Mark Dvoretsky: "Dvoretsky’s Endgame Manual"

von Uwe Bekemann (Kommentare: 0)

Mark Dvoretsky (Karsten Müller als Bearbeiter der 5. Auflage)
Dvoretsky’s Endgame Manual
440 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-1-949859-18-8
32,95 Euro

„Dvoretsky’s Endgame Manual“ ist 2020 in einer fünften und überarbeiteten Auflage erschienen. Wie dem Vorwort zur 1. Auflage aus der Feder von Mark Dvoretsky selbst zu entnehmen ist, war diese eine Übersetzung aus einer deutschsprachigen Version, die mir allerdings nicht bekannt ist. Die Überarbeitung hat mit GM Karsten Müller ein ausgewiesener Endspiel-Experte übernommen. Karsten Müller ist zudem von Anbeginn mit diesem Buch verbunden, denn Dvoretsky dankt ihm im schon besagten Vorwort für seine Korrekturlesung und die Prüfung der Varianten auf Korrektheit.


Auf die Überarbeitung des Werkes in seine neue Auflage hat Mark Dvoretsky, der bereits 2016 verstorben ist, noch maßgeblich Einfluss genommen, wie man dem neuen Vorwort von Karsten Müller entnehmen kann. So hatte er bereits begonnen, eine Liste mit Änderungsbedarfen zusammenzustellen.

Das Buch ist 440 Seiten stark und widmet sich darauf der Technik der Endspielführung für alle wichtigen Konstellationen. Zur Definition des Endspiels teilt Dvoretsky seine eigenen Kriterien mit. Danach ist das Endspiel „die Phase einer Schachpartie, in der mindestens eine Seite neben dem König nicht mehr als eine Figur hat.“ Er stellt deshalb fest, dass „Stellungen mit mehr Figuren hier nicht behandelt werden, außer in Fällen, in denen die zusätzlichen Figuren ‚getauscht‘ werden.“
Damit kein Irrtum aufkommt: Bei dieser Definition meint Dvoretsky tatsächlich allein die Figuren und nicht etwa die Spielsteine insgesamt, also auch die Bauern. Auch die Seite, die nur über eine weitere Figur verfügt, hat oftmals etliche Steine auf dem Brett, von denen dann aber die Mehrzahl aus Bauern besteht.

„Dvoretsky’s Endgame Manual“ ist in 16 Kapitel gegliedert. Diese tragen – ins Deutsche übersetzt, die folgenden Überschriften:

  1. Bauernendspiele
  2. Springer gegen Bauern
  3. Springerendspiele
  4. Läufer gegen Bauern
  5. Ungleichfarbige Läufer
  6. Gleichfarbige Läufer
  7. Läufer gegen Springer
  8. Turm gegen Bauern
  9. Turmendspiele
  10. Turm gegen Springer
  11. Turm gegen Läufer
  12. Damenendspiele
  13. Dame gegen Turm
  14. Andere Materialkonstellationen
  15. Allgemeine Endspielideen
  16. Lösungen.

Die Systematik der Kapitel 1 bis 14 entspricht einer üblichen Gliederung der Lehr- und der Handbücher zur Endspielführung. Daran ändert sich grundsätzlich auch innerhalb der einzelnen Kapitel nichts. So geht das Werk beispielsweise im ersten Kapitel auf Schlüsselfelder, korrespondierende Felder, Opposition etc. ein. Zu jedem einzelnen Element werden die Technik, Prinzipien, Standardmanöver etc. erörtert.
Das Kapitel 15 löst sich von bestimmten Materialkonstellationen und behandelt generalisiert Themen wie Aktivität des Königs, Zugzwang, Festungen, Patt usw. Kapitel 16 enthält die Lösungen auf zahlreiche Übungsaufgaben, die das Werk über die Kapitel verteilt an den Leser richtet.

Die Tiefe in der Behandlung des Stoffes geht deutlich über das hinaus, was ich sonst von Lehrbüchern zum Endspiel kenne. Allerdings zeigt auch schon der Titel des Werkes an, dass es unter einem höheren Anspruch geschrieben worden ist. Es versteht sich als „Manual“, als Handbuch also, somit auch als Ratgeber allgemein für eine breite Praxis und als Nachschlagewerk. Das in diesem Buch niedergeschriebene Wissen kann sich kein Mensch vollständig merken, was auch Vladimir Kramnik, 14. Schachweltmeister, in seinem Vorwort feststellt. Für ihn ist es die „Bibel“ zum Endspiel.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wem man „Dvoretsky’s Endgame Manual“ zum Kauf empfehlen kann. Kramnik bezeichnet das Werk als „Muss“ für jeden Profi; zugleich erklärt er es als „wichtig“ für jeden Klubspieler.

M.E. muss der Leser, der einen vollen Nutzen aus diesem Buch ziehen möchte, mehrere Voraussetzungen erfüllen. Zu diesen zählen:

  • ein immenser Ehrgeiz,
  • viel Zeit für das Studium des Buches,
  • Ausdauer, einen langen Atem, vermehrt bei einem reduzierten Zeitpotenzial und deshalb einer längerfristigen Arbeit mit dem Buch,
  • eine Spielstärke, die es erlaubt, den Stoff so zu verarbeiten, dass er „richtig“ verstanden wird.

„Dvoretsky’s Endgame Manual“ wartet allerdings mit einer Besonderheit auf – der Text ist teilweise grau unterlegt. Damit kennzeichnet das Werk solche Inhalte, die jeder Leser bearbeiten sollte. Im Umkehrschluss bedeutet dies natürlich, dass dieser Einfluss auf die oben genannten Anforderungen an sich nehmen kann. Ich habe mich beispielhaft auf die damit geschaffene Unterscheidung konzentriert und bin für mich – natürlich sehr subjektiv – zu dem Ergebnis gekommen, ihr nicht folgen zu wollen. Es bleibt m.E. immer das Gefühl zurück, lückenhaft gearbeitet und damit Defizite im Lernen akzeptiert zu haben.
Ich denke, dass „Dvoretsky’s Endgame Manual“ kein Buch für den Einsteiger, den Freizeitspieler oder für den Klubspieler ist, dessen Ehrgeiz befriedigt ist, wenn er eine Partie mit Spaß und ohne schwere Patzer auch im Endspiel zu spielen weiß. Für diese Leserschaft wäre ein Buch wie beispielsweise „Silmans Endspielkurs – vom Anfänger zum Meister“ von New In Chess besser geeignet.

Wer die Mühen, die das besprochene Werk abverlangt, auf sich nimmt und den Stoff zu verinnerlichen weiß, wird nicht nur isoliert seine Endspielfähigkeiten verbessern. Ich möchte dazu Artur Jussupow zitieren, von dem die folgende Einschätzung stammt: „Ich bin mir sicher, dass diejenigen, die dieses Werk sorgfältig studieren, nicht nur das Endspiel besser spielen werden, sondern dass sich ihr Spiel insgesamt verbessern wird.“
Ein vergleichbarer Erfolg ist auch nicht von der Arbeit mit dem Computer unter Einsatz auch der Tablebases zu erwarten, worauf auch Vladimir Kramnik hinweist, der „Dvoretsky’s Endgame Manual“ allerdings Profis und Amateuren empfiehlt.

In diesem Zusammenhang ist ein Blick auch auf das Fernschachspiel sinnvoll. Heute wird Fernschach regelmäßig unter Einsatz starker Engines und mit Rückgriff auf die Tablebases gespielt. Auch moderne Engines kommen im Endspiel mit zunehmender Rechentiefe an ihre Grenzen. Die Tablebases kommen erst in Stellungen mit sehr wenigen Steinen umfassend zum Tragen; bis dahin müssen die Stellungen nach Möglichkeit entsprechend optimal entwickelt werden. Ein Hilfsmittel wie „Dvoretsky’s Endgame Manual“ kann dabei eine wertvolle Hilfestellung leisten.

Dass auch Spitzenspieler Endspiele auf bemerkenswerte Weise verpatzen können, zeigt Dvoretsky gelegentlich als Tragikkomödien auf. Damit will er, worauf er ausdrücklich aufmerksam macht, kein Lachen produzieren, sondern eine Warnung aussprechen, die Endspieltheorie nicht zu ignorieren. Wie wichtig muss ein hinreichendes Wissen dazu sein, wenn auch große Kenner durch elementare Fehler ihren Erfolg in der Partie wegwerfen können?!
An solchen Tragikkomödien mangelt es auch im Fernschach nicht, indem Spieler offenbar sorglos Empfehlungen ihrer Engines übernommen haben.

Etwas Kritik muss ich an der technischen Umsetzung üben. Ein Handbuch ist für einen langen und oftmaligen Einsatz bestimmt. Entsprechend stabil sollte es hergestellt sein. Der hier für den Einband verwendete Karton ist m.E. nicht stabil genug, er ist zu dünn. Auch ist das Druckbild zwar ganz überwiegend gut, manchmal aber doch etwas unsauber bzw. unscharf. Dies ist zumindest beim Rezensionsexemplar so.

Die Anforderungen an die Englischkenntnisse des Lesers sind moderat. Wer mit anderen englischsprachigen Schachbüchern bereits zurechtgekommen ist, sollte auch mit „Dvoretsky’s Endgame Manual“ problemlos arbeiten können.

Fazit: „Dvoretsky’s Endgame Manual“ ist ein herausragendes Lehr- und Nachschlagewerk zur Endspielführung. Es behandelt alle wesentlichen technischen Endspiele. Der Leser erfährt an instruktiv besprochenen Beispielen, welche Technik, Prinzipien, Standardmanöver etc. in den jeweiligen Konstellationen relevant sind.

Das Buch ist vor allem eine Empfehlung an professionell mit dem Schachspiel verbundene Spieler und an Amateure, die bereits eine überdurchschnittliche Spielstärke erreicht und den Ehrgeiz auf mehr haben.
Empfehlen möchte ich dieses Werk zudem jedem Fernschachspieler, der es seine Partien begleitend optimal nutzen kann.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann zur Verfügung gestellt.

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