Dariusz Swiercz: "The Modernized Ruy Lopez, Volume 2"
von Uwe Bekemann (Kommentare: 0)
Dariusz Swiercz
The Modernized Ruy Lopez, Volume 2
330 Seiten, kartoniert
ISBN: ISBN: 9789464201086
29,95 Euro
„The Modernized Ruy Lopez, Volume 2“ baut das Repertoire, das der polnische und inzwischen in den USA lebende Großmeister Dariusz Swiercz für Weiß zur Spanischen Partie zusammengestellt hat, aus. Das Werk ist 2021 bei Thinkers Publishing erschienen. Volume 1 war in 2020 auf den Markt gekommen.
Dieser zweite Band deckt die Spielweisen ab, in denen Schwarz nach einem vorherigen 3…a6 früh Lf8-c5 spielt, er die geschlossene Verteidigung mit Lf8-e7 wählt oder Weiß selbst mittels 6.d2-d3 vom Hauptweg abweicht. Entsprechend hat Swiercz seine Arbeit in 3 Teile gegliedert, die insgesamt 9 Kapitel enthalten.
Im 1. Teil behandelt er die Möller-Variante und die Archangelsker Variante. Zur Möller-Variante gibt es eine interessante Möglichkeit für den Leser, indem er das Repertoirebuch „Carlsen's Neo-Moeller“ von Ioannis Simeonidis, NIC 2020, hinzuzieht, das ich erst kürzlich rezensiert habe. Beide Autoren setzen unterschiedliche Schwerpunkte nach 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Lc5 6.c3 0-0 7.d4 La7 und erweitern die Theorie um eigene Analysen. Anders als Simeonidis behandelt Swiercz die Möller-Variante auch nach 6…b5. Demgegenüber hat Simeonidis für den von ihm betrachteten Sektor deutlich mehr Neuland geschaffen.
Im 2. Teil widmet Swiercz nach einem einführenden Kapitel zu den selten gewählten Spielweisen den Hauptsystemen Saizew-Variante, Tschigorin-System, Breyer-System und dem Anti-Marshall-Aufbau jeweils ein eigenes Kapitel (3 – 7).
Teil 3 zu 6.d2-d3 enthält dann noch zwei abschließende Kapitel zu selten gespielten Linien und zur Hauptvariante.
Zunächst ein paar Worte zum Aufbau des Werkes: Wer bereits bei Thinkers Publishing erschienene Repertoirebücher studiert hat, trifft im vorliegenden Werk Vertrautes an. Jedes Kapitel beginnt mit einem Deckblatt, das die Ausgangszugfolge des in der Folge betrachteten Systems sowie ein Diagramm zur darüber erreichten Grundstellung enthält. Die Rückseite stellt in einer Übersicht die einzelnen Varianten zusammen. Swiercz nutzt eine als Einleitung bezeichnete Grund- bzw. Hauptvariante, um den Leser in das System einzuführen. Die Abweichungen von diesem Weg sowie auch sich anschließende mögliche Fortsetzungen haben jeweils einen eigenen Abschnitt erhalten. Deren jeweiliger Anfang ist auf den ersten Blick beim Blättern zu erkennen, da er drucktechnisch deutlich hervorgehoben wird (besondere Zeichengröße, Fettschrift und grauer Hintergrund).
Der Darstellung des Stoffes liegt eine Baumstruktur zugrunde. Die Hauptvarianten sind durch ihre Zeichengröße und Fettdruck hervorgehoben. Diejenigen der zahlreichen eingefügten Diagramme, die auf sie entfallen, sind größer als die übrigen. Die Nebenvarianten lassen sich gut nach ihrem Grad unterscheiden. So sind die Abweichungen innerhalb der Varianten („Varianten der Varianten“) nicht nur anhand einer trennenden Klammersetzung zu erkennen, sondern auch an der Textfarbe (Grau statt Schwarz).
Beispiel- bzw. Musterpartien enthält „The Modernized Ruy Lopez, Volume 2“ nicht. Beispiele aus der Meisterpraxis hat Swiercz in Form von Partiefragmenten eingebracht, die dann als Varianten fungieren. Diese sind zumeist eines jüngeren Datums. Das Buch stützt sich ausweislich der angegebenen Partiedaten kaum auf das Fernschachspiel. Berücksichtigt hat Swiercz diese Variante des Turnierschachs aber sehr wohl, was aus Aussagen zur Statistik hervorgeht.
Leider enthält das Werk kein Verzeichnis der vom Autor verwendeten Quellen. Auf jeden Fall zählt das Spanisch-PowerBook von Chessbase dazu, das er im Text ausdrücklich erwähnt. Ein Ausweis der genutzten Literatur hätte es dem Leser leichter ermöglicht, Einschätzungen der verschiedenen Autoren inklusive Swiercz in Beziehung zu setzen.
Wer ein Repertoirebuch über ein Eröffnungsschwergewicht wie die Spanische Partie schreibt, muss das Kunststück bewerkstelligen, einen Gelenkbus irgendwie in eine PKW-Garage zu bekommen. Genau das gelingt Dariusz Swiercz nach meinem Empfinden sehr gut. Seine auffälligsten Mittel dabei sind:
- 1. Eine clevere Auswahl der Systeme bzw. Varianten. Swiercz sucht Wege, über die eine Reduzierung der Antwortmöglichkeiten seitens Schwarz möglich wird. Diese Lösung greift insbesondere im Teil 2 des Werkes.
- 2. Neuerungen sowie erst in jüngster Zeit in der Praxis versuchte Fortsetzungen: Einige Vorschläge entstammen der Analyse des Autors und sind bisher noch nicht publiziert oder versucht worden, soweit ich dies erkennen kann.
Swiercz hat als Hilfsmittel für seine Berechnungen mindestens u.a. Lc0 (Leela Chess Zero) und Stockfish eingesetzt, hier offenkundig unter NNUE-Nutzung. Manche seiner Vorschläge sind entsprechend rechnerisch unterfüttert.
Er übernimmt nicht einfach Vorschläge der Engines, sondern bewertet sie. Ein schönes Beispiel hierfür findet sich auf Seite 181. Dort schreibt er, sinngemäß übersetzt: „Nach den Engines und meiner eigenen Analyse hat Schwarz keine Möglichkeit, den Ablauf zu verhindern.“ - 3. Abstrahierungen: Swiercz gibt sich große Mühe, um den Leser ein eigenes Verständnis aufbauen zu lassen, aus dem heraus er Spielweisen in seinen Partien anwenden kann, ohne nur auswendig gelernte Varianten abzuspulen. Er erläutert die Pläne, gibt Anleitung zur Spielführung und zeigt regelmäßig die Gründe für eine Stellungseinschätzung auf. Soweit der Leser den von ihm empfohlenen Wegen folgt, soll er bei einer gegnerischen Abweichung stellungsgemäß antworten können, ohne dafür alle wichtigen Abweichungen des Gegners und gebotene Erwiderungen in der Form von Varianten in Erinnerung zu haben.
Natürlich greifen diese Mittel ineinander. Ein schönes Beispiel hierfür findet sich bereits im Kapitel 1. Hier schlägt Swiercz nach 6.c3 b5 7.Lc2 d5 als Fortsetzung 8.a4!? vor. Er macht darauf aufmerksam, dass Weiß zwar ein gewisses Risiko damit eingeht, auch das Erinnerungsvermögen gefordert wird, ihm aber gute Gewinnchancen eröffnet sind. An späterer Stelle des Kapitels (Seite 29) stellt er fest, dass Lc0 Weiß in einer Variante einen leichten Vorteil einräumt, während Stockfish diesen Vorteil sogar als groß bewertet. Für ihn ist es irrelevant, ob der Vorteil klein oder groß ist. Für ihn ist es nur relevant, dass Weiß im Vorteil ist. Ein Fernschachspieler wird dies – je nach weiteren Alternativen an dieser Stelle – vielleicht anders sehen, aber für das herkömmliche Turnierspiel hat Swiercz sicher Recht.
Seine Empfehlung 8.a4 hat er in der Folge intensiv auch auf Neuerungen für Schwarz abgecheckt, was einerseits natürlich angebracht ist, andererseits aber auch das Vertrauen in seine Empfehlungen stärkt. Nach 8…dxe4 9.axb5 geht er auf 9…0-0 als Neuerung für Schwarz ein, um Weiß auch darauf entsprechend zu präparieren.
Ein weiteres besonders nettes Beispiel gibt Seite 220. Hier wird beschrieben, wie Lc0 und Stockfish zu stark voneinander abweichenden Stellungsberechnungen gekommen sind, so dass Swiercz sich zu entscheiden hatte. Er macht dies und gibt dabei ganz genau seine auf die Stellung bezogenen Gründe an.
Auch mit dem in „The Modernized Ruy Lopez, Volume 2“ eröffneten Repertoire kommt der Leser nicht daran vorbei, sich Varianten einprägen zu müssen. Für den 3. Teil des Werkes gilt dies zumindest eingeschränkt. Allerdings wirkt Swiercz sehr darauf hin, dass dieser Bedarf möglichst niedrig gehalten wird, mit einem gesunden Mix aus Erläuterungen und Varianten.
Wer des Englischen auf Schulniveau mächtig ist, wird kaum Probleme bei der Arbeit mit dem Buch haben.
Fazit: „The Modernized Ruy Lopez, Volume 2“ stellt ein solides, aktuelles und mit Neuerungen versehenes Repertoire zusammen, das Weiß in der Spanischen Partie nach einem gegnerischen 3…a6 einsetzen kann. Es ist so konzipiert, dass sich der Leser möglichst wenige konkrete Varianten einprägen muss und stattdessen möglichst viel Verständnis aufbaut, das dem Leser in der Partie stellungsgemäße Entscheidungen erlaubt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann zur Verfügung gestellt.
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