Emmanuel Neiman: "The Magnus Method"

von Frank Hoppe (Kommentare: 0)

Emmanuel Neiman
The Magnus Method
320 Seiten, kartoniert
ISBN: 978-90-5691-968-9
24,95 Euro

In seinem Buch „The Magnus Method“ (New In Chess 2021) geht der französische FIDE-Meister und Trainer Emmanuel Neiman der Frage nach, was Magnus Carlsen zu dem Ausnahmespieler macht, der er ist. Diese Fähigkeiten und Eigenschaften will er aufdecken und dem Leser erklären, damit dieser so wie seine Schützlinge als Trainer für sein eigenes Spiel davon profitieren kann.


Das Werk ist in 13 Kapitel unterteilt. Sinngemäß ins Deutsche übersetzt tragen diese die folgenden Überschriften (soweit Überschriften zumindest dem noch nicht weiter mit Carlsens Spiel vertrauten Leser wenig sagen dürften, habe ich erläuternde Anmerkungen beigefügt):

  • Kapitel 1: Stil: von Karpov zu Tal?
  • Kapitel 2: Die Eröffnungsrevolution [Anmerkung: Carlsens Prinzip, spielbare Eröffnungen abseits der detailliert bis in große Tiefe ausanalysierten Wege zu spielen; Auswahl und Spiel der Eröffnungen nach Strukturen]
  • Kapitel 3: Angriff: Alle zur Party einladen [Anmerkung: Die Kunst alle Figuren gegen den gegnerischen König auszurichten]
  • Kapitel 4: Verteidigung: der präventive Gegenangriff
  • Kapitel 5: Taktik: "les petites combinaisons" (kleine Kombinationen)
  • Kapitel 6: Abtausch: Carlsens wichtigste positionelle Waffe
  • Kapitel 7: Variantenberechnung: einen klaren Kopf behalten
  • Kapitel 8: Planung: Wenn Wissen Weitblick bringt [Anmerkung: Tiefgründiges und breites Wissen für die Ausarbeitung eines (auf lange Sicht angelegten) Plans nutzen)
  • Kapitel 9: Bauern: Perfekte Technik und neue Tipps
  • Kapitel 10: Figuren: Die Kunst, nach hinten zu spielen [Anmerkung: Fortschritte über scheinbare Rückzüge/Rückschritte erzielen]
  • Kapitel 11: Endspiele: Die Prinzipien brechen
  • Kapitel 12: Wie man gegen Magnus Carlsen gewinnt: die versteckten Fehler? [Anmerkung: Es geht im Wesentlichen darum, Nutzen daraus zu ziehen, wenn der Gegner ein zu hohes Risiko eingeht oder wenn er unangebracht einer passiven Verteidigung eine aktive vorzieht.)
  • Kapitel 13: Partien und Lösungen.

Die Kapitel 3 bis 12 sind vergleichbar aufgebaut. Das jeweilige Thema wird kurz beschrieben, im Anschluss stellen sich dem Leser unterschiedlich viele Lösungsaufgaben. Die Ausgangsstellung wird jeweils mittels eines Diagramms eingeführt. Daneben erhält der Leser außer einer Ziffer zur Nummerierung der Aufgabe nur noch eine Information zur am Zug befindlichen Partei. Hinsichtlich der Lösungen wartet das Werk mit einer weniger üblichen Variante auf. Diese sind im Kapitel 13 zusammengestellt, das – wie oben in einer übersetzten Form dargestellt – mit „Partien und Lösungen“ überschrieben ist. Der Leser erfährt entsprechend in der Form von Partien, was er bestenfalls ermitteln sollte. Die meisten Duelle sind als Fragmente aufgenommen, einige Beispiele sind aber auch vollständig abgebildet.

Das Besondere an diesem Format liegt darin, dass der Leser eine Wahl zur Lösungsalternative hat. So kann er sich mit dem Hinweis zur gesuchten Lösung, der sich aus der Zuordnung der gestellten Aufgabe zu einem Kapitel ergibt, an der Aufgabe versuchen, oder auch völlig auf sich allein gestellt, indem er in den Partien- bzw. Lösungsteil geht und sich hier ans Werk macht. Die schon erwähnte Nummer jeder Aufgabenstellung setzt sich aus der Nummer der im Kapitel 13 abgebildeten Partie und daraus zusammen, das wievielte ein hier abgebildetes Diagramm in dieser Partie ist. So ist beispielsweise das Diagramm 43.3 in der Partie Nr. 43 zu finden und ist das dritte aller darin abgebildeten Diagramme. Das Aufgabendiagramm im jeweiligen Kapitel und dieses so in der Partie zu findende Diagramm sind dementsprechend identisch.
Indem der Leser alles unterhalb eines Diagramms abdeckt, kann er seinen Augen jeden Mogelversuch verwehren.

Neiman empfiehlt dem Leser zunächst ein Vorgehen wie in einer eigenen Partie. Er soll sich mit der aktuellen Situation auf dem Brett auseinandersetzen und seine Lösung im Anschluss mit Carlsens vergleichen. Manche Aufgaben sind relativ einfach, andere erfordern eine tiefe Variantenberechnung oder ein gut entwickeltes Schachverständnis. Nach Schwierigkeitsgrad geordnet sind die Aufgaben nicht.

Seine Kommentierung hat der Autor mit Unterstützung des Computers ermittelt, wobei er sich nach eigenen Angaben vornehmlich auf mehrere Stockfish-Versionen gestützt hat. Die angegebenen Versionen waren noch nicht auf die NNUE-Nutzung (Efficiently Updatable Neural Network) ausgelegt, haben also den herkömmlichen Brute-Force-Berechnungsansatz noch nicht mit den erweiterten Bewertungsfunktionen von Engines für neuronale Netze kombiniert.
In diesem Punkt nehme ich „The Magnus Method“ als etwas ambivalent wahr. Neiman erklärt, dass ein Zug, der als Bester angesehen wird oder ein Ausrufezeichen erhalten hat, nicht zwingend der beste Zug sein muss. Vielmehr soll er regelmäßig Stockfishs erste Wahl sein, wobei diese Bewertung abhängig ist von der verwendeten Stockfish-Version. Der mit Engines spielende Fernschachspieler weiß, dass Engines zu unterschiedlichen Rechenergebnissen in der Bewertung identischer Stellungen kommen können, was auch gilt, wenn diese aus der gleichen Familie stammen und nur verschiedene Versionen darstellen.

Die wenigsten Leser dieses Werkes werden die Gelegenheit haben, mit Magnus Carlsen am herkömmlichen oder virtuellen Brett zu sitzen. Aber er ist ein Trendsetter, dessen Herangehensweisen von anderen aufgenommen werden. Wenn diese Feststellung eines Belegs bedarf, so liegt dieser beispielsweise schon in seinem Einfluss auf die Wahl bestimmter Eröffnungssysteme. „The Magnus Method“ eröffnet dem Leser die Möglichkeit, sich bewusst mit verschiedenen besonderen Elementen im Spiel des amtierenden Weltmeisters auseinanderzusetzen. Damit erhält er die Chance, sein eigenes Verständnis zu erweitern und auch zu generalisieren. Er kann gezielt daran arbeiten, diese Elemente in sein Spiel, sein Spielverständnis zu integrieren und auf diese im gegnerischen Spiel qualifiziert zu begegnen.

Die Anforderungen an die Fremdsprachenkenntnisse des Lesers sind moderat. Am im Buch verwendeten Wortschatz ausgerichtet reicht Schulenglisch für ein gutes Verstehen aus.

Fazit: „The Magnus Method“ ist ein gelungenes Werk, das sich darauf konzentriert, die Besonderheiten im Stil des Weltmeisters Magnus Carlsen herauszuarbeiten, um diese dem Leser zur Erweiterung seines eigenen Spielverständnisses zur Verfügung zu stellen. Es stellt die besonderen Elemente vor, lässt den Leser über Aufgabenstellungen im Geist dieser Elemente nachdenken und leitet ihn über ausführliche Lösungen im Rahmen kommentierter Partien und Partiefragmente zur Anwendung an.
Da die Aufgaben, um innerhalb der Kapitel erfolgreich absolviert werden zu können, ein gewisses Spielverständnis beim Leser voraussetzen, sollte dessen Spielstärke mindestens im Bereich des unteren Klubniveaus angesiedelt sein. Das alternative Lösen der Aufgaben direkt im Partien- und Lösungskapitel setzt eine höhere Spielstärke als die „Normalvariante“ voraus.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann zur Verfügung gestellt.

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.