Alexey Kovalchuk: "The Modernized Modern Benoni"
von Uwe Bekemann (Kommentare: 0)
Alexey Kovalchuk
The Modernized Modern Benoni
280 Seiten, kartoniert
ISBN: 9789464201048
24,50 Euro
Mit „The Modernized Modern Benoni“ hat Alexey Kovalchuk ein Repertoire vorgestellt, mit dem Schwarz auf der Basis eines einfachen Plans zu einem aggressiven Gegenspiel gegen den weißen Eröffnungszug 1.d4 kommen soll. Die Schlüsselposition entsteht über die Zugfolge 1.d4 Sf6 2.c4 c5 3.d5 e6 4.Sc3 exd5 5.cxd5 d6. Die Grundidee zeigt er dem Leser bereits in seinem Vorwort auf. Wie in der Königsindischen Verteidigung wird der schwarze Königsläufer auch hier fianchettiert. Allerdings ist er hier nicht vom eigenen Bauern auf e5 verstellt, wie es im Königsinder oft der Fall ist. Mit seinen Bauern auf d6 und c5 sowie manchmal zusätzlich auf b4 will er einen „Wellenbrecher“ aufbauen, der Schwarz Raum einbringt und seinen Läufer begünstigt.
Schon bei einem ersten Blick in dieses 2021 bei Thinkers Publishing erschienene Werk wird dessen – aus der Warte des lernenden Lesers – sehr gute Struktur deutlich. In seiner Einführung stellt Kovalchuk alle 11 Buchkapitel mit den in ihnen behandelten Systemen zusammen. Schon hier geht er auf deren Besonderheiten und die Pläne ein, so dass der Leser von Anfang an in einer allgemeinen Form mit ihnen vertraut wird. Entsprechend vorbereitet kann er sich dann in das jeweils gewünschte Kapitel begeben.
Ein Wermutstropfen ist allerdings ein schwerer Fehler zum Kapitel 5. Hier stimmen die Ausgangszugfolge und auch das entsprechende initiale Diagramm nicht mit dem tatsächlichen Kapitelinhalt überein.
Statt eines Auszugs aus dem Inhaltsverzeichnis stelle ich nachfolgend die Ausgangszugfolgen zusammen, denen die einzelnen Kapitel – ggf. im Anschluss an die bereits oben genannten ersten Züge – folgen. Das Inhaltsverzeichnis arbeitet überwiegend mit den Namen der einzelnen Spielweisen, die dem Interessenten, der sich erstmals genauer mit der Benoni-Verteidigung befassen möchte, vermutlich nicht viel sagen werden.
- Kapitel 1: 6. e4 g6 7. Sf3
- Kapitel 2: 6. Sf3 g6 7. Sd2
- Kapitel 3: 6. e4 g6 7. Ld3 Lg7 8. h3
- Kapitel 4: 6. e4 g6 7. f3!?
- Kapitel 5: 6. e4 g6 7. Sge2
- Kapitel 6: 6. e4 g6 7. Bb5+
- Kapitel 7: 6. e4 g6 7. f4 Lg7 8. Bb5+
- Kapitel 8: 6. Sf3 g6 7. g3
- Kapitel 9: 6. Sf3 g6 7. Lf4
- Kapitel 10: 4. dxe6 fxe6 (frühe Abweichungen)
- Kapitel 11: 2. Sf3 c5 3. e3 (Anti-Benoni-Systeme).
Die einzelnen Kapitel werden mit einer Übersichtseite mit der Initialzugfolge und einem Ausgangsdiagramm sowie einer Variantenübersicht auf der Rückseite eingeleitet.
Sehr gut gefällt mir, dass Kovalchuk regelmäßig zu Beginn eines Abspiels bzw. einer Variante die wesentlichen strategischen Aspekte und Pläne, die sich mit ihr verbinden, aufzeigt. M.E. kann es Sinn machen, zunächst zu den Ausführungen des Autors in der Einführung zurückzuschlagen, um einen guten Einstieg zu finden. Das Werk zeichnet sich insgesamt dadurch aus, dass Kovalchuk sehr gut erläutert. Er gibt sich dabei überwiegend nicht damit zufrieden, Einschätzungen und Werturteile abzugeben, ohne diese zu begründen. Dies gilt zumindest für die Phase bis in Mittelspielnähe. Wenn er also beispielsweise eine Seite im Vorteil sieht, gibt er zumeist auch den ihn hierzu veranlassenden Grund an. Mit fortschreitender Länge eines Abspiels ändert sich dies allerdings tendenziell. Hier sind Varianten, die aus Partiefragmenten oder eigenen Analysen des Autors stammen, häufiger nicht oder auf Symbole reduziert kommentiert. Auch nehmen die Kommentierungen späterer Partiesituationen tendenziell mehr einen taktischen Charakter an.
„The Modernized Modern Benoni“ enthält viele Analysen offensichtlich aus Kovalchuks eigenem Schaffen. Sie sind mit Hilfe des Computers entstanden und überprüft, worauf der Rückentext hinweist. Da er auch viel Material aus dem modernen Fernschach verwendet hat, dürfte die rechnerische Sauberkeit der Varianten bis zum Erreichen des Rechenhorizontes auch in den insoweit zur Kommentierung verwendeten Fragmenten sichergestellt sein.
Das Werk bietet einige Neuerungen an, die zumeist in weiter vorgerückten Stellungen zum Tragen kommen können. Interessant ist eine Neuerung im 5. Kapitel, das sich dem System mit 7. Sge2 widmet. Nach 7. Sge2 h5 8.Lg5 Lg7 9.Sc1 0-0 10.Le2 schlägt Kovalchuk den einfachen Zug 10…De8 vor, der tatsächlich noch nie in einer überlieferten Partie gespielt worden ist (bzw. bis zum Erscheinungsjahr 2021 gespielt worden war), obwohl er durchaus als auf der Hand liegend betrachtet werden kann.
Die praktischen Chancen dieses Systems begründen sich aber schon mit der Wahl 7…h5, mit der Schwarz fast alle Erfahrungen aus der bisherigen Praxis ausblenden kann. Es gibt nur wenige relevante Partien aus dem herkömmlichen Turnierschach, die entsprechend eröffnet worden sind, und im Fernschach keine einzige. Entsprechend kann Schwarz selbst einem erfahrenen Gegner hier früh Neuland vorsetzen, das ihm dann im 10…Zug die Chance einbringt, alleine vorbereitet zu sein.
10…De8 wird auch von Stockfish 15 als „gesund“ bewertet.
Die einzelnen Kapitel sind in Abspiele gegliedert. Die schon erwähnte frühe Variantenübersicht ermöglicht dem Leser einen einfachen Zugriff auf eine gewünschte Spielweise, die dann auch im Text deutlich abgehoben und auf den ersten Blick erkennbar ist. Leider gibt es keine zentrale Variantenübersicht über alle Buchinhalte hinweg, die dem Leser eine insgesamt bequeme Orientierung erlauben würde.
Zahlreiche Diagramme helfen dabei, im Fluss einer Variante zu bleiben. Die Nebenvarianten bzw. Analysen betreffenden Diagramme sind kleiner als jene zur Hauptvariante. Nebenvarianten erster und zweiter Ordnung sind im Schriftbild gut voneinander abgegrenzt.
Kapitel und einzelne Abspiele darin werden regelmäßig mit einer kurzen Zusammenfassung abgeschlossen. Diese beschränkt sich zumeist auf die grundlegendsten Aspekte, die dann wie eine Merkregel genutzt werden können.
Fremdsprachenkenntnisse auf Schulniveau reichen aus, um ohne große Probleme mit dem Werk arbeiten zu können. Der verwendete Wortschatz entspricht dem in Schachbüchern Üblichen, auch wenn ich die Bedeutung mehrerer Begriffe nachschauen musste.
Benoni ist keine Verteidigung, die man üblicherweise einem Anfänger zur Anwendung empfiehlt. Lässt man diese Erwägung außen vor, wird auch der noch unerfahrene Spieler gut mit „The Modernized Modern Benoni“ arbeiten können. Kovalchuk erläutert und erklärt so ausführlich, dass er auch kaum erfahrene Spieler erreichen kann. Dem Spieler ab Klubniveau kann das Werk ohne Einschränkung empfohlen werden.
Fazit: „The Modernized Modern Benoni“ stellt dem Leser ein rundes Repertoire zur Verfügung, mit dem er die Richtung der Partie im Anschluss an 1.d4 nachhaltig beeinflussen kann. Das Werk leitet den Leser sehr gut an. Besonderes Augenmerk hat der Autor auf die Darstellung der Pläne gerichtet. Zahlreiche und mit dem Computer überprüfte Analysen versprechen auch dem Spieler, der in seinen Partien bereits auf Benoni setzt, neues Material.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach E. Niggemann zur Verfügung gestellt.
Kommentare
Einen Kommentar schreiben
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.