Jan Timman: "The Unstoppable American"

von Uwe Bekemann (Kommentare: 0)

Jan Timman
The Unstoppable American
254 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-978-
21,50 Euro

Wenn ein Buch über einen Sportler den Titel „The Unstoppable American“ trägt und man keine weiteren Informationen, um wen es darin geht, zur Verfügung hat, kommen gleich mehrere herausragende Personen des Sports in Betracht. Dem Schwimmsportler wird Michael Phelps einfallen, dem Radsportfan Lance Armstrong und dem Boxfan vielleicht Muhammad Ali. Sie alle haben ihren Sport über eine gewisse Zeit imposant dominiert. Und dies gilt auch für Bobby Fischer, der dem Schachfreund sofort in den Kopf kommen wird. Fischer beherrschte die Schachwelt nicht ab seinem Sieg im WM-Duell 1972 in Reykjavik, wie man mit Blick auf die Weltmeisterkrone meinen könnte, denn seine „Regentschaft“ hat er im Anschluss nicht ausgeübt. „Der nicht aufzuhaltende Amerikaner“ war er vielmehr auf seinem Weg dorthin. Der sinngemäß übersetzte Untertitel „Bobby Fischers Weg nach Reykjavik“ spielt darauf an. Die beispiellosen Siege mit jeweils 6:0 gegen Mark Taimanow und Bent Larsen in den Kandidaten-Wettkämpfen sind Stationen darauf. Sein Weg begann 1970 mit dem Match UdSSR gegen den Rest der Welt, führte über das Interzonenturnier Palma de Mallorca 1970 und mündete in die Herausforderung des Weltmeisters Boris Spasski. In dieser Zeit galt Fischer als beinahe unschlagbar, sein Spiel wurde als nahezu perfekt eingeschätzt.
Mit seinem sechsten Sieg gegen Larsen gewann Fischer die 19. Partie in Folge, und dies gegen eine Auswahl der besten Spieler der Welt.


The Unstoppable American“ widmet sich dieser Phase in Fischers Karriere, mit seiner Teilnahme am Match „UdSSR gegen den Rest der Welt“ 1970 beginnend. Mit Jan Timman hat es einen exzellenten Autor, der lange Jahre selbst zur absoluten Weltspitze zählte. Erschienen ist das Werk 2021 bei New In Chess (NIC).

In – der Zahl, der Stationen auf Fischers Weg entsprechend – 5 Kapiteln (Weg nach Palma, Turnier in Palma und die 3 Kandidaten-Wettkämpfe) bietet Timman dem Leser eine Mischung aus insgesamt 63 kommentierten Partien, Daten inklusive Tabellen und unterhaltsamen Plaudereien an, ergänzt um historische Fotos. Nun könnte man die kritische Frage stellen, ob es aus Lesersicht Sinn macht, sich mit einem neuen Buch zu befassen, das schon häufig untersuchte Partien enthält und auch keine bahnbrechenden Neuigkeiten von der Turnierbühne enthalten dürfte. Es macht Sinn, was ich ausdrücklich festhalten möchte. Timman hat nicht einfach alten Stoff „aufpoliert“, indem er die eine oder andere Analyse dem Vorhandenen hinzugefügt hat. Er hat die Partien unter Nutzung von Stockfish als Engine neu analysiert und kommentiert, wobei der Computer auf die Rolle als Hilfsmittel begrenzt geblieben ist und nicht etwa „Endlosvarianten“ einstreuen durfte.
Timman stellt fest, dass Fischer nicht immer und auch dann nicht perfekt gespielt hat, wenn man es bisher angenommen hatte. Aber es bedurfte einer solchen intensiven Untersuchung mit Rechnerunterstützung, um solche Erkenntnisse überhaupt erst zu ermöglichen, was zugleich eine Bestätigung für Fischers Brillanz ist.
Timman erklärt Fischers Dominanz damit, dass er

  • in beinahe jeder Partie auf Gewinn gespielt hat und dabei bewusst Risiken eingegangen ist,
  • bereit war, alle Stellungstypen zu spielen und er diese besser als alle anderen damaligen Spitzenspieler zu behandeln wusste.

Die schon erwähnten Plaudereien hat Timman in begleitendem Text wie auch in Partiekommentaren platziert. Mal bringt er Anekdoten ein, von denen mir übrigens mehrere bisher unbekannt waren, mal sind es eigene Erlebnisse, dann wieder Überlegungen zu Fischers Persönlichkeit und Hintergründe für das, was ihm den Ruf des Exzentrikers eingebracht hat. Ein Erklärungsversuch verbindet sich mit einer Unsicherheit Fischers beim Treffen von Entscheidungen im realen Leben, während er auf dem Brett ganz anders auftrat. In diesem Zusammenhang hat Timman auch eine Anleihe aus Einschätzungen Dr. Hübners eingebracht, die er anlässlich eines Treffens im Jahre 2020 erfahren hat.

The Unstoppable American“ lässt sich nicht eindeutig einem bestimmten Genre der Schachbücher zuordnen. Auf den kurzen Betrachtungszeitraum begrenzt zeigt es biografische Züge und darf sicher auch als Sammlung kommentierter Partien bezeichnet werden.

Der verwendete Wortschatz ist bisweilen breiter als in Schachbüchern üblich. Ansonsten sollte ein geordnetes Fremdsprachenwissen auf Schulniveau ausreichen, um gut mit dem Werk zurechtzukommen.

Fazit: „The Unstoppable American“ ist ein neues Werk, das sich dem Mythos Bobby Fischer widmet. Es ist sehr unterhaltsam, nicht nur aufgrund der Partien, die Jan Timman wie von ihm gewohnt meisterlich kommentiert hat.
Timmans Untersuchungen haben zu einigen Erkenntnissen geführt, die trotz aller bisherigen Veröffentlichungen zu Bobby Fischer und seinen Partien neu sind.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann zur Verfügung gestellt.

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