Rita Kallinger: Fernschach – aus weiblicher Perspektive betrachtet (Zeitschrift „Fernschach“, Januar 1964)

Schach ist das Spiel der Könige mit dem Unterschied, daß es wohl würdig ist, Zeitvertreib eines Königs zu sein, heutzutage aber das am wenigsten gespielte und dabei so geistreiche Spiel sein würde, wollten es wirklich nur Könige spielen.

Diesem „Spiel“ frönt auch mein Mann, und ich muß ehrlich sagen, dass ich ihn erst durch dieses Spiel charakterlich so richtig kennengelernt habe. Schach ist für ihn eine andere Welt, in der er sich in Gedanken auf Schlachtfeldern tummelt, angreift, abwehrt, sich verzweifelt verteidigt, en passant lustwandelt, riskante Seitensprünge macht, mit Würde verliert und mit echter Freude gewinnt, aber doch immer mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen bleibt.

Ein Schachspieler, insbesondere ein Fernschachspieler, muß ein Mensch sein, der über eine gewisse Seßhaftigkeit verfügt, der sich wohl fühlt in seiner abgeschlossenen, scheinbar stillen Welt, der aber innerhalb dieser und in seiner Phantasie ein turbulentes, abwechslungsreiches, ja oft gefährliches Leben führt und Abenteuer besteht. Hier kann er seinem inneren, vielleicht im Unterbewußtsein schlummernden Drang, ein Held zu sein und sich als Angreifer oder Verteidiger zu bewähren, nachgeben, hier kann er seine Fähigkeiten ohne störende Nebeneinflüsse entwickeln und ausbauen, und je abgeschiedener seine kleine Welt ist, d.h. je weniger man ihn in seiner kleinen Welt stört, desto wohler fühlt er sich, und seine Leistungsfähigkeit steigt.

Ich selbst habe festgestellt, daß mein Mann auf dem Schachbrett weitaus unternehmungslustiger als im wirklichen Leben ist. Oft finde ich ihn phlegmatisch. Beim Schachspiel jedoch entwickelt er Fähigkeiten und Charakterzüge, von denen ich gar nichts geahnt habe. Dann bin ich erstaunt über seine Wendigkeit, seine Begeisterungsfähigkeit und Einfälle, die er wahrscheinlich dann vorbereitet, wenn er mir verträumt und „nicht bei der Sache“ vorkommt, kurz wenn er für seine Umwelt nicht ansprechbar ist und über ein Schachproblem nachzudenken scheint. Kein Wunder, daß er dann hin und wieder im praktischen Leben den Eindruck größter Zerstreutheit erweckt, ja, daß ihm sogar oft genug Dinge passieren, die nur dann vorkommen können, wenn man mit dem Gedanken woanders weilt. Anfangs machten mich solche Vorkommisse ungehalten. Jetzt jedoch bin ich durch jahrelanges Training auf alles vorbereitet und gefaßt, und es kann mich kaum noch erschüttern, daß z.B. der Ofen völlig ausbrennt, nur weil mein Schach spielender Göttergatte (sic! -  der Tipper) an die Wahl der richtigen Variante, nicht aber an meine Bitte, den Ofen abzudrehen, dachte.

Und doch bin ich glücklich gerade über dieses Hobby meines Mannes. Läßt er mich doch teilhaben an seinen Unternehmungen. Mit jedem Namen ist eine besonders interessante oder entscheidende Partie verknüpft oder gar die Erinnerung an eine persönliche Begegnung. Jede Fernschachkarte, die eintrifft, ist auch für mich von Bedeutung, kann doch gerade diese Karte den entscheidenden Zug bringen oder von meinem Mann abverlangen. Auch entsteht zuweilen ein recht netter Kontakt zwischen den Gegnern, bei dem nicht nur Schachzüge, sondern auch Gedanken ausgetauscht werden und der meinen Mann sogar zum Studium einer Fremdsprache angeregt hat. Also ist Schach nicht nur als Denksport fördernd, es stellt auch Kontakt von Mensch zu Mensch her, sogar auf internationaler Basis, und bringt überdies Menschen der verschiedensten Gesellschaftsschichten einander näher.

Mein Mann bevorzugt gerade aus dem Grunde Fernschach, weil er nicht gezwungen ist, aus dem Hause zu gehen und der Weg vom Hobby zur Familie kein weiter sondern nur ein in Gedanken zurückzulegender ist.

Ich bin schon gefragt worden, ob ich selbst auch leidenschaftlich gern Schach spiele, und ich mußte jedes Mal offen bekennen, daß ich überhaupt nicht Schach spiele. Wohl kenne ich die Grundregeln, aber nur wie ein Erstklassler das ABC. Ich interessiere mich wohl für all das Drum und Dran, wäre aber selbst nicht in der Lage, mich nur zehn Züge lang zu verteidigen, geschweige denn, eine Partie überhaupt zu entwickeln. Mein Mann empfindet meine fehlenden Schachkenntnisse nicht als Mangel. Er behauptet, so das erforderliche Gegengewicht zu haben und immer nach gewisser Zeit aus seinen Schachträumen geweckt zu werden.

Schach ist Poesie und Mathematik, es verlangt Ausdauer, Konzentration und Einfallsgabe und somit den ganzen Menschen. Nur, wer sich diesem Spiel mit Leib und Seele verschreibt, kann wirklich Erfolge erringen. Diese jedoch könnten unter Umständen das Glück einer Ehe kosten, wenn nicht auf Seiten der Frau genügend Verständnis vorhanden wäre und beim Manne die Bereitschaft fehlen würde, sich wenigstens ab und zu von ihr in die Wirklichkeit entführen zu lassen.

Abschließend sei noch erwähnt, daß die hölzerne Dame auf dem Schachbrett die einzige Dame ist, die ich meinem Mann neben mir gestatte. Eigentlich überflüssig diese Bemerkung, wo doch schachspielende Ehemänner kaum für die eigene Frau Zeit haben...

Zurück