom meisterlichen Spieler kann es als Trainingsbuch und vom Übungsleiter als Kurs zur Schachstrategie eingesetzt werden.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

The Modern Bogo

Dejan Antic, Branimir Maksimovic
The Modern Bogo
476 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-495-0
24,95 Euro




The Modern Bogo
"The Modern Bogo" mit dem Untertitel "A Complete Guide for Black" ist eine Monografie zu Eröffnungsarealen, die über die Eingangszüge 1.d4 e6 2.c4 Lb4+ eingeleitet werden. Diese Zugfolge ist grundsätzlich als Keres-Verteidigung bekannt, verliert aber oft ihre Eigenständigkeit durch Übergang in andere Systeme. Dies ist dann eben zumeist Bogoljubow-Indisch, aber auch Nimzo-Indisch und auch der Katalanische Sektor ist nicht selten das Ergebnis von Zugumstellungen über die genannte Eingangsfolge. Der Titel "The Modern Bogo" steht vor allem für diesen speziellen Weg in die Partie, der manche sonst mögliche Felder der Theorie ausblendet. Die schon genannte Keres-Verteidigung behält generell ihre Eigenständigkeit, wenn Schwarz auf ein (baldiges) Sg8-f6 verzichtet, z.B. nach 3.Ld2 und dann 3…a7-a5. Das Buch bezeichnet dieses Abspiel als Eingorn-System und leitet es regelmäßig dann doch mittels …Sf6 in den Bereich von Bogoljubow-Indisch über.

Die Autoren sind Dejan Antic und Branimir Maksimovic, die schon das Werk "The Modern French" gemeinsam geschrieben haben. Das aktuelle Buch verstehen sie auch als einen Mosaikstein für ein schwarzes Komplettrepertoire gegen die beiden weißen Eröffnungszüge 1.e4 und 1.d4, weil sie über den Zug e7-e6 ihre beiden Bücher verbunden sehen und beispielsweise die schwarze Option eines Überwechselns in die Französische Verteidigung auch hier nach 1.d4 hervorheben.
Erschienen ist "The Modern Bogo" 2014 bei New In Chess (NIC).

Das Buch ist in drei große Abschnitte unterteilt, die insgesamt 16 Kapitel beherbergen. Diese enthalten teilweise mehrere Abspiele. Die drei Abschnitte sind wie folgt betitelt:

Part I: 3. Ld2
Part II: 3. Sd2
Part III: 3.Sc3.

Die einzelnen Kapitel sind gleichartig aufgebaut. Zunächst wird die nachfolgend behandelte Zugfolge vorgestellt, dabei wird die Ausgangsstellung über ein Diagramm visualisiert. Ein paar grundlegende Hinweise machen den Leser in groben Zügen mit dem behandelten System vertraut. Dem schließt sich die tiefgehende Erörterung der Theorie an, die gegen Ende des Kapitels von mehreren dem Leser gestellten Übungsaufgaben abgelöst wird. Eine wertende Zusammenfassung, die auch schon mal etwas länger ausfallen kann, schließt das Kapitel ab.
Die Lösungen für die angesprochenen Übungen findet der Leser gesammelt im Bereich der letzten Seiten des Buches.

Antic und Maksimovic schreiben im Stil ihrer Vorgängerarbeit "The Modern French". Die inhaltliche Organisation zeigt sich klassisch, d.h. die Erörterung erfolgt anhand eines Variantenbaumes und nicht in einer Abfolge von ausgewählten Partien. Diese fehlen ganz, sind also auch nicht als Beispielpartien im Buch zu finden. Die Seitenzahl des Werkes liegt nur knapp unter 500. Schon dies zeigt, dass sich kaum Raum für Partien ergeben hat. Nach meinem Geschmack fehlen sie auch nicht.
Die Erläuterungspraxis der Autoren möchte ich erneut als vorbildlich bezeichnen. Ich kann mich also, orientiert an meiner damaligen Rezension über "The Modern French", wiederholen: "Pläne, die Beschreibung strategischer Eckpunkte, Hinweise zu taktischen Aspekten etc. sind Standard. So bleibt der Leser kaum einmal im Unklaren, warum so und nicht anders gespielt werden sollte, natürlich nach der Einschätzung der Autoren."
Die Detaillierung des Stoffes ist bemerkenswert, was besonders auch den Fernschachspieler interessieren mag. Er kann "The Modern Bogo", optimal ergänzt über seine gut sortierte Partiendatenbank, sehr gut seine eigene Partie begleitend einsetzen.
Beim vollständigen Durchgehen des Werkes sind mir zahlreiche Neuerungen aufgefallen, auch in den Hauptvarianten. Es sind somit genügend eigene Entwicklungen der Autoren in etlichen Varianten abgebildet.

Auch meine Einschätzungen zu den Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers kann ich "recyclen". Also: "Die Buchsprache ist Englisch, die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers sind niedrig."

Auf den letzten Seiten findet der Leser - nach den Lösungen auf seine Übungsaufgaben - ein ordentliches und um Diagramme zu den Positionen nach den Schlüsselzügen ergänztes Variantenverzeichnis, die Bibliografie, ein paar persönliche Infos zu den beiden Autoren sowie einen Spielerindex. Wer namentlich im Werk erwähnt wird, hat auch einen Eintrag an dieser Stelle erhalten.

Fazit: "The Modern Bogo" ist eine empfehlenswerte Neuerscheinung, die aus der Sicht von Schwarz geschrieben, aber auch für den Spieler mit Weiß eine ausgezeichnete Informationsquelle ist. Mir ist keine Stelle aufgefallen, an der wegen der Orientierung an der Sichtweise des Nachziehenden maßgebliche "schwarze Varianten" ausgeblendet werden. Das Buch ist so komplett, dass es die Anforderungen an eine Monografie erfüllt, auch wenn die Autoren Repertoireabsichten damit verfolgen. Diese richten sich vor allem auf ein Zusammenwirken des vorliegenden Buches mit der früheren gemeinsamen Arbeit "The Modern French", denn beide Werke zusammen vermitteln dem Leser eine breite Aufstellung gegen sowohl 1.e4 als auch 1.d4 seitens des Gegners mit den weißen Steinen.
Ich kann somit guten Gewissens eine Kaufempfehlung aussprechen.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

The Chess Tactics Detection Workbook

Dr. Volker Schlepütz, John Emms
The Chess Tactics Detection Workbook
330 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-78194-118-8
19,90 Euro




The Chess Tactics Detection Workbook
"The Chess Tactics Detection Workbook" von Dr. Volker Schlepütz und John Emms folgt einem Ansatz, der mich sogleich fasziniert hat, als ich mich mit dem Werk zur Vorbereitung dieser Rezension zu beschäftigen begann.
Bitte stellen Sie sich mal die folgende Situation vor: Zur Entwicklung und Schulung Ihrer Fähigkeiten, die Möglichkeiten für besondere taktische Aktionen in Ihrer Partie zu entdecken, legen Sie eine Sammlung von Partien an, die von anderen mit kompetentem Auge kommentiert worden sind. Von dieser kleinen Datenbank erstellen Sie eine Dublette, in der Sie dann aber alle Partien entkommentieren. Nun nehmen Sie sich nach und nach jede dieser "nackt" gewordenen Partien vor und suchen darin in zwei Arbeitsgängen, je einen aus der Sicht von Weiß und von Schwarz, Zug für Zug nach taktischen Möglichkeiten. Sie analysieren am herkömmlichen Brett, aber ohne die Figuren zu berühren, also so wie in Ihrer Partie im Kopf. Ihre Lösungen, also die gefundenen taktischen Möglichkeiten und die hierbei ermittelten Varianten, notieren Sie. Wenn Sie eine Partie auf diese Weise fertig bearbeitet haben, vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit der Partie in der Ausgangsdatenbank, in der sie in der ursprünglichen Kommentierung vorliegt.
Eine solche Methode klingt raffiniert und schlüssig, oder? Es wird aber dabei ein paar Dinge geben, die uns die Umsetzung einer solchen Idee erschweren oder uns den Spaß an der Sache verderben können. Eine kleine Auswahl an plausiblen "Erschwernissen", ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- Kommentierte Meisterpartien sind eher selten durch besondere taktische Möglichkeiten entschieden worden, die es unter dem beschriebenen Schulungsansatz zu finden gilt. Man wird oft genug vergeblich suchen.
- Die Kommentierung wird regelmäßig etliches an weiteren Elementen enthalten, von Aussagen zur Eröffnungstheorie über beachtenswerte Referenzpartien bis hin zur Strategie. Das zu erwartende Missverhältnis von Kommentierungsumfang und dessen, was für den Vergleich mit der eigenen Lösung relevant sein kann, wird auf Dauer nur frustrieren können.
- Besondere taktische Möglichkeiten werden regelmäßig über Fehler oder mindestens Ungenauigkeiten im gegnerischen Spiel eröffnet, die sich natürlicherweise im Amateurspiel zeigen. Diese Partien werden aber regelmäßig nicht oder nicht ausreichend qualifiziert kommentiert und zusätzlich veröffentlicht, als dass sie als Vergleichsgegenstand für die Übungsergebnisse dienen können.

Um taktische Möglichkeiten in Partien zu entdecken/wahrzunehmen, ist die beschriebene Trainingsmethode sicher sehr gut, aber sie wird sich allenfalls nur sehr schwer mit Bordmitteln des Spielers verwirklichen lassen. Und genau hier setzt "The Chess Tactics Detection Workbook" an, das dem Titel nach ein Arbeitsbuch sein soll, welches dem Spieler hilft, autodidaktisch die angesprochenen Fähigkeiten zu trainieren.

Das Buch arbeitet mit 120 Partien, die von Spielern des unteren Leistungsspektrums bis in den guten Klubbereich hinein gespielt worden sind. Hierfür haben die Autoren das Werk in drei Teile untergliedert. So werden die Partien in der Staffelung der Wertungszahl der Spieler in die Bereiche "Games of players rated 1100-1300 Elo", "…1301-1500 Elo" und "…1501-1700 Elo" zum Gegenstand der Übung gemacht. Innerhalb dieser Bereiche ist die Struktur des Buches dann jeweils gleich. Zunächst werden jeweils 40 Partien aufgereiht dargestellt, ohne jede Kommentierung und nur bis zu einer mit "(*)" gekennzeichneten Stelle. In der Chronologie des Buches nimmt sich der Spieler diese Fragmente vor, um sie in der beschriebenen Arbeitsweise zu untersuchen. Hat er für ein Beispiel seine Lösung erstellt, sucht er jene des Buches auf, um zu vergleichen. In allen drei Buchteilen folgen die Lösungen jeweils gesammelt unmittelbar den Aufgabenstellungen. Hier findet der Leser dann auch seine Ausgangspartie wieder vor, diesmal aber vollständig und nicht nur fragmentarisch. Sie bleibt unkommentiert; an der Stelle aber, wo eine taktische Möglichkeit vorlag, verortet sich eine eingehende Besprechung. Genau diese vergleicht der Leser mit seiner Lösung.

Es steht für mich außer Zweifel, dass jeder Leser, der ehrgeizig und konzentriert auf diese Weise mit dem Buch arbeitet, seine Spielstärke heben und/oder seine taktischen Fertigkeiten entwickeln und/oder trainieren wird.

Aber welchen Vorteil kann dieses Buchkonzept gegenüber dem Ansatz anderer Werke bieten, in denen das Auge des Lesers über zahlreiche Diagrammstellungen mit Lösungsaufgaben geschult werden soll? Im Grundsatz folgen beide Alternativen der Idee, dem Leser partieähnlich Stellungen vorzusetzen, in denen er sich selbst betätigen muss, um nach dem Prinzip "Aufgabe/Lösung" praxisorientiert zu lernen. Er soll ein Auge für Muster etc. entwickeln. Um diese dann in seiner Partie zu erkennen und für seine Entscheidungen nutzen zu können.
In "The Chess Tactics Detection Workbook" weiß der Leser nicht, was er wo in der Aufgabe finden soll. Dies ist seiner Situation in der praktischen Partie sehr ähnlich. Wenn es regelgerecht zugeht, flüstert ihm dort niemand ins Ohr, dass er mal genau hinschauen soll, weil genau jetzt ein taktischer Kniff möglich wird, vielleicht ein Opfermotiv. Die Bücher mit Aufgaben über Diagrammstellungen, im Englischen regelmäßig mit "Puzzles" im Titel, sind weniger offen in der Aufgabenstellung. Der Spieler weiß bereits, dass er in der Diagrammstellung etwas finden kann, dass sich zu suchen lohnt. Er denkt somit anders als in seiner Partie. Er prüft nicht das Ob des Vorliegens einer Möglichkeit, sondern um welche es sich handelt.

Als Motivationsstütze gibt es Punkte für gelungene Lösungen, die man in eine Tabelle am Ende des jeweiligen Abschnitts eintragen kann. Einen ausreichenden Erfolg vorausgesetzt kann sich der Spieler dann als Taktikfuchs fühlen.
Am Ende des Werkes erhält der Leser noch eine kleine Zusammenstellung taktischer Motive.

Insgesamt enthält "The Chess Tactics Detection Workbook" 120 Aufgaben. Der Leser soll für jede Aufgabe eine Bearbeitungszeit von rund 90 Minuten einkalkulieren. Im "Normalfall" wird das Buch als sicherlich eine längerfristige Trainingsgrundlage sein.

Die Buchsprache ist Englisch, mit Fremdsprachkenntnissen auf Schulniveau dürfte es keine Probleme im Umgang machen.

Noch kurz ein Wort zu den Autoren: Dr. Volker Schlepütz ist ein spielstarker Amateur, er spielt bei den Sportfreunden Katernberg. Er ist Inhaber einer Schulungslizenz und führt ein "mathematisch geprägtes" Berufsleben. John Emms ist GM von der Britischen Insel und ein sehr bekannter Autor und Publizist.

Fazit: "The Chess Tactics Detection Workbook" ist für mich eine klare Kaufempfehlung für den Spieler ab ca. dem unteren Klubniveau.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

The Modern Vienna Game

Roman Ovetchkin, Sergei Soloviov
The Modern Vienna Game
428 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-619-7188-02-8
25,95 Euro




The Modern Vienna Game
In "The Modern Vienna Game", auf Deutsch "Die Moderne Wiener Partie", jüngst erschienen im bulgarischen Verlag Chess Stars, behandeln die Autoren Roman Ovetchkin und Sergei Soloviov ein ganz spezifisches Eröffnungssystem, nicht also die Wiener Partie als solche. Sie streben für Weiß, aus dessen Blickrichtung dieses Repertoirebuch geschrieben ist, einen Aufbau an, der in seiner Grundstruktur folgendermaßen aussieht: Bauern auf e4, d3 und f4, Springer auf c3 und f3 sowie Läufer auf c4. So sieht die weiße Ausgangsstellung aus der Sicht der Autoren idealtypisch aus.

Ich fühlte mich beim Einarbeiten in das Werk ein wenig an den Aufbau "Londoner System" und die Darstellungen dazu in der Literatur erinnert, auch wenn wir uns natürlich thematisch in einem völlig anderen Bereich befinden. Weiß strebt ein System an, das einen durchaus universellen Charakter zeigt und in Abhängigkeit von den Reaktionen des Gegners zu reproduzierbaren und klassifizierbaren Entscheidungen und Methoden führt. Ich halte es deshalb für gerechtfertigt, hier von einem spezifischen Spielsystem zu sprechen, das dem Spieler eine breite Einsatzmöglichkeit erlaubt und ihm die Entwicklung von Spezialwissen ermöglicht.
Um zu meinem Vergleich mit dem Londoner System ein klärendes Bild zu geben: Die "Moderne Wiener Partie" und das "Londoner System" sind unterschiedliche Gipfel im großen Gebirge, so wie der Großglockner in Österreich und das Matterhorn in der Schweiz. Beide liegen in den Alpen, haben sonst aber nichts miteinander zu tun.

Bevor die Autoren in die Erörterung der einzelnen Varianten des Systems einsteigen, setzen sie sich mit der Frage nach der besten Zugreihenfolge des Anziehenden in Richtung des angestrebten Aufbaus auseinander, wobei sie teilweise eine Abkehr vom bisher üblichen Vorgehen vollziehen. Sie stellen die Vermutung an, dass trotz der langjährigen Praxis der Wiener Partie als solche bisher niemand intensiv geprüft hat, ob die gewöhnliche Reihenfolge im Sinne von Weiß verbesserbar ist. Die Bezeichnung ihres Systems als "Neue Wiener Partie" geht auch auf neue Wege in die Eröffnung zurück.

Wer den Bauernvorstoß f2-f4 als Element des weißen Aufbaus sieht, so wie man ihn herkömmlich in der Wiener Partei beispielsweise zum Steinitz-Gambit oder zum Pierce-Gambit kennt, wird mit entsprechender Erfahrung auf die Idee kommen, dass der im Buch vertretene Aufbau auch eine gewisse Nähe zum Königsgambit aufweisen kann. So ist es auch tatsächlich. In Teilen verliert er seine Eigenständigkeit, indem er in bekannte Gewässer des abgelehnten Königsgambits führt. Allerdings erklären die Autoren den dabei von Weiß beschrittenen Weg als besser für ihn, da er Schwarz Möglichkeiten zu einem vorteilhaften Abweichen verstellt. Die hierzu vorgetragenen Überlegungen der Autoren kann ich nachvollziehen.
Es gibt weitere Teile des Systems, die einen Hybridcharakter aufweisen, beispielsweise mit Blick auf das Vierspringerspiel.
So lässt sich also festhalten, dass die "Neue Wiener Partie" nebeneinander eigenständig, ein besonderer Übergang in anderweitig bekannte Regionen und ein Hybrid ist.

Weiter lässt sich erkennen, dass das System geeignet ist, sehr schnell Ungleichgewichte entstehen zu lassen, die unumkehrbar sind. Am Beispiel des 15. Kapitels: Hier kommt es zur Folge 1.e4 e5 2.Sc3 Sf6 3.Lc4 Lc5 4.f4 und dann 4…Lxg1 5.Txg1. Weiß erhält das Läuferpaar gegen den Verlust seines Rechtes zur kurzen Rochade und gewisse Probleme bei der Bewältigung der Aufgabe einer harmonischen weiteren Entwicklung seiner Figuren.
Auf jeden Fall wird dem Leser sehr viel Neuland geboten, was schon an sich ein hoher Wert eines Eröffnungsbuches ist.

"The Modern Vienna Game" enthält zur Theorie vier übergeordnete Teile, auf die sich insgesamt 26 Kapitel aufteilen. Aus Platzgründen müssen die einzelnen Kapitel hier ungenannt bleiben, die genannten vier Teile aber sind wie folgt überschrieben:

Part 1. Black plays Nf6 & Nc6 - VIENNA HYBRID
Part 2. Black plays Nf6 (without Nc6) - STANLEY VARIATION
Part 3. Black plays Nc6 (without Nf6) - MAX LANGE DEFENCE
Part 4. Rare Lines (without Nf6 & Nc6).

Das Werk ist klassisch als Eröffnungsbuch aufgebaut, es organisiert sich somit über einen Variantenbaum. Vollständige Partien enthält es nicht, seine Inhalte sind also "Theorie pur". Allerdings ist die Praxis ganz bedeutend über Fragmente vertreten, die etliche Male auch aus dem Fernschach stammen. Sie haben nicht nur als Neben-, sondern auch als Hauptvarianten Eingang gefunden.

Der Stil der Autoren erweist sich als Mischung aus Erklärungen und Varianten. Die Stärke des Werkes liegt vor allem in der Breite und Tiefe des vorgestellten Materials, in der Berücksichtigung alternativer Zugfolgen, auch wenn die Autoren darauf achten, Erläuterungen, beschreibende Stellungsbeurteilungen und die Angabe von Gründen für Bewertungen nicht zu vernachlässigen. Varianten werden nicht selten auch in eine erhebliche Tiefe geführt. Ich sehe dies in einem Buch wie dem vorliegenden, in dem einem Spezialaufbau auf vielen Seiten Raum gewidmet wird, als Vorteil an, den beispielsweise der Fernschachspieler besonders zu schätzen wissen wird. Wer sich mit langen Zugketten nicht anfreunden mag, verliert hier durch deren Abbildung nichts, er kommt trotzdem gut mit dem Werk zurecht. Er kann die Zahl und Tiefe der Varianten als Nutzen anderer akzeptieren, der ihn nicht ärmer macht, als wenn die Varianten nicht abgebildet würden.

Die Buchsprache ist Englisch, die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers möchte ich als moderat bezeichnen.

Ein Variantenverzeichnis gibt es nicht, seine Funktion wird aber in etwa vom sehr ausführlichen und zugorientiert erstellten Inhaltsverzeichnis übernommen.

Fazit: "The Modern Vienna Game" ist ein interessantes Werk zu einem Spezialaufbau auf dem Feld der Wiener Partie, der in dieser Form als eigenständig angesehen werden kann und den Titelbestandteil "Neu" zu rechtfertigen weiß. Es enthält eine Fülle an Theorie, die dem Leser Spezialwissen verspricht. Um ausreichend verständig mit dem Buch arbeiten zu können, sollte sich dieser spielstärkemäßig mindestens irgendwo auf der Ebene des Klubspielers bewegen.
Besonders hervorzuheben ist, dass die im Werk vorgestellten Wege generell schnell zu Ungleichgewichten führen.
Für mich ist "The Modern Vienna Game" eine gute Kaufempfehlung.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

Auf dem Wege zur Weltmeisterschaft 1923-1927

Alexander Aljechin
Auf dem Wege zur Weltmeisterschaft 1923-1927
238 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-3-940417-78-7
19,80 Euro




Auf dem Wege zur Weltmeisterschaft 1923-1927
"Auf dem Wege zur Weltmeisterschaft 1923-1927" von Alexander Aljechin ist ein weiteres historisches Werk, das der Schachverlag Ullrich als Imprint im Joachim Beyer Verlag durch eine neue Auflage, die nunmehrige Nummer 6 aus den späten Tagen des Jahres 2014, der Schachwelt neu zur Verfügung gestellt hat. Die Erstpublikation des Kerninhaltes des Werkes, 100 von Aljechin kommentierte eigene Partien, erfolgte bereits im Jahre 1932. Für diese Klassiker unterhält der Verlag eine spezielle Buchreihe mit dem Titel "Meilensteine des Schach", was auch das Hintergrundbild des Einbandes, die Oberfläche eines Steines, erklärt.

Die Partien entstammen Aljechins Karrierephase unmittelbar vor dem Sieg über Capablanca im Weltmeisterschaftskampf Buenos Aires 1927 und aus diesem Duell selbst. Aljechin hat nicht nur reine Turnier- und Wettkampfpartien verarbeitet, sondern auch solche aus besonderen Bereichen mit dem Simultanspiel, dem Blindspiel oder gegen Beratende. Die breite Fächerung des Inhalts wird aus der Zusammenstellung der acht Buchkapitel nach dem Inhaltsverzeichnis deutlich. Diese zeigt das folgende Bild:

I. Kapitel: Mein Aufenthalt in den USA (Winter 1923-1924) und Gelegenheitspartien
II. Kapitel: Blindpartien
III. Kapitel: Turniere: Paris, Baden-Baden 1925
IV. Kapitel: Turniere: Hastings, Scarborough, Birmingham 1926
V. Kapitel: Turniere: Semmering, Dresden 1926
VI. Kapitel: Buenos Aires 1926
VII. Kapitel: Partien mit Dr. Euwe und Turnier zu Kecskemét 1927
VIII. Kapitel: Wettkampf gegen Capablanca.

Jedes Kapitel wird zunächst über einen ausführlichen Text eingeführt. Dieser ist jeweils stark autobiographisch geprägt. Leitmotive sind dabei die Darstellung der Gesamtsituation in Aljechins Streben nach einem Titelkampf gegen Capablanca, seine Arbeit an sich selbst und seinen Fähigkeiten, die Bedeutung von Partien und Turnieren für seine Vervollkommnung und seine Karriere sowie Einblicke in sein Gefühlsleben. Auch gibt er hier Einschätzungen über Gegner, Organisatoren etc. ab. Diese Texte waren für mich im Zuge der Vorbereitung dieser Rezension sehr interessant zu lesen. Sie sind ein Fenster in die Vergangenheit in Sachen Schach und zugleich auch in die Art des Formulierens und Schreibens generell. Wer sich gerne über authentische Texte in die Vergangenheit entführen lässt, im Kopfkino quasi zum Zeitzeugen zu werden, wird an diesen Texten seine Freude haben. Sie folgen keinen hohen literarischen Ansprüchen, genau das aber macht sie so unterhaltsam und verständlich.

Die 100 kommentierten Partien belegen, dass Aljechin zurecht als einer der fähigsten Kommentatoren der Schachgeschichte gilt. Hiervon ausnehmen möchte ich wenige Partien aus dem 1927er Weltmeisterschaftskampf gegen Capablanca, soweit Aljechin sie mehr oder weniger unkommentiert gelassen hat. In diesen Einzelfällen hat er die Begegnungen wohl nur zur Vervollständigung aufgenommen. Exemplarisch urteilt er auch, dass einer Partie keine inhaltliche Bedeutung zukommt und zeigt damit die Erfüllung seiner "Chronistenpflicht" an.

Die "Aljechin-typisch" kommentierten Partien erschließen sich dem Betrachter erst durch die Kommentare selbst in ihrer Tiefe und Feinheit. Es dominieren textliche Beschreibungen und Erklärungen, ergänzt um in der Regel kurzschrittige Varianten. Gelegentlich aber kommen auch länger und breiter angelegte Analysen vor.
Wie genau Aljechin gearbeitet hat, zeigt sich in meinen Augen auch indirekt in einem kurzen Buchabschnitt vor dem Partienteil, mit "Nachträgliche Entdeckungen" betitelt. Wenn einer der Größten der Schachgeschichte am Brett sitzt oder hinterher Kommentare und Analysen veröffentlicht, dann darf er sicher sein, dass sich die Schachwelt darauf stürzt, auch um Fehler im Auftritt des Meisters zu finden. Was "Auf dem Wege zur Weltmeisterschaft 1923-1927" abbildet, unterliegt schon entsprechend lange dem kritischen Auge von Meisterspielern bis Amateuren. Trotzdem hat man nur wenige Verbesserungen und Fehlerhinweise gefunden, die im besagten Buchabschnitt zusammengestellt sind und knapp 1,5 Seiten ausmachen. So gibt es hier zu insgesamt 13 Partien überwiegend kurze Hinweise auf Ungenauigkeiten und Fehler. Gemessen an rund 220 Partienseiten ist dies ein verschwindend geringer Wert.
Diese "nachträglichen Entdeckungen" stammen aus der Zeit, bevor der Computer seinen Siegeszug im Schach gestartet hat. Vermutlich würde, neben einem Vergleich der damaligen und heutigen Anschauungen der Eröffnungstheorie, eine aktuelle computergestützte Analyse noch einiges an Verbesserungspotenzial zu Tage bringen. Und welche Bedeutung hat diese Erwägung für den Nutzwert von "Auf dem Wege zur Weltmeisterschaft 1923-1927"? Überhaupt keine. Denn sonst müssten wir den Autobauer von 1925 auch dafür kritisieren, dass seine Karosserie keine Topwerte im Windkanal erreicht. Der Oldtimerfreund würde dem Zeitgenossen den berühmten Vogel zeigen, wenn er mit einer solchen Aussage konfrontiert würde.

"Auf dem Wege zur Weltmeisterschaft 1923-1927" hat einen hohen Unterhaltungswert. Und vorsichtig geschätzt werden auch heute sicher weit mehr als 90 Prozent der Schachspieler zusätzlich noch gut von Aljechin lernen können.

Der Verlag hat das historische Erscheinungsbild des Buches zu erhalten versucht. Dies wird besonders am Schriftbild deutlich. Die historischen Diagramme sind gegen aktuelle ausgetauscht worden, was dem Buch einen höheren Nutzwert bringt und vermutlich auch fehlerhafte Darstellungen zu beseitigen half. Wenn er nicht besonders darauf achtet, wird es dem Leser wahrscheinlich noch nicht einmal auffallen, weil sein Auge auf die gewohnte Optik trifft. Ich persönliche jedenfalls sehe keinen echten Nachteil in der Entscheidung des Verlags, aber einen Nutzen für den Leser.

Die Buchreihe "Meilensteine des Schach" arbeitet mit kartonierten Ausgaben, also nicht mit den sonst verlagstypischen Elementen Hardcover, Bindung und Lesebändchen. Dies hält den Verkaufspreis des Buches niedrig.

Fazit: "Auf dem Wege zur Weltmeisterschaft 1923-1927" ist ein empfehlenswertes Buch für jeden Liebhaber ausgezeichnet kommentierter Partien, den Freund (wieder neu verfügbarer) historischer Schachbücher, den allgemein historisch interessierten Schachfreund und all jene, die einem Schachspieler im Bekanntenkreis etwas schenken möchten, das auf jeden Fall "ankommt".


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Schachversand Ullrich / Joachim Beyer Verlag (www.schachversand-ullrich.de) zur Verfügung gestellt.

DWZ-Plus

Patrick Karcher
DWZ-Plus
185 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-3-940417-76-3
22,80 Euro




DWZ-Plus
"DWZ-Plus" mit dem Untertitel "Talent wird überschätzt" von Patrick Karcher ist ein Buch, das sich nicht über einen oberflächlichen Blick in sein Wesen schauen lässt. Diese Neuerscheinung des Joachim Beyer Verlags, Imprint des Schachverlags Ullrich, erinnert mich sowohl an das Leitbild "fördern und fordern" aus unserem Sozialsystem als auch an Robinson Crusoe, der auf sich gestellt mit unorthodoxen Methoden seine komplexe Umwelt meistern musste.

Um das Werk anständig rezensieren zu können, musste ich es komplett konzentriert durchgehen und ausschnittweise in allen Teilbereichen im Sinne des Buches vertieft damit arbeiten. Die Erkenntnisse, die ich dabei gewonnen habe, möchte ich in der Form einer Aufzählung voranstellen.

1. In erster Linie gibt "DWZ-Plus" dem Leser Mittel und Methoden an die Hand, um die Komplexität des Schachspiels in der Partie aufzulösen.
2. Das damit verbundene Denkmodell ist Neuland, der Leser muss es erlernen und sich dabei neue Sichtweisen aneignen. Zugleich wird er gefordert, indem er neue Begriffe und die Gründe für deren Einführung erlernen muss.
3. "DWZ-Plus" ist in meinen Augen weniger ein Einsteigerbuch für den noch völlig unkundigen Schachinteressierten, wenngleich es auch dies sein soll und dem Einsteiger zweifellos das Spiel erlernen lässt, mehr aber das Rezept für den Spieler, der schon einiges drauf hat und sich unorthodox sowie ohne viel neue Literatur verbessern will.
4. Das Buch wird seine höchste Wirkung für den Spieler dann entfalten, wenn er mit einem herkömmlichen Schachbrett und nicht nur am Bildschirm mit ihm arbeitet.

Um das Schachspiel weniger komplex für den Leser zu machen, arbeitet Karcher mit Rechenmitteln und Mustern. So führt er im Bereich der statischen Stellungsbewertung die Kavve-Bilanz ein (besser zu merken mit dem Begriff "Kaffee-Bilanz", um nicht - nach den humorigen Worten des Autors - mit einer zukünftigen Rechtschreibung des Wortes umgehen zu müssen). Er spielt somit immer wieder scherzhaft auf den Kaffee als Getränk an, obwohl dieser nicht wirklich etwas mit der vermittelten Methode zu tun hat. Vielmehr arbeitet er mit einer vergleichenden Bilanz "korrespondierender" eigener und gegnerischer Figuren. Die Buchstaben des Kunstwortes "Kavve" stehen für Kontrolle, Angriff, Verteidigung, Verstellung und "Eremit" (Bezeichnung quasi zur Einbeziehung des Potenzials von Einzelfiguren).

Anhand von Diagrammstellungen und einer jeweiligen Auflistung von darauf abgebildeten Stellungsmustern versucht Karcher den Leser in die Lage zu versetzen, genau diese in der eigenen Partie wiederzuerkennen, um dann die daraus zu ziehenden Schlüsse parat zu haben. Diesen Ansatz des Buches finde ich ebenso wie die "Kavve-Bilanz" ausgesprochen gut, sehe hier aber zugleich auch den deutlichsten Hinweis darauf, dass der schon etwas kundige Leser von den ihm Buch eröffneten Wegen mehr als ein Neuling profitieren kann. Bei der Auflistung der besonderen Merkmale einer Stellung, die der Leser über Muster zu erkennen lernen soll, handelt es sich nämlich um genau solche, die das Positionsspiel ausmachen, von offenen Linien über Bauernstrukturen bis zur Königssicherheit. In diesem Bereich entwickelt sich "DWZ-Plus" vor allem zu einem sehr praxisbezogenen Trainingsbuch.

Das von Karcher eingeführte Denkmodell verknüpft statische und dynamische Elemente. Ich vermute mal, dass es seine zunächst etwas checklistenhaft wirkende Funktion, die zu Beginn sicher sehr hilfreich ist, auf Dauer verlieren wird, weil die damit angestrebten Denkprozesse in Fleisch und Blut übergehen werden. Die Auseinandersetzung mit neuen Begrifflichkeiten mag zunächst etwas beschwerlich sein, deren Zahl aber ist niedrig.

Das Inhaltsverzeichnis ist zu umfangreich, als dass ich es in der Rezension vollständig abbilden könnte. Bei Interesse verweise ich auf die hierzu im Internet verfügbaren Informationen. Für die Oberpunkte daraus aber besteht Raum. Diese sind:

- Basiswissen für den Kampfeinsatz
- Stellungsbeurteilung
- Kampfplan
- Höhentrainingslager
- Spielverlauf
- Hornberger Schlussakkord.

Sie werden erkennen, dass Sie sich nicht zu allen Überschriften vorstellen können, was die Leser darunter erwartet. Ein paar Worte dazu am Beispiel des "Höhentrainingslagers": Karcher hat einen sehr unterhaltsamen, humorvollen und Bilder im Kopf des Lesers erzeugenden Schreibstil. Zum genannten Punkt zieht er die Verhältnisse eines Bewegungssportlers heran, um Vergleiche zum nach oben strebenden Schachspieler herzustellen, der sich eben in seiner Wertungszahl entwickeln möchte. Um es auf den Punkt zu bringen: "DWZ-Plus" ist vieles, zweierlei aber nicht - langweilig und unverständlich.

Noch ein Hinweis zum Stil: Das Werk ist mit unzähligen Textkästchen gespickt, die sich aufgrund eines dunklen Hintergrundes besonders gut vom allgemeinen Textbild abheben. Darin findet der Leser Übungen, Hinweise, Regeln etc. Ihm werden die Arbeit mit dem Buch und auch das Erlernen grundsätzlicher Aspekte einfacher gemacht. Insgesamt gesehen ist "DWZ-Plus" von Textpassagen dominiert. Der Leser wird geführt und angeleitet und von Analyseketten vollständig verschont. Teilweise sieht das Werk nicht wie ein Schachbuch aus, wenn man sich die Diagramme wegdenkt.

Wer ist Patrick Karcher und was befähigt ihn, ein Schachbuch zu schreiben? Patrick Karcher ist Amateurspieler aus Paderborn mit 2047 DWZ und 2110 Elo. Er spielt bei Rochade Kuppenheim, auf deren Website er unter dem Titel "DWZ Plus" eine Rubrik mit einer ähnlichen Motivation wie jener zum Buch führt. Ein offenkundig hohes Schachverständnis und quasi im Selbsttest bestätigte Methoden befähigen ihn, ein Schachbuch zu schreiben. Wer "DWZ-Plus" durchgearbeitet hat, wie die Frage nicht mehr stellen.

Die Verarbeitung des Buches ist verlagstypisch ausgezeichnet. Fester Einband, qualifizierte Bindung, sauberer Druck auf hochwertigem Papier - alles passt.

Fazit: "DWZ-Plus" ist ein empfehlenswertes Trainingsbuch besonders für den schon im Bereich des Klubspielers agierenden Lesers. Es eignet sich auch als Einführungsbuch für denjenigen Interessenten, der mit weniger üblichen Methoden schnell und systematisch ins Spiel eingeführt werden möchte.
Für den Spieler etwa auf Klubniveau, der mit seinen Leistungen und Erfolgen nicht so recht zufrieden ist, ist "DWZ-Plus" der Weg für eine unorthodoxe und praxisbezogene Steigerung der Fähigkeiten am Brett.
Der Autor siedelt den angesprochenen Leserkreis bei bis zu DWZ 2000 an, was eine angemessene Größe sein dürfte.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Schachversand Ullrich / Joachim Beyer Verlag (www.schachversand-ullrich.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

The Chess Manual of Avoidable Mistakes

Romain Edouard
The Chess Manual of Avoidable Mistakes
225 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-9082256611
26,95 Euro




The Chess Manual of Avoidable Mistakes
"The Chess Manual of Avoidable Mistakes", sinngemäß ins Deutsche zu übersetzen mit "Handbuch der vermeidbaren Fehler im Schach" ist ein interessantes Werk des jungen französischen Großmeisters Romain Edouard, das im auslaufenden Jahr 2014 bei Thinkers Publishing erschienen ist. Worum es darin geht, lässt sich bereits gut aus dem Titel schließen. Edouard versucht von Grund auf die Situationen und Ursachen im Zusammenhang mit vermeidbaren Fehlern in der Partie herauszuarbeiten. Dies ist kein Selbstzweck, sondern verfolgt natürlich das Ziel, den Leser zu präparieren, damit dieser eben gerade derartige Fehler vermeiden kann. Ein Handbuch ist auch ein Synonym für die Anleitung, wie man etwas richtig oder besser machen kann. Edouard formuliert Regeln im Sinne von Empfehlungen, wie der Spieler vorgehen oder sich verhalten sollte, gibt Tipps und warnt vor Gefahren.

Das Inhaltsverzeichnis umfasst die folgenden Einträge:
Key to Symbols used & Bibliography
Preface
Ch 1: Objectivity throughout a chess game
Exercises to Chapter 1
Ch 2: General reasons for blundering
Exercises to Chapter 2
Ch 3 Concrete moves and concessions
Exercises to Chapter 3
Ch 4: A few key tips to improve your results
Exercises to Chapter 4
Solutions to all Exercises.

Ganz überwiegend sind die Empfehlungen von sehr grundlegender bzw. allgemeiner Natur. Für den erfahrenen Spieler dürften sie jeweils Selbstverständlichkeiten sein, die ihm schon in Fleisch und Blut übergegangen sind. Ein prägnantes Beispiel hierzu: Eine Empfehlung unter vielen soll den Spieler in seiner Partie davon abhalten, in der Zeitnot des Gegners auch selbst schnell und ohne eine tiefe Überlegung zu ziehen. So wird schnell erkennbar, dass "The Chess Manual of Avoidable Mistakes" ein Buch ist, das sich an den Spieler richtet, der die Anfangsgründe des Schachspiels noch nicht allzu weit hinter sich gelassen hat. Für diesen ist es in meinen Augen gerade deshalb von einem guten Wert, weil es einfach mal viele Dinge zusammenstellt, die den Neuling weiterbringen und die er früh in seiner Schachlaufbahn erfahren sollte.

Als ein besonderes Einsatzgebiet des Buches sehe ich auch den Bereich der Schulung. Indem es die Geschehnisse auf dem Brett auch mit den Gegebenheiten "drumherum" verbindet, gibt es dem Lehrenden auch auf die Turnierpraxis bezogen Beispiele an die Hand, die dieser beinahe eins zu eins an seine Schüler weitergeben kann.

Soweit sich Empfehlungen etc. mit der Spielführung selbst befassen, nicht also wie das Beispiel oben mit dem Verhalten des Spielers, sind sie eher an den Situationen im Nahschach orientiert. Der Fernschachspieler erlebt viele Gefahrenmomente nicht wie der Schachfreund am Brett, vor allem auch dann nicht, wenn er sich des Computers als Hilfsmittel bedient. So lassen sich viele Regeln und Anleitungen weniger im Fernschach als in der Nahschachpartie anwenden. Der Fernschachspieler, der auch dem Nahschach nachgeht, wird also eher für das Spiel am Brett als für die Partie "auf Distanz" profitieren.

Es gibt allerdings eine Passage, die mir als guter Hinweis auch direkt für das Fernschachspiel aufgefallen ist. Auf Seite 152 geht Edouard der Frage nach, welche Art von Zügen der Spieler über den Rechnereinsatz findet. Er beschreibt diese als solche, die bekannt sein sollten, Computerzüge sowie solche, die Spieler am Brett finden sollten und Züge, die Computer finden, Spieler am Brett aber eher nicht. Der Spieler sollte seine Arbeit als zufriedenstellend empfinden, wenn er dem Gegner eine Stellung vorsetzt, in der er Züge der Kategorie 3 zu finden hat.
Für den Gegner in einer Fernpartie, der sich in einer identischen Situation wie ein sich vorbereitender und in der Praxis den nächsten Zug suchender Spieler befindet, gilt das Gleiche. Daraus lässt sich in einer Weiterentwicklung des Gedankens Edouards ableiten, dass es diejenigen Züge unter Rechnereinsatz zu finden gilt, die der Gegner nicht so ohne Weiteres von seinem Rechenknecht geliefert bekommt, die sich also der stupiden Berechnung durch die Maschine entziehen.

Edouard arbeitet mit vielen textlichen Erklärungen, die Basis aller Inhalte sind aber Beispiele aus Turnierpartien. An diesen macht er den jeweils zu erörternden Gegenstand fest. Im Wesentlichen stützt er sich dabei auf seine eigenen Begegnungen.
Er bildet regelmäßig jeweils die gesamte Partie ab, bis zur Schlüsselszene aber verzichtet er auf eine Kommentierung. Mit dieser einsetzend erscheint die Besprechung dann wie eine kommentierte Partie, wobei die Kommentare auf das spezifisch behandelte Thema fokussiert sind.

An den Leser gerichtete Übungen, für die er die Lösungen am Ende des Buches findet, runden die Kapitel ebenso ab wie eine Gesamtbewertung (Ausnahme: Kapitel 4).

Das Buch ist in Englisch geschrieben und beinhaltet viel Text. Dieser aber ist sprachlich überwiegend recht einfach gestaltet, sodass der Leser mit Fremdsprachkenntnissen etwa auf Schulniveau zurechtkommen sollte.

Fazit: "The Chess Manual of Avoidable Mistakes" ist eine gute Zusammenstellung von Situationen, die fehlergeneigt sind, und Ursachen dafür wie auch Empfehlungen zur Fehlervermeidung sowie eine Anleitung zu deren Umsetzung in der praktischen Partie. Das Werk richtet sich weniger an den erfahrenen Spieler. Der Anfänger aber, der die ersten Grundzüge hinter sich gelassen hat, sollte die Inhalte gut aufnehmen können und von ihnen profitieren.
"The Chess Manual of Avoidable Mistakes" eignet sich auch als Nachschlagewerk sowie als Kurs für den Schachlehrer und -trainer.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

Liquidation on the Chessboard

Joel Benjamin
Liquidation on the Chessboard
253 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-553-7
19,95 Euro




Liquidation on the Chessboard
Als ich zur Vorbereitung dieser Rezension das Werk "Liquidation on the Chessboard", Neuerscheinung 2015 bei New In Chess (NIC) und geschrieben von Joel Benjamin, zum ersten Mal in die Hand nahm und den Rückentext las, musste ich schmunzeln. Hierzu kam es, weil ich mich an einen netten kleinen Witz erinnert fühlte.
Frage einer bewundernden Besucherin einer Galerie an einen Bildhauer: "Wie haben Sie es geschafft, aus einem groben Klotz aus Stein eine so wunderschöne Statue eines Löwen zu meißeln?"
Antwort des Künstlers: "Das war ganz einfach. Ich habe den Steinblock aufgestellt, mein Werkzeug genommen und alles abgekloppt, was nicht nach Löwe aussah!

Joel Benjamin, in vielen Turnieren erfolgreicher US-amerikanischer GM, stellt fest, dass Bauernendspiele nicht plötzlich und unerwartet von irgendwo auftauchen, sondern schon "vor-existierten", in den Stellungen, aus denen sie sich entwickelt haben. Es ist die Kunst, vorteilhafte Bauernendspiele, so wie sie in Stellungen mit mehr Material schlummern, zu erkennen und so abzuwickeln, dass sie auf dem Brett real werden. In Erinnerung an den kleinen Witz zu Anfang: Es geht also im Kern darum, das vorteilhafte Bauernendspiel in einer komplexeren Stellung zu erkennen und dann alles wegzukloppen, was nicht nach gutem Bauernendspiel aussieht. Schön und gut, jetzt fehlt aber noch der Aspekt der Kunst. Um aus einer Mittelspielstellung in ein vorteilhaftes Bauernendspiel abwickeln zu können, braucht der Spieler Fähigkeiten zum Erkennen der Chancen und Knowhow zur (technischen) Umsetzung. Dieses zu fördern ist das Ziel von Joel Benjamin in "Liquidation on the Chessboard". Korrekt interpretiert muss es also heißen: Das Werk will den Leser in die Lage versetzen, die Möglichkeiten in einer Stellung zu erkennen, über eine gelungene Abwicklung in ein vorteilhaftes Bauernendspiel überführt zu werden, und es gibt ihm Fertigkeiten durch Techniken, Regeln und Hinweise, dies im Sinne des Ziels qualifiziert zu tun.

Den Stoff hat Benjamin den folgenden 11 Kapiteln zugeordnet:

Kapitel 1 - Queen Endings
Kapitel 2 - Rook Endings
Kapitel 3 - Bishop Endings
Kapitel 4 - Knight Endings
Kapitel 5 - Bishop versus Knight Endings
Kapitel 6 - Rook & Minor Piece Endings
Kapitel 7 - Two Minor Piece Endings
Kapitel 8 - Major Piece Endings
Kapitel 9 - Queen & Minor Piece Endings
Kapitel 10 - Three or More Piece Endings
Kapitel 11 - Unbalanced Material Endings.

Den Abschnitt darauf, überschrieben mit "Thematic Positions", möchte ich im Rang diesen Kapiteln gleichstellen, auch wenn hier "nur" Inhalte aus dem vorherigen Bereich zusammengefasst und mehr auf den Punkt gebracht werden. Für den Lernerfolg des Lesers halte ich diesen Abschnitt aber für ebenso wichtig wie alle genannten Kapitel zuvor.

Die 11 Kapitel sind identisch aufgebaut. Zunächst gibt Benjamin eine kurze Einführung, um gleich im Anschluss anhand von Beispielen aus der Praxis den Stoff zu vermitteln. Diese stammen zumeist aus der jüngeren Vergangenheit und werden nicht in der Form vollständiger Partien dargestellt, sondern als Fragmente. Diagramme geben dem Leser die Ausgangsstellung bekannt. In jedem Kapitel schließen sich vom Leser zu absolvierende Übungen an, jeweils in unterschiedlicher Zahl. Auch diese werden jeweils über ein Diagramm initialisiert. Eine kurze Frage- bzw. Aufgabenstellung setzt den Leser auf die Kernfrage des Beispiels an.
Es gibt noch eine weitere Hilfestellung des Autors für seinen "folgsamen" Leser, die aber am Ende eines Kapitels zu finden ist. Hier erhält dieser für die einzelnen Beispiele einen "Wink mit dem Zaunpfahl". Zwischen diesen beiden Elementen sind die Lösungen abgebildet, also sich unmittelbar an die Aufgabenstellungen anschließend.

Die Art und Weise, wie Benjamin das jeweilige Thema des Kapitels behandelt und die Lösungen auf die Aufgaben gibt, ist ähnlich. Im Ergebnis erhält der Leser in der Art einer Partiekommentierung den theoretischen Stoff praxisähnlich vermittelt.

Dem lernenden Leser möchte ich einen kleinen Tipp für den Umgang mit dem Buch geben. Benjamin stellt gewisse Regeln, Standards etc. auf, stellt sie aber regelmäßig nicht als solche besonders heraus. Sie schlummern teilweise etwas versteckt im Text und können so nach meiner Einschätzung womöglich etwas von ihrer potenziellen Wirkung einbüßen. Deshalb rate ich dazu, bei der Arbeit mit dem Buch eine Möglichkeit vorzuhalten, diese speziellen Inhalte separat zu notieren. Wenn der Leser für jedes der Kapitel eine eigene Rubrik schafft und so dafür sorgt, dass seine Notizen dem richtigen theoretischen Bereich zugeordnet werden, kann er sich mit Struktur und auch ohne zwingende Begleitung durch das Buch wichtige Extrakte merksatzähnlich einprägen.

Im Effekt ein wenig in diese Richtung geht auch der schon angesprochene Abschnitt mit der Überschrift "Thematic Positions", der gleich auf das 11. Kapitel folgt. Hier findet der Leser in kompakter Form die wesentlichen Fähigkeiten zusammengestellt, die er über das Studium erworben haben soll. Hier kann er überprüfen, inwieweit er den Stoff verinnerlicht hat. Benjamin setzt dabei auch auf eine Visualisierung, indem er mit markanten Brettstellungen arbeitet. Auch weist er dem Leser den Weg zurück in die Kapitel und dort in die Beispiele, wo der fragliche Aspekt behandelt worden ist.

Noch etwas zur Buchsprache: Wie schon klar geworden sein dürfte, ist "Liquidation on the Chessboard" in englischer Sprache geschrieben. Nach meiner Einschätzung sollte der Leser über gesicherte Fremdsprachkenntnisse verfügen, um möglichst flüssig mit dem Werk arbeiten zu können.

Fazit: "Liquidation on the Chessboard" befasst sich mit einem Thema, für das es noch nicht allzu reichlich Literatur gibt. Es vermittelt dem Leser Fähigkeiten, in komplexen Stellungen verborgene Möglichkeiten zur Abwicklung in ein vorteilhaftes Bauernendspiel zu erkennen und diese über entsprechend qualifizierte Techniken zu realisieren.
Auch wenn es den Spieler noch nicht zu einem Künstler machen wird, der das gewonnene Endspiel aus der Mittelspielstellung heraushauen wird wie der geniale Bildhauer die Löwenstatue aus einem Steinblock, so macht es ihn doch zweifellos um eine neue Facette der Spielkunst reicher.
Ich empfehle das Werk dem Spieler zum Kauf, dessen Spielstärke mindestens ein unteres Klubniveau erreicht und der über ordentliche englische Sprachkenntnisse verfügt.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

1.e4 vs The French, Caro-Kann & Philidor

Parimarjan Negi
1.e4 vs The French, Caro-Kann & Philidor
600 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-906552-06-0
29,99 Euro




1.e4 vs The French, Caro-Kann & Philidor
"1.e4 vs The French, Caro-Kann & Philidor" ist der erste Band für ein weißes Komplettrepertoire auf der Basis des Anzuges mit dem Königsbauern aus der Serie "Grandmaster Repertoire" von Quality Chess. Autor ist der indische GM Parimarjan Negi. Das Werk erhebt den Anspruch, über Hauptlinien Weiß mit einem Vorteil aus der Eröffnung kommen zu lassen. Es handelt sich also um ein Repertoirebuch, das aus der Sicht des Anziehenden geschrieben worden ist. Die maßgeblichen Zugalternativen von Schwarz sind somit berücksichtigt, um keine Lücken im Repertoire entstehen zu lassen, während die Auswahl der Weißzüge einer bewussten Selektion durch den Autor entspringt. Für den Spieler mit Schwarz bedeutet dies, dass er das Werk gut nutzen kann, soweit sich sein Gegner an die an ihn gerichteten Buchempfehlungen hält.

Aufgeteilt ist das Buch in drei eigenständige Abschnitte, in denen sich Negi jeweils einer der drei Themaeröffnungen widmet. Der umfangreichste Teil der Ausführungen beschäftigt sich mit der Französischen Verteidigung, wobei neben den frühen Abweichungen im schwarzen Spiel die Rubinstein-, die Steinitz- und die Winawer-Variante behandelt werden. In Caro-Kann wird sowohl 3.Sc3 als auch 3.Sd2 thematisiert, der Panov-Angriff bleibt aber außen vor.
Seine Ausführungen zur Philidor-Verteidigung konzentriert Negi auf die Hanham-Variante.

Bei "1.e4 vs The French, Caro-Kann & Philidor" handelt es sich um ein Monumentalwerk mit fast 600 Seiten Theorie. Entsprechend wichtig ist es, dass sich der Leser gut über alle Inhalte hinweg orientieren kann. Hier zeigt der typische Aufbau der Bücher aus der Grandmaster Repertoire-Serie seine Stärken. Am Ende des Buches findet der Leser ein sehr umfangreiches Variantenverzeichnis. Es erlaubt ihm den sicheren Sprung dort in das Material, wo er sein ggf. spezielles Interesse verortet. Die Eingangsseite jedes Kapitels enthält erneut eine Variantenübersicht, die dann den Zugang zu einzelnen spezifischen Bereichen unterstützt. Dies ist beispielsweise für den Fernschachspieler ein wichtiger Pluspunkt, wenn dieser das Werk seine Partie begleitend einsetzt und dabei Antworten in konkreten Stellungen sucht.
Die erwähnte Eingangsseite jedes Kapitels enthält zusätzlich ein Diagramm zur Schlüsselstellung, die zum behandelten Abspiel führt, sowie weitere Diagramme zu ausgewählten Situationen im Verlauf der sich anschließenden Theoriedarstellungen. In diesen ist es jeweils zu einer Neuerung gekommen, die auf diese Weise schon vorab in den Fokus gerückt wird.
Der Rückentext wirbt damt, dass sehr viele Neuerungen im Werk zu finden sein sollen. Dies bestätigt sich bei der Durchsicht, wobei es festzuhalten bleibt, dass etliche davon auch Hauptlinien betreffen, so wie der Autor diese definiert. Zusätzlich empfinde ich es als bemerkenswert, dass nicht wenige dieser Neuerungen durchaus noch recht früh in der Partie auftreten. In so gängigen Systemen wie Französisch und Caro-Kann vermutet man Neuerungen zumeist erst recht weit nach hinten verlagert.

"1.e4 vs The French, Caro-Kann & Philidor" ist klassisch als Eröffnungswerk aufgebaut. Es arbeitet also mit einem Variantenbaum und nicht mit Partien aus der Praxis als "Trägersystem". Persönlich empfinde ich diese Art der Organisation als vorteilhaft, da die Theorie strukturierter vermittelt wird als über eine Methode, in der sich der Leser bei Abweichungen über Partien hinweghangeln muss. Im Werk gibt es zudem keine Illustrationspartien, so wie es generell für Bücher aus der Grandmaster Repertoire-Serie gilt.

Inhaltlich ist das Werk auf der Höhe der Zeit. Negi hat sich der aktuellsten Quellen bedient, sowohl hinsichtlich der Schrifterzeugnisse als auch der Partienverzeichnisse. Das Quellenverzeichnis ist entsprechend lang. Zahlreiche Analysen sind allerdings als aus der eigenen Feder stammend zu identifizieren.
In den theoretischen Ausführungen findet der Leser nicht selten Passagen, in denen sich Negi konkret mit Aussagen, Einschätzungen und Empfehlungen anderer Werke auseinandersetzt. Unabhängig davon, ob er zustimmt oder widerspricht, zeigt er hierdurch, dass er sich intensiv mit den aktuellen Entwicklungen befasst hat und dass er seine Aussagen auf eigene rationale Bewertungen stützt, sich nicht nur an die Aussagen anderer anlehnt.

Negi versichert dem Leser früh, dass er ihn die besprochenen Linien verstehen lassen will und nicht auf ein Auswendiglernen von Varianten setzt. Damit weckt er natürlich Ansprüche, an denen er sich in der Folge messen lassen muss. In größeren Auszügen habe ich spezifisch darauf geachtet, ob er intensiv genug erklärt, Hintergründe für Spielweisen aufzeigt etc. Im Ergebnis kann ich bestätigen, dass er sein Quasi-Versprechen tatsächlich einlöst. Regelmäßig zeigt er schon am Anfang eines Kapitels auf, welches die wesentlichen Gedanken für das Vorgehen sind und was sich daraus ableitet. Diesen Stil setzt er in der Folge fort. "1.e4 vs The French, Caro-Kann & Philidor" ist ein gutes Beispiel für ein Repertoirebuch, das den Leser mit den Linien gut vertraut macht und ein generelles Verständnis für sie vermittelt. Damit pflanzt Negi seinem Leser eine Fähigkeit ein, unabhängig von konkreten Zugfolgen, unabhängig von seiner Fähigkeit des Reproduzierens konkreter Variantenketten in der eigenen Partie richtige im Sinne von systemgerechte Entscheidungen zu treffen.

Viel erklären heißt für den Leser nicht schwer verstehen, wenn man dieses Buch als Fremdsprachler in die Hand nimmt. Es ist in Englisch geschrieben, aber nicht schwer aufzunehmen. Der regelmäßig einfache Satzbau und ein übersichtlich gehaltener Wortschatz sorgen dafür, dass der Leser mit Englischkenntnissen auf Schulniveau gut zurechtkommen wird.

"1.e4 vs The French, Caro-Kann & Philidor" ist das x-te Buch aus der Grandmaster Repertoire-Reihe, das ich rezensiere. Aus Erfahrung weiß ich inzwischen, dass man bei diesen Büchern die Erwartungshaltung hochschrauben darf. Dies bestätigt nun auch wieder das vorliegende Werk.
Dass diese Bücher einen Inhalt in Top-Qualität liefern, hat sich inzwischen wohl herumgesprochen. So stelle ich in eigenen Partien wie auch bei der Auswertung von Entwicklungen in Turnierpartien immer wieder fest, dass die Spieler sich an Empfehlungen aus Büchern der Serie halten. Als Spieler muss man - und dies gilt besonders auch für das Fernschach - also damit rechnen, dass der Gegner sich auf dieselbe Literatur stützt. Ob dies nachteilig ist oder aber gar zu einem eigenen Vorteil gemacht werden kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Auf jeden Fall schafft man mit dem Kauf der Bücher aus der Grandmaster Repertoire-Serie oft so etwas wie "Waffengleichheit".

Fazit: "1.e4 vs The French, Caro-Kann & Philidor" setzt wie frühere Grandmaster Repertoire-Neuerscheinungen Maßstäbe im Sektor der Repertoirebücher. Es ist ein sehr qualifiziertes und deshalb empfehlenswertes Werk.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

Johannes Zukertort

Jimmy Adams
Johannes Zukertort
541 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-496-7
34,95 Euro




Johannes Zukertort
Der Buchtitel "Johannes Zukertort" mit dem Untertitel "Artist of the Chessboard" erlaubt dem Betrachter die sofortige sichere Einschätzung, in welche Richtung die Inhalte gehen, die ihn darin erwarten. Der Verfasser Jimmy Adams, ein sehr erfahrener Autor und Herausgeber in Sachen Schach, hat mit diesem Werk eine Fleißarbeit vorgelegt, die ich persönlich als einen wertvollen Beitrag zur Klärung und zur Bewahrung der Schachgeschichte erachte. Johannes Hermann Zukertort, geboren am 7.9.1842 und gestorben am 20.6.1888, zählte zu den herausragenden Spielern seiner Zeit. Ihm war die Weltmeisterkrone über den ersten als offiziell betrachteten Titelkampf 1886 nur deshalb verwehrt, weil er mit Wilhelm Steinitz auf einen noch besseren Spieler traf. Sein zweiter großer Gegner war sein Schicksal, das ihn mit einer labilen Konstitution ausgestattet hatte, und so starb er jung rund zwei Jahre nach dem WM-Kampf.

Wenn es Ihnen so geht wie mir selbst, dann ist dieses Buch grundsätzlich etwas für Sie. Als über Jahrzehnte hinweg begeisterter Anhänger des Schachspiels ist mir der Name Zukertort natürlich sehr oft begegnet. Aber was war dieser Johannes Hermann Zukertort, wie sein vollständiger Name lautete, für ein Mensch, was machte ihn zu einer besonderen Größe im königlichen Spiel, in welchen Verhältnissen lebte er? Zu all dem wusste ich nur wenig, oder deutlicher ausgedrückt, nur ein bisschen mehr als nichts. Ähnlich ging es mir zu seinen Partien. Wie aktiv ist er gewesen, wo überall hat er gespielt, was hat sein Spiel ausgezeichnet, wie erfolgreich war er über seine Karriere hinweg?
Nun kann man natürlich der Ansicht sein, dass diese Fragen heute keine große Rolle mehr spielen, weil die früheren Zeiten abgeschlossen sind, was für das damalige Leben als solches gilt, aber auch beispielsweise für die Art und Weise, Schach zu spielen. Dann aber verkennt man, wie reizvoll die Partien sind, welchen hohen Unterhaltungswert sie besitzen und welchen ästhetischen Genuss sie nicht selten zu vermitteln haben. Daneben ist der Blick in die Schachgeschichte zugleich auch ein Fenster in die jeweilige Epoche. Dies wird am Lebensweg auch Johannes Zukertorts sichtbar, der sich als Spieler den sich eröffnenden Lebensumständen anpassen musste und dies auch tat. Ohne dass ich viel aus dem Inhalt des Werkes plaudern möchte, ist es schon interessant zu verfolgen, wie er von Lublin über Breslau und dann Berlin nach London kam und auf der britischen Insel als Profi zu leben versuchte.

Der Rückentext von "Johannes Zukertort" verrät, dass es das Buch bereits in einer limitierten Vorausgabe gegeben hat. Eine kurze Recherche im Internet zeigt, dass diese im Jahre 1989 auf den Markt gekommen sein muss. Für mich ist es einleuchtend, dass diese Ausgabe einem oft gehörten Wunsch auf ein neues Erscheinen erfüllt.

Untergliedert ist das Werk in zwei Hauptteile. Im Ersten davon findet der Leser mehrere Texte aus verschiedener Feder, fast durch die Bank als historisch zu bezeichnen, die Zukertort als Mensch und als Schachspieler beleuchten. Diese Texte sind spannend, informativ, teilweise widersprüchlich und überwiegend schwer zu lesen, was mit den Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Nutzers zusammenhängt. Das ganze Werk ist in Englisch geschrieben, wenige deutsche Begriffe kommen als Fremdworte vor. Der Wortschatz ist regelmäßig breit angelegt, die meisten Leser dürften zahlreiche Begriffe nachschlagen müssen.
Ich habe alle Texte gelesen. Während ich zunächst für den Zweck der Rezension nur einzelne Passagen durchgehen wollte, haben diese dann mein Eigeninteresse geweckt. Dies mag zeigen, dass die Texte den Leser zu fesseln und zu binden vermögen, denn genau dies ist mir passiert.

Der zweite Hauptteil von "Johannes Zukertort" enthält 319 kommentierte Partien aus der Karriere des alten Meisters. Als Kommentatoren haben er selbst wie auch etliche andere Personen beigetragen, überwiegend aus historischer Zeit. Die hohe Zahl von 541 Buchseiten ergibt sich vor allem aus der Zahl der Partien. Diese sind chronologisch abgebildet und den Veranstaltungen zugeordnet, in denen sie ausgetragen worden sind. Im Vordergrund steht hier der Unterhaltungswert. Die Schönheit einer Kombination leidet beispielsweise nicht darunter, dass es in einer Begegnung zu ihr gekommen ist, in der die Eröffnung eine heute ungebräuchliche Spur genommen hat. Zukertort hat ein mutiges und ideenreiches Schach gespielt, eben auch aus heutiger Sicht mit einem hohen Unterhaltungswert. Dieser wird übrigens nicht durch zu hohe Ansprüche an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers gefährdet. Im Partienteil reicht Schulenglisch allemal für ein unproblematisches Verstehen aus.

In einem Werk wie diesem dürfen verschiedene Verzeichnisse nicht fehlen, so wie ein Spieler- und ein Eröffnungsregister. Diese findet der Leser auf den letzten Seiten.

Ich habe mir für die Vorbereitung dieser Rezension besonders viel Zeit genommen. Das Besprechungsexemplar hat sogar eine Urlaubsreise mitgemacht. Dies hatte ich so nicht von Anfang an geplant, es ergab sich aus meinen ersten Kontakten mit dem Werk. Es lässt sich somit erahnen, dass ich mit einem positiven Fazit enden werde. Also …

Fazit: "Johannes Zukertort" ist ein Werk, das in meinen Augen schon deshalb wichtig ist, weil es Lücken in der Dokumentation der Schachgeschichte schließt, solche mindestens aber dadurch verhindert, dass es versprengte Informationen sammelt und entsprechend aufbereitet an einer einzigen Stelle anbietet.
Es ist für den schachhistorisch interessierten Leser wie auch für jenen Schachfreund interessant, der sich gerne über gelungene und gut kommentierte Partien unterhalten lässt.
Gute englische Sprachkenntnisse sind für einen problemlosen Zugang zum ersten Teil des Buches Voraussetzung, für die Partien reichen Fertigkeiten auf Schulniveau.
Für mich ist "Johannes Zukertort" unter den beschriebenen Aspekten eine klare Kaufempfehlung.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

The Sicilian Najdorf 6 Bg5

Kevin Goh Wei Ming
The Sicilian Najdorf 6 Bg5
394 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-78194-021-1
22,90 Euro




The Sicilian Najdorf 6 Bg5
"The Sicilian Najdorf 6 Bg5" von Kevin Goh Wei Ming und aus der Serie "Chess Developments" des britischen Labels Everyman Chess ist dem Ziel gewidmet, den Leser mit aktuellem Material auf die Höhe des neuesten Standes der Theorie zum Najdorf-Sizilianer zu bringen. Das Werk beschränkt sich dabei auf die Linie mit 6.Lg5.

Das Rückgrat aller Erörterungen bilden insgesamt 40 Partien aus der Praxis, von denen sechs im Fernschach gespielt worden sind. Diese Partien teilen sich auf insgesamt sechs Kapitel auf, die in der Buchsprache Englisch die folgenden Überschriften tragen:

1. The Trendy 6…Sbd7
2. The Good Old Polugaevsky, the MVLV and 7…Dc7
3. The Classical Variation
4. Poisoned Pawn Variation with 10 f5
5. Poisoned Pawn Variation with 10 e5
6. The Delayed Poisoned Pawn Variation.

Die Partien sind sehr intensiv analysiert, sie sind auch jeweils bis zum Ende durchkommentiert. Da der Schwerpunkt des Buches wie auch der gesamten Verlagsreihe auf der Eröffnungsphase liegt, finden sich hier denn auch die umfangreichsten und tiefsten Analysen und Anmerkungen.
Die an den Leser gestellten Anforderungen vor dem Hintergrund einer passablen Arbeit mit dem Werk bemessen sich meines Erachtens genau an dieser Kommentierung. Sie ist in meinen Augen so anspruchsvoll, dass sich "The Sicilian Najdorf 6 Bg5" nicht a wenig erfahrene Spieler richtet, sondern die Messlatte ziemlich hoch legt. So sehe ich die potenziellen Adressaten unter den schon erheblich fortgeschrittenen Spielern und daneben den ambitionierten Fernschachspielern. Der erstgenannte Kreis bringt das Knowhow mit, um die im Buch herausgearbeiteten Linien und Aussagen zu verstehen, sie sich auf den eigenen Bedarf zurechtgeschnitten zu eigen zu machen und in der praktischen Partie anzuwenden. Die Fernschachspieler profitieren von ihrer komfortablen Praxissituation, in der sie Bücher wie dieses die Partie begleitend als Hilfsmittel einsetzen können, somit lesend und begleitend bewerten und ihren Nutzen ziehen.

"The Sicilian Najdorf 6 Bg5" stützt sich im Rahmen der Kommentierung in erster Linie auf Fragmente praktischer Partien. Kevin Goh Wei Ming trägt aber auch etliche eigene Analysen bei. Soweit er Berechnungen unter Engineunterstützung vorgenommen hat, sind nach seinen Angaben Houdini 4 und Stockfish zum Einsatz gekommen.

Wie schon erwähnt sind sechs der vollständig im Buch abgebildeten Partien im Fernschach gespielt worden. Darüber stammen viele der in der Kommentierung verwendeten Praxisbeispiele aus Fernpartien, sodass ich den Anteil der Erkenntnisse aus der Fernschachpraxis als hoch bezeichnen möchte. Entsprechend enthält das Quellenverzeichnis auch die Correspondence Database 2013 als Fernschachressource.

Im Rahmen seiner einführenden Worte stellt Kevin Goh Wei Ming die Bedeutung des Fernschachspiels für die Entwicklung der Theorie erfreulicherweise auch noch einmal besonders heraus.

Die einzelnen Buchkapitel werden zunächst mit Erläuterungen eingeführt und mit einer kurzen Wertung abgeschlossen, die dann jeweils quasi einen kurzen Schlussstrich unter die Erörterungen setzt.

Der Autor Kevin Goh Wei Ming ist Internationaler Meister aus Singapur, der als Kenner der Najdorf-Variante bezeichnet wird. Er macht darauf aufmerksam, dass er viel Material sichten und bewerten musste, was angesichts seines Themas nicht verwundern kann. Der Gewinn des Lesers liegt auch darin, dass er eine Auswahl der aktuellen Praxislinien bekommt, die selbst schon durch das Sieb des Autors gegangen ist. Damit bleibt ihm die Arbeit mit einer Fülle von Partienmaterial erspart. Eine qualifizierte Arbeit des Autors vorausgesetzt, woran ich keinen Grund zum Zweifel gefunden habe, bekommt er damit die aktuell am besten bewerteten Spielweisen auf dem Tablett serviert und muss nicht selbst die Kiste allen Materials durchstöbern.

Das Variantenverzeichnis am Ende des Buches ist ansprechend ausführlich und ist um Diagramme ergänzt.

Geschrieben ist "The Sicilian Najdorf 6 Bg5", wie oben schon kurz angemerkt, in englischer Sprache. Das Werk sollte aber auf der Basis von Fremdsprachkenntnissen etwa auf Schulniveau ohne große Probleme genutzt werden können.

Fazit: "The Sicilian Najdorf 6 Bg5" ist eine tief angelegte Erörterung der Najdorf-Variante mit 6.Lg5, konzentriert auf aktuell als Bestes bewertete Spielweisen. Es ist inhaltlich ein Buch für den gehobenen Anspruch, also für den schon starken Spieler, der seine Kenntnisse in der Pfeilspitze der Theorie entwickeln oder diese auch auf den neuesten Stand bringen will. Es baut sowohl auf die praktischen Erkenntnisse aus dem Brettschach wie aus dem Fernschach.
Ich empfehle das Buch denjenigen Spielern zum Kauf, die bereits eine erhebliche Spielstärke erreicht haben, sowie den Fernschachspielern.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

A game of Queens

Judit Polgar
A game of Queens
392 Seiten, gebunden, Hardcover
ISBN: 978-1-907982-52-1
24,99 Euro




A game of Queens
Als ich "A game of Queens" aus der Feder von Judit Polgar zum ersten Mal in die Hand genommen habe, war mir sofort klar: Zu allem, was ein Buch im Erscheinungsbild edel macht, haben die Verantwortlichen komplett richtig gehandelt. Wie heißt es doch? "Man hat keine zweite Chance, einen guten ersten Eindruck zu machen." "A game of Queens" braucht keine zweite Chance, schon der erste Eindruck überzeugt. Der Umschlag ist schneeweiß, die Schrift auf der Titelseite schwarz. Dort aber, wo sie einen anthrazitfarbenen Hintergrund hat, ist auch sie weiß. Judit Polgar, entspannt auf einem überdimensionalen Schachbrett posierend, trägt ein weißes Kostüm und ein schwarzes Top. Ich habe mich an die Titelseiten einer Modezeitschrift erinnert gefühlt - sehr ansprechend eben auch für ein Schachbuch.

"A game of Queens", 2014 bei Quality Chess erschienen, ist der dritte Teil einer dreibändigen Autobiografie. Judit Polgar, über deren Erfolge und Bedeutung als Spielerin für die Schachwelt ich sicher nichts schreiben muss, deckt mit diesem Werk ihr Leben und ihre Karriere von 2001 bis in die Gegenwart ab.

Das Buch enthält insgesamt 62 Partien, teilweise vollständig abgebildet und teilweise als Fragment, die mit einem besonderen Auge auf deren Unterhaltsamkeit mustergültig kommentiert sind. Das Verhältnis von Text und Analysen fällt, von Ausnahmen abgesehen, klar zugunsten des Textes aus. Diese Passagen beschränken sich zudem nicht auf die Partien, sondern beinhalten auch zahlreiche Erzählungen und Beschreibungen zu Themen jenseits des Schachbretts. Judit Polgar schildert Begegnungen mit Spielern, eigene Erfahrungen, Gefühle und Empfindungen, plaudert über Dinge aus ihrem Privatbereich und mehr. Weiter aufgelockert wird das Werk durch viele Fotos, die sie gleichermaßen in Situationen als Spielerin, als junge Frau und als Mutter zeigen.

Das Inhaltsverzeichnis enthält die folgenden Kapitelüberschriften:

1. Kasparov
2. Karpov
3. Korchnoi
4. The Rapid Match with Anand
5. Oliver
6. Hanna
7. The Opening
8. The Middlegame
9. The Endgame
10. Unexpected Moves
11. Official Competitions
12. Where It All Started

Wie man sieht, widmet Judit Polgar Kasparov, Karpov und Korchnoi eine eigene Kapitelüberschrift, was neben einer Wertschätzung und Respekt auch ihre Beziehung als Spielerin zu den "drei großen Ks" ausdrückt. Die Vornamen Oliver und Hanna gehören ihren Kindern, deren Geburten ihr Leben verändert haben.

Noch einmal zurück zu den Partien: Diese sollen nicht schulen, keine Neuerungen dokumentieren oder sonst etwas in dieser Richtung erreichen; sie sollen den Leser unterhalten. Für Judit Polgar selbst waren sie, gemeinsam mit den Erzählungen etc. im Buch, offenkundig auch ein Medium zur Reflektion, was sie verschiedentlich auch mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck bringt. Dass sie sich mit ihrer Autobiografie gewissermaßen zugleich auch ein Denkmal setzt, ist nicht nur menschlich und legitim, sondern ist geradezu ein Wesenselement dieser Gattung Bücher.

Aus meiner Einführung dürften Sie vielleicht geschlossen haben, dass "A game of Queens" auch bibliophilen Ansprüchen genügt. Und genauso ist es auch. Es sieht dabei aber nicht nur richtig gut aus, sondern überzeugt durch eine sehr gute Verarbeitung. Es ist gebunden, wird vom Hardcover geschützt und weist einen ausgezeichneten Druck auf schneeweißem Papier auf, wie man dies generell von Quality Chess kennt.

Auch wenn das Werk Teil einer Trilogie ist, kann der Leser es auch ohne den Kauf der beiden Bände zuvor ohne Einschränkung nutzen.

Geschrieben ist "A game of Queens" in englischer Sprache. Die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers sind moderat. Er muss sich aber darauf einstellen, eben recht viel außerhalb seiner Muttersprache lesen zu "müssen".

Fazit: "A game of Queens" ist ein sehr gelungenes Werk. In erster Linie liegt der Nutzen des Lesers in einer vorzüglichen Unterhaltung, über die er zugleich auch einiges über die Spielerin und Privatperson Judit Polgar erfährt. Ohne Bedenken kann ich es dem Leser mit englischen Fremdsprachkenntnissen sehr zum Kauf empfehlen.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

Meine besten Partien 1908-1923

Alexander Aljechin
Meine besten Partien 1908-1923
257 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-3-940417-45-9
19,80 Euro




Meine besten Partien 1908-1923
"Meine besten Partien 1908 - 1923" von Alexander Aljechin wird geschichtlich als eines der besten jemals geschriebenen Partienbücher angesehen. Das Werk ist jüngst in seiner 6. Auflage neu erschienen, als Imprint des Schachverlag Ullrich im Joachim Beyer Verlag. Für eine neue Herausgabe großer historischer Werke hat der Verlag die Serie "Meilensteine des Schach" aus der Taufe gehoben, in der nun das hier besprochene Werk neu herausgegeben worden ist.

Um den Leser die Aura der Originalausgabe erleben zu lassen, hat der Verlag das historische Schriftbild erhalten. In einem neuen Gewand erscheinen nur die Diagramme, die im Buch übrigens als Stellungsbilder bezeichnet werden. Dies ist ein Beispiel für die Entwicklung unserer Sprache in der Zeit seit dem ersten Erscheinen des Buches bis heute. Sprache und Schriftbild zeigen sich als harmonische Einheit und sorgen so dafür, dass der Leser sich in alte Zeiten eintauchen fühlt.

Aljechin hat in seiner Karriere eine immens hohe Zahl an Partien gespielt und dabei eine fast unglaubliche Erfolgsquote erreicht. Zahlen dazu findet der Leser ebenfalls in "Meine besten Partien 1908 - 1923", bis zu seinem Todesjahr 1946 aufgeführt. Dies zeigt schon, dass dieses Werk über die Auflagen hinweg Ergänzungen erfahren haben muss. So ist es auch, und diese Ergänzungen sind heute selbst schon wieder als historische Dokumente anzusehen. Dazu später noch etwas mehr. Zunächst einmal zu dem, weshalb es dieses Werk überhaupt gibt, den besten Partien Aljechins aus der Epoche 1908 bis 1923.
Aljechin hat 100 Partien aus dieser Zeit, in die der 1. Weltkrieg fiel und seine Karriere unterbrach, als seine besten ausgewählt und meisterlich kommentiert. Unter "meisterlich" verstehe ich eine Kommentierung aus Texten und Analysen, die vor dem Leser die Geheimnisse der Partie ausbreitet, auch soweit diese sich als Möglichkeiten, Drohungen etc. jenseits der tatsächlich ausgeführten Partiezüge verstecken, und die dabei höchst unterhaltsam ist. Es bereitet wirklich Freude, die Partien nachzuspielen und über die Kommentare auf Entdeckungsreise zu gehen. Ich habe mir mehrere Partien gezielt vorgenommen, die mir aufgrund der Angaben dazu als besonders interessant erschienen, um mir ein fundiertes Urteil erlauben zu können. Mein persönlicher Favorit ist übrigens Partie Nr. 97. Diese ist von Aljechin und Sämisch geführt worden, beide Spieler haben blind gespielt. Aljechin hat seine Spielführung mit einem Opfer der Dame garniert, um dann eine den Sieg bringende Kombination spielen zu können. Es ist fantastisch zu sehen, was beide Spieler zu leisten vermochten, eben ohne das Brett dabei zu sehen. Vermutlich würden 99% von uns heutigen Spielern diese Möglichkeiten in der Partie auch sehend nicht erkennen, sodass das Nachspielen ganz klar so etwas wie Ehrfurcht bei mir ausgelöst hat.

Kombinationen sind oft das Salz in der Suppe der im Buch abgebildeten Partien. Regelmäßig macht Aljechin besonders darauf aufmerksam. Taktische Kniffe, strategische Erwägungen, die Beschreibung von Stellungseinschätzungen sind weitere Elemente der Kommentierung, die Aljechin einsetzt. Nun könnte der Vorbehalt auftauchen, dass sich hinsichtlich der Schachtheorie, von der Einschätzung bestimmter Eröffnungen bis hin zur allgemeinen Strategie seit der damaligen Zeit so viel geändert hat, dass diese Ausführungen kaum noch Wert haben oder sogar schaden können. Das sehe ich nicht so. Immerhin denken wir auch nicht gleich mit der Logik eines William von Baskerville, nur weil wir "Der Name der Rose" von Umberto Eco gelesen haben.

Zu den späteren Ergänzungen des Urwerkes gehört auch ein Beitrag von Kurt Richter mit dem Titel "Aljechins Eröffnungsbehandlung in moderner Sicht". Darin zeigt der 1969 verstorbene bekannte deutsche Spieler und Publizist in wesentlichen Beispielen auf, welche Entwicklung die Eröffnungstheorie seit dem ersten Erscheinen der Partiensammlung bis eben zum Zeitpunkt seines Beitrags genommen hatte. Seitdem aber ist erneut wieder rund ein halbes Jahrhundert vergangen und die Zeit ist auch wieder über diese Aussagen hinweggegangen, zumindest mit neuen und abweichenden Erkenntnissen in Teilen.

"Meine besten Partien 1908 - 1923" ist ein Werk, das eine ausgezeichnete Unterhaltung erlaubt. Und es lässt den Leser auch den nostalgische Gefühle provozierenden Blick in eine aufregende Zeit in der Geschichte des Schachspiels nehmen.

Abschließend noch ein kurzer Hinweis auf den Aufbau des Werkes: Nach einer Einleitung mit dem Titel "Aljechins Schaffen" aus der Feder von Dr. Savielly Tartakower folgen drei Teile mit den Partien. Diese tragen die folgenden Überschriften:
I. Turnierspiele
II. Wettspiele, Gelegenheitspartien durch Briefwechsel, Bild- oder Simultanspiele usw.
III. Wettpartien, Gastspiele, Beratungspartien, Simultan- und Blindlingspartien.
Eine Eröffnungstabelle, mehrere Statistiken sowie der oben beschriebene Beitrag von Kurt Richter schließen das Werk ab.

Fazit: "Meine besten Partien 1908 - 1923" ist ein weiteres wichtiges historisches Buch, das über eine Neuauflage in der Buchreihe "Meilensteine des Schach" erhalten und neuen Lesern zugänglich gemacht wird. Der Text ist optisch im Stil der damaligen Zeit erhalten geblieben. Die Kommentierung ist sehr unterhaltsam und lässt den Leser tief in die Partien eindringen. "Meine besten Partien 1908 - 1923" kann ich als ausgezeichnete Schachlektüre sehr zum Kauf empfehlen.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Schachversand Ullrich / Joachim Beyer Verlag (www.schachversand-ullrich.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)

Bologan's Black Weapons

Victor Bologan
Bologan's Black Weapons
582 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-543-8
29,95 Euro




Bologan's Black Weapons
"Bologan's Black Weapons" ist ein Buch, das mich fast erschlagen hat, als ich es zum ersten Mal aufschlug. Dementsprechend würde ich ihm nicht gerecht, wenn ich es in der gewöhnlichen Weise als "Repertoirebuch für Schwarz auf der Basis von 1.e4 e5 unter Ausschluss der Spanischen Partie" klassifizieren würde, auch wenn es thematisch genau das ist. Die Art und Weise der Aufarbeitung, der Zusammenstellung des Materials und der Einbeziehung zusätzlicher Informationen heben das Werk aber von dem ab, was man herkömmlich als Repertoirebuch bezeichnet. Diese Besonderheiten gilt es für mich im Rahmen dieser Besprechung herauszuarbeiten.

Erschienen ist "Bologan's Black Weapons" bei New in Chess (NIC) im fortgeschrittenen Jahr 2014. Verfasser ist GM Victor Bologan, GM aus Moldawien, der als Spieler (mit der höchsten Elozahl von 2734 in seiner Karriere) wie inzwischen auch als Autor ein sehr hohes Ansehen genießt.
Bologan hat quasi einen Repertoirefächer geschaffen, der sich wie folgt gestaltet:
1. Auf jede beachtenswerte Spielweise des Anziehenden soll der Spieler mit Schwarz die Wege an die Hand bekommen, auf denen er unter Vermeidung der Gambitspiele möglichst schnell Ausgleich und gutes Spiel erreicht.
2. In quasi einer zweiten Buchlinie soll er in Gambits die Spielweisen erfahren, in denen er durch die Annahme des geopferten Materials seinen Vorteil zieht, insbesondere dann, wenn Bologan das jeweilige Opferspiel als zweifelhaft ansieht.
3. Der "eilige Spieler" erhält Mindestinformationen, mit denen er in die Eröffnung finden kann. Der auf eine fundierte Vorbereitung ausgerichtete Spieler erhält ein tief ausgearbeitetes und analysiertes Material.

Wie oben schon erwähnt, geht es in "Bologan's Black Weapons" um die offenen Spiele, also um alles, was mit den Anfangszügen 1.e4 e5 beginnt. Ausgeschlossen aber ist die Spanische Partie, für die der Leser also keine Repertoireempfehlungen erhält.
Das Buch ist in 57 Kapitel unterteilt, die sich fünf übergeordneten Teilen zuordnen. Aus Platzgründen kann das komplette Inhaltsverzeichnis hier nicht abgebildet werden. Beschränkt auf die genannten fünf großen Teile im Buch sieht das Inhaltsverzeichnis wie folgt aus:
Teil 1: 1.e4 e5
Teil 2: 1.e4 e5 2.f4
Teil 3: 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6
Teil 4: 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Sc3 Sf6
Teil 5: 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4.

Jeweils in eigenständigen Kapiteln findet der Leser innerhalb der genannten Teile die einzelnen Eröffnungen oder Varianten vor. Ein paar Beispiele dazu: Im 1. Teil (sieben Kapitel) sind es Eröffnungen wie das Mittelgambit, im 2. Teil (neun Kapitel) Linien zum Komplex "Königsgambit", im 3. Teil (17 Kapitel) Schottische Eröffnung bis Göring-Gambit, 4. Teil (neun Kapitel) Vierspringerspiel allgemein bis Belgrader Gambit, 5. Teil (15 Kapitel) Italienische Partie bis Evans-Gambit. Die vorstehende Aufstellung umfasst Beispiele aus beiden von Bologan im Buch verfolgten Linien, also aus dem Repertoire für einen möglichst schnellen Ausgleich und jenem zum Profit in Gambitspielen.

Die Inhalte zur Theorie werden allerdings eingeleitet mit einem 29 Seiten starken Teil, der mit "Arsenal of Strategic Ideas & Themes" überschrieben ist. Hier findet der Leser eine mustergültige Aufstellung von Stellungsformationen (mit und ohne Bauern), die ihm ein grundlegendes theoretisches Rüstzeug zum Umgang mit später behandelten Strukturen vermitteln. Bologan zieht also Stellungsmuster heraus, um sie in weniger komplexen Situationen zu erläutern und daraus zu ziehende Schlüsse auf das strategische und taktische Vorgehen aufzuzeigen. Damit dieser Abschnitt nicht wie ein isolierter allgemein-theoretischer Teil im Werk verkümmert, stellt Bologan jeweils den Bezug zu dem späteren Kapitel her, in dem seine Betrachtung zum Tragen kommt.
Der Leser, der mit "Bologan's Black Weapons" engagiert und ehrgeizig arbeitet, bekommt damit nicht nur Züge in einem Repertoire präsentiert, die er auswendig lernen kann, sondern ihm wird angeboten, ein tieferes Verständnis hinter den "reinen Zügen" aufzubauen. Er lernt die jeweilige Eröffnung zu verstehen, was ihn für den Einsatz in der eigenen Partie fundiert befähigt und ihn auch bei Zugabweichungen richtige Entscheidungen treffen lässt.

Fast schon ein wenig wissenschaftlich wird es in der Besprechung der einzelnen Eröffnungen und Varianten. Hier muss sich der Leser zunächst mit einer besonderen Art der Kommentierung vertraut machen. Diese wird aber einleitend genau beschrieben. So verwendet Bologan eingekreiste Ziffern, um das Vorliegen von Untervarianten und deren Zahl anzuzeigen. In eckiger Form eingekreiste Ziffern zeigen Neuerungen an. Sodann finden sich hochgestellte Ziffern in den Varianten, wie man sie herkömmlich von einem Verweis auf Fußnoten kennt. Hier aber verweisen diese Ziffern in einen umfangreichen Partienindex am Ende des Werkes, in dem die jeweilige Partie, aus der ein Eröffnungsfragment entnommen worden ist, aufgeführt ist. Diese Art des Vorgehens entschlackt den Bereich der theoretischen Erörterungen von Quellenangaben und gibt dem Leser die Möglichkeit, sich aus seiner eigenen Partiensammlung leichter Referenzpartien zusammenzustellen.

Alle Kapitel sind gleich aufgebaut. Sie werden eingeleitet von Kerninformationen, die den Spieler sehr grundlegende und auf generelle Dinge begrenzt informieren sollen. Dies sind die oben schon angesprochenen Informationen für den "eiligen Spieler".
Es folgt dann der eigentliche Bereich der Repertoiredarstellung und -erläuterung. Bologan arbeitet in einem ausgewogenen Verhältnis von textlichen Erläuterungen und Varianten. Der Schwerpunkt aber liegt auf dem Text und nicht etwa auf Variantenketten.
Aufgebaut ist das Werk klassisch, also auf der Basis von Haupt- und Nebenvarianten, nicht mit Partien als Rückgrat der Besprechung. Die "Trägervarianten" sind natürlich oft Beispiele aus der Praxis. Vollständige Partien sind im Werk nicht aufgenommen, auch nicht zur Illustration der behandelten Eröffnung in der Praxis. Ich vermisse sie auch nicht, "Bologan's Black Weapons" ist ohne vollständig abgebildete Duelle, die sonst Raum im Buch beanspruchen würden, komplett.
Die von Bologan getroffene Auswahl und besonders die Einschätzung zur Qualität von Zügen und Varianten möchte ich nicht bewerten. Bei einem Autor seiner Klasse ist einfach davon auszugehen, dass seine Empfehlungen gesund und auf der Höhe der Zeit sind. Daran würde auch nichts ändern, wenn man in der einen oder anderen Nebenvariante vielleicht mal ein Haar in der Suppe finden würde. Dies würde an der Qualität des Buches als solches nichts ändern, zumal kleine Unkorrektheiten, wenn sie denn überhaupt solche und nicht das Zeichen eines anderen Geschmacks sind, ein natürlicher Begleiter aller Bücher zur Eröffnungstheorie sind.

Die Kapitel werden abgeschlossen von einer kurzen Zusammenfassung der zu beachtenden Fallen, Zugumstellungen und der Ideen, die sich der Leser merken sollte.

Das Ende des Werkes bilden neben dem oben schon kurz beschriebenen Partienverzeichnis ein detaillierter Variantenindex und das Quellenverzeichnis. Letzteres enthält das "Who-Is-Who" der vor allem englischsprachigen Literatur sowie der Partiendatenbanken. Auch der Bereich des Fernschachspiels ist dabei gut vertreten.
Für die einzelnen fünf Teile des Werkes spezifisch genutzte Literatur findet der Leser jeweils eine separate Aufstellung.

Das Buch ist in englischer Sprache geschrieben. Die Anforderungen an die Fremdsprachkenntnisse des Lesers sind moderat, was insbesondere für den Teil der theoretischen Betrachtungen gilt. Schulenglisch sollte ausreichen.

Nun die schwer zu beantwortende Frage nach dem potenziellen Adressatenkreis des Werkes: Es ist ohne jeden Zweifel ein ausgezeichnetes Buch. Umfänglich davon profitieren wird aber eher der fortgeschrittene Spieler. Dieser sollte dann auch bereit und in der Lage sein, die besonderen Features des Buches zu nutzen, wie ich sie oben beschrieben habe.

Fazit: "Bologan's Black Weapons" ist ein sehr beeindruckendes Werk, das aber auch Anforderungen an den Leser stellt. Es ist also keine "leichte Muse" für den Schachfreund, der sich gelegentlich mal mit einer neuen Eröffnung vertraut machen möchte.
Für den fortgeschrittenen Spieler, der den Ehrgeiz und die Möglichkeiten mitbringt, sich von der Pike auf tief in Eröffnungen einzuarbeiten, ist "Bologan's Black Weapons" ein hervorragendes Buch. Durch die Brille des Fernschachspielers ist das Werk neben seinen Ausführungen zur Theorie auch als Hilfsmittel wertvoll, indem es das Material gliedert und zusätzlich eine geordnete Suche in Partiendatenbanken unterstützt.


Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann (www.schachversand.de) zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)